W&F 1987/3

Editorial

von Paul Schäfer

1296 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben binnen zweier Wochen den Appell der Herausgeber dieser Zeitschrift „Die historische Chance zur Abrüstung nutzen“ unterzeichnet. öffentliches Eingreifen in die Belange der Sicherheits- und Militärpolitik ist Moment der politischen Kultur der Wissenschaft geworden. Der Wissenschaftleraufruf war Teil einer Mehrheitsmeinung hierzulande. Dagegen läßt sich auf Dauer schlecht regieren.

Der CDU/CSU-Teil der Bundesregierung hatte bis zuletzt gehofft, mit Hilfe anderer NATO-Alliierter Hürden gegen ein Abrüstungsabkommen aufbauen zu können. Doch in Stavanger blieb Herr Wörner allein. Die Regierung mußte auf die doppelte Null-Lösung einschwenken. Diese Erfahrung bleibt festzuhalten: nur angesichts ihrer vollständigen nationalen wie internationalen Isolierung war die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bereit, sich mit einem Abkommen über die landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa abzufinden, das etwa 3 % der Sprengköpfe betrifft, die in den Arsenalen der USA und der UdSSR gelagert sind. Die CDU/CSU-Mehrheit bekämpft förmlich bis zur letzten Sekunde das Vorhaben. Noch klammert sie sich an ihre Pershing Ia. Soll dies zum Stolperstein werden? Die Deklarierung dieser Raketen als „Drittstaatenwaffen“ muß uns argwöhnisch machen. ist der Traum von der deutschen Atommacht immer noch nicht ausgeträumt? Angesichts das Verbleibens von über 10.000 Sprengköpfen in Europa wirft die ständige Rede von der drohenden Entnuklearisierung die Frage auf, ob hier „bloß“ Angst gemacht wird oder heimliche ängste einer Nuklearelite durchbrechen, die sich vier Jahrzehnte inmitten der Schutzverheißungen einer nuklearen Militärkultur eingewöhnt hat. Hier geht es um die Angst vor einer Abrüstungsdynamik, die den Bedürfnissen von Millionen Menschen entsprechen würde. Daher scheinen zumindest Teile der Bundesregierung offenbar weniger an einer Fortsetzung der Abrüstung zu arbeiten, als an der Konterkarierung des ungeliebten Zugeständnisses. Verteitigungsminister Wörner hält es für an der Zeit, „in der sicherheitspolitischen Debatte wieder Boden unter die Füße zu bekommen“. Gemeint ist die Aufstockung bei den „luftgestützten und seegestützten taktisch-operativen Atomwaffen größerer Reichweite“ (FAZ, 30. 6. 87). Neues Denken? Bestimmt nicht. Die Friedenswoche im November wird ein Ort sein, wo die Beiträge der Friedensbewegung in der sicherheitspolitischen Debatte diskutiert werden.

Die Regierung der USA scheint auf ein Abrüstungsabkommen bei den Mittelstreckenraketen eingehen zu wollen. Zu hoch ist der Preis politischer Glaubwürdigkeit, als daß man die Nichtannahme eigener Vorschläge riskieren könnte. Aber es gibt auch die stille Hoffnung, mit einem solchen Abkommen bei der Militarisierung des Weltraums freie Hand zu bekommen. Wir informieren also weiterhin über SDI. Wieweit auch die Reagan-Administration von einem Denken gemeinsamer Sicherheit und west-östlicher Verantwortungsgemeinschaft für die globalen Probleme entfernt ist, hat jüngst Caspar Weinberger in seinem Jahresbericht an den Kongreß klargemacht. Wir dokumentieren einen Auszug.

Einem weiteren Thema bleiben wir treu: der Analyse und Kritik der Militarisierung der Wissenschaften. Die Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ hat die Frage der Rüstungsforschung erstmals zum Gegenstand einer Fachtagung gemacht. Eine ähnliche Diskussion lasse gegenwärtig, so Charles Schwartz (Berkeley), in den USA noch auf sich warten. Zur Unterstützung der Friedensarbeit der verschiedenen Initiativen soll auch die Edition einer völlig neu bearbeiteten und stark erweiterten „Expertenkartei“ beitragen, welche die Informationsstelle Wissenschaft und Frieden noch vor dem Antikriegstag publizieren wird.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/3 Der mühsame Weg zur Abrüstung ..., Seite