W&F 1987/5

Editorial

von Paul Schäfer

Der INF-Vertrag ist unterzeichnet. Über 2700 Atomraketen müssen verschrottet werden. Ein historischer Schritt in der Kriegsgeschichte. Die Welt der nuklearen Vernichtung ist ein wenig geschrumpft.

Noch befindet sich in den Arsenalen der Atommächte ein Vernichtungspotential von weit über 18.000 Megatonnen. Zwischen 600 und 800 Megatonnen werden in den nächsten Jahren durch das Abkommen eliminiert – das sind vier bzw. fünf Kästchen in der „Megatonnenkarte“.

Die Halbierung der strategischen Potentiale ist überfällig. Ein Kompromiß der Hauptmilitärmächte noch 1988 ist nicht auszuschließen; auch die weltweite Ächtung der chemischen Waffen könnte im nächsten Jahr beschlossen werden. Wir haben Anlaß, zum Jahreswechsel guten Mutes zu sein. Als Augenzeugen des Gipfel-Medienspektakels will ich jedoch nicht verhohlen, daß sich gemischte Gefühle einschleichen: die dort geförderte Euphorie kann die verbreitete Friedenssehnsucht verstärken; sie kann zugleich einen Nebelvorhang bilden, hinter dem die nächsten Aufrüstungen versteckt werden.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ informiert ihre Leser darüber, daß das Strategische Luft-Kommando (SAC) durch das Pentagon beauftragt ist, die atomare Einsatz- und Zielplanung den geänderten Bedingungen anzupassen. Die Ziele, die bislang von den Pershings und Cruise Missiles angepeilt wurden, sollen jetzt durch luft- und seegestützte Systeme bzw. Interkontinentalraketen abgedeckt werden.

Vergessen wir nicht, daß Ende November ein Gipfel anderer Art stattgefunden hat – ein Gipfel der militärischen Anschaffer.

Auf der Ministertagung der EUROGROUP in der NATO wurde beschlossen. „Die Glaubwürdigkeit der Bündnisstrategie der flexiblen Antwort und der Vorneverteidigung hängt in gleichem Maße von den sehr bedeutenden Streitkäften der europäischen Bündnispartner ab.(…)

Sie unterstützten dabei das Programm des Bündnisses zur Stärkung der konventionellen Verteidigung. Sie stellten fest, daß die Mitgliedsstaaten der EUROGROUP planen, im Rahmen dieser Anstrengungen ihren Streitkräften im Jahre 1988 eine breite Skala neuen Geräts zuzuführen (…)“

Im einzelnen werden erwähnt: 350 Abwehrkanonen, über 400 Panzerabwehrraketensysteme MILAN, 10.000 Panzerabwehrhandwaffen, 200 neue Kampfflugzeuge (Tornado, F 16).

Und schließlich: an der Entwicklung der neuen High-Tech-Waffen wird fieberhaft gearbeitet. Die Mittel für neue B-Waffen, für neue Kommunikations- und Kommandosysteme werden kräftig aufgestockt. Und während der Kanzler dieser Republik als Vater der Abrüstung posiert, kassieren bundesdeutsche Unternehmen SDI-Forschungsaufträge ein. Den aktuellen Stand haben wir auf den Seiten 18/19 aufgelistet.

Der Informationsdienst Wissenschaft und Frieden hat sich 1987 gut entwickelt Die nicht leichte Umstellung vom „Info-Dienst“ zur Zeitschrift wurde abgeschlossen. Zahlreiche neue Mitarbeiter und über 200 Abonnenten – vor allem aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich – kamen hinzu. Mit der Einrichtung der „Informationsstelle Wissenschaft und Frieden“ wurde begonnen – ihre Arbeit wird auch helfen, den Informationsdienst weiter zu verbessern.

Für das Jahr 1988 wünscht Ihnen die Redaktion viel Überzeugungskraft, Ausdauer und Phantasie bei der Bemühung für den Frieden.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/5 Die Karte der nuklearen Welt, Seite