Editorial: Was für eine Wissenschaft?
von Redaktion
„Die postnukleare Gesellschaft wird lernen müssen, sich im Umfeld ionisierender Strahlung zu bewegen. Im Ganzen betrachtet wird nach Meinung des Forschungsberichtes keine Panikstimmung auftreten, Die Verhaltensmuster der Überlebenden werden durchaus adaptiv sein. Die meisten Menschen können eine Zeit bis zu mehreren Wochen mit geringstem Ausmaß von Nahrungsmittelzufuhr überleben. Das Wasser- und Nachrungsmittelproblem ist jedoch nur eine Organisationsfrage. Die Natur ist durch die menschliche Zivilisation bereits so gründlich verändert, daß eine nukleare Katastrophe höchstens zu einer allmählichen Rückkehr zur ursprünglichen Situation fuhren dürfte. Großräumige Waldbrände, Insektenplagen oder andere Störungen des ökologischen Gleichgewichts sind jedoch nicht zu erwarten. Ausgedehnte Studien an bestrahlten Patienten, sowie an Opfern aus Hiroshima und Nagasaki zeigen jedoch, daß die genetischen Schäden im Vergleich zu den bisher beschriebenen Atomkriegsfolgen eher ein „Hintergrundgeräusch“ darstellen.“ (Forschungsbericht des amerikanischen Zivilschutzes vom Mai 1979, J. Greene, in: Münchner medizinischer Wochenschrift 121 (1979), Nr. 36, S. 1124ff.).
Was ist das für eine Wissenschaft. Sie ist unmoralisch und zynisch, das sicherlich, Mehr noch.- sie ist grauenerregend. Ihre „objektiv-nüchterne“ Verharmlosung der Atomkriegsfolgen ist geradezu Kriegsführungsoption.
Ein Ziel des Informationsdienstes Wissenschaft und Friede ist es, zur Diskreditierung solcherart Wissenschaft beizutragen. Mit dem Thema Kriegsfolgen befassen sich einige Beiträge dieses Heftes. „Auch nach den Pershings“ so lautet die Titelzeile unseres ersten Heftes, das in den Tagen des Stationierungsbeginns erschien . Schon jetzt, ein paar Wochen danach, zeigt sich die Korrektheit dieser Einschätzung trotz mancherlei Resignations- und Spaltungserscheinungen. Die seitdem publizierten (und in diesem Heft dokumentierten) Wissenschaftleraufrufe die zahlreichen Aktivitäten zum Jahrestag des Stationierungsbeschlusses am 12.12., endlich die außerordentlich umfangreichen Aktionen der Studentenschaft im November/Dezember 1983 zeigen, daß der Stationierungsbeginn zu keinem emotionalen, bzw. politischen Zusammenbruch der Friedensbewegung geführt hat.
Ein kleines Indiz hierfür ist auch die beträchtliche Resonanz auf das Projekt des Informationsdienstes – das immerhin eben zu einem Zeitpunkt gestartet wurde, als viele das Ende der Friedensbewegung gekommen sahen. Wir haben in nur zwei Monaten Hunderte von Abonnenten gerade auch außerhalb des Wissenschaftsbereiches gewonnen. Offenbar ist der Informationsdienst nützlich. Und er ist anscheinend auch wirksam: die Frankfurter Allgemeine Zeitung nahm sich der Dokumentation militärischer Forschung an den Hochschulen an, vermutete Enthüllungen, Kampagnen, Antiamerikanismus, die Hand Moskaus, ach ja. Es bedurfte keiner Enthüllungen, die der Dokumentation zugrundeliegenden Quellen sind öffentlich (und auch noch offiziös). Der beliebten Aufforderung, doch auch über die militärische Forschung in der UdSSR zu berichten (so die FAZ), werden wir bei Gelegenheit gerne nachkommen mit oder ohne „Beziehungen“ (FAZ). Die Resonanz hat uns veranlaßt, für Studenten, Schüler und Arbeitslose einen niedrigeren Verkaufspreis als ursprünglich kalkuliert einzuführen. Das bedeutet aber auch, daß wir auf jedes Abonnement angewiesen sind. Wir bitten daher alle Leser, Mitarbeiter. und Vertreter der Wissenschaftlerinitiativen und Friedensgruppen, den Informationsdienst zu nutzen, ihn zu abonnieren und für ihn zu werben. Er ist ein Projekt der Friedensbewegung.