W&F 1998/1

Ein Gespenst geht um in Deutschland

Der Traditionalismus in der Bundeswehr

von Detlef Bald

Nimmt man dieSüddeutsche Zeitung (SZ), dann hat „die demokratische Gesellschaft… die Armee zivilisiert.“ So jedenfalls der Tenor eines Kommentars, der im Dezember 1997 zu den politisch auffälligen Ereignissen im deutschen Militär erschien. Die SZ spielte damit auf die grundlegend neue Gestalt an, die die Bundeswehr im Verhältnis zur langen Geschichte des vorausgehenden Militarismus eingenommen hat. Diese Aussage ist zutreffend, wenn damit allgemein die Anerkennung, die Gültigkeit, der Primat der grundgesetzlichen Werte gemeint ist. Fünfzig Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus sind die Republik und ihr parlamentarisches Geflecht an politischen Institutionen zweifelsohne vom Militär akzeptiert. Die Bundeswehr ist nicht putschverdächtig.

Ob solche fundamentalen Feststellungen, wie die Bundeswehr sei durch die Gesellschaft zivilisiert, angemessen sind, das kennzeichnend Relevante der 170 dokumentierten Vorfälle rechtsextremer Art in der Bundeswehr zu erfassen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Aussage, wenn sie nicht als These überhaupt zu befragen ist, überzieht. Sie ist hinsichtlich der konkreten Details zu verallgemeinernd, zu übertreibend, folglich – tendenziell – zu verharmlosend; die »Gesellschaft« ist halt so – Menschen aus dem Ausland wurden durch Straßen gejagt, ihre Häuser angezündet, Witze verbreitet… Daher natürlich auch in der Bundeswehr?

„Jetzt schlägt in der Bundeswehr die Stunde der Inneren Führung“, ließ General Günther Kießling zur gleichen Zeit im Hamburger Abendblatt seine Klärung der öffentlichen Ärgernisse aus dem deutschen Militär ausklingen und präzisierte: „Ihrer Herausforderung gerecht zu werden, bedingt auch, daß die Führung in Krisen die Nerven behält.“ Das ist die Reaktion auf Friktionen im Gebälk des Militärs; es knirscht und was geschieht? Ruhe behalten, nicht die Nerven verlieren. Die Aussagen beider Zeitungen sind bezeichnend für den Umgang mit dem Militär, jedoch oberflächlich, Sprachhülsen gleich, deren große Zahl die Jahrzehnte der Bundeswehr umkränzen – doch eine Sprachlosigkeit gegenüber der Bundeswehr belegen. Es fällt schwer, mit der Bundeswehr umzugehen.

Das wichtigste Mißverständnis, wenn nicht die verschleiernde Absicht, liegt darin, der Gesellschaft pauschal die ursächliche Verantwortung für Verhältnisse in der Bundeswehr zu geben. Es geht jedoch um das wichtigste Machtinstrument des Staates. Handelnd und verantwortlich sind Parlament, Parteien, Politik. Kanzler und Kabinett, Minister und Ministerium haben die Kompetenz der Richtlinien und der Erlasse. Mit dem Jahr 1982 und der »Politik der Wende« begann die restaurative Ära. Fünfzehn Jahre einer intendierten Politik bestimmter als konservativ proklamierter Werte, wie sie programmatisch vorgestellt worden sind. Es geht nicht um »konservativ« überhaupt, sondern um die Parteipolitik der »konservativen Wende«. Das muß unterschieden werden. Die »konservative Wende« verstand sich als Politik der restaurativen Korrektur. Sie wollte Orientierung bieten, indem das traditionalistische Soldatenbild der Vergangenheit rekultiviert wurde. Schon Manfred Wörner, der erste Minister der Wende auf der Hardthöhe, griff massiv richtungsbestimmend und meinungsprägend ein, als er umgehend Ziele und Strukturen des militäreigenen Bildungswesens neu akzentuierte. Alle wesentlichen Ebenen waren davon betroffen: die Unteroffizier- und Offiziersschulen, die Bedingungen zum Studium an den Universitäten, die Lehrgänge für Stabsoffiziere und die für den Generalstabsdienst an der Führungsakademie der Bundeswehr. Die gesamte Ausbildung, die handwerklich-taktische sowie die historische und die politische Bildung, wurden traditionalistisch mit dem Ideal des »Kämpfer«-Soldaten »kriegsnah« ausgerichtet. Das hatte weitreichende Auswirkungen für das Selbstverständnis, das Berufsbild, die Tradition und das Auftreten der Militärs. Dieses Umschleifen der Bildungspolitik in der Bundeswehr bewirkte über die Reduktion der Pädagogik im Militär die Reduktion der Inneren Führung.

Wende öffnete Traditionalisten die Tore

Die »Wendepolitik« öffnete dem »Traditionalismus« des Militärs die Tore. Sie brauchte dabei gar nicht weit in die Geschichte zu gehen, sie konnte sich auf die Jahrzehnte des Anfangs der Bundeswehr beziehen. Denn die Geschichte des Militärs der Bonner Republik ist zwiespältig. Ein Blick zurück kann dies verdeutlichen. Da steht am Anfang der Begriff »Staatsbürger in Uniform«. Im Jahr 1950 hatte General Wolf Graf von Baudissin ihn aufgegriffen, um die Militärreform in der Bundesrepublik leitend zu bestimmen. »Staatsbürger in Uniform« war weder willkürlich noch zufällig. Es ging darum, auf den Militarismus im Nationalsozialismus eine Antwort zu geben, genau so wie General Gerhard von Scharnhorst nach 1806 gegen den damaligen Militarismus, den auch er als »Staat im Staate« erkannte, antrat. Was ist das Fortschrittliche, für die Demokratie von Bonn Vorbildhafte, wenn Baudissin an der, wie er damals sagte, „steckengebliebenen Reform“ von 1819 anzuknüpfen bestrebt blieb? Damit ist mehr als die einfache Sinnfrage für das Militär gestellt.

»Staatsbürger in Uniform« ist das Synonym für die Militärreform, gern als Ideal vom zivilen Bürger im militärischen Dienst bezeichnet, oder: um das Militär angemessen in den demokratisch-parlamentarischen Staatsaufbau einzugliedern und um es schließlich in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der pluralistischen Vielfalt einer offenen Gesellschaft zu halten. Wie zuvor Scharnhorst die freiheitlichen, gleichheitlichen und gleichberechtigten Normen der bürgerlichen Revolution wollte nach 1949 Baudissin die Grundwerte des Grundgesetzes im Militär verwirklichen, um durch die Reform den »military mind«, den Untertanengeist, die Unterdrückung zu überwinden und eine zivil verträgliche, eine pluralistische Konstitution herzustellen. Damit sollte die politische Abgeschlossenheit des Korps der Offiziere – dienstlich durch Sozialprotektionismus und Verpflichtung durch den »Adel der Gesinnung« vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus ideologisiert – ein für alle Male aufgehoben werden. Es sollte der Nährboden für das Milieu soldatischer »Gesinnung« beseitigt werden. Das Militär sollte demokratietauglich und gesellschaftsfähig werden. Wie dies Phänomen der »Kongruenz« zeitgemäß von Baudissin bezeichnet wurde. In dieser Bestimmung liegt der historisch tatsächlich revolutionäre Ansatz der Militärreform, die nach 1950 versucht wurde. Schon das Wort vom »Staatsbürger in Uniform« ist ein Programm, das in der deutschen militärischen Geschichte immer nur bruchstückhaft und zu wenigen Zeiten Geltung hatte: wie nach 1806, so nach 1848 und nach 1918 – und jeweils gescheitert war.

Der »vierte Ansatz« zur Reform des Militärs hatte jedoch, außer im legislativen, um 1955 geschmiedeten Korsett, bis zum Ende der sechziger Jahre fast keinen Erfolg. Am Anfang der Bundeswehr stand die Zwiespältigkeit. Die Mehrheit der Offiziere lehnte die Gültigkeit der Reform als Maßstab des inneren Aufbaus ab. Im Jahr 1969 waren maßgebliche Generale, auch Baudissin, im Rückblick auf fast 20 Jahre Arbeit resignierend zu der Feststellung gelangt, die Reform – ihr Werk – sei gescheitert. Helmut Schmidt hat dann nach 1969 als Verteidigungsminister auf der Hardthöhe die entscheidende Politik zur Reform des Militärs im Einklang mit dem alten Konzept von Baudissin umgesetzt. Gegen heftige Widerstände, angeführt von der damaligen Opposition von CDU/CSU. Nach 1982 wurde bewußt die »Wende« durch die bildungspolitische Gegensteuerung eingeleitet, offensichtlich mit viel Schwung.

Das ist ein Teil der deutschen Militärgeschichte – der Bundeswehr der Bonner Republik, nicht der Wehrmacht. Und mit dieser Geschichte umgehen heißt kritisch und klar fragen, warum die Bundeswehr seit den fünfziger Jahren mit ihrer demokratischen Militärreform derartige Probleme hatte und warum sie den Kräften gegen die Reform, den »Traditionalisten«, politisch und organisatorisch Handlungs- und Entscheidungsraum gab. Die Probleme am Ende der neunziger Jahre liegen auch im Anknüpfen an die »traditionalistischen« Anfänge der Bundeswehr. Man kann sie von daher miterklären, ohne sie von daher allein begründen zu wollen.

Einige Beispiele aus der Geschichte der Bonner Republik mögen dies verdeutlichen. Als Baudissin seine Arbeit im Amt Blank begann, wurde sein Referat »Inneres Gefüge« genannt. Nomen est omen; die Militärreform sollte auf Fragen der sozialen Beziehungen zwischen den Soldaten beschränkt werden, bevor sie überhaupt entworfen worden war. Dann kam noch etwas hinzu, das mehr als eine semantische Frage war. »Inneres Gefüge« war kein Wort der Reform. Es war der Begriff, der in der Wehrmacht 1942 von nationalsozialistischer Seite eingeführt worden war, um Elemente der »feudalen« Struktur aus der Reichswehrvergangenheit der Wehrmacht zu beseitigen. »Inneres Gefüge« wollte den verdeckten Bezug zur Wehrmacht. Kein demokratischer Neuanfang, keine demokratische Stunde Null war hiermit verbunden. Baudissin benötigte zwei Jahre Auseinandersetzungen, bevor er im Jahre 1953 die Neuorientierung für die Bundeswehr mit dem Begriff der »Inneren Führung« verbinden konnte.

Reformer contra Traditionalisten

Die kleine Gruppe der Reformer stand den »Traditionalisten« gegenüber, die die Mehrheit und die Macht hatten. Sie knüpften direkt an ihrem Vorbild, der gerade erlebten Form des Militärs, also der Wehrmacht, an. Das heißt, sie übernahmen das Offiziersbild, das Kriegs- und Berufsverständnis, die operativen Vorstellungen für den militärischen Einsatz, aber natürlich auch die Organisationsvorbilder, die Ausbildungsstrukturen und

-ziele, die soziale Abgrenzung, die Distanz zur pluralistischen Gesellschaft und vieles mehr. In dem Gründungsdokument der Bundeswehr, der Himmeroder Denkschrift von 1950, ist das alles nachzulesen. Im wesentlichen ein Aufguß der Wehrmacht, auch ihrer Gesinnung, von beteiligten NS-Ideologen wie General Foertsch (»Die Wehrmacht im Nationalsozialismus« heißt sein frühes Buch) geprägt, mit kleinen Einsprengseln der Reform, die Baudissin ultimativ ertrotzt hatte. Der Keim des Zwiespalts – die dominante Orientierung an der Wehrmacht versus Militärreform – war früh eingepflanzt, bevor die administrative Arbeit Ende 1950 im Amt Blank begann.

Die »Traditionalisten« bildeten den Kern der militärischen Gruppe in Zivil, die viele Jahre vor der Gründung der Bundeswehr im Jahre 1955 die »besten« soldatischen Traditionen des »Kämpfers« in die Planungen für die Bundeswehr transportierten, manche ganz handwerklich oder technokratisch – andere mit Eifer, dem »Besonderen« des Berufs verbunden, dem »Soldatenstand«, der soldatischen Gesinnung. Dieses Anknüpfen an die Vergangenheit wird als traditionalistisch bezeichnet. Allein, es ist dadurch charakterisiert, daß es sich nicht an der langen Geschichte des Militärs orientierte, sondern mit dem Bezug zur Wehrmacht und zur Reichswehr der Weimarer Republik (und mit dem hochgerühmten General Seeckt) gerade keine demokratischen, rechtsstaatlichen und pluralistischen Traditionen begründete. Die Fiktion wurde in die Bundeswehr gepflanzt, soldatische Tugenden an sich aus der Wehrmacht ableiten zu können; geradezu chirurgisch präzis wurden nationalsozialistische Angriffskriege, Verbrechen, Völkerrechtsbruch, Militärjustiz und vieles andere mehr von der Pflicht des Dienens des Soldaten geschieden. Das Ideal des »Kämpfers« unterstrich die vermeintlich »unpolitische« Seite.

Das Fatale an diesem Vorbild ist das unbedarfte Anknüpfen an der damit verbundenen politischen Tradition zum Staat oder zur Gesellschaft. Das ist nicht abstrakt. Nach acht Jahren Beratung der Politik zur Vorbereitung der Aufrüstung konnten es – noch 1955 – die höchstbezahlten Militärs der Bonner Republik, die Generale Heusinger und Speidel, wagen, ihrem Kanzler, Konrad Adenauer, schriftlich ihre Bedenken gegen eine »zivile« Kontrolle der Bundeswehr zu übermitteln. Eine Kleinigkeit, mag man einwenden; aber es ist symptomatisch für die reale Macht und das politische Selbstverständnis der »Traditionalisten«.

Politisch bedeutsam ist, daß nicht nur der Aufbau der Bundeswehr, sondern auch ihre Gestalt nach einem aus jenen Jahrzehnten entlehnten Vorbild gezimmert wurde – nur eines war klar, man wollte nicht die Reform in den eigenen Reihen. Blank durchschaute nicht das Machtkartell der »Traditionalisten« in seinem Amt, denen es gelang, die Reformer als protestantisch-preußische Reaktionäre bis hin zum Kanzler zu diffamieren. Blank wollte die Reform, ganz eindeutig. Der Nachfolger, Minister Franz Josef Strauß, leitete die erste Wende; er konnte seinen Dienst mit der Zurückweisung der Reformer antreten, nachdem das legislative Korsett gegeben war, und bewußt an die Armee – „im alten Geiste, im Drill der Reichswehr und der Wehrmacht ausgebildet“ – erinnern. Er, der sonst zögerliche Macher, erwies sich eindeutig, er förderte lauthals und ungeschminkt die »Traditionalisten« und ließ die Ziele der Reform – mit dem Schlagwort der Inneren Führung – verkommen. So hatte die lange Kette dicke Glieder, die dann nach den jahrelangen Affären mit der die Soldaten schindenden, technokratischen »kriegsnahen« Ausbildung im Frühjahr 1969 in den skandalträchtigen Generalsaussprüchen kulminierte, man könne in der Bundeswehr endlich „die Maske der Inneren Führung“ ablegen.

Konkret mit dieser Konstruktion der »traditionalistischen« Bundeswehr wurde das sehr umfangreiche militäreigene Ausbildungssystem aufgebaut, wirklich nach dem Vorbild der dreißiger Jahre. Abkapselung von der Gesellschaft als Ideal des Offiziers sowie die extrem einseitige, taktisch-handwerkliche Ausrichtung und die erklärte Distanz zur politischen Parteienlandschaft der Republik sind ausgeprägte Merkmale, die beispielsweise die Führungsakademie der Bundeswehr (nicht nur) in den sechziger Jahren bestimmte. Sie hatte die Funktion eines Leitbildes. Ein Kommandeur »meldete« stolz auf dem Dienstweg seinem Minister, endlich das Vorbild der Kriegsakademie der Vorkriegszeit erfüllt zu haben. Er wurde nicht gerügt. Solche Äußerungen waren kein Anlaß, Aufklärung zu betreiben und den »Ungeist« der Praxis dieser Tradition, die zur Unterscheidung nur »Traditionalismus« genannt werden darf, ins Bewußtsein zu rücken. Da entstanden mehr als nur Tendenzen der rechten, der militaristischen Orientierung. Wenn sogar der national-konservative Generalinspekteur Adolf Heusinger erschreckt die politische Dimension dieses historischen Aufbaus erkannte und daher Abhilfe schaffen wollte, konnte er – tatsächlich vorbildliche – Befehle für die Reform des gesamten militäreigenen Ausbildungssystems erlassen. Nur wurden sie einfach nicht befolgt, am Anfang und am Ende von der Politik toleriert. Sabotage oder Boykott?

Die Bundeswehr scheut – gerade in den neunziger Jahren – die Auseinandersetzung um diesen Teil der Geschichte. Dies wird gerne verschleiert, denn hinter dieser Realität verbarg sich nicht nur damals ein Machtkampf, den die »traditionalistischen« Kräfte – der über die Inspekteure von Heer, Marine und Luftwaffe eigenständig organisierten Teilstreitkräfte – führten, um ihre Autarkie, Anteile am Budget usw. durchzusetzen. Politische und militärische Führung arrangierten sich »traditionalistisch«, letztlich stellten sie sich mit aller Konsequenz gegen die Reform. Diese Konstellation hat bis heute verhindern können, daß einige der »traditionalistischen« Strukturen und Ideale hinterfragt und reformiert wurden. Die politische Brisanz dieser Fragen nach der Organisation des Militärs konnte bei der Formulierung des neuen Auftrags der Bundeswehr nach 1990 und der Forderung nach einer einsatzgerechten Militärstruktur gerade noch umgangen werden.

Die Bedeutung der »Traditionalisten« für die Bundeswehr bietet einen Schlüssel, um das in den neunziger Jahren in neuer Form ausgerichtete Milieu zu begreifen. Die »Armee der Einheit« hat sich den Begriff der »Armee« wieder angeeignet, eine nationale und machtbestimmte Konnotation. Alle, fast alle Bezüge, die die neuere Militärgeschichte dafür herstellt, haben »Ladungen«, die nicht sehr günstig für eine Begründung des »civil mind« im Militär, in der Armee, sind.

Es fällt auf, daß in der aktuellen Diskussion um die rechten Vorfälle in der Bundeswehr sowohl General Kießling als auch Minister Rühe dieselbe Orientierung bieten, indem beide General Steinhoff herausstellen. Sie rühmen den „tapferen Soldaten des Zweiten Weltkrieges“ (Rühe) und seine „Leistung und Tapferkeit als Jagdflieger“ (Kießling). Er ist für beide das klare Vorbild; Wehrmacht, Krieg und Nationalsozialismus sind kein Thema. »Tapferkeit« an sich, als Tugend des Soldaten. Damit sind sie schwungvoll in der Realität der fünfziger Jahre gelandet.

Sie suchen, gerade zu diesem Zeitpunkt, der Bundeswehr die Richtung zu weisen. Die »braunen« Turbulenzen der Gegenwart leiten über den Kontext der Biografie dieses Soldaten der Bundeswehr und der Wehrmacht einen »normalen« Bezug zur Vergangenheit her. Der reine, der politisch neutrale, der fachliche »Kämpfer« wird zum obersten Ideal, zum Lernziel der Bundeswehr gemacht. Dahinter steckt manche Unschärfe – eine politische Fahrlässigkeit, wenn die Nähe zum Nationalsozialismus historisch derart diffus bleibt. Aber es ist die Praxis dieser Politik, die »traditionalistisch« Versionen der »realitätsnahen«, der »kriegsnahen« Ausbildung im Vorbild der Wehrmacht mit der militäreigenen Bildungspolitik verknüpfte; dies ist der Geist, der die Probleme in der Bundeswehr selbst erzeugte.

»Innere Führung« ist die Herausforderung

Die »Innere Führung« ist tatsächlich die Herausforderung. Die Aussage führt zu der These, daß der demokratische, pluralistische Kanon einer streitbaren Republik in Teilen der Bundeswehr undeutlich geworden ist. Das Synonym dafür ist die Innere Führung oder der »Staatsbürger in Uniform«. Dem mangelt es an Vitalität, da eineinhalb Jahrzehnte der Politik des »Traditionalismus« eine restaurative Beengung erzeugt haben. Die Bundeswehr pflegt wieder eine Akzeptanz der »Traditionalisten«, die sie zur Wehrmacht führte, ohne – ganz einfach – das Nationalsozialistische zu meinen. Der Bezug der »Traditionalisten« ist das Modell der dreißiger oder zwanziger Jahre – übernommen in die Bundeswehr in den fünfziger Jahren im Selbstverständnis, in den Tugenden des Offiziersbildes, im Ideal des Soldatischen. Da tut (Unter-) Scheidung not.

Der Kontrast zum »Staatsbürger in Uniform« ist fundamental. Er ist einem Menschen- und Soldatenbild der Selbständigkeit, Kritik- und Urteilsfähigkeit, der Offenheit, der Fachlichkeit und der Verantwortungsfähigkeit u.ä. verpflichtet; es geht um wesentlich mehr als die Förderung der politischen Bildung. Ihr Bezug, die Normen des Grundgesetzes, bieten keine willkürliche Auswahl. Das ist im Umgang, auch im dienstlichen Betrieb, zu verwirklichen. Zu begründen ist es – kritisch diskursiv – im Konzept des militäreigenen Bildungssystems, gerade dort. Es wird leicht übersehen, daß Prägungen und Identitäten in den monatelangen Lehrgängen gestiftet werden, die für die Offiziere und Unteroffiziere eingerichtet sind. Im besonderen gilt das für die etwa zweijährige Ausbildung zum Generalstabsdienst. Diese Personengruppen, die Zeit- und Berufssoldaten, verdienen das besondere Augenmerk, denn sie bestimmen im wesentlichen die zivil-militärischen Verhältnisse, sie geben der Gestalt des Militärs die Dauer.

Neben dem (Aus-) Bildungssystem ist die Politik der Personalrekrutierung einer Prüfung zu unterziehen. Als Ergebnis der Wende hat sich eine Priorität herausgeschält, die keine akzeptable Interpretation der Inneren Führung im Sinne der pluralistischen Repräsentanz im Militär bietet. Nach alter Weise hat man denn »Kämpfer« gegen den gebildeten Soldaten gestellt, Handeln und Gesinnung bevorzugt. Die stetigen politisch-militärischen Eingriffe haben das Pendel des restaurativen »Traditionalismus« bei der sozialen Rekrutierung weit ausschlagen lassen. Eine politische Korrektur tut not. Ein Beispiel mag dies illustrieren: die jungen Berufsoffiziere haben bis zu sechzig Prozent kein volles Studium absolviert. Ohne die ganze Problematik dieser Aussagen andeuten zu können, hilft sicher die Frage weiter: wie würde ein multinationaler Konzern reagieren, wenn er seine Manageretage nach derartigen Kriterien besetzen müßte?

Der Bundeswehr ist mit dem Beharren auf dem simplifizierten Bild des »Kämpfers« das Berufsprofil verloren gegangen und somit die Fähigkeit, berufsbezogen und -angemessen ihr Leitungspersonal zu bestimmen. Hier liegt das Problem, nicht bei den Wehrpflichtigen.

Der aktuelle Mangel der Bundeswehr ist gravierend, da er an die Basis geht. Er hat Konsequenzen für viele Bereiche. Der Umgang mit den »braunen«, radikalen und extremistischen Erscheinungen zählt dazu. Es geht nicht um einen neue, relative Ausgewogenheit. Die Auseinandersetzungen (1998) um die rechte Bestimmung des Militärs sind kontrovers, da sie die Spitze des Eisbergs treffen. Es geht darum, die Einzelfälle auf das Grunddefizit zutreffend zu beziehen. Im Gegensatz zur Hektik der administrierten Meldung von Vorfällen benötigt die Bundeswehr eine politische Strategie der Reform; ein erster Schritt wäre, auf die diskursive Offenheit, die Erörterung der widersprüchlichen Vielfalt, die Schärfung des Urteils durch Differenzierungsvermögen zu setzen. Das immer beschworene Maß der »Inneren Führung« muß aus der klemmenden Praxis der regressiven Einpassung heraus. Der Bundeswehr mangelt es an gesellschaftlicher Zivilisierung. Allerdings ist das ein weites Feld.

Literatur

Bald, Detlef (1994): Militär und Gesellschaft 1945 -1990. Die Bundeswehr der Bonner Republik, Baden-Baden.

Bald, Detlef (1982): Der deutsche Offizier. Sozial- und Bildungsgeschichte des deutschen Offizierskorps im 20. Jahrhundert, München.

Frevert, Ute, Hrsg. (1997): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart.

Opitz, Eckardt / Rödiger, Frank S., Hrsg. (1995): Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte – Probleme – Perspektiven, Bremen.

Vogt, Wolfgang R., Hrsg. (1988): Militär als Lebenswelt, Leverkusen.

S+F, Vierteljahreszeitschrift für Sicherheit und Frieden, Jg. 15, 3/1997: Themenschwerpunkt Bundeswehr.

Dr. Detlef Bald war bis 1997 Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, er arbeitet jetzt als freier Autor.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/1 Gewaltverhältnisse, Seite