W&F 2008/4

Ein Klima der Gewalt?

Das Konfliktpotenzial der globalen Erwärmung

von Jürgen Scheffran

Im Jahr 2007 rückte das Drama um die globale Erwärmung in den Brennpunkt der weltweiten Öffentlichkeit. Zu Beginn des Jahres wurde der Dokumentarfilm des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore in Hollywood mit einem Oscar ausgezeichnet. Die »unbequeme Wahrheit« über schmelzende Gletscher, Naturkatastrophen und Klimaflüchtlinge bewegte weltweit Millionen von Menschen, ebenso wie auch das globale Live Earth Concert Mitte des Jahres.

Am Ende des Jahres wurde in Oslo der Friedensnobelpreis gemeinsam an Al Gore und den Weltklimarat (IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change) verliehen. In mehreren über das Jahr verteilten Einzelberichten hatte das IPCC die wissenschaftlichen, sozio-ökonomischen und politischen Dimensionen des Klimawandels ausführlich beleuchtet. Im Dezember 2007 bildeten mehr als Zehntausend Vertreter von Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen bei der Klimakonferenz in Bali das bislang größte politische Forum zu Klimafragen. Auf der Anklagebank stand vor allem die US-Regierung, durch deren Widerstand die Bali Roadmap ein schwacher Kompromiss blieb.

Die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit wirkte sich auch auf die US-Debatte aus1, und im US-Wahlkampf spielte das Klimathema eine Rolle, nicht zuletzt aufgrund des Desasters durch den Hurrikan »Katrina« 2005. Angesichts des Hurrikans »Gustav« im September 2008 musste Präsident George W. Bush seine Teilnahme am Parteitag der Republikaner absagen, und kurz darauf wurde sein Heimatstaat Texas vom Wirbelsturm »Ike« heim gesucht. Ungeachtet der Blockadehaltung in Washington entwickelte sich in den USA ein breites Klima-Bündnis, das Umweltgruppen ebenso umfasst wie US-Bundesstaaten. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger leitete verschärfte Emissionsstandards für Kraftfahrzeuge in die Wege, was jedoch am 18. Dezember 2007 durch die US-Umweltbehörde gestoppt wurde – dem gleichen Tag, an dem US-Präsident Bush sein Gesetz zur Energieunabhängigkeit und -sicherheit (Energy Independence and Security Act) unterzeichnete.2 Nach Ansicht von Kritikern sind davon kaum tiefgreifende CO2-Emissionsminderungen zu erwarten. Dagegen starteten US-Kongress-Abgeordnete eine Initiative zur Klimasicherheit (Global Climate Change Security Oversight Act), die untersuchen soll, ob und wie der Klimawandel eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellt.3

Globale Erwärmung: gefährlich wie Krieg?

Nicht zufällig hat das Nobelpreis-Komitee den bedeutendsten Friedenspreis an Akteure vergeben, die sich mit dem Umweltthema befassen. Der Laudatio zufolge kann die globale Erwärmung eine großflächige Migration in Gang setzen und zu stärkerem Wettbewerb um natürliche Ressourcen führen, verbunden „mit einer erhöhten Gefahr gewalttätiger Konflikte und Kriege“.4 Schon 2006 hatte der Bericht der britischen Stern-Kommission festgestellt: „Klimabedingte Schocks haben in der Vergangenheit gewalttätige Konflikte entfacht; in Regionen wie Westafrika, dem Niltal und Zentralasien stellen Konflikte ernste Risiken dar.“ 5 UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte gar, dass die Gefahren des Klimawandels denen eines Krieges gleichkommen.

Im April 2007 diskutierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Initiative Großbritanniens erstmals die Sicherheitsrisiken des Klimawandels. Die damalige britische Außenministerin Margaret Beckett verglich den Klimawandel mit dem „heraufziehenden Sturm“ vor dem Zweiten Weltkrieg. Durch Migrationsdruck und Kampf um Ressourcen könnten Konflikte weltweit eskalieren. Der Vertreter Chinas Liu Zhenmin, äußerte allerdings Zweifel, ob der Sicherheitsrat die „professionelle Kompetenz“ in der Behandlung der Klimaproblematik habe und der geeignete Ort für Entscheidungen über weithin akzeptable Vorschläge sei.6

Im gleichen Monat präsentierte eine Gruppe ehemaliger Generäle und Admiräle der USA einen Bericht, der Klimawandel als „Bedrohungs-Multiplikator“ in bereits instabilen Weltregionen darstellt, die sich dadurch zu „Brutstätten“ für Extremismus und Terrorismus entwickeln könnten. Der Bericht empfiehlt, das Klimaproblem in die nationale Sicherheitsstrategie der USA zu integrieren und einen Beitrag zur Stabilisierung des Klimas zu leisten.7

Verschiedene Szenarien klimabedingter Sicherheitsrisiken wurden von einem Panel des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington durchgespielt, an dem u.a. der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey und Nobelpreisträger Thomas Schelling teilnahmen. Der im November 2007 vorgestellte Bericht sieht im Klimawandel „eine der größten Herausforderungen für die nationale Sicherheit“. Die Folgen könnten „nahezu jeden Aspekt des modernen Lebens destabilisieren“, neue Konflikte auslösen und bestehende Probleme verstärken.8 Mit steigenden Temperaturen würden bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte wahrscheinlicher und selbst ein Atomkrieg sei nicht auszuschließen.

Besonders dramatisch wurden die Klimafolgen in einer Studie zweier Pentagon-Berater dargestellt, die das Szenario einer Klimakatastrophe entwickelten, ausgelöst durch eine Abschwächung des Golfstroms im Nordatlantik. Nationen würden in Kämpfe um Nahrung, Wasser und Energie verwickelt. Kernenergie treibe die Verbreitung von Kernwaffen voran, ihr Einsatz werde wahrscheinlicher.9

Die bislang umfassendste Abschätzung der Sicherheitsrisiken des Klimawandels wurde vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Jahr 2007 erstellt. Wenn nicht bald wirksame Lösungen gefunden werden, „wird der Klimawandel zunehmend Spaltungs- und Konfliktlinien in der internationalen Politik hervorrufen, weil er vielfältige Verteilungskonflikte in und zwischen Ländern auslöst: um Wasser, um Land, um die Bewältigung von Flüchtlingsbewegungen oder um Kompensationszahlungen zwischen den wesentlichen Verursachern des Klimawandels und den Ländern, die vor allem von dessen destruktiven Wirkungen betroffen sein werden.“ Der WBGU-Bericht macht auch deutlich, dass die Menschheit angesichts der potenziellen Folgen des Klimawandels stärker zusammenarbeiten könnte, um die größten Gefahren zu verhindern und eine global koordinierte Politik in die Wege zu leiten.10

Klima als Stressfaktor

Neben akuten klimabedingten Katastrophen ist eine schleichende Schädigung natürlicher und ökologischer Systeme zu erwarten. Der Bericht von Arbeitsgruppe II des IPCC-Reports kommt zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel Arten und Ökosysteme in allen Teilen der Welt gefährdet.11 Trockengebiete breiten sich aus, Wasservorräte schrumpfen in Gletschern und Schneedecken in Gebirgsketten wie den Anden und im Himalaya. Wo natürliche Ressourcen bereits in einem kritischen Zustand sind, trägt die globale Erwärmung ein übriges dazu bei, die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme weiter zu untergraben.

Durch die Schädigung der natürlichen Ressourcenbasis nimmt der ohnehin schon vorhandene Umweltstress für die Bevölkerung zu. Eine Verbindung verschiedener Stressfaktoren – Bevölkerungswachstum, Mangel an Trinkwasser und Nahrung, mangelhafte Gesundheitsdienste, ökonomischer Niedergang, schwache politische Institutionen, usw. – könnte zu sich verstärkenden Kettenreaktionen führen, die die Gesundheit und das Leben von Menschen unmittelbar bedrohen und die gesellschaftliche Stabilität gefährden.12 Bestimmte soziale Reaktionsmuster wie Migration, Kriminalität und aggressives Verhalten können die Problematik weiter verschärfen. Degradierte gesellschaftliche Bedingungen sind mögliche Einfallstore für gesellschaftliche Unruhen bis hin zu bewaffneten Konflikten.

Ob Gesellschaften in der Lage sind, mit den Folgen zurecht zu kommen und die Risiken einzugrenzen, hängt von ihrer Verwundbarkeit ab, die nach einer Definition des IPCC beeinflusst wird durch den „Charakter, das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Klimawandels, sowie die Veränderungen, denen ein System ausgesetzt ist, seine Sensitivität und Anpassungsfähigkeit.“ Gesellschaften, die mehr von Ökosystem-Dienstleistungen und Landwirtschaft abhängen – was in vielen Entwicklungsländern der Fall ist – tendieren dazu, verwundbarer gegenüber Klimastress zu sein. Ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur über eine gewisse Schwelle hinaus (z.B. 2 Grad Celsius) würde zu disproportionalen Folgen führen.13 Abrupte und großflächige Veränderungen im Klimasystem über sogenannte »Umkipp-Punkte« hinaus – zum Beispiel das Abschmelzen der Grönland-Gletscher, das Abbrechen des westantarktischen Eisschildes oder der Zusammenbruch der thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik – könnten unkalkulierbare Konsequenzen von kontinentalem und globalem Ausmaß haben.14

Am stärksten von Klimarisiken und Konflikten betroffen wären Länder, die nur geringe Anpassungsmöglichkeiten haben; aber auch reiche Länder sind nicht immun. Kaskadeneffekte könnten nach Ansicht des Stern-Berichts die Volkswirtschaften auch in Industrieländern hart treffen und globale Handels- und Finanzmärkte ins Chaos stürzen. In besonders fragilen Staaten gehen die Erosion sozialer Ordnung, staatliches Versagen und Gewalt Hand in Hand. In einem solchen Klima der Gewalt können sich die verschiedenen Risikofaktoren verstärken und ganze Regionen destabilisieren, bis hin zu Kriegen und Bürgerkriegen.

Dass es dazu kommt, ist keineswegs ausgemacht. Der Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und den damit verbundenen Konflikten und Sicherheitsrisiken wird seit Anfang der neunziger Jahre untersucht, ohne dass eine klare kausale Beziehung nachgewiesen wurde.15 Dies gilt auch für die Verbindung von Klima und Sicherheit.16

Seit Ende des Kalten Krieges hat sich der Sicherheitsbegriff gewandelt, von militärischen Streitkräftevergleichen und Kriegsszenarien hin zu einem Spektrum von Konfliktfaktoren. Das Konzept der ökologischen Sicherheit versucht, die Wechselwirkungen zwischen Umweltproblemen und Sicherheitsbedrohungen zu analysieren. Der Begriff der »menschlichen Sicherheit« zielt darauf ab, „Menschen vor kritischen und tief greifenden Bedrohungen zu beschützen und sie dazu zu ermächtigen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.“ 17 Einige Wissenschaftler kritisieren erweiterte Sicherheitsbegriffe, zum einen weil sie zu breit und zu unscharf sind, zum anderen weil sie es dem Militär erlauben, seine Instrumente in die Umweltpolitik auszudehnen18, die zur Problemlösung denkbar ungeeignet sind.

Konfliktkonstellationen

Viele Studien zur Klimasicherheit betrachten vier klimabedingte Problemkomplexe, die die Sicherheit von Menschen beeinträchtigen und zu Konflikten führen können: die Degradierung der Trinkwasser-Ressourcen, mangelnde Ernährung, Naturkatastrophen und Migration.

Degradation der Trinkwasser-Ressourcen

Mehr als eine Milliarde Menschen lebt ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die wachsende Bevölkerungsdichte, wechselnde Muster der Wassernutzung und Wirtschaftswachstum erhöhen den Druck auf die ohnehin schon degradierten Wasserressourcen. Klimawandel steigert diesen Druck und beeinträchtigt direkt die Landwirtschaft, die zu 80% von natürlichen Niederschlägen abhängt. Nach zuverlässigen Schätzungen des IPCC sinkt die Wassermenge in Flüssen, Seen und Reservoiren in vielen semi-ariden Gebieten, z.B. im westlichen Teil der USA, in Nordost-Brasilien, dem Mittelmeerraum und in Südafrika. Der WBGU-Bericht prognostiziert, dass bis 2020 allein in Afrika zwischen 75 und 250 Millionen Menschen einem klimabedingten Wasserstress ausgesetzt sein werden. Schrumpfende Gletscher und dünnere Schneedecken verringern die Wasserverfügbarkeit und das Potenzial für die Hydroenergie in der Nähe von Gebirgsketten, etwa im Hindukusch, im Himalaya und in den Anden, wo mehr als ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt.

Eine Studie an der Oregon State University, die auf der Transboundary Freshwater Dispute Database basiert, fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Wasserpegel eines Bassins und der Wahrscheinlichkeit und Intensität von Konflikten.19 Skeptiker weisen allerdings darauf hin, dass historische Fälle von »Wasserkriegen« extrem selten sind. In Gebieten, die gegenüber Wasserkonflikten anfällig sind, ist eine stärkere Zusammenarbeit relativ häufig. Grenzüberschreitende Wasserabkommen und Institutionen haben sich bislang als widerstandsfähig gegenüber wechselnden politischen Bedingungen erwiesen, etwa die Beziehungen zwischen Israel und Jordanien, das Mekong-Komitee und die Indus River Commission. Diskussionen zwischen Indien und Pakistan über die Nutzung des Indus-Flusses haben sogar zur Wiederaufnahme bilateraler Gespräche über andere Themen geführt.

Folgen für Landwirtschaft und Ernährung

Mehr als 850 Millionen Menschen weltweit sind unterernährt, landwirtschaftliche Nutzflächen sind in vielen Regionen übernutzt. Durch Klimawandel dürfte sich die Ernährungsunsicherheit in vielen Entwicklungsländern weiter verschlechtern. Der WBGU prognostiziert, dass durch eine globale Erwärmung von 2 bis 4 Grad Celsius die landwirtschaftliche Produktivität weltweit sinken wird, bedingt durch Wüstenbildung, Bodenversalzung oder Wassermangel. Jüngste »food riots« als Folge steigender Lebensmittelpreise zeigen, dass hier mögliche Ursachen von Konflikten liegen.

Naturkatastrophen

Der IPCC-Bericht sagt extreme Wetterereignisse und damit verbundene Naturkatastrophen voraus. Dürren, Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen und Stürme sollen häufiger auftreten und mit größerer Intensität. 2005 richtete der Hurrikan »Katrina« an der Südküste der USA gewaltige Schäden an und kostete mehr als 1.300 Menschen das Leben. Die Hitzewelle des Jahres 2003 verursachte in Europa mehr als 35.000 Todesopfer und $15 Milliarden Dollar Schäden in der Landwirtschaft. Solche Ereignisse, ob nun schon eine Folge des Klimawandels oder nicht, bringen wachsende ökonomische und soziale Kosten mit sich, ganz zu schweigen von dem menschlichen Leid und den Opfern. Sie haben in der Vergangenheit zu Konflikten beigetragen, besonders in Zeiten und Gebieten, in denen bereits politische Spannungen herrschten, aber auch die Hilfsbereitschaft und Solidarität verstärkt. Einige Regionen, die gegenüber Stürmen und Überschwemmungen besonders anfällig sind, wie Zentralamerika und Südasien, haben schwache Ökonomien und Regierungen, was Anpassungsmaßnahmen und Krisenmanagement weiter erschwert.

Umweltmigration und Flucht

Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissars gab es 2006 mehr als 8,4 Millionen registrierte Flüchtlinge und 23,7 Millionen im eigenen Land umgesiedelte Personen. Der Klimawandel wird diese Zahl wahrscheinlich erhöhen. Der Umweltwissenschaftler Norman Myers schätzt, dass die Zahl der Umweltmigranten von 25 Millionen Mitte der 1990er Jahre auf 150 Millionen bis 2050 ansteigen könnte20, obwohl es dafür keine empirischen Belege gibt. Aufgrund indirekter Effekte der Umweltzerstörung erscheinen diese Menschen in vielen Fällen als Wirtschaftsmigranten (z.B. Bauern, die Einkommen verlieren) oder als Kriegsflüchtlinge (bedingt durch umweltinduzierte Konflikte).

Am verwundbarsten sind Küsten- und Flussmündungsgebiete und Regionen, deren Ökonomien von klimasensitiven Ressourcen abhängen. Umweltmigration findet hauptsächlich innerhalb nationaler Grenzen von Entwicklungsländern statt, aber in Industrieländern nimmt der Migrationsdruck ebenfalls zu. In Europa könnte die Migration aus Sub-Sahara Afrika und der arabischen Welt, in Nordamerika aus der Karibik, Mittel- und Südamerika ansteigen. Der CSIS-Bericht macht einen potenziellen Konflikt aus zwischen China, das bei hoher Bevölkerungsdichte besonderes verwundbar gegenüber Ernteausfällen und Überschwemmungen ist, und Russland, das eine sinkende Bevölkerung und ein riesiges energie- und mineralienreiches Territorium hat, dessen landwirtschaftliche Produktivität mit einem wärmeren Klima eher zunimmt.

Die Wahrscheinlichkeit migrations-induzierter Konflikte nimmt zu, wenn Umweltmigranten mit der heimischen Bevölkerung um knappe Ressourcen konkurrieren, etwa um Acker- und Weideland, Wohnraum, Wasser, Arbeitsplätze und soziale Dienstleistungen, oder wenn sich die ethnischen Anteile in der Bevölkerung verschieben. Das Konfliktpotenzial hängt von der Geschwindigkeit und Intensität der Migrationsströme ab, aber auch von der Funktionsfähigkeit von Institutionen und ihren Konfliktregulierungsmechanismen.

Regionale Brennpunkte

Im folgenden werden einige regionale Fallbeispielen beleuchtet, die vom Klimawandel besonders betroffen sein werden (für Details siehe die eingangs erwähnten Studien, insbesondere den WBGU-Bericht).

Naher Osten

Ein oft diskutiertes Beispiel sind Wasserkonflikte in Nahost. Angesichts der historisch verwurzelten Konflikte in der Region ist der Zugang zu den wenigen Wasservorräten eine Frage der nationalen Sicherheit. Der Staat Israel war frühzeitig bestrebt, seine Wasseransprüche mit allen Mitteln abzusichern, auf Kosten der Palästinenser, denen deutlich weniger Wasser zugeteilt wurde als den Siedlern im Westjordanland. Das trockene Klima, Ungleichgewichte zwischen Wasserangebot und -nachfrage und die andauernde Konfrontation zwischen den Hauptakteuren in Nahost verschlimmern die Wasserkrise der Flüsse Nil, Euphrat und Jordan. Ob diese Konfliktlinien weiter verschärft oder eher kooperative Lösungen befördert werden, hängt davon ab, welche Fortschritte der Friedensprozess macht und ob es gelingt, Instrumente und Strukturen für eine friedliche Konfliktlösung zu schaffen. Die wichtigsten Sicherheitsabkommen in der Region, einschließlich des bilateralen Friedens-Vertrages vom Oktober 1994, behandeln die Wasserproblematik. Eine Lösung der Wasserkrise in der Region erfordert ein gemeinsames Wassermanagement und integrierte Implementierungsstrategien, wobei größere Transparenz und grenzüberschreitende Überwachungskapazitäten einen wichtigen Beitrag leisten können.

Nordafrika

Afrikas Nahrungsmittel-Produktion ist besonders verwundbar gegenüber Klimaveränderungen. Seit mehr als 20 Jahren ist der Verbrauch von Lebensmitteln pro Kopf gesunken und die landwirtschaftliche Fläche pro Kopf ist zwischen 1965 und 1990 von 0.5 Hektar auf 0.3 Hektar gefallen. Schlechte Versorgung mit Trinkwasser oder unzureichende Bewässerung können die Ernteerträge aus der Landwirtschaft in einigen afrikanischen Ländern bis 2020 um bis zu 50% reduzieren. Dies würde die Verfügbarkeit von Lebensmitteln erheblich beeinträchtigen und zu tief greifenden Nahrungsmittelkrisen führen, wodurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von schwachen und instabilen Staaten untergraben wird.

Wachsende Verluste an Agrarland spitzen die Konkurrenz zwischen ansässigen Bauern und wandernden Viehzüchtern zu. Im Falle des Darfur-Konflikts in Sudan eskalierte die Auseinandersetzung, als die Regierung gegen die den Bauern nahestehenden Rebellen mit Unterstützung von arabisch-stämmigen Milizen aus den Reihen der Viehzüchter vorging, die Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung verübten. In einer Studie des Sandia-Forschungslabors wurde untersucht, welche mögliche Rolle klimatische Veränderungen als verstärkender Faktor in diesem Konflikt gespielt haben oder noch spielen könnten, und ein Bericht des UNO-Umweltprogramms sieht in Darfur ein „tragisches Beispiel für den gesellschaftlichen Zusammenbruch, der aus einem ökologischen Kollaps entstehen kann“.21

Umweltveränderungen waren auch ein verschärfender Faktor in Ruanda im Jahr 1994. Bodendegradation, Bevölkerungswachstum und ungleiche Landverteilung haben die Umweltkrise in Ruanda in einen landesweiten Konflikt transformiert, was den radikalen Kräften die Gelegenheit gab, die ethnischen Spannungen in einen politischen Machtkampf bis hin zum Genozid zu eskalieren.

Mittelmeerraum

Trockenheit, Hitzewellen und Waldbrände bedeuten zunehmende Stressfaktoren im Mittelmeerraum. Eine mögliche Konsequenz ist die Verschiebung touristischer Zentren, landwirtschaftlicher Zonen und Ökosysteme nach Norden. Die zunehmende Konkurrenz um Ressourcen, einschließlich Land und Wasser, spielt bereits eine Rolle auf den Kanarischen Inseln und im Süden Italiens, Spaniens, Griechenlands und der Türkei. Der Klimawandel könnte diese Ressourcen weiter beeinträchtigen und den Tourismussektor gefährden, eine zentrale wirtschaftliche Einkommensquelle in der Region. In Südosteuropa würde ein Temperaturanstieg um 2 Grad Celsius nach Ansicht des Stern-Reports die Verfügbarkeit von Wasser im Sommer um 20 bis 30% verringern, eine Zunahme um 4 Grad Celsius gar um 40 bis 50%.

Zentralasien

Mehr als drei Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan wird bewässert, was bis zu 90% der regionalen Wasserressourcen verbraucht. Der größte Teil der Elektrizität wird durch Hydroenergie bereit gestellt. Die Hauptquelle ist Schmelzwasser aus Gletschern von nahegelegenen Gebirgsketten. Das IPCC prognostiziert einen starken Temperaturanstieg in Zentralasien, wodurch bis 2050 in einigen Gebieten etwa ein Fünftel der Gletscher verschwunden sein sollen. Dies gefährdet sowohl die Elektrizitätsversorgung als auch die Landwirtschaft. Die Staaten Zentralasiens sind gekennzeichnet durch weitgehend geschlossene Märkte, extreme soziale Ungleichheiten, schwache staatliche Strukturen und durch Korruption, was die Anpassungsfähigkeit gegenüber Veränderungen erschwert. Der Kampf um Land- und Wasserressourcen hat schon in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle gespielt, verschärft durch ethnische Spannungen, separatistische Bewegungen oder religiös-fundamentalistische Gruppen.

Bangladesch

In besonderem Maße gefährdet der Klimawandel die Sicherheit von Menschen in Bangladesch. Während der Monsunsaison überfluten Regen und Flusswasser oft ein Viertel, in Jahren hoher Flutpegel sogar bis zu 60% der Landfläche. 46% der Bevölkerung Bangladeschs lebt in niedrig liegenden Gebieten. Extreme Wetterereignisse betreffen Millionen von Bangladeschis, und seit 1960 starben etwa 600.000 Menschen als Folge von Zyklonen, Sturmfluten und Überschwemmungen.22 Ein Anstieg des Wasserpegels um einen Meter könnte 17% des Landes überfluten und 40 Millionen Menschen vertreiben. Das Eindringen von Salzwasser würde große Agrarflächen zerstören und die landwirtschaftliche Produktivität verringern, was die Bevölkerung zwingt, in höher gelegene Gebiete zu ziehen. Mehrfach schon gerieten im Gefolge massiver Migrationsbewegungen Menschen in Bangladesch und in Nachbarländern (inbesondere in Nordindien) in gewalttätige Auseinandersetzungen.23

Peru

Ein möglicher Brennpunkt für klimabedingte Wasserkonflikte ist Perus Hauptstadt Lima. Da die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 auf nahezu 5 Millionen Menschen anwachsen kann, wird damit auch der Wasserbedarf ansteigen. 80% der Wasserversorgung der Stadt stammen aus nahegelegenen Gletschern, die als Folge der globalen Erwärmung in wenigen Jahrzehnten weitgehend abschmelzen werden. Extreme Wasserknappheit ist vorprogrammiert, was den bestehenden gesellschaftlichen Problemkomplex aus sozialer Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut, wachsender Kriminalität und Korruption weiter zuspitzt. Auch Perus Energieversorgung steht auf dem Spiel, weil vier Fünftel der Elektrizität aus Wasserkraftwerken stammt, die auf wechselnde und unzuverlässige Wasserressourcen angewiesen sind.

USA

Die Hurrikan-Saison 2005 hat gezeigt, dass selbst das mächtigste Land der Welt gegenüber Naturkatastrophen verwundbar ist. Als der Wirbelsturm »Katrina« die Golfküste bei New Orleans mit Windgeschwindigkeiten bis zu 230 Kilometern pro Stunde traf, hinterließ er eine Spur der Verwüstung von der Größe Großbritanniens. Vorübergehende Zufluchtsorte wie der Superdome und das Convention Center wurden zu einem Hort des Elends und der Rechtlosigkeit. Der Sturm zerstörte die zivile Infrastruktur der Stadt, einschließlich der Wasser- und Sanitärsysteme, der Energieversorgung und der Kommunikations- und Transportnetzwerke. Das Versagen der lokalen und nationalen Behörden, die Folgen des Desasters in den Griff zu bekommen, stürzte die regionalen und nationalen Regierungen in eine öffentliche Vertrauenskrise. Wie in New Orleans offensichtlich wurde, sind die Ärmsten der Armen auch in den entwickelten Ländern besonders verwundbar gegenüber Katastrophen. Sie leben oft in Hochrisikogebieten und haben keine Ressourcen, um sich an den Klimawandel anzupassen, z.B. durch eine Versicherung gegenüber Klimaschäden.

Die Pazifik-Region

Wo Städte oder Teile davon unterhalb des Meeresspiegels liegen, wie in Naga (Philippinen), Bangkok (Thailand) und Semarang (Indonesien), ist das Risiko von Überflutungen besonders hoch. Viele Küstenstädte liegen im Mündungsgebiet großer Flüsse. Durch den Prozess der Bodenabsenkung besteht auch in höher gelegenen Gebieten das Risiko gefährlicher Überflutungen. Mindestens acht der 21 größten Städte am Pacific Rim sind von Bodenabsenkungen betroffen, einschließlich Tianjin, Shanghai, Osaka, Tokyo, Manila, Jakarta und Los Angeles. Weltweit sind mehr als 150 Regionen dem Risiko durch Überflutungen ausgesetzt, und in China allein sind 45 Städte und Distrikte betroffen (WBGU 2008).

Klima zwischen Krieg und Frieden

Die Beispiele zeigen, dass Klimaänderungen die Existenz von Menschen und Gesellschaften bedrohen und damit die menschliche Sicherheit in einem fundamentalen Sinne beeinträchtigen können. Vor allem sind Gruppen betroffen, die zu schwach sind, um mit den Folgen fertig zu werden, doch auch Mittel- und Oberschichten bleiben nicht verschont, wenn ganze Regionen bedroht sind.

Die gesellschaftlichen Implikationen des Klimawandels hängen entscheidend davon ab, wie Menschen, soziale Systeme und politische Institutionen darauf reagieren. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden, das Klima auf einem nicht-gefährlichen Niveau zu stabilisieren und die Risiken zu verringern. Diese dürfen jedoch nicht andere Problemlagen verschlimmern, wie eine Renaissance der Kernenergie, die neue Sicherheitsrisiken und Proliferationsgefahren mit sich bringt, oder ein massiver und überstürzter Einstieg in die Bioenergie, die auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion geht. Sollten vorbeugende Maßnahmen versagen, stehen Schadenminimierung, Gefahrenabwehr und Konfliktregulierung auf der Tagesordnung. Die Stärke gesellschaftlicher Institutionen und die Effizienz von Konfliktregelungsmechanismen entscheiden maßgeblich darüber, ob Klimafolgen neue Kriege provozieren oder kooperative Lösungen in Gang setzen.

Die eingangs erwähnten Differenzen zwischen der britischen und chinesischen Position zur globalen Erwärmung zeigen eine mögliche Trennlinie zwischen Nord und Süd. Nach Ansicht vieler Entwicklungsländer liegt die Verantwortung hauptsächlich bei den Industrieländern, deren pro-Kopf Emissionen bei weitem über denen der Entwicklungsländer liegen. Für die Gegenposition steht die Bush-Administration, die nicht nur substanzielle eigene Verpflichtungen zur Emissionsminderung ablehnt, sondern zugleich impliziert, dass Entwicklungsländer wie Indien und China ihr Wachstum beschränken, obwohl sie noch weit vom amerikanischen pro-Kopf-Niveau entfernt sind. Wenn es nicht gelingt, diese und andere mit dem Klimawandel drohende Konflikte zu lösen, kann sich das Klimadrama schnell zu einer Tragödie entwickeln.

Anmerkungen

1) Eli Kintisch, Grassroots Effort Pays Dividends on Presidential Campaign Trail, Science, 21. Dec.2007: Vol. 318. no. 5858, 1850 – 1851.

2) Energy for America‘s Future, www.whitehouse.gov/infocus/energy, Jan. 15, 2008.

3) Global Climate Change Security Oversight Act, Congressional Record: 28. März 2007 (Senat), S4059-S4061; www.govtrack.us/congress/bill.xpd?bill=s110-1018. Related is House Resolution 1961.

4) Nobel Peace Price Committee 2007.

5) N. Stern, et al., Stern Review: The Economics of Climate Change, HM Treasury, London, 2006.

6) Proceedings of the Security Council meeting, www.un.org/News/Press/docs/2007/sc9000.doc.htm. Die Rede von Margaret Beckett ist verfügbar unter www.fpa.org/calendar_url2420/calendar_url_show.htm?doc_id=472794.

7) CNA Corporation, National Security and the Threat of Climate Change, vgl. http://SecurityAndClimate.cna.org.

8) K.M. Campbell, et al., The Age of Consequences: The Foreign Policy and National Security Implications of Global Climate Change, Washington, DC.

9) P. Schwartz, D. Randall, An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States National Security, Washington, DC, October 2003 (www.ems.org/climate/pentagon_climatechange.pdf).

10) R. Schubert et al., Sicherheitsrisiko Klimawandel, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin 2007, www.wbgu.de/wbgu_jg2007.html.

11) Intergovernmental Panel On Climate Change, Climate Change Impacts, Adaptation and Vulnerability, Working Group II, Summary for Policymakers, Intergovernmental Panel on Climate Change, Fourth Assessment Report, 2007.

12) Fighting Climate Change: Human Solidarity in a Divided World, Human Development Report 2007/2008, United Nations Development Program, 2007.

13) See H.J. Schellnhuber, W. Cramer, N. Nakicenovic, T. Wigley and G. Yohe (eds.), Avoiding Dangerous Climate Change, Cambridge University Press, 2006.

14) T. M. Lenton, H. Held, E. Kriegler, J. W. Hall, W. Lucht, S. Rahmstorf, H.J. Schellnhuber, Tipping elements in the Earth’s climate system, Proceedings of the National Academy of Sciences, February 12, 2008, vol. 105, no. 6: 1786–1793.

15) Von der umfangreichen Literatur siehe: T. Homer-Dixon, T., On the threshold: environmental changes as causes of acute conflict. International Security 16 (2), 1991: 76–116; G. Bächler, V. Böge, S. Libiszewski, K.R. Spillmann (Hrsg.), Kriegsursache Umweltzerstörung; A. Carius, K.R. Lietzmann (Hrsg.), Umwelt und Sicherheit – Herausforderungen für die internationale Politik, Berlin u.a.1998; J. Scheffran, W. Vogt (Hrsg.), Kampf um die Natur – Umweltzerstörung und die Lösung ökologischer Konflikte, Darmstadt 1998. Eine empirische Analyse von 73 Fallbeispielen gibt A. Carius, D. Tänzler, J. Winterstein, World Map of Environmental Conflicts (in German) 2006, www.wbgu.de/wbgu_jg2007_ex02.pdf.

16) R. Swart, Security risks of global environmental changes. Global Environmental Change 6 (3), 1996, 187–192; J. Scheffran, Konfliktfolgen energiebedingter Umweltveränderungen am Beispiel des globalen Treibhauseffekts, in: W. Bender (ed.), Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft, Darmstadt, 1997, 179-218; A. Rahman, Climate change and violent conflicts. In: Suliman, M. (Ed.), Ecology, Politics and Violent Conflict. Zed Books, London/New York, 1999, 181–210; J. Barnett, Security and Climate Change. Global Environmental Change 13(1) 2003: 7-17; J. Scheffran, Climate change and security, Bulletin of the Atomic Scientists, May/June 2008, 19-25; H. Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt 2008.

17) Human Security Now, Report of the Commission on Human Security, New York, 2003, www.humansecurity-chs.org/finalreport.

18) D. Deudney, Environment and security: muddeled thinking. The Bulletin of the Atomic Scientist 47(3) 1991: 23–8; Lothar Brock, The Environment and Security: Conceptual and Theoretical Issues. Conflict and the Environment. Kluwer, Dordrecht 1997.

19) S. Yoffe, G. Fiske, M. Giordano, M. Giordano, K. Larson, K. Stahl, A.T. Wolf, Geography of international water conflict and cooperation: Data sets and applications, Water Resources Res., Vol. 40, 2004.

20) N. Myers, Environmental refugees: a growing phenomenon of the 21st century. Philosophical Transactions of the Royal Society of London Series B-Biological Sciences 1420, 2002: 609–13.

21) M. Boslough, et al., Climate Change Effects on International Stability: A White Paper, Sandia National Laboratories Albuquerque, New Mexico, December 2004; Sudan: Post-Conflict Environmental Assessment, United Nations Environment Programme, Nairobi, June 2007.

22) IFRC 2002. World Disasters Report 2002. International Federation of the Red Cross.

23) H.G. Brauch, Climate Change, Environmental Stress and Conflict, in: Climate Change and Conflict, herausgegeben vom Bundesumweltmininsterium, Berlin, 2002, 9-112.

Dr. Jürgen Scheffran ist Physiker und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der University of Illinois, Urbana-Champaign. Er ist Mitglied der W&F-Redaktion.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite