W&F 2022/2

Ein konkreter Beitrag zum Frieden

von Alexia Tsouni

Die Ereignisse der letzten Wochen haben die Frage der Kriegsdienstverweigerung wieder in den Vordergrund rücken lassen. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist sowohl ein grundlegendes Menschenrecht als auch ein konkreter Beitrag zum Frieden. Sie ist ein konkreter Akt der Ablehnung von Krieg und Gewalt sowie der Förderung von Frieden und universellen menschlichen Werten. Daher kann es keinen Frieden geben, wenn es keine Kriegsdienstverweigerung gibt.

Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat ausdrücklich anerkannt, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit verbunden ist. Es gibt jeder Person das Recht, von der Wehrpflicht befreit zu werden, wenn dies mit ihrer Religion oder ihren Überzeugungen nicht vereinbar ist. Dieses Recht darf nicht durch Zwang beeinträchtigt werden. In ähnlicher Weise hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Garantien von Artikel 9 der Konvention grundsätzlich auch für die Verweigerung des Militärdienstes gelten.

Wir von EBCO kamen jedoch erst kürzlich erneut zu dem Schluss, dass Europa auch im Jahr 2021immer noch kein sicherer Ort für viele Kriegsdienstverweigerer*innen in mehreren Ländern war. Viele von ihnen sahen sich Verfolgung, Verhaftungen, Prozessen vor Militärgerichten, Gefängnisstrafen, Geldstrafen, Einschüchterung, Angriffen, Todesdrohungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Zu diesen Ländern gehören die Türkei (der einzige Mitgliedstaat des Europarats, der das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch nicht anerkannt hat) und folglich der türkisch besetzte nördliche Teil Zyperns (die selbsternannte »Türkische Republik Nordzypern«), Aserbaidschan (wo es immer noch kein Gesetz über den Zivildienst gibt), Armenien, Griechenland, die Republik Zypern, Georgien, Finnland, Österreich, die Schweiz, Estland, Litauen, Belarus und – vielen inzwischen bekannt – Russland und die Ukraine. Auch wird in vielen Mitgliedsstaaten des Europarates die Wehrpflicht noch immer praktiziert – und einige haben sie in den letzten Jahren sogar wieder eingeführt. Die meisten dieser Staaten sind Teil eines größeren EU-ropäisch-russischen Konfliktfeldes: Schweden, Georgien, Litauen und die Ukraine.

Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die Antikriegsproteste in der Ukraine, in Russland und Belarus verdienen derzeit unsere besondere Aufmerksamkeit. EBCO verurteilt die russische Invasion in der Ukraine aufs Schärfste und fordert alle Kriegsparteien auf, sich strikt an das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte zu halten, einschließlich des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, sowie die Zivilbevölkerung zu schützen, einschließlich der Binnenvertriebenen und Flüchtlinge. Wir fordern Europa auf, konkrete Unterstützung für die Beendigung des Krieges durch einen sofortigen Waffenstillstand zu leisten, der Raum für Verhandlungen und Diplomatie lässt, ohne weitere Militarisierung und NATO-Erweiterung.

EBCO appelliert auch an die Soldat*innen, sich nicht an den Kampfhandlungen zu beteiligen, und an alle Rekruten, den Militärdienst zu verweigern. Wir sind solidarisch mit den pazifistischen Bewegungen in Russland und der Ukraine und teilen ihre Aktionen und Erklärungen für Frieden, Gewaltlosigkeit und Kriegsdienstverweigerung, die in der Tat eine Quelle der Hoffnung und Inspiration sind. Es ist daher absolut notwendig, dass alle europäischen Staaten:

  • die Wehrpflicht abschaffen und in der Zwischenzeit darauf verzichten, Kriegsdienstverweigerer zu verfolgen oder anderweitig zu schikanieren;
  • das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkennen und dafür sorgen, dass alle Kriegsdienstverweigerer nicht zu den Streitkräften eingezogen werden können;
  • Asylanträge von allen Personen akzeptieren, die versuchen, sich dem Militärdienst in einem Land zu entziehen, in dem es keine angemessene Regelung für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gibt;
  • die Militärausgaben senken und die Sozialausgaben erhöhen;
  • für die Einführung von Friedenserziehung in allen Bereichen des Bildungssystems sorgen.

Nur in einer Welt, in der der unbestreitbare und greifbare Beitrag der Kriegsdienstverweigerung zum Frieden geschützt und gewürdigt wird, können wir hoffen, einen Zustand des dauerhaften Friedens zu erreichen.

Alexia Tsouni ist aktuell Präsidentin des ­Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung (EBCO).
Als Aktivistin setzt sie sich für Abrüstung, Feminismus und Gewaltfreiheit ein. Sie schreibt regelmäßig für das feministische Webmagazin »To Mov« (tomov.gr)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/2 Kriegerische Verhältnisse, Seite 5