W&F 2016/3

Ein offener Brief

Kooperation zwischen Hochschule Bremen und Bundeswehr

Ralf E. Streibl

Mitte Mai 2016 schickte Ralf E. Streibl einen offenen Brief an die Rektorin der Hochschule Bremen, Prof. Dr. Karin Luckey, und kündigte seine Lehrtätigkeit an der Hochschule auf. Grund für seine Entscheidung war der Abschluss eines Kooperationsabkommens zwischen der Hochschule und dem Bildungszentrum der Bundeswehr im Kontext eines neuen dualen Studienangebots (vgl. Bundeswehr-Journal 2016). In seinem Schreiben setzt sich der Autor mit seiner Verantwortung als Wissenschaftler auseinander. W&F dokumentiert den offenen Brief.

Sehr geehrte Frau Luckey,
die Hochschule Bremen hat – so war zu erfahren – entschieden, dass es künftig zum »Internationalen Frauenstudiengang Informatik« (IFI) eine zusätzliche Variante als Duales Studium geben wird. Gleichzeitig wurde beschlossen, hierfür eine Kooperation mit der Bundeswehr einzugehen.

Seit Gründung des IFI-Studiengangs im Wintersemester 2000/2001 bis heute habe ich regelmäßig als Lehrbeauftragter innerhalb dieses Studiengangs das Fachgebiet »Informatik und Gesellschaft« in der Lehre vertreten. Angesichts der oben genannten Beschlusslage werde ich diese Aufgabe in der Zukunft nicht mehr übernehmen. Denn für die Mitwirkung im Regellehrbetrieb eines in Kooperation mit der Bundeswehr betriebenen Studiengangs stehe ich nicht zur Verfügung.

Gesellschaftlich und hochschulpolitisch halte ich die strukturelle Kooperation eines Studiengangs mit der Bundeswehr für eine Fehlentscheidung. Ich bedauere sehr, dass die Leitung der Hochschule Bremen die kritischen und nachdenklichen Stimmen innerhalb der eigenen Institution letztlich ignoriert hat.

Da ich diese Entscheidung nicht beeinflussen kann, bleibt mir nur, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Auf die künftige Zusammenarbeit der Hochschule Bremen mit der Bundeswehr wird es keine Auswirkungen haben, dass ich mich aus dem Studiengang verabschiede. Für mich selbst und vor dem Hintergrund meines Verständnisses von Wissenschaft und Hochschullehre ist es jedoch ein notwendiger und folgerichtiger Schritt, jetzt Nein zu sagen – und dies auch öffentlich.

Ich möchte Ihnen im folgenden einige der Überlegungen und Bezüge darstellen, die zu meiner Entscheidung beitrugen. Im Kern geht es dabei immer um Verantwortung (in) der Wissenschaft. Die Auseinandersetzung damit kann und muss – das ist meine feste Überzeugung – auf ganz unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig erfolgen.

Gesellschaft und Politik: Friedensorientierung

Die Umbrüche in Osteuropa ließen kurzfristig auf ein Ende der langjährigen Dominanz militärisch-strategischer Kalküle sowie der Ideologie der Abschreckung hoffen. Leider hat sich schnell gezeigt, dass diese Hoffnung trog. Die viel zitierte »neue Weltordnung« nahm eine andere Richtung auf: Die im Grundsatz an humanitären Werten orientierte Idee internationaler Hilfe für bedrohte oder unterdrückte Menschen wird mit zunehmender Selbstverständlichkeit im Sinne militärischer Interventionen verstanden bzw. vorrangig unter diesem Paradigma geplant und betrieben.

Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem damals ausgerufenen »Krieg gegen den Terror« werden militärische Operationen als naheliegende Reaktionsmöglichkeit und gerechtfertigte Handlungsoption angesehen. Krisendiplomatie und ihre langfristigen, oft auch zähen Verhandlungsprozesse werden auf die Seite gedrängt. Albert Fuchs (2004) bezeichnet diesen Weg von den »humanitären Interventionen« zur Wiedereinführung eines »Rechts auf Kriegführung« als Wiederbelebung der Kriegskultur.

Dem gegenüber steht die Forderung nach einer gesellschaftlichen Friedensorientierung. Das Ziel eines umfassenden Friedens steht im Einklang mit der UN-Charta und – bezogen auf die Bundesrepublik – mit dem Grundgesetz. Begreift man den Prozess zu einer Kultur des Friedens auch als Bildungsprozess, so wäre ein erstes Lernziel, Kriege als vom Menschen herbeigeführt und damit als vermeidbar zu begreifen (Nicklas 1996).

Mit dem Slogan »Terrorismusbekämpfung« werden nicht nur Kriegseinsätze gerechtfertigt, sondern auch die Intensivierung staatlicher Überwachung, geheimdienstlicher Datensammlung und sogar offensichtliche Verstöße gegen die Menschenrechte bis hin zu Folter. Die Entwicklung geht somit auch einher mit einer Intensivierung struktureller Gewalt und hat so auch direkte Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft.

Kriterium für Frieden ist die Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen (vgl. Galtung 1998). Erforderlich hierfür ist gleichermaßen eine Friedensstruktur wie auch eine Friedenskultur. Dem entgegen steht jedoch die bis heute in vielen Köpfen fest verwurzelte Überzeugung, Frieden sei nur durch Stärke erreichbar. Diese Überzeugung zu hinterfragen und in einem offenen Diskurs jenseits militärisch geprägter Sichtweisen den Weg zu einer echten Friedensfähigkeit zu eröffnen ist eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft und damit eine zentrale Aufgabe für Bildung und Wissenschaft.

Friedensorientierung – um auf den konkreten Anlass des vorliegenden Textes zurück zu kommen – ist viel mehr als die bloße Ablehnung einer strukturellen Kooperation von Bildungseinrichtungen mit militärischen oder rüstungsaffinen Einrichtungen, Organisationen oder Unternehmen. Es geht nicht darum, einfach nicht zu kooperieren: Vielmehr geht es um zugrundeliegende Entscheidungen und Prozesse. Diese betreffen gleichermaßen die Wissenschaft an sich, ihre Disziplinen und ihre Institutionen sowie die dort tätigen Individuen. Davon wird deswegen in den nächsten Abschnitten die Rede sein.

Verantwortung von WissenschaftlerInnen

Unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe und des nuklearen Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion formulierte der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell [1955] ein von Albert Einstein und acht weiteren namhaften Wissenschaftlern mitunterzeichnetes Manifest, in dem vor den Gefahren des Krieges mit Nuklearwaffen gewarnt und die bewusste Entscheidung gegen bewaffnete Konflikte gefordert wurde. Das daraus resultierende erste Zusammentreffen von 22 hochrangigen Wissenschaftlern aus zehn Nationen in [dem kanadischen Fischerdorf] Pugwash – ein Auftakt für folgende Konferenzen – war ein frühes Signal dafür, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bekennen und in dieser Konsequenz auch politisch Position beziehen müssen. Die Teilnehmer wurden angefeindet und galten als weltfremd oder Verräter (vgl. Neuneck 2009). 1995 erhielten die Pugwash-Konferenzen sowie ihr Mitbegründer und langjähriger Präsident Józef Rotblat den Friedensnobelpreis. In seiner Dankesrede stellte Rotblat heraus, dass es in unterschiedlichen Forschungsfeldern zu negativen gesellschaftlichen Folgen kommen könne, weswegen stete Wachsamkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt sei sowie die Bereitschaft bzw. Verpflichtung, ggf. kritische Entwicklungen auch an die Öffentlichkeit zu bringen (Rotblat 1995).

Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die fachlichen Grenzen ihrer Disziplin verlassen und öffentlich über die Folgen und möglichen Grenzen ihres Tuns nachdenken, wird ihnen oftmals die Zuständigkeit für die damit einhergehenden gesellschaftlichen oder politischen Fragen abgesprochen. Auch die 18 Atomwissenschaftler, die 1957 die »Göttinger Erklärung« verfassten, antizipierten entsprechende Reaktionen und äußerten in ihrer Erklärung die Erwartung, dass man ihnen die Berechtigung abstreiten werde, politische Konsequenzen aus ihren Erkenntnissen zu ziehen. Doch – so verdeutlichten sie in ihrer Erklärung – ihre wissenschaftliche Tätigkeit und insbesondere auch die Tatsache, dass sie viele jungen Menschen dem Gebiet zuführen würden, belade sie mit der Verantwortung für die Folgen, weswegen sie nicht zu allen politischen Fragen schweigen könnten (vgl. Albrecht et al. 2009).

Dass die Freiheit von Wissenschaft Grenzen hat und haben sollte, ist inzwischen weit in das gesellschaftliche Bewusstsein vorgedrungen. Die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre stößt regelmäßig an Grenzen, wo andere Menschen- oder Verfassungsrechte berührt sind oder wo beispielsweise durch internationale Verträge oder nationale Regelungen Forschungsziele ausgeschlossen oder Methoden reglementiert sind. Doch die Beachtung rechtlicher Normen und Regelungen allein genügt nicht, um verantwortliches Handeln in der Wissenschaft sicherzustellen.

Die 2010 von der Max-Planck-Gesellschaft beschlossenen Hinweise und Regeln zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken (MPG 2010) stellen in diesem Sinne explizit heraus, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgefordert sind, weitergehende ethische Grundsätze zu berücksichtigen. Sie sollen Risiken für Mensch und Umwelt vor dem Hintergrund ihrer Fachkompetenz erkennen und abschätzen und ggf. persönliche Entscheidungen über die Grenzen ihrer Arbeit treffen, was auch bedeuten kann, dass Vorhaben modifiziert oder – als Ultima Ratio – gar nicht durchgeführt werden. Die Kriterien für solch eine Entscheidung können vielfältig sein. Neben Fragen der Risikoabschätzung (z.B. Wahrscheinlichkeit eines Schadens, Ausmaß eines eventuellen Schadens, Beherrschbarkeit von Ergebnissen) benennt die Max-Planck-Gesellschaft auch strukturelle Aspekte, die für solch eine Entscheidung erheblich sein können, nämlich wer Kooperationspartner, Auftraggeber, Nutzer oder Finanzier der Forschung ist.

Verantwortung in der Wissenschaft endet nicht bei der Forschung. Die Identifikation, Betrachtung, Analyse, Bewertung und Reflexion von Rahmenbedingungen, divergierenden Interessen, gesellschaftlichen Wirkungen, ethischen Fragen und Dilemmata, Entwicklungspfaden, Handlungsspielräumen und Gestaltungsoptionen im offenen kommunikativen Miteinander und im gegenseitigen kritischen Diskurs muss wesentlicher Teil von Hochschullehre und Studium sein.

Ambivalenzen und Verant­wortungsdiskurse im Fach

Seit dem Russel-Einstein-Manifest und der Göttinger Erklärung haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für sich individuelle Entscheidungen getroffen und beschlossen, die eine oder andere Forschungsfrage nicht anzugehen oder bestimmte Projekte nicht durchzuführen. Beispiele finden sich in vielen Fächern und Fachgebieten.

Da es bei dem an der Hochschule Bremen geplanten Kooperationsstudiengang um einen Informatikstudiengang handelt, möchte ich hier – ohne Beschränkung der Allgemeinheit – exemplarisch einige Positionierungen heranziehen:

  • David L. Parnas begründete 1985 seinen Rücktritt aus einem Beratergremium zum SDI-Projekt des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan mit seinen fachlichen Zweifeln an einer verantwortbaren Funktionsfähigkeit und Beherrschbarkeit des geplanten Systems (vgl. Parnas 2009).
  • Benjamin Kuipers veröffentlichte 2003 ein Positionspapier, in dem er begründete, warum er keine Fördermittel vom Militär annimmt (Kuipers 2003).
  • 1996 fand eine ausführliche und differenzierte Debatte in einem großen deutschen Softwarehaus darüber statt, ob die Durchführung eines Projekts für das Bundesministerium der Verteidigung mit dem Selbstverständnis der Firma verträglich sei. Besonders erfreulich ist, dass die Debatte zusammengefasst dokumentiert nachlesbar ist (Brössler, Biskup, Rauschmayer 1996).

Bereits 1984 hatte sich Terry Winograd in einem kleinen Aufsatz »Some thoughts on military funding« mit der Frage beschäftigt, ob die Nichtannahme militärischer Fördergelder nur ein »symbolischer Akt« sei oder ob auf diesem Weg auch mehr zu bewirken sei (Winograd 1985). Die Reihe solcher Beispiele könnte noch lang fortgeführt werden.

In der Informatik haben Debatten um Militär-Bezüge und Dual-use eine lange Geschichte, die sich in die Gegenwart fortsetzt. Krieg, Militär und Rüstungswettlauf waren bereits in der Frühzeit der Computerentwicklung wesentliche Triebkräfte. Mit der weiträumigen Durchdringung von Arbeitswelt und Gesellschaft mit Informationstechnik und digitalen Medien scheint der Stellenwert militärischer Anwendungen und Bezüge etwas in den Hintergrund zu treten. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass dies wohl nicht so ist – der Rahmen hat sich jedoch verändert. Exemplarisch seien hier nur drei Aspekte genannt:

  • Aktuelle Kriege sind ohne Informatik und ihre Produkte nicht führbar. Dies betrifft nicht nur technisierte Waffensysteme, sondern die gesamte Infrastruktur. Viele im zivilen Bereich eingesetzte technische Komponenten und Lösungen können und werden auch militärisch genutzt.
  • Dual-use-Strategien werden aktiv betrieben und gefördert. Neben klassischen Forschungsaufträgen und -kooperationen wird zunehmend auch über Wettbewerb-Szenarien Knowhow abgeschöpft, Imagepflege betrieben und Personal rekrutiert (vgl. bspw. Streibl 2012b).
  • Die uns im zivilen Leben direkt umgebende Informationstechnik ist Teil und Gegenstand militärischer und strategischer Überlegungen. Sie wird gleichermaßen zum Angriffsziel und zum Angriffsmittel – das Schlachtfeld hat sich längst auf diese Sphäre erweitert.

Ambivalenz ist im Bereich wissenschaftlicher Forschung und technischer Entwicklung grundsätzlich nicht vermeidbar. Gerade deswegen ist eine kritisch-reflektierende inhaltliche Befassung mit diesen Fragen in den Fächern und Forschungs- und Bildungseinrichtungen zentral. Im Mittelpunkt muss dabei eine frühzeitige antizipative Analyse von Forschung und Entwicklung stehen, die – wie Wolfgang Liebert fordert – nach Intentionen, wissenschaftlich-technischen Potenzialen, normativen Rand- und Vorbedingungen, ambivalenten Entwicklungslinien, gewollten Wirkungen, nicht-intendierten Folgen und sichtbaren Entwicklungsrisiken fragt (Liebert 2009).

In diesem Sinne wäre dann wohl auch die aktuelle Ausbildungsinitiative der Bundeswehr, in deren Rahmen der Kooperationsstudiengang mit der Hochschule Bremen angesiedelt ist, im Kontext ihres Gesamtszenarios zu betrachten:

Die Bundeswehr – so zeigen es die aktuellen Planungen – soll in der nächsten Zeit wachsen; ein besonderes Augenmerk kommt dabei dem Ausbau und der Bündelung von Cyber- und IT-Aktivitäten zu. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellte jüngst entsprechende Pläne der Öffentlichkeit vor. Bis Ende 2016 soll in ihrem Ministerium eine neue Abteilung Cyber/IT eingerichtet werden, und 2017 soll ein zusätzlicher militärischer Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) aufgestellt werden (BMVg 2016b). Gleichzeitig wurden Kampagnen gestartet, mit denen auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragte IT-Spezialisten für die Streitkräfte gewonnen werden sollen. Ein Beispiel dafür ist das im März 2016 gestartete Projekt »Digitale Kräfte« mit dem Slogan „Entwickle mit uns die Bundeswehr der Zukunft“ (BMVg 2016a). Auf der Projekt-Website wird auch der Kooperationsstudiengang mit der Hochschule Bremen beworben. Der entsprechende Verweis auf die Hochschule Bremen und den konkreten Studiengang war übrigens dort schon lange, bevor die Hochschule Bremen die Kooperation offiziell beschlossen hatte, eingetragen.

Verantwortungsentschei­dungen in Institutionen

Selbstverständlich kann eine Hochschule keine Beschlüsse fassen, die verfassungsgemäße Rechte, wie die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, außer Kraft setzen würden. Wie sind dann aber institutionelle Selbstverpflichtungen einzuschätzen, die eine Ablehnung jeglicher Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung bzw. eine Verpflichtung auf den Frieden oder zivile Zwecke beinhalten? Derartige Beschlüsse – gemeinhin Zivilklauseln genannt – stellen kein grundsätzliches Verbot derartiger Forschung dar. Sie sind darüber hinaus weder ein trennscharfes Entscheidungsinstrument noch wird durch sie eine finale Kontrolle etabliert. Wirkungs- oder gar bedeutungslos sind solche Beschlüsse gleichwohl nicht: Denn wenn eine Hochschule oder eine andere große Institution solch einen Beschluss fasst, hat dies eine weitergehende Außenwirkung, als wenn einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für sich individuelle Entscheidungen treffen. Eine Institution, die einen derartigen Beschluss gefasst hat, muss sich dann auch daran messen lassen, wie der Beschluss gelebt wird und wie ernsthaft sich die Institution selbst damit auseinandersetzt:

  • Ermutigt und unterstützt sie ihre Mitglieder, regelmäßig im Sinne praktizierter gesellschaftlicher Verantwortung die Auswirkungen und Folgen eigenen wissenschaftlichen Handelns in Forschung und Lehre zu prüfen und zu hinterfragen?
  • Werden Studierende angeregt und eingeladen, sich mit entsprechenden Fragen und Problemen als Teil ihres Studiums zu beschäftigen?
  • Ermöglicht die Institution einen öffentlichen Diskurs über die Bedeutung und Folgen der dort betriebenen Forschung?
  • Schafft sie Transparenz durch eine Verpflichtung zur Bekanntgabe von Forschungsthemen, Kooperationen und Herkunft von Fördermitteln sowie die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen?
  • Fördert sie Diskurse in den Gremien und Fächern hinsichtlich der Ambivalenz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwicklungen?

Die staatlichen Hochschulen im Land Bremen haben allesamt Beschlüsse gefasst, die als Zivilklausel verstanden werden. Den Auftakt machte im Januar 2012 die Bestätigung und Konkretisierung der bereits seit 1986 bestehenden Beschlusslage der Universität Bremen (vgl. Streibl 2012a). Im Juni 2012 wurde im Akademischen Senat der Hochschule Bremen eine Zivilklausel beschlossen (HSB 2012), und die Hochschule Bremerhaven folgte im Juli 2012. Erst einige Jahre später, im Jahr 2015, wurde im Bremischen Hochschulgesetz ein Paragraph eingeführt, der die Hochschulen des Landes explizit dazu verpflichtet, sich jeweils selbst eine Zivilklausel zu geben. Es wird dafür kein konkreter Wortlaut vorgegeben – dies wäre wohl auch rechtlich bedenklich; auf jeden Fall würde es den wesentlichen Sinn verfehlen und konterkarieren, innerhalb der Institutionen eine Auseinandersetzung und Beschlussfassung über eine solche Selbstverpflichtung zu befördern. Denn wenn eine Zivilklausel nicht aktiv gelebt und im wissenschaftlichen Alltag immer wieder aufs neue an Ambivalenzen geprüft und hinterfragt wird, verkommt sie schnell zur Makulatur.

Die aktuelle Entscheidung der Hochschule Bremen zur Einrichtung eines Kooperationsstudiengangs mit der Bundeswehr wurde in den letzten Tagen auch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Zivilklausel der Hochschule Bremen diskutiert. Argumentative Versuche, in diesem Zusammenhang die Formulierung jener Zivilklausel nur auf Forschung begrenzt zu interpretieren und den Bereich der Lehre und des Studiums auszuklammern, muten vergleichsweise konstruiert und hilflos an. Konsequent wäre – sofern die Hochschule den Kooperationsstudiengang mit der Bundeswehr ernst meint –, die bestehende Zivilklausel an sich zu hinterfragen und ggf. abzuändern oder abzuschaffen. Ich selbst würde einen solchen Schritt sehr bedauern, aber das Festhalten eines halt- und bedeutungslosen Feigenblattes, während gleichzeitig mit der Einrichtung dieses Kooperationsstudiengangs strukturelle Fakten in anderer Richtung geschaffen werden, erscheint mir als noch schlechtere Alternative.

Eine wichtige Funktion hat eine Zivilklausel in einer Institution übrigens auf jeden Fall: Sollten Beschäftigte aus Gewissensgründen oder ethischen Überlegungen unter Verweis auf die in ihrer Institution beschlossene Zivilklausel die Mitarbeit an Projekten oder Kooperationsprojekten mit militärischen Bezügen verweigern, dann wäre es wohl insbesondere die Aufgabe der Hochschulleitung sicherzustellen, dass diesen Personen hieraus keine Nachteile erwachsen. Spätestens hier wird die Absurdität der Situation, welche die Leitung der Hochschule Bremen mit der Einrichtung solch eines Kooperationsstudiengangs selbst geschaffen hat, offenbar.

Individuelle Entscheidung

Erfreulicherweise thematisiert das Bremische Hochschulgesetz auch jenseits institutioneller Beschlüsse und Zivilklauseln schon seit langem Fragen der Verantwortung und fordert in dem der Freiheit von Wissenschaft und Kunst, Forschung, Lehre und Studium gewidmeten Paragraphen alle an Forschung und Lehre Beteiligten zur Achtsamkeit hinsichtlich der gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse auf.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind dem Rahmen und Kontext, in dem sie tätig werden, nicht passiv-hilflos ausgesetzt. Sobald sie sich als in Forschung und Entwicklung sowie in Lehre und Studium aktiv Handelnde begreifen, sind sie gefordert, sich proaktiv mit unterschiedlichen Perspektiven, ethischen Fragen, Ambivalenzen des Faches sowie der eigenen Verantwortung auseinanderzusetzen und, sie müssen dann letztendlich für sich individuelle Entscheidungen treffen (vgl. auch Liebert 2005).

Eine solche Entscheidung habe ich nun für mich getroffen: Als Reaktion auf den Beschluss der Hochschule Bremen, den besagten Kooperationsstudiengang mit der Bundeswehr einzurichten, werde ich – wie bereits eingangs erwähnt – meine langjährige Mitwirkung in diesem Studiengang beenden. Seit Gründung des Internationalen Frauenstudiengangs Informatik an der Hochschule Bremen im Jahr 2000 war ich regelmäßig dort als Lehrbeauftragter für »Informatik und Gesellschaft« tätig. Mein Bemühen galt der Schaffung eines anregenden Lern- und Studienambiente, in welchem – geprägt durch Offenheit, Wertschätzung und Reflexion – die Studentinnen die Möglichkeit erhalten sollten, Szenarien und Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zu bewerten, ihre und anderer Leute Sichtweisen in Frage zu stellen und vor allem kontrovers zu diskutieren.

In der Presse wurde berichtet, dass – laut Leitung der Hochschule Bremen – die Bundeswehr keinen Einfluss auf Inhalte des Studiums nehmen könne. Dies mag formal auch so sein. Durch die strukturelle und finanzielle Verbindung zwischen Hochschule und Bundeswehr verändert sich aber der Gesamtkontext. Ich selbst bin nicht dazu bereit, als Person und mit meiner Lehrveranstaltung Teil solch einer Konstruktion zu sein – auch vor dem Hintergrund meiner oben skizzierten Überlegungen und Überzeugungen hinsichtlich der Friedensorientierung und Verantwortung in der Wissenschaft.

Der Beschluss, einen Dualen Studiengang mit der Bundeswehr als Kooperationspartner einzurichten, hat eine öffentliche Debatte in Bremen ausgelöst. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Leitung der Hochschule bereit wäre, entsprechende Diskussionen sowohl innerhalb der Hochschule als auch öffentlich weiter zu führen.

Hierfür stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
Ralf E. Streibl

Literatur

Albrecht, S.; Bieber, H.-J.; Braun, R.; Croll, P.; Ehringhaus, H.; Finckh, M.; Graßl, H.; von Weizsäcker, E.U. (Hrsg.) (2009): Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDW. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

Bundesministerium der Verteidigung/BMVg (2016a): Projekt Digitale Kräfte (Website).

Bundesministerium der Verteidigung/BMVg (2016b): Die Bundesministerin – Tagesbefehl 26.04.2016 (CIR).

rpm (2016): Verwaltungsdienst – Kooperation mit fünf Hochschulen. bundeswehr-journal.de, 8. Mai 2016.

Brössler, P.; Biskup, H.; Rauschmayer, H. (1996): Damals hatte es ja keine Bedeutung – Ein Softwarehaus stellt sich der Gewissensfrage. FifF-Kommunikation, 13(3), S. 28-34.

Fuchs, A. (2004): Vom »neuen Denken« zur »neuen Weltordnung«. In: Sommer, G.; Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 237-249.

Galtung, J. (1998): Frieden mit friedlichen Mitteln – Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur. Opladen: Leske + Budrich.

Hochschule Bremen/HSB (2012): Zivilklausel der Hochschule Bremen. Beschluss des Akademischen Senats vom 12. Juni 2012.

Kuipers, B. (2003): Why don’t I take military funding? Online unter web.eecs.umich.edu/­~kuipers/.

Liebert, W. (2005): Dual-use revisited – Die Ambivalenz von Forschung und Technik. Wissenschaft und Frieden, 23(1), S. 26-29.

Liebert, W. (2009): Umgang mit Dual-Use von Technologien und Ambivalenz in der Forschung. In: Albrecht, S.; Bieber, H.-J.; Braun, R.; Croll, P.; Ehringhaus, H.; Finckh, M.; Graßl, H.; von Weizsäcker, E.U. (Hrsg.): Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDW. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S. 445-450.

Max-Planck-Gesellschaft/MPG (2010): Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken (beschlossen am 19. März 2010 vom Senat der Max-Planck-Gesellschaft).

Neuneck, G. (2009): Die deutsche Pugwash-Geschichte und die Pugwash-Konferenzen. Ursprünge, Arbeitsweise und Erfolge – Das Ende des Kalten Krieges und die Herausforderungen der Zukunft. In: Albrecht, S.; Bieber, H.-J.; Braun, R.; Croll, P.; Ehringhaus, H.; Finckh, M.; Graßl, H.; von Weizsäcker, E.U. (Hrsg.): Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDW. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S. 378-392.

Nicklas, H. (1996): Erziehung zur Friedensfähigkeit. In: Imbusch, P.; Zoll, R. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Opladen: Leske+Budrich, S. 463-480.

Parnas, D.L. (2009): Ein Brief aus dem Jahr 1985. Retrospektive. FifF-Kommunikation, 26(1), S. 7-10.

Rotblat, J. (1995): Remember your Humanity. Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises.

Streibl, R.E. (2012a): Bremer Universität bestätigt Zivilklausel – Wichtiges Signal für Verantwortung in der Wissenschaft. Wissenschaft & Frieden, 30(1), S. 58-59.

Streibl, R.E. (2012b): It’s a Challenge – Militärische Roboterwettbewerbe. FifF-Kommunika­tion, 29(1), S. 21-25.

Winograd, T. (1985): Einige Gedanken zur finanziellen Fo?rderung durch das Milita?r. In: Bickenbach, J.; Keil-Slawik, R.; Löwe, M.; Wilhelm, R. (Hrsg.): Militarisierte Informatik. Schriftenreihe »Wissenschaft und Frieden« Bd. 4. Marburg/Berlin/Münster: BdWi/FIfF/Natwiss, S. 169-173.

Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe und arbeitet hauptberuflich an der Universität Bremen im Fach Informatik sowie im Personalrat. Von 2000 bis 2016 war er zusätzlich als Lehrbeauftragter im Studiengang IFI an der Hochschule Bremen tätig. Er ist langjähriges Mitglied des Forum Friedenspsychologie sowie des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortungen und dort auch Mitglied des Beirats.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/3 Politischer Islam, Seite 37–41