Ein Weißbuch lässt Schwarz sehen
von Paul Schäfer
Zum ersten Mal seit dreizehn Jahren hat das Bundesministerium der Verteidigung wieder ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Allein dies wurde schon von den Protagonisten der Regierung als Erfolg gefeiert, denn Rot-Grün war nicht zum Abschluss gekommen, weil man sich nicht über die Regelung der Wehrpflicht einigen konnte. Minister Jung konnte dennoch nahtlos anknüpfen, an die von den Vorgängerregierungen auf den Weg gebrachte neue Sicherheitsphilosophie der Bundesrepublik, an die Festlegungen zur Umwandlung (»Transformation«) der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zur Interventionstruppe. Das Weißbuch schreibt diese Entwicklungen der letzten zehn Jahre fest und ist im Wesentlichen ein Instrument zur öffentlichen Legitimierung dieses Umbauprogramms.
Dort, wo neue Akzente gesetzt werden sollten, musste zunächst zurückgesteckt werden, so bei der Eröffnung neuer Einsatzoptionen für die Streitkräfte im Inneren oder bei der Überlegung, die mit dem Grundgesetz nur schwer in Einklang zu bringende Interventionspraxis der Bundeswehr durch eine Grundgesetz-Änderung zu bereinigen. Von letzterem will man nun die Finger lassen, die Operation scheint zu riskant. Verteidigung ist weiter Kernaufgabe, heißt es, allerdings müsse sich die Bundeswehr auf die wahrscheinlichere Aufgabe der Krisenintervention konzentrieren. Ein Narr, der Schlechtes dabei denkt. Bei der innergesellschaftlichen Militarisierung indes hat Innenminister Schäuble nachgelegt. Das Tauziehen um die Ausweitung militärischer Terrorbekämpfung im Inneren geht also munter weiter.
Enttäuscht wurden diejenigen, die sich vom Weißbuch eine auf Analyse und Kosten-Nutzen-Rechnung basierende Planung der Auslandseinsätze erhofft hatten. Stattdessen geht es um Weiter So oder gar um ein Mehr an militärischem Engagement. Denn die Großkoalitionäre verknüpfen machtpolitische Ambitionen sehr direkt mit den militärischen Einsatzpotenzialen der Armee. Dieses Motiv hat sowohl im Kongo- als auch im Libanon-Einsatz mitgespielt. Die Allseits-Bereit-Phantasien haben inzwischen dazu geführt, dass Teile der Konservativen und der Rechtsliberalen befürchten, dass die Fähigkeiten der Bundeswehr überstrapaziert und wir in Konflikte hineingezogen werden, die außer Kontrolle geraten könnten. Daher hat die CSU jüngst einen Kriterienkatalog vorgelegt, der mit dem Kriterium »nationale Interessen« eine Bremse einbauen will. Der nationalistische, ja mitunter rassistische Subtext solcher Grenzziehungen ist kaum zu übersehen: Was haben wir mit den blutigen Zwistigkeiten dort hinten in Afrika zu schaffen? In der Kongo-Debatte wurde daher durch die Regierenden eine Bonanza-Spur ausgelegt, die den Nationalkonservativen den Mund wässrig machen sollte. Bis ins Detail wurden die Rohstoffe aufgeführt, derer wir für das nationale Wohl bedürfen. Wenn die strategischen Ressourcen wie Öl und Gas immer knapper werden, der Wettlauf um ihre Aneignung immer härter wird, dann müssen wir gefälligst zusehen, dass wir überall dort, wo es ans Eingemachte geht, unsere Flagge aufpflanzen und unsere Interessen »verteidigen«. Die Marine setzt diese Philosophie bereits mustergültig um und das Weißbuch schreibt diese Aufgabenbestimmung für die Streitkräfte deutlicher als zuvor fest. Insofern wird heute schon deutlich, dass der Bezug auf angeblich nationale Interessen eher zu einem Mehr als zu einem Weniger an Einsätzen führen wird.
Dass man die globale Kontrolle über die wichtigen Ressourcen mittels militärischer Überlegenheit und maritimer Dominanz erreichen will, ist kein spezieller Einfall der Bundeswehrplaner. Die NATO diskutiert nicht erst seit dem Gipfel von Riga Ende vergangenen Jahres darüber, diese Erwägungen 2008 in ein neues strategisches Konzept zu gießen. Das was die NATO gegenwärtig bereits am Horn von Afrika und im Mittelmeer praktiziert, würde damit weiterentwickelt und perfektioniert: Deutsche Fregatten und Korvetten wären dann dabei, wenn es um die effektive Überwachung und Kontrolle der Ressourcenströme aus dem Globalen Süden in die nördlichen Metropolen geht.
Manche Leserin/mancher Leser mag sich durch den Abschnitt »Zivile Krisenprävention« in die Irre führen lassen. Im ersten Entwurf war dieser Teil sehr schmal ausgefallen und wurde erst im Zuge der Ressortabstimmung etwas aufgebessert. Das kann nicht über die eigentlichen Prioritäten hinwegtäuschen. Nach wie vor gilt die möglichst umfangreiche Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen der Bundesregierung als Gradmesser ihres Einflusses in der Welt. Genau hier muss die friedenspolitische Kritik am Weißbuch ansetzen: Durch weitreichende Abrüstungsschritte und konsequentes Umdenken müssen hierzulande die Mittel freigesetzt werden, die für eine führende Rolle bei der friedensnotwendigen Energiewende (Weg vom Öl), bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung in den vom Kapitalismus vernachlässigten Peripherien, bei der vorrangigen Unterstützung der Vereinten Nationen in der zivilen Konfliktbearbeitung benötigt werden.
In diesem Sommer wird es einige Gelegenheiten geben, um diese Alternativen auch nach der schnell verklungenen Diskussion um das Weißbuch deutlich zu machen. Friedens-, Umwelt- und entwicklungspolitische Gruppen und Bewegungen sind dazu aufgerufen, ihre Konzepte und Ideen beim G-8-Gipfel in Heiligendamm vorzustellen.
Paul Schäfer, MdB, vertritt die Fraktion »Die Linke« im Verteidigungsausschuss