W&F 1995/2

Eine atomwaffenfreie Welt

Über den Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen hinausgehen

von INESAP

1. Die atomwaffenfreie Welt

1.1 Ein notwendiges Ziel

Die atomwaffenfreie Welt ist längst mehr als nur eine phantastische Idee. Sie wird inzwischen auch von Strategen, Militärexperten und früheren US-Verteidigungsministern ernst genommen. Auch sie gestehen nämlich jetzt ein – was die Friedensbewegung schon vor Jahren getan hat –, daß Nuklearwaffen die Sicherheit der Atommächte eher verringern als erhöhen. Dieser Umdenkungsprozeß, mit dem gleichzeitig die Denkkonzepte aus dem Kalten Krieg verschwinden, wird auch den inoffiziellen Kernwaffenstaaten helfen, ihre Option auf Nuklearwaffen aufzugeben.

Atomwaffen sind nicht geeignet oder notwendig, um jede mögliche Bedrohung durch andere Kernwaffenstaaten abzuschrecken oder das Risiko eines größeren Krieges zu verringern. Im Gegenteil, wenn eine kleine Zahl von Staaten weiterhin Atomwaffen besitzt und Pläne ausarbeitet, diese für die Durchsetzung regionaler Sicherheitsinteressen einzusetzen, wird dadurch sicherlich der wahrgenommene Wert dieser Waffen ansteigen und dann ebenfalls die damit verbundenen Gefahren der Weiterverbreitung.

Einige, die diese Argumentation im Prinzip akzeptieren, lehnen dennoch die letzte Konsequenz ab: Sie verschieben die letztendliche Beseitigung der Atomwaffen auf eine unbestimmte Zukunft.

Dies reicht nicht aus. Es gibt keine dauernde globale Stabilität auch bei Existenz nur kleiner Atomwaffenarsenale. Es bestehen nur zwei Optionen: Die erste will eine Nulllösung – die totale Beseitigung nuklearer Waffen. Die andere bedeutet langfristig die Weiterverbreitung von Atomwaffen an viele Nationen. Die erste Option ist zu bevorzugen, da sie viel weniger gefährlich ist als die zweite. In einer Welt, in der Atomwaffenmächte behaupten, eine Politik der »minimalen Abschreckung« eingeführt und damit die Bedeutung der Kernwaffen abgemildert zu haben, wird es wahrscheinlich noch schwieriger sein, Proliferation zu verhindern als es jetzt schon der Fall ist.

Die Entscheidung für eine Nullösung wäre ein wichtiger Beitrag, das Denken über den Einsatz militärischer Macht in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu ändern. Sie würde eine stärkere Hinwendung zur Akzeptanz internationalen Völkerrechts befördern und zu einer breiteren Akzeptanz des Grundsatzes führen, daß zwischenstaatliche Meinungsverschiedenheiten friedlich geregelt werden müssen. Darüber hinaus wäre die Nullösung mit der Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur totalen nuklearen Abrüstung konform, die in Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags festgeschrieben ist.

1.2 Transformation des Nichtverbreitungsregimes

Der zentrale Kritikpunkt am Nichtverbreitungsvertrag (NVV) ist, daß er de jure diskriminatorisch ist, da er die Teilung der Welt in Nuklearwaffenstaaten und Nicht-Nuklearwaffenstaaten legitimiert. Letzteren werden strenge Kontrollmaßnahmen auferlegt, während Nuklearwaffenstaaten keinen scharfen und durchsetzbaren Verpflichtungen unterworfen sind.

In seiner Praxis ist das Nichtverbreitungsregime sogar noch diskriminierender, weil es die Errichtung eines Dreiklassensystems des Technologiezugangs impliziert. So lange die mit den Atomwaffenmächten verbündeten Industriestaaten auf einem uneingeschränkten Gebrauch jeglicher atomarer Technologie bestehen, wird eine einseitige Exportkontrolle als eine Diskriminierung durch die Lieferländer empfunden werden.

Ein weiterer zentraler Mangel des NVV ist, daß er die unüberwindliche zivil-militärische Doppelverwendbarkeit vieler nuklearer Technologien ignoriert. Solange waffenfähiges Material produziert werden darf, kann es auch für die Herstellung von Nuklearwaffen abgezweigt werden. Dies betrifft auch die unglückliche Doppelrolle der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) als Förderer und »Kontrolleur« der Kernenergie. Die entsprechende Förderung führte zu einer weiten Verbreitung von Nukleartechnologie, so daß viele Staaten mit technischen Voraussetzungen für Waffenprogramme versorgt wurden. Trotz gegenwärtiger Vorschläge, das System der IAEO-Sicherungsmaßnahmen zu stärken, wird die Kontrolle dieser Technologien unvollständig bleiben – teilweise aufgrund technischer Einschränkungen.

Das Tauschgeschäft des NVV (Zugang zu nuklearer Technologie im Austausch für Verzicht auf Nuklearwaffen) hat seine Stärke verloren. Darüber hinaus wird es zunehmend unrealistischer, daß das Nichtverbreitungsregime in seiner jetzigen Form das richtige Mittel ist, die Weiterverbreitung zu stoppen. Allerdings ist es richtig, daß eine große Mehrheit der Nicht-Nuklearwaffenstaaten nicht dem Beispiel Irak folgen werden: Die meisten Staaten brechen nicht einen von ihnen unterzeichneten Vertrag, nur weil seine Kontrollierbarkeit und die Erzwingung der Vertragseinhaltung vergleichsweise schwach ist.

Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Atommächte sich auf der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz des NVV eindeutig zur Nullösung bekennen würden. Aussagen bezüglich dieses Punktes sind bislang vage und doppeldeutig geblieben und verschieben die Angelegenheit in eine ferne Zukunft. Es wäre ganz wesentlich, wenn diese Staaten endlich ein zeitlich verbindliches Abrüstungsprogramm akzeptieren würden, um die Nullösung zu erreichen. In dieser Hinsicht dürfte eine unbegrenzte Verlängerung des NVV ein unglücklicher Ausgang sein, da er den internationalen Druck hin zu einer Nulllösung verringern würde. Auch wenn eine unbegrenzte Verlängerung den fortdauernden Besitz von Atomwaffen nicht wirklich legitimieren würde, könnte sie praktisch den unbegrenzten Aufschub für die vollständige nukleare Abrüstung bedeuten.

Solange der Besitz von Kernwaffen und waffenfähigem Material durch eine kleine Anzahl von Staaten als legitim angesehen wird, werden Begehrlichkeiten in anderen Staaten geweckt. Die Folge ist, daß die globale nukleare Bedrohung fortdauert und sich weiter erhöht. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist es dagegen möglich geworden, einen schrittweisen Transformationsprozeß zu beginnen, der das alte Nichtverbreitungsregime in ein viel effektiveres Regime der atomwaffenfreien Welt überführt. Dafür ist ein auch zeitlich verbindlicher Zielhorizont der Beseitigung aller Atomwaffen erforderlich. Wie die Dinge heute stehen, wird demgegenüber Jahr für Jahr immer mehr waffenfähiges Material produziert, und es wird immer einfacher, an dieses heran zu kommen. Diese Entwicklung muß umgekehrt werden.

1.3 Nuklearwaffenkonvention (NWK)

In ihrem Abschlußdokument sollte die Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz des NVV dazu auffordern, der Genfer Abrüstungskonferenz ein Verhandlungsmandat für eine Nuklearwaffenkonvention zu übertragen. So könnte der Ruf nach entschiedenen Schritten hin zu einer atomwaffenfreien Welt weiter konkretisiert werden. Damit würde, wie schon bei der Biowaffenkonvention (BWC) und der Chemiewaffenkonvention (CWC), ein totales Verbot angestrebt.

Eine NWK würde nicht nur den Besitz und die Produktion von Nuklearwaffen verbieten; sie würde auch alle Arten des Erwerbs (inklusive Forschung und Entwicklung), des Transfers, der Stationierung (oder Vorbereitungen zur erneuten Stationierung), des Gebrauchs und der Drohung damit unter Verbot stellen. Die Konvention würde die Beseitigung der kompletten Infrastruktur anstreben, die der Herstellung und dem Besitz von Kernsprengköpfen und ihren Trägersystemen dient. Sie würde ein internationales Kontrollsystem für das verbleibende waffenfähige Material bereitstellen. Die Konvention würde den Gehalt einiger anderer dann bereits existierender relevanter Verträge umfassen, wie z.B. Verbote von Atomwaffentests oder Verbote der Produktion waffenfähiger Spaltmaterialien. Sie würde diese Verträge daher ersetzen und universell gültig machen. Insbesondere würde eine Nuklearwaffenkonvention den NVV ersetzen.

Wenn eine Nuklearwaffenkonvention von einer erforderlich gemachten Mindestanzahl von Staaten angenommen worden ist, müßte sie durch einen Sicherheitsratsbeschluß für alle Staaten verbindlich gemacht werden. Außerdem dürfte es keine Begrenzung der Gültigkeitsdauer geben und ebenfalls kein Rücktrittsrecht. Eine atomwaffenfreie Welt kann nicht ohne die Unterstützung aller anerkannten Atommächte ins Leben gerufen werden, die die Herstellung dieses Ziels nicht nur als notwendig im Sinne ihrer eigenen Interessen sehen müssen, sondern auch in der Lage sein müssen, es gegen mögliche Vertragsbrüche zu sichern.

1.4 Vorgebrachte Einwände

Es wird behauptet, daß Atomwaffen den Ausbruch konventioneller Kriege verhindert haben. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, daß Atomwaffen tatsächlich einen Krieg zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt abgeschreckt haben. Wenn diese Behauptung irgendeine Gültigkeit gehabt hätte, wäre zu erwarten gewesen, daß jedenfalls Nicht-Kernwaffenstaaten abgeschreckt wurden, gegen Atommächte Krieg zu führen. Die Beispiele von Korea, Vietnam und Argentinien zeigen, daß dies nicht der Fall war. Es wird immer noch argumentiert, daß eine Abschreckung gegen die Bedrohung mit Atomwaffen nur durch Atomwaffen selbst funktionieren könne. Läßt man sich auf die Idee der atomwaffenfreien Welt ein, muß das jedenfalls nicht so sein. Sobald ersichtlich wäre, daß ein Nuklearwaffenstaat einige Sprengköpfe zurückgehalten hat, oder sobald ein neues Atomwaffenprogramm aufgedeckt würde, könnte die internationale Staatengemeinschaft entsprechende Maßnahmen gegen den abtrünnigen Staat einleiten, ohne dabei Zuflucht zu Atomwaffen suchen zu müssen (siehe auch 1.6). Es wird auch gesagt, daß Atomwaffen nötig wären, um den möglichen Einsatz biologischer und chemischer Waffen abzuschrecken. Die Biowaffenkonvention hat bereits 131 Mitglieder und die Chemiewaffenkonvention sollte bald in Kraft treten. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Atomwaffen nötig wären, um diesbezüglich mögliche Vertragsbrüche zu verhindern.

Es wird argumentiert, daß Atomwaffen nicht »wegerfunden« werden können. Dies ist aber kein Grund, sie zu behalten. Sind die Teams, die diese Waffen erfunden und instand gehalten haben erst einmal aufgelöst, dann benötigt die erneute Entwicklung einige Zeit, es entstehen neue Hürden und Eskalationsstufen, so daß die internationale Staatengemeinschaft Zeit zur Reaktion gewinnt. Zusätzlich sollte die Stationierung von atomwaffenfähigen Trägersystemen verboten sein. Dadurch würde ein militärischer Einsatz von »wieder erfundenen« Atomwaffen weiter verschoben werden.

1.5 Kontrolle und Verifikation

Die technischen Mittel, um die Abwesenheit von Atomwaffen zu verifizieren, sind im Prinzip verfügbar. Es muß natürlich »zu jeder Zeit, an jedem Ort« Inspektionen geben können, ohne vorher die Erlaubnis des betroffenen Staates einholen zu müssen. Um außerdem jeglichen Verdacht von Geheimaktivitäten aus dem Weg zu räumen, sollte alle Forschung und Entwicklung offen betrieben werden, zumindest soweit wie für diesen Zweck notwendig.

Die Konvention sollte die Anforderung enthalten, daß alle Staaten es zu einer »Bürgerpflicht« machen, jede vermutete Vertragsverletzung einer internationalen Autorität zu melden. Es mag Staaten geben, in denen die Bürger sich fürchten werden, so zu handeln, so daß die internationalen Inspektionsprozeduren in diesen Staaten intensiver gestaltet werden müßten. Wissenschaftler, Ingenieure und technische Bedienstete, die in zivilen Kernforschungs- und Kernenergieprojekten arbeiten, müssen ein Selbstverständnis entwickeln, daß sie eine besondere Verantwortung dafür haben, die Integrität der Nuklearwaffenkonvention zu sichern.

1.6 Sicherheit in einer atomwaffenfreien Welt und ihre Durchsetzung

Jeder illegalen Entwicklung von Atomwaffen, jeder Einsatzdrohung oder jedem tatsächlichem Einsatz von Atomwaffen, könnte mit einer Vielzahl von abgestuften Maßnahmen angemessen entgegengetreten werden. Diese reichen von diplomatischen Anstrengungen und Bemühungen um Mediation über friedenserhaltende Aktivitäten und nichtmilitärische Interventionen sowie wirtschaftlichen Sanktionen bis hin zu der Drohung mit oder dem tatsächlichen Einsatz von konventionellen militärischen Kräften als letztem Mittel.

Der Einsatz oder die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen hat in den vergangenen 50 Jahren keine bedeutende Rolle in der Sicherheitsstruktur der Welt gespielt, und es gibt keinen Grund, warum dies nicht weiter so sein sollte. Das Verschwinden nuklearer Waffen wird in keiner Weise die bestehende Sicherheitsstruktur beeinträchtigen. Es wurden bereits Gründe angeführt, warum dies vielmehr zu einer Verbesserung der globalen Sicherheitslage führen würde (siehe auch 1.1).

In einer Welt, in der sich die Staaten darauf geeinigt haben, den Weg in die atomwaffenfreie Welt zu beschreiten, läßt sich die globale Sicherheitsstruktur bereits durch andere Mittel verbessern. Dazu gehört beispielsweise, daß der Einsatz militärischer Kräfte generell nicht gutgeheißen wird. Wenn überhaupt, darf er nur als letztes Mittel vorgesehen werden, und dann auch nur unter der Schirmherrschaft der UN oder einer von der UN anerkannten Körperschaft einer regionalen Sicherheitsstruktur. Dazu sollte auch der UN-Sicherheitsrat demokratisiert werden; es sollte dort keine Bevorteilung der Atommächte mehr geben.

1.7 Der Weg in eine atomwaffenfreie Welt

Zu den Elementen auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt, die sofort durchgeführt werden können, gehören Schritte wie eine vereinbarte Verminderung der atomaren Arsenale, ein umfassender Teststopp-Vertrag (CTBT) sowie die Schließung und Zerlegung militärischer Einrichtungen für die Produktion von nuklearem Material. Ein entscheidender Bestandteil eines solchen Programms ist ein Vertrag über den »Nicht-Ersteinsatz« von Kernwaffen, der sehr bald geschlossen werden sollte.

Das daran anschließende Abrüstungsprogramm beinhaltet weitere starke Reduzierungen der nuklearen Arsenale der fünf anerkannten Atommächte, einschneidende Beschränkungen der Stationierung von Atomwaffen auf den Territorien anderer Länder sowie die Entnahme von Atomsprengköpfen aus strategischen und taktischen Trägersystemen und deren Deponierung in nationalen Lagern. Das Programm sieht darüber hinaus die Einrichtung von atomwaffenfreien Zonen vor, ein globales Moratorium über die weitere Entwicklung und Produktion atomarer Waffen sowie einen Produktionsstopp (Cutoff) für waffengrädiges Spaltmaterial. Dies wird einerseits durch eine internationale Bestandsliste von spaltbarem Material und andererseits durch die Durchsetzung eines verbesserten Überwachungs- und Schutzsystems für alle verbleibenden nuklearen Einrichtungen ergänzt. Weiterführende Schritte beinhalten ein Testverbot für ballistische Trägersysteme, die volle Inkraftsetzung der C-Waffenkonvention und ihre globale Einhaltung, die Entwicklung eines Verifikationssystems für die Biowaffenkonvention, ein umfassendes UN-Register über konventionelle und atomare Waffen sowie die Einführung einer UN-Berichterstattung über alle militärischen Ausgaben.

Wenn erst einmal alle Klauseln der Nuklearwaffenkonvention Anerkennung gefunden haben, sollten alle atomaren Arsenale auf Null reduziert werden, anstatt sie auf niedrigerem Niveau einzufrieren. Der Vorschlag, daß die UN einen Restbestand von Atomwaffen unter ihre direkte Kontrolle nimmt, um instabile Situationen bei niedrigen Atomwaffenzahlen zu vermeiden, ist nicht praktikabel. Die UN wird wohl niemals in der Lage sein, eine nukleare Abschreckung in einer überzeugenden Art aufrecht zu halten. Solange Atomwaffen weiter existieren, werden die Atommächte nicht bereit sein, die Kontrolle darüber einem UN-Personal zu übergeben, das auch aus Angehörigen von Nicht-Nuklearwaffenstaaten besteht. Es bestünde die Gefahr, daß eine ehemalige Atommacht leicht wieder die Kontrolle über ihre Atomwaffen zurückbekommen könnte.

In der letzten Etappe auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt werden die fünf anerkannten Kernwaffenstaaten sowie die übrigen De-facto-Atommächte in Nicht-Kernwaffenstaaten überführt. Dies kann möglicherweise durch regionale Ansätze geschehen. Das verbleibende globale Nukleararsenal wird unter internationaler Inspektion zerlegt werden. Die Nuklearwaffenkonvention wird spätestens dann in Kraft treten. Das gesamte waffenfähige Material wird unter internationale Aufsicht gestellt werden und für einen möglichen zivilen Gebrauch bzw. für eine zukünftige Entsorgung vorbereitet. Bestimmte nukleare Technologien und Aktivitäten, wie z.B. die Abtrennung von Plutonium und die Hochanreicherung von Uran, also die Produktion von waffenfähigem Material, werden illegalisiert.

Einige ausgewählte wesentliche Schritte werden im zweiten Teil des Dokuments ausführlicher behandelt.

2. Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Welt

2.1. Abrüstungswettlauf zwischen den Kernwaffenstaaten

Weitere nukleare Abrüstung ist nicht nur notwendig, um internationale Sicherheit und Frieden zu gewährleisten, sondern auch, um den Artikel VI des NVV nachhaltig zu erfüllen. Der START II-Vertrag begrenzt die Anzahl der von den USA und Rußland stationierten strategischen nuklearen Gefechtsköpfe auf 6.500 im Jahr 2003. Dies übersteigt jedoch die Arsenale der kleineren Nuklearwaffenstaaten immer noch um einen Faktor 5 bis 8. Eine weitere Reduktion der Gefechtsköpfe von USA und Rußland auf je 1.000 im Rahmen eines START III-Vertrages wäre eine solide Grundlage für die Einbeziehung der kleineren Nuklearwaffenstaaten. Verhandlungen über die Begrenzung der verbleibenden taktischen Nuklearwaffen sollten ins Auge gefaßt werden. Es ist nun an der Zeit, daß sich auch die kleineren Atommächte an den Verhandlungen beteiligen.

Die Reduzierung und Zerlegung von nuklearen Gefechtsköpfen sollte nicht rückgängig zu machen sein und erfordert einen Stopp der Produktion von spaltbarem Material für Waffenzwecke. Eine Zusammenarbeit von USA und Rußland bei der Schaffung eines überprüfbaren Kontrollregimes für ihr waffentaugliches Spaltmaterial könnte den Weg ebnen für die Einbeziehung der kleineren Nuklearwaffenstaaten. Internationale Überwachung für das aus dem Verkehr gezogene Spaltmaterial ist notwendig, um international Vertrauen zu schaffen. Jegliche Spaltmaterialproduktion ohne internationale Überwachung muß unter Verbot gestellt werden. Der Austausch von Informationen über die nun überschüssigen Vorräte und die verbleibenden Arsenale wäre ein erster Schritt. Die Überwachung des spaltbaren Materials könnte von einer internationalen Organisation geleistet werden. Um die Krisenstabilität zu erhöhen und den zufälligen und unabsichtlichen Gebrauch von Nuklearwaffen zu verhindern, sollten zumindest die USA und Rußland die Gefechtsköpfe getrennt von den Trägersystemen lagern.

2.2. Produktionsstopp (Cutoff) und Lagerung von nuklearwaffenfähigem Material

Es existiert bereits ein erheblicher Überschuß an waffenfähigen Spaltmaterialien und Tritium. Dieser wird in der nächsten Zeit weiter zunehmen. Die zivilen Bestände an waffenfähigem Plutonium werden bereits kurz nach der Jahrhundertwende die militärischen übersteigen. Jeder Versuch, die potentielle Verwendbarkeit von waffenfähigem Material für Atomwaffen unter Kontrolle zu bringen, muß sowohl die militärische als auch die zivile Produktion und den Umgang mit diesen Materialien erfassen.

Es gibt ausgezeichnete Argumente – ökonomische, ökologische, sicherheits- und entsorgungstechnische – gegen die Abtrennung (d.h. Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennelementen) und den Gebrauch von Plutonium. Zur Zeit sind Forschungsreaktoren die einzigen zivilen Nutzer von waffengrädigem hochangereichertem Uran. Diese können jedoch auf den Gebrauch von nicht waffentauglichem niedrig angereichertem Uran umgestellt werden.

Eine nachhaltige Lösung für den Umgang mit waffenfähigem Nuklearmaterial im Rahmen einer atomwaffenfreien Welt (oder eines nicht umkehrbaren Übergangsprozesses dorthin) erfordert einen vollständigen Bann ihres Gebrauchs, der die sensitivsten Produktionstechnologien mit einschließt. Auf lange Sicht muß ein solcher Bann besonders hochangereichertes Uran, Plutonium in all seinen Isotopenzusammensetzungen und Tritium umfassen, denn es muß für alle Staaten so schwer wie möglich gemacht werden, die Produktion von Nuklearwaffen wieder aufzunehmen. Daher sollten internationale Verhandlungen eine umfassende Cutoff-Konvention anstreben, die in einem schrittweisen Prozeß erreichbar wäre. Der erste Schritt sollte ein multilaterales Abkommen über einen Produktionsstopp für Waffenzwecke sein.

Die sofortigen Schritte sollten sein: Abzug der stationierten Nuklearwaffen, ihre Lagerung in nationalen Depots, ihre Zählung und Kennzeichnung unter internationaler Beobachtung. Dort sollten sie anschließend zerlegt werden. Das dabei frei werdende spaltbare Material sollte gelagert, bewacht und für die Demilitarisierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorbereitet werden.

Aus Gründen der Dringlichkeit und einer glaubwürdigen Bemühung um Nichtverbreitung scheint die Vitrifikation (Vermischung mit Nuklearabfall und Einschluß in eine glasartige Struktur) die geeignetste Methode zu sein, das Waffenplutonium, das bei der Zerlegung der Gefechtsköpfe entsteht, endzulagern. Obgleich die Gesamtkosten einer Verarbeitung zu Mischoxid-Brennelementen (MOX-Option) und der Vitrifikation vergleichbar sind, sollten Kosten nachrangig gegenüber Gesichtspunkten der internationalen Sicherheit und der Umweltgefährdung bei der Auswahl der besten Methode sein. Allerdings ist derzeit keiner der bislang vorgeschlagenen Wege, Plutonium zu demilitarisieren, ausreichend sicher und technisch erprobt. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf.

2.3. Nichtverbreitung und Abrüstung von atomwaffentauglichen Trägersystemen

Die Abschaffung von Nuklearwaffen könnte durch eine Reihe möglicher Maßnahmen zur Begrenzung der für Atomwaffen verwendbaren Trägersysteme ergänzt und erleichtert werden, die über das gegenwärtige Kontrollregime für Trägersysteme (Missile Technology Control Regime, MTCR) hinausgehen: Die Bedrohung durch ballistische Raketen könnte am effektivsten durch eine Konvention über ballistische Raketen entschärft werden. Ein Flugtestverbot für ballistische Raketen wäre der erste Schritt, die Entwicklung neuer Raketentypen zu verhindern. Eine internationale Überwachungsbehörde könnte eingesetzt werden, um sicherzustellen, daß die Raumfahrttechnik nicht benutzt wird, um ballistische Raketen zu entwickeln und zu produzieren.

Marschflugkörper stellen eine ähnliche Bedrohung im Hinblick auf Weiterverbreitung und -entwicklung dar wie ballistische Raketen und Kampfbomber. Existierende Bemühungen zur Eindämmung dieser Gefahren (MTCR) sollten fortgeführt und gegebenenfalls erweitert werden. Es dürfte jedoch notwendig sein, Rüstungskontrollansätze zu entwickeln, die bestehende Ähnlichkeiten zwischen Kampfbombern und Marschflugkörpern und den ihnen zugrundeliegenden Technologien berücksichtigen.

Viele Länder haben zur Stärkung ihrer nationalen Verteidigungsfähigkeit Flugzeuge stationiert, die auch für den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln geeignet sind. Um die Verbreitung von Militärflugzeugen einzuschränken, könnten Staaten Obergrenzen bezüglich der Anzahl und der Fähigkeiten von Militärflugzeugen innerhalb regionaler Rüstungskontrollregime einführen. Ein weltweites Verbot neuer Kampfbombertypen könnte in nicht diskriminierender Weise ihrer Weiterverbreitung und Weiterentwicklung vorbeugen.

Die Möglichkeit einer Stationierung von Nuklearwaffen auf U-Booten sollte ebenfalls mitberücksichtigt werden. Ein erster Schritt wäre die Etablierung eines dem MTCR ähnlichen Kontrollregimes, das sich auf wesentliche Technologien für fortgeschrittene U-Boot-Typen konzentriert. Gemeinsam aufgestellte seegestützte Spezialeinheiten, die von den Vereinten Nationen betrieben würden, könnten den Einsatz von dieselgetriebenen U-Booten in Krisenzeiten verfolgen und ggf. kontrollieren.

Der ABM-Vertrag, der bekanntlich die amerikanischen und russischen strategischen Abwehrsysteme beschränkt, spielt auch weiterhin eine ganz wesentliche Rolle, die auch für den weitergehenden Abbau von Nuklearwaffen Bedeutung hat. Der Versuch der Vereinigten Staaten, den ABM-Vertrag soweit zu modifizieren, daß sie ihre geplanten Abwehrsysteme gegen taktische Raketen legal weiterentwickeln und stationieren können, würde die Bemühung um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung in vielen Staaten nachhaltig schädigen.

Die internationale Kooperation in der Raumfahrt und die Konversion im Luftfahrtbereich könnte sowohl von einem Übergang zu einer atomwaffenfreien Welt profitieren, als auch diesen Übergang selbst erleichtern. Langfristig und unumkehrbar angelegte Konversionsstrategien müssen die Umwandlung großer Forschungs- und Entwicklungskomplexe und Maßnahmen zur vorbeugenden Rüstungskontrolle beinhalten, die darauf abzielen, destabilisierende technische Entwicklungen vorausschauend zu beschränken. Ein neues Regime (»Rockets for Peace«), das unter der Ägide einer Raumfahrt-Entwicklungsorganisation etabliert würde, könnte weiteren Nationen den Zugang zum Weltraum eröffnen – unter Nutzung bereits vorhandener Möglichkeiten der etablierten Weltraumnationen. Weltraumwaffen sollten grundsätzlich verboten werden.

2.4 Regionale Ansätze zu einer atomwaffenfreien Welt

Die atomwaffenfreie Zone in Lateinamerika – zusammen mit dem argentinisch-brasilianischen Abkommen über gemeinsame Buchführung und Kontrolle von Nuklearmaterial – hat sich als ein erfolgreicher Weg bewährt, eine Region atomwaffenfrei zu halten. Der Verhandlungsprozeß für solche Abkommen beinhaltet natürlich die Etablierung von vertrauensbildenden Maßnahmen und gegenseitigen Sicherheitsvereinbarungen. Wie in Lateinamerika können solche Abkommen auch zusätzliche Sicherheitssysteme mit Beteiligung der IAEO beinhalten.

Regionale Verhandlungen über atomwaffenfreie Zonen, die die fünf NVV-Nuklearwaffenstaaten einschließen, sind ein Weg für diese Staaten, die Anforderungen des Artikels VI des NVV zu erfüllen, „in guter Absicht Verhandlungen über effektive Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Rüstungswettlaufes zum baldmöglichsten Zeitpunkt und zur nuklearen Abrüstung und zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strikter internationaler Kontrolle zu führen“. Das haben sie im Vertrag versprochen und genau dies sollen die Verhandlungen über atomwaffenfreie Zonen anstreben.

Trotz beachtlicher Fortschritte in der Reduzierung der nuklearen Arsenale der Vereinigten Staaten und Rußlands durch die START- und INF-Verhandlungen haben diese doch nicht die Nullösung zum ausdrücklichen Ziel; es ist auch höchst unwahrscheinlich, es dadurch zu erreichen.

Atomwaffenfreie Zonen sind ein wichtiger Weg für Nicht-Nuklearwaffenstaaten, die Initiative in der Bemühung um die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu übernehmen. Dies kann dadurch geschehen, daß sie ihre Region für die Stationierung von Nuklearwaffen sperren und den auf die Region bezogenen Einsatz von Atomwaffen – oder die Drohung damit – ausschließen wollen. Wenn sich solche Sperrgebiete zunehmend auf die ganze Welt ausdehnen, wird sich der internationale Druck auf die Nuklearwaffenstaaten verstärken, die Idee einer atomwaffenfreien Welt endlich zu akzeptieren.

Anmerkung

Die 180-seitige INESAP-Studie und die englisch-sprachige Zusammenfassung ist gegen einen Unkostenbeitrag von 18.- DM plus Porto zu erhalten bei INESAP.

Übersetzung des INESAP-Executive Summary »Beyond the NPT: Towards a Nuclear-Weapon-Free World«, Übersetzer: Wolfgang Baus, Wolfgang Liebert, Jürgen Scheffran, Jörg Weidenfeller.

INESAP, c/o IANUS, Technische Hochschule Darmstadt, Schloßgartentr. 9, 64289 Darmstadt, Tel: 06151-163016, Fax: 06151-164321, Internet: ianus@ hrzpub.th-darmstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1995/2 Hiroschima und Nagasaki, Seite