W&F 1990/2

Eine „… umfassende, ungemein erfreuliche Erfolgsstory 1

von Rainer Rilling

I

Rüstungsforschung gehört zu den am besten geschützten Sektoren der Rüstungs- und Forschungspolitik – dies bestätigt die Vorlage des Haushaltsentwurfs 1991 der Bundesregierung. Auffällig ist, wie spurlos die dramatische Veränderung der sicherheitspolitischen Gesamtlage an der militärischen Wissenschaftspolitik der Bundesregierung vorbeigeht. Entwicklungsvorhaben, so das BMVg erst vor wenigen Tagen, „stehen in den laufenden Abrüstungsverhandlungen nicht zur Disposition.2 Eher halbherzige und längst überfällige Korrekturen in der Informationspolitik des BMVg bzw. BMFT sind die einzigen sichtbaren Indikatoren der sich entwickelnden Krise der rüstungstechnologische Dynamik. Die informationspolitische Frontbegradigung leisten der Faktenbericht 1990 zum Bundesbericht Forschung 1988 des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (April 1990) und vor allem die bemerkenswerte Antwort des BMVg auf eine äußerst verdienstvolle Kleine Anfrage der Abgeordneten Edelgard Bulmahn (SPD) et.al. über die „Entwicklung der Ausgaben für militärische Forschung sowie für Friedens- und Konversionsforschung“ (Juni 1990).

Die Korrektur hat freilich Grenzen. So behauptet das BMVg in seiner Antwort auf die Anfrage der SPD, daß die „Darstellung der Forschungs- und Entwicklungsabsichten der Bundeswehr im Verteidigungshaushalt…einen hohen Grad von Transparenz“ erreicht habe und der militärischen Forschung im Faktenbericht „breiter Raum eingeräumt3 werde. Das ist nur schwer nachvollziehbar. Der 432 Seiten starke Faktenbericht informiert auf drei Seiten (bislang: 1,5 Seiten – immerhin!) über den größten Einzelbereich der Forschungsförderung des Bundes; nicht thematisiert werden die wichtigsten Projekte (wie der »Jäger 90«), industriepolitischen Prozesse (wie die Fusion MBB-Daimler-Benz und damit die Herausbildung eines nationalen Rüstungskonzerns, der 1989 zwei von drei Entwicklungsvorhaben des BMVg durchführte, wodurch das Ministerium nach Ansicht des Bundeskartellamts „in eine weitgehende Abhängigkeit von dem Daimler-Benz-Konzern4 gerate) und die augenblicklichen globalen sicherheitspolitischen Veränderungen. Aus „Gründen des Vertrauensschutzes5 lehnt das BMVg auch explizit ab, die FuE-Aufträge an Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen oder die Auftragnehmer der Projekte zu nennen – eine Geheimhaltungspraxis, die es in zahlreichen anderen europäischen Staaten oder in den USA nicht gibt. Auch lassen sich nach Aussage des BMVg „keine Erkenntnisse darüber gewinnen“, wie viele WissenschaftlerInnen in der BRD für die Rüstungsforschung als dem immerhin wichtigstem staatlichen Aktivitätsfeld arbeiten6. Im übrigen folgen BMFT wie BMVg durchaus noch ihrer Tradition, die Beanspruchung wissenschaftlicher Ressourcen herunterzuspielen. Der Faktenbericht etwa vermerkt, daß für die Bundesrepublik ein „weit geringerer Anteil der Verteidigungsausgaben an den gesamten öffentlich finanzierten FuE-Ausgaben7 typisch sei als z.B. für Frankreich.

II

Der Hauptteil des Berichts muß freilich konzedieren, daß dieser Aufgabenbereich im letzten Jahrzehnt – bzw. im Berichtszeitraum – „deutlich zugenommen8 habe. Nach den im Faktenbericht vorgelegten – im Folgenden noch kritisch zu bewertenden und zu niedrig angesetzten – Angaben werden nahezu ein Viertel der Forschungs- und Entwicklungsfördermittel des Bundes für die militärische Forschung ausgegeben (1982: 14,7 %; 1990: 22,8 %). Nach den Daten des Faktenberichts hat die Bundesregierung seit 1982 die Ausgaben für die Rüstungsforschung mehr als verdoppelt (+104,11 % – von 1,667 Mrd DM in 1982 auf 3,404 Mrd in 1990). Unter der konservativ-liberalen Regierung ist die militärische Forschung der wichtigste einzelne Förderbereich geworden. Die Steigerungsrate der zivilen Forschung dagegen liegt mit 17,5 % nur knapp über der Hälfte des Durchschnittszuwachswertes aller Forschungs- und Entwicklungsausgaben (30,04 %). Die Bundesregierung vermeidet unter Hinweis auf das Fehlen eines spezifischen FuE-Deflators Aussagen über die Entwicklung der realen Aufwendungen für FuE. Werden die FuE-Preisindizes der EG zugrundegelegt, dann zeigt sich, daß die Bundesregierung 1988 real weniger Mittel für zivile Forschung bereitstellte als 1982 (-11,7 %). Die in den 80er Jahren stark gewachsene Bedeutung der militärischen Komponente im Forschungssystem der BRD zeigt sich auch an der Stellung des Ressorts im Vergleich zu anderen forschungsfördernden Einrichtungen: wenn der Faktenbericht 1990 davon spricht, daß das Forschungsministerium „weit über die Hälfte der Ausgaben9 des Bundes für Forschung und Entwicklung bestreite, wird die einzige wesentliche Veränderung des letzten Jahrzehnts unterschlagen: als einziges Ministerium konnte das Bundesministerium der Verteidigung unter der konservativ-liberalen Regierung seinen Anteil am Forschungsbudget des Bundes ausweiten: von 14,7 % in 1982 auf 22,8 % in 1990. Die rasche Expansion der Rüstungsforschung läuft zum vielfältig betonten Rückzug des Staates aus der Förderung der Industrieforschung und dem Abbau der „direkten Projektförderung“ konträr. Während die direkte Projektförderung des BMVg 1982 noch 24 % der Bundesausgaben für direkte Projektförderung ausmachte (BMFT: 58,1 %), waren es 1990 bereits 41 % (BMFT: 42,8 %)10. Eine Militarisierung der Projektförderung ist offensichtlich: Während die direkte Projektförderung im zivilen Forschungssektor 1990 gegenüber 1982 um 6,3 % abgenommen hat, ist die Projektförderung des BMVg um 104,6 % gestiegen. Daß die direkte Projektförderung damit immer noch rund 53 % der FuE-Ausgaben des Bundes ausmacht und zwischen 1982 und 1990 um 20,3 % gestiegen ist, geht ausschließlich auf die Ausweitung der Rüstungsforschung zurück. Seit 1987 ist das BMVg unter den Bundesressorts der wichtigste staatliche Forschungsfinanzier der Industrie geworden. 1990 sollen mit 2,755 Mrd DM 49 % der Forschungsmittel, die vom Bund an die Wirtschaft gehen, über das BMVg-Budget ausgeschüttet werden. Seit 1982 (24,5 %) konnte das BMVg seinen Anteil somit verdoppeln. Die militärischen Forschungsmittel, die vom BMVg an die Wirtschaft gehen, übertreffen die Ausgaben des Bundes an alle staatlichen Einrichtungen oder die Mittel des Bundes für sämtliche Großforschungseinrichtungen.11

III

Die sehr detaillierten Erkundigungen in der Anfrage Bulmahn et.al. haben das BMVg zu einer bemerkenswerte Revision seiner bisherigen Kalkulation des Budgets Rüstungsforschung veranlaßt. Revidiert wird nach oben. Die im Faktenbericht gegebenen Daten sind damit nur zwei Monate nach Erscheinen ad acta gelegt worden. Erstmals charakterisiert das BMVg eine Reihe von Aufwendungen als FuE-Anteile und gibt ihre Größenordnungen an: FuE-Ausgaben für die Universitäten der Bundeswehr (Kap. 1405, Kap. 1412); Aufwendungen für militärhistorische Forschungen (Kap. 1402); Meinungs- und Motivforschung (Kap. 1402); DV-Entwicklung (Kap. 1417); Ausgaben für Wehrtechnische Dienststellen (Kap. 1412, 1418, 1419, 1421); div. Ausgaben im internationalen Bereich (Kap. 05, 1422) und für Verbände (1402). Einen Teil dieser Mittel faßt das BMVg mit den bisher veranschlagten Mitteln zur Kategorie „Gesamtausgaben aus EPl. 14“ zusammen, die 1990 bei 3,778 Mrd DM liegen (bisher lt. Faktenbericht: 3,404 Mrd DM). Werden die restlichen Mittel sowie die von Bulmahn jetzt erstmals veröffentlichten Mittel des BMFT für militärische FuE12 berücksichtigt, dann liegen die Ausgaben des Bundes für militärische FuE 1990 nicht bei „nur etwa 3 Mrd DM13, sondern bei 4,007 Mrd DM (1982: 2,415 Mrd)14. Sie sind seit 1982 um 65,9% gestiegen (zivile FuE: 20,6 %). Ihr Anteil am Gesamtbudget Forschung des Bundes15 ist 1982-1990 von 20,16 % auf 25,78 % gestiegen. Von den rund 120,3 Mrd DM, die unter dieser Regierungskoalition seit 1982 für Forschung und Entwicklung ausgegeben worden sind, gingen 28,7 Mrd (23,9 %) in den militärischen Bereich.

IV

Da zentrale Forschungssteuerung vor allem durch die Beeinflussung der Rate und Verteilung von Mittelzuwächsen erfolgen kann, wird beim Vergleich der kumulierten Salden von zivilen und militärischen Forschungs- und Entwicklungsmitteln die politisch angestrebte Prioritätenstruktur besonders deutlich. Mehr als jede zweite Mark, die der Bund seit 1982 für Forschung und Entwicklung zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, ist in den militärischen Bereich geflossen: die Ausgabensteigerungen für Forschung und Entwicklung von 12,5 Mrd DM (bezogen auf das Basisjahr 1982) wurden zu 55,8% für die Rüstungsforschung verwandt. Damit ist auch die vom BMFT vielfach und an prominenter Stelle hervorgehobene Bedeutung der »Vorsorgeforschung« stark zu relativieren. Unstrittig ist, daß dieser Bereich im letzten Jahrzehnt gewachsen ist. Die jedoch im Bundesforschungsbericht 1988 von der Bundesregierung aufgestellte Behauptung, „die Vorsorgeforschung zu einem zweiten Schwerpunkt ihrer Forschungsförderung gemacht“ zu haben und sie in der Zielperspektive „auch weiterhin… als Schwerpunkt ihrer Forschungsförderung“ zu betrachten16, ist nicht zu halten. Die Förderbereiche des Bundes, die einem sozialstaatlich-ökologischen Verwendungskontext zugeordnet werden können, summieren sich 1990 auf nur 11, 6 % der aufgewandten Mittel. Sie bilden keinen „zweiten Schwerpunkt“, sondern stehen unter den aggregierten Fördergebieten an letzter Stelle: Für wirtschaftsbezogene bzw. militärische Forschung gibt der Bund fast vier- bzw. zweimal so viel aus (44,5% bzw. 25,8%)17.

V

Übrigens: Für Friedens- und Konfliktforschung stellt die Bundesregierung 1990 3,3 Mio. DM bereit. Sie meint auch, daß im Bereich der Konversionsforschung „gegenwärtig kein thematisch definierbarer Bedarf für zusätzliche staatliche Forschungsförderungsmaßnahmen18 bestehe.

Anmerkungen

1) „Die letzten acht Jahre sind für Wissenschaft und Technik in Deutschland, aber auch für die Erforschung der Bedingungen einer gefährdeten Umwelt und für die Umsetzung der Forschungsergebnisse eine außerordentliche und umfassende, ungemein erfreuliche Erfolgsstory.“ – BM Riesenhuber in der Debatte zum Faktenbericht 1990 zum Bundesbericht Forschung 1988 am 20.6.1990 Zurück

2) 11. Dt.Bundestag, Drcks. 11/7373 v. 12. 06. 1990 „Die Entwicklung der Ausgaben für militärische Forschung sowie für Friedens-und KonversionsforschungZurück

3) Drcks. 11/7373, S.3 Zurück

4) Bundeskartellamt, 1989, Beschluß, S.80 Zurück

5) Drcks. 11/7373, S.9,16 Zurück

6) Drcks. 11/7373, S. 7 Zurück

7) Faktenbericht 1990, Vorausexemplar (März 1990), S. XIX Zurück

8) Faktenbericht 1990, S. 19 Zurück

9) Faktenbericht 1990, S. 13 Zurück

10) Faktenbericht 1990, S. 544f. Der Anteil der direkten Projektförderung am FuE-Budget des BMVg stieg somit von 82% (1982) auf fast 91% (1990). Zurück

11) Vgl. Faktenbericht 1990, S. 546f. Auf die Rüstungswirtschaft entfielen somit 1983 wie 1988 rund 78 % der FuE-Aufwendungen des BMVg. Die Angaben über die Aufteilung der FuE-Aufwendungen auf verbrauchende Einrichtungen differieren im übrigen stark; der Wissenschaftsrat (Empfehlungen zu den Perspektiven der Hochschulen in den 90er Jahren, Köln 1988, S.48) gibt an, daß 1987 18,7 Mio DM in den Hochschulen verausgabt wurden (Projektmittel); der Faktenbericht (S.184) spricht dagegen von 40 Mio DM in 1987 und 31 Mio. DM in 1988 – für dieses Jahr gibt die Antwort des BMVg auf die SPD-Anfrage einen Betrag von 36,9 Mio DM an (Drcks. 11/7373, S. 16). Zurück

12) Bulmahn, E., Keine Abstriche an militärischen Großprojekten – Ausgaben für Rüstungsforschung bleiben auf Rekordhöhe, in: Sozialdemokratischer Pressedienst Wirtschaft v.3.7.1990, S.6. Daß sich diese Mittel seit 1982 (317 Mio.DM) halbiert haben sollen (1990: 146 Mio. DM), findet im Förderprofil des BMFT wenig Anhaltspunkte und mag sich aus dem spürbaren Bestreben des BMFT erklären, den zivilen Charakter des bundesdeutschen Forschungssystems bzw. des BMFT zu betonen. Zurück

13) Faktenbericht 1990, S. 356 Zurück

14) Die beträchtlichen Mittel für »freie« Forschung sind hier nicht berücksichtigt; zugleich rubriziert das BMVg eine Reihe von Budgetbestandteilen nicht als FuE-Ausgaben, die durchaus als solche betrachtet werden könnten: Kosten für Fachbeiräte und Sachverständige, Dokumentation, Systemanalysen, militärgeorgraphische Arbeiten, für internationales FuE-Management großer technischer Entwicklungsprojekte, für das v.-Karman-Institut, Verbände (wie der Dt.Gesellschaft für Wehrkunde oder der Dt. Atlantischen Gesellschaft) und für FuE-Anteile der Dienststellen bzw. Erprobungseinrichtungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schiffen und Flugzeugen; ebensowenig werden Dual-Use-Projekte anderer Bundesministerien (insbesondere des Bundesministeriums für Wirtschaft) berücksichtigt. Vgl. hierzu etwa die Mitteilung der Bundesregierung an den Verteidigungsausschuss in 1989: „die Programme des Bundesministers für Forschung und Technologie wie auch diejenigen der Europäischen Gemeinschaft werden zunehmend im Sinne von »dual use« genutzt bzw. in dieser Richtung beeinflußt“, zit.nach Bulmahn, E., Abstriche, S.2 Zurück

15) Dem im Faktenbericht ausgewiesenen Gesamtbudget Forschung sind daher einige bislang nicht als FuT-Mittel veranschlagte Aufwendungen zuzurechnen (Dienststellen; Verbände; FuE-Anteil der Bundeswehruniversitäten; Beiträge an die NATO bzw. internationale Organisationen sowie Aufwendungen für diverse sozialwissenschaftliche und historische Forschung; sie summieren sich 1990 auf 521,1 Mio DM (1982: 429,5 Mio DM). Zurück

16) Bundesbericht Forschung 1988, S. 20 Zurück

17) Nachweise im einzelnen in: Stegmüller, Klaus, Die FuT-Politik der Bundesregierung, in: Forum Wissenschaft 2/1990 S.61ff. sowie FIB (Hg.), Ökologischer Umbau der Forschungs- und Technologiepolitik – Gedanken zu einer Neuorientierung, Forum Wissenschaft, Studienheft 12, Marburg 1990. Zurück

18) Drcks. 11/7373, S.25 Zurück

Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des BdWi

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1990/2 1990-2, Seite