Eine Welt ohne A-Waffen
von Jürgen Nieth
Als Barack Obama am 5. April 2009 in seiner Prager Rede für eine Welt ohne Atomwaffen plädierte, sprach »Die Zeit« (08.04.09) von „Eine(r) hinreißende(n) Vision“. Die Mehrheit der anderen deutschsprachigen Zeitungen war da skeptischer: „Prager Frühling – Obama will Atomwaffen abschaffen, konkrete Schritte bleiben aus“ (Frankfurter Rundschau/FR, 06.04.09), „Keiner will der erste sein“ (Berliner Zeitung/BZ, 07.04.09), „Die Grenzen der Abrüstung“ (Süddeutsche Zeitung/SZ, 07.04.09), „Obamas Denkfehler“ (Die Tageszeitung/taz, 18.05.09). Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ, 18.04.09) sah nach dieser Rede „Eine neue Welt mit Atomwaffen“ und schrieb: „Man kann in der Politik vieles wünschen, und manchmal bewegt der Wunsch auch etwas. Ohne Visionen bleibt der Blick an der zähen Gegenwart kleben, ohne Bilder der Phantasie ist man dem Status Quo und den Zeitläufen ausgeliefert… Mit der Bemerkung, er werde die kernwaffenfreie Welt wohl selbst nicht erleben, das Ziel liege weit weg, relativiert er das große Vorhaben wieder.“
Obama vor der UNO
Am 23.09.2009 hat der Sicherheitsrat der UN auf Vorschlag von US-Präsident Obama einstimmig eine Resolution angenommen, in der die Ratsmitglieder sich verpflichten, „eine sichere Welt für alle zu suchen und die Vorbedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“. Diesmal reagierte die Presse deutlich positiver: „Absage an alle Atomwaffen – Sicherheitsrat mit »historischer« Resolution“ (FR 25.09.09), „Sicherheitsrat rüstet nuklear ab“ (Financial Times Deutschland/FTD 25.09.09), „UN-Sicherheitsrat für eine Welt ohne Atomwaffen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.09), „UNO-Signal für die Atomabrüstung“ (NZZ, 25.09.09), P. A. Krüger überschrieb seinen Kommentar in der SZ (22.09.09): „Sanfte Appelle und konkrete Schritte.“ Um welche Schritte geht es?
Atomwaffensperrvertrag stärken…
Nimmt man die Kommentare der SZ und der FR, dann geht es bei der Initiative Obamas in erster Linie darum, „eine Eigendynamik in Gang zu setzen, die beitragen soll, den Atomwaffensperrvertrag (NPT) zu stärken. Die USA sehen in ihm das zentrale Instrument, um der weiteren Verbreitung von Atomwaffen Einhalt zu gebieten. Sein Fundament bröselt, nicht nur wegen der Atomtests in Nordkorea und Irans verdächtiger Aktivitäten. Die Überprüfungskonferenz 2005 scheiterte auch daran, dass sich die USA weigerten, auch nur über ihre Pflicht zu reden, atomar abzurüsten.“ (P. A. Krüger, SZ, 22.09.09) „Der Text verlangt von allen Staaten, die dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 noch nicht beigetreten sind, diesen Schritt rasch nachzuholen, ‚damit zu einem baldigen Zeitpunkt die Universalität des Abkommens erreicht wird‘. In der Zwischenzeit sollen die drei noch ausstehenden Staaten – Indien, Pakistan und Israel – informell die Vertragsbestimmungen respektieren.“ (P. Simonitsch, FR, 25.09.09)
… und was wird aus dem Teststoppvertrag?
Neben dem NPT ist der Teststoppvertrag (CTBT) der zweite wichtige internationale Vertrag zu den A-Waffen. „Beide waren zuletzt durch das Desinteresse der Nuklearmächte geschwächt worden. … Obama versprach (jetzt) eine Lücke zu schließen und den Teststoppvertrag CTBT, der die Zündung von Kernwaffen verbietet, zu ratifizieren. Neun Nationen verhindern bisher, dass der CTBT in Kraft tritt, China, Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea – und die USA. Die USA haben das Abkommen (...) bis heute nicht zur Ratifikation durch den Senat gebracht.“ (M. Koch, SZ 25.09.09) Auch diesmal ist das nicht sicher, da Obama hier auf Stimmen der Opposition angewiesen ist. J. Borger sieht die Entwicklung im »Freitag« (01.10.09) noch kritischer: „Im Pentagon kursiert der Entwurf zu einer Studie (Draft Nuclear Posture Review), die sich einer Neubewertung der nationalen Atomwaffenpolitik widmet und damit nicht nur hinter Obamas Visionen zurückfällt, sondern sogar eine Art Gegenverkehr in Bewegung setzt.“ Borger verweist weiter darauf, dass Verteidigungsminister Robert Gates der Idee anhänge „eine neue Generation von Sprengköpfen erproben zu lassen, da nur so die Einsatzbereitschaft der US-Atomwaffen garantiert bleibe. Erst wenn man dies getan habe, seien ein Abbau der Arsenale und das dauerhafte Verbot von Atomtests denkbar.“
Nuklearterrorismus verhindern
Die Absicht, bestehende Vertragswerke zu stärken und die Bereitschaft zur Reduzierung der A-Waffenbestände, sollte nach Auffassung mehrerer KommentatorInnen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, einen Nuklearterrorismus zu verhindern. So betonte der abtretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur, Baradei, die „drohende Gefahr der nuklearen Aufrüstung von nichtstaatlichen Akteuren und von Terrorgruppen. Über 90 Staaten seien gar nicht oder nur ungenügend den Kontrollinspektionen der Agentur gemäß dem NPT unterworfen“. (NZZ, 25.09.09) In der BZ (25.09.09) schreibt E. Schweitzer: „Es soll die Verbreitung von Nuklearmaterial unterbunden werden, um nuklearen Terrorismus zu verhindern. Vier Jahre setzt das Gremium dafür an, eine Frist für die Verschrottung der Kernwaffen hingegen wird nicht genannt.“ Und S. Muscat hebt in der »Financial Times« (25.09.09) hervor, dass Obama „dazu eine separate nukleare Sicherheitskonferenz angeregt“ hat. Dort sollen „auch Mechanismen für die friedliche Nutzung von Kernenergie entwickelt werden, die ein Anreiz für Staaten wie den Iran sein könnten, ihre eigenen Atomprogramme aufzugeben.“ Andreas Zumach formuliert es direkter: Die Initiative Obamas zielt darauf ab, „den internationalen Druck auf Atomwaffenaspiranten wie Nordkorea oder den Iran zu erhöhen.“ (taz, 25.09.09)
Entspannung mit Fußangeln…
… sieht Karl Grobe (FR 24.09.09): „Mit einer Resolution, einem Bündel von Abkommen… wird die Utopie nicht zur Realität. Das wissen alle Beteiligten. Falls sie noch rechtzeitig den am Jahresende auslaufenden Start-Vertrag verlängern, das Grundsatzabkommen, das jeder Rüstungsbegrenzung zugrunde liegt, ist ein Beispiel gegeben. Abrüstung ist das immer noch nicht. Doch eine Verkleinerung der Atomwaffen-Arsenale ist möglich; im Grundsatz sind ja alle dafür. Die beiden Großen besitzen rund 95 Prozent. Falls sie sich einigen können, jeweils ein Viertel abzubauen ist einiges besser geworden, aber noch nichts richtig gut.“