W&F 2007/4

Eingebettete Gewalt

Der Bürgerkrieg in Darfur

von Kurt Beck

Am 31. Juli 2007 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig die lange erwartete Resolution 1769 zur Situation in Darfur verabschiedet. Die Resolution, ursprünglich schärfer gefasst und mit Sanktionsmöglichkeiten gegen die Regierung des Sudans versehen, dann aber nach Widerstand der sudanesischen Regierung und ihrer Verbündeten, hauptsächlich Chinas, entschärft, ermächtigt die Vereinten Nationen, eine Blauhelmtruppe zur Unterstützung des Friedensprozesses und zum Schutz von Zivilpersonen nach Darfur zu entsenden.

Die zunächst auf ein Jahr befristete Mission (UNAMID) soll 26.000 Personen (knapp 20.000 Militär und ca. 6.000 Polizei) umfassen und bis Ende des Jahres die 7.000 Mann starke Truppe der Afrikanischen Union (AMIS), welche seit Herbst 2004 in Darfur stationiert ist, vollständig assimiliert haben. Im Vergleich zur Beobachtermission der Afrikanischen Union verfügt UNAMID über ein weiter gehendes Mandat, ist etwa ausdrücklich aufgefordert, auch mit militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilpersonen vorzugehen.1 Damit keimt erneut die Hoffnung auf Beilegung eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrika, der seit 2003 über 2 Mio der 7 Mio Darfuris zur Flucht gezwungen und bis zu 300.000 das Leben gekostet haben soll.

Um die genozidale und rassistische Dimension hervorzuheben, haben einige Beobachter den Darfurkonflikt zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda als »Ruanda im Zeitlupe« bezeichnet. »Südsudan im Zeitraffer« wäre treffender, wenn auch weniger dramatisch. Gewiss, es hat blutige Massaker unter den Ethnien Fur und Masalit gegeben, z.B. Massenexekutionen an mehreren hundert wahllos zusammengetriebenen Bauern im Wadi Salih in den südwestlichen Vorbergen des Jabal Marra. Regierungstruppen und Milizen haben tausende, vermutlich zehntausende Zivilisten getötet. Mädchen und Frauen wurden massenhaft vergewaltigt, Kinder geraubt, zehntausende Stück Vieh weggetrieben, Moscheen geschändet, Dörfer und Ernten verbrannt, Brunnen und öffentliche Gebäude zerstört. Was sich in Darfur ereignet, kann kaum anders denn als ethnische Säuberung durch Zerstörung, Vertreibung und Töten begriffen werden.2 Dennoch ist die große Mehrzahl der Opfer nicht in einem gewaltigen Blutrausch abgeschlachtet worden wie in Ruanda, sondern sie sind aufgrund von Unterernährung und Krankheiten ums Leben gekommen. Einige Kommentatoren haben daher von Genozid durch Auszehrung gesprochen.

Aufstandsunterdrückung und Vernichtungsfeldzug

Ende 2002 kamen vereinzelte Gerüchte über eine Rebellenorganisation namens »Darfur Liberation Front« im Jabal Marra-Bergland im Herzen der Region Darfur auf. Im Frühling schließlich wurde bekannt, dass die Rebellen, nun unter dem Namen »Sudan Liberation Movement/Army« und JEM (Justice and Equality Movement), einige kleinere Städte im Gebiet der Fur im Jabal Marra-Massiv und im Gebiet der Zaghawa nahe der Grenze zum Tschad erobert hatten. Ende April 2003 gelang es ihnen sogar, El Fasher, die alte Hauptstadt Darfurs einzunehmen und die Stadt einige Tage zu halten. Dies waren keine tribalen Konflikte oder das Werk von Banditen, sondern ein Aufstand und eine öffentliche Kriegserklärung an die Regierung in Khartum.

Die Reaktion aus Khartum kam spät, dafür aber brutal. Obwohl ein großer Teil der Regierungstruppen im Bürgerkrieg gegen die »Sudan Peoples’ Liberation Army« (SPLA) im Süden des Landes gebunden war, hatte die Armee bis Juli 2003 genügend Truppen verlegt, um eine groß angelegte Offensive in Norddarfur zu beginnen. Angesichts der Bomberangriffe auf Dörfer und der systematischen Zerstörung von Siedlungen der Fur und Zaghawa wurde bald deutlich, dass die Kriegsführung einer Strategie der verbrannten Erde folgte. Die zweite Strategie sollte sich allerdings als weit verheerender erweisen. Sie bestand darin, arabische Milizen, die seither der Weltöffentlichkeit unter dem Namen Janjawid bekannt wurden, zu rekrutieren und zu bewaffnen. Diese Strategie ist von einem Beobachter treffend als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art beschrieben worden3 – auf die schmutzige Art wäre auch eine treffende Bezeichnung, denn die Kriegsführung der Janjawid lässt sich nur in Termini eines ungehemmten Vernichtungsfeldzugs gegen die Ethnien begreifen, aus denen sich die Rebellengruppen rekrutieren. Zum Verständnis der Entwicklung ist ein Blick auf den politischen Kontext und die Geschichte hilfreich.4

Darfur, ein marginalisiertes Grenzland

Darfur ist die westlichste Region der Republik Sudan, flächenmäßig etwa so groß wie Frankreich, mit einer Bevölkerung von rund 7 Mio. Einwohnern allerdings sehr dünn besiedelt. Es hat gemeinsame Grenzen mit dem Südsudan im Süden, mit der zentralafrikanischen Republik im Südwesten, im Westen mit dem Tschad und ganz im Norden mit Libyen. Diese Grenzen sind Teil des Konflikts. Sowohl der Südsudankonflikt hatte seine Auswirkungen, als auch die Politik Libyens, das seit den achtziger Jahren die unzufriedenen Abenteurer aus der ganzen Sahelregion in seine Islamische Legion rekrutierte, um damit in die regionalen Konflikte zu intervenieren.

Der nördliche Teil Darfurs ist Wüste. Hier leben Kamelnomaden, arabische Nomaden wie die nördlichen Rizaiqat und nichtarabische Nomaden wie die Zaghawa, deren Siedlungsgebiete sich weit über die Grenze in den Tschad ziehen. Der Norden Darfurs leidet wie die ganze Sahelregion unter Austrocknung und Desertifikation. Auch dies ist Teil des Problems, denn die Nomaden drängen seit Mitte der 1980er Jahre mit ihren Herden auf die fetteren Weiden Zentraldarfurs, was zu erheblichen Ressourcenkonflikten mit den dortigen Bauern geführt hat.

Zentral- und Westdarfur erhalten genügend Niederschläge für Hirseanbau und Gartenbau. Hier leben die bäuerlichen Ethnien Fur, ferner die Masalit, deren Gebiete sich im Tschad fortsetzen, die Berti und einige weitere nichtarabische Ethnien. Seit den 1980er Jahren fand dort in den begünstigten Lagen eine massive landwirtschaftliche Expansion statt, in deren Folge auch Wanderwege von Nomaden versperrt, Weiden unzugänglich gemacht und der Zugang zu Brunnen erschwert wurden, und dies gerade in einer Zeit, in der die Nomaden Norddarfurs ihre Herden vor den Dürren retten wollten.

Der Süden Darfurs ist für Rinderzucht und Hirseanbau geeignet. Hier befindet sich das Gebiet der unter der Bezeichnung Baqqara (Rinderleute) zusammengefassten Rizaiqat, Maaliya und Beni Halba sowie Salamat, letztere in ihrer Mehrheit bereits über der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. Historische Migrationen und nachbarschaftliches Zusammenleben haben allerdings dazu geführt, dass alle diese Ethnien zu einem gewissen Maß miteinander vermischt lebten, zumindest bis in die 1980er Jahre, bevor nach einer langen Periode relativen Friedens die großen Stammeskriege ausbrachen. Ferner brachten die Wanderungen der Nomaden eine gewisse Mobilität in die Siedlungsstruktur.

Diese Wanderungen verursachen immer wieder Reibungen, sei es wegen Flurschäden oder gestohlenen Tieren, und massive Verlagerungen wie 1983/4 infolge mangelnden Regens oder schlechter Weide haben immer wieder die Gefahr gewaltsamer Ressourcenkonflikte heraufbeschworen. Die Gesellschaft der Savanne hat nie konfliktfrei funktioniert; individuelle gewaltsame Konflikte und manches Mal Stammeskriege gehörten als ein integraler Teil zur Sozialstruktur der Savanne. Aber es existierten eben auch politische und rechtliche Institutionen, um die aufkommenden Konflikte zu zähmen. Von Fall zu Fall mögen diese Institutionen sehr alt sein, sicher ist aber, dass die englische Kolonialverwaltung sie im Rahmen ihrer Eingeborenenverwaltung in den 1920er Jahren in der Form von Stammesgerichtsbarkeit und intertribalen Verhandlungen regularisierte und dass sie bis in die 1980er Jahre die kleine alltägliche Gewalt in der Savanne zwar nicht verhinderten, aber doch allgemein akzeptiere Verfahren zu ihrer Eindämmung bereitstellten und – dies ist der springende Punkt – einer militärischen Eskalation vorbeugten. Letztliche Voraussetzung dafür war aber immer der Rückhalt durch die Macht des Staats.

Der Staat und die Savanne – die Wiederkehr der Vorgeschichte

Selbst wenn man nicht bis in pharaonische und meroitische Zeiten zurückgeht, ist der Staat doch eine alte Institution im Sudan. Das Sultanat Darfur (ca. 1650 bis 1916) und westlich davon das Sultanat Masalit fügten sich in die Kette der Staaten in der afrikanischen Savanne, die von Westafrika bis zum äthiopischen Hochland reichte, alle mehr oder weniger auf dem Handel, insbesondere dem Sklavenhandel nach Nordafrika und die Levante gegründet. Historisch lag das Sultanat Darfur mit seinem Zentrum im Jabal Marra in Konkurrenz mit einer ganzen Abfolge von östlichen Nachbarn am Nil, angefangen vom Schwarzen Sultanat der Funj (1501-1820), über den ägyptischen Kolonialstaat (1820-1881) und den mahdistischen Staat (1882-1898) bis zum anglo-ägyptischen Kolonialstaat (1898-1955). Erst im Ersten Weltkrieg wurde Darfur in den anglo-ägyptischen Sudan integriert.

Keiner dieser Staaten sollte mit einem modernen Nationalstaat verwechselt werden. Dennoch ist diese Art von Vorgeschichte lehrreich für ein Verständnis des aktuellen Konflikts. Die Staaten besaßen ihre Machtzentren am Fuß des Jabal Marra oder am Zusammenfluss des Weißen und des Blauen Nils, aber auf dem Land nahm die Macht ihrer Herrscher mit zunehmender Entfernung von den Zentren schnell ab. Die Savannen bildeten ein tribales Grenzgebiet zwischen den Staaten, das nur sehr punktuell durch Allianzen mit lokalen Kriegsherren, die im Austausch wiederum Anerkennung als Stammesführer erhielten, und durch militärische Kampagnen regiert wurde. Stammesführer und ihre Kavallerien waren aus einer Reihe von Gründen nützlich: um die eigenen Handelsrouten zu schützen, um die der konkurrierenden Nachbarn zu stören, um das Grenzgebiet im Vorfeld des Staates abzuschirmen, um die tribalen Allianzpartner der Konkurrenten in Schach zu halten und Krieg in das Vorfeld des konkurrierenden Staats zu tragen. Aber diese Allianzen waren immer zweischneidig, denn Stammesführer und ihre Milizen beschränkten sich nie auf Gewaltausübung im Namen des Staats. Sie hatten ganz im Gegenteil ihre eigenen lokalen Ambitionen, u. a. Brunnen und Weidegebiete zu erobern, Vieh und Sklaven zu rauben, und dies mit Rückendeckung, aber bei Gelegenheit auch gegen den Willen ihrer Sultane.

Damit soll nicht impliziert sein, dass die Janjawid von heute umstandslos einer ungebrochenen Tradition in der Savanne folgen. Denn erstens blüht die Gewalt heute in einer historisch unvorstellbaren Dimension. Und zweitens hat der Staat, angefangen mit der kolonialen Pazifizierung und der Einrichtung der Eingeborenenverwaltung, über mehrere koloniale und postkoloniale Verwaltungsreformen hinweg bewiesen, dass die Gewalt im Grenzland des Staats zähmbar ist. Aber dies gilt eben nur, solange der Staat den politischen Willen und die Ressourcen dazu tatsächlich auch besitzt. Das Gegenteil ist heute der Fall! Der Staat hat seinen mit Mühe errungenen Anspruch auf das Monopol legitimer Gewaltausübung aufgegeben, die lokalen Verwaltungen in Darfur sind nach der Abschaffung der auf die Kolonialzeit zurückgehenden Verwaltungsinstitutionen im Jahr 1982 und der finanziellen Ausblutung derjenigen Institutionen, die ihren Platz einnehmen sollten, geschwächt. Wiewohl formell innerhalb staatlicher Grenzen, sind die Savannen doch wieder offen für die Gewalt aus den benachbarten Staaten. Die zeitgenössischen Sultane, ob sie nun in Tschad, Libyen oder Sudan herrschen oder die Herrschaft an sich reißen wollen, haben wieder begonnen, Allianzpartner in der Savanne für ihre Kriege zu sammeln. Und zu den Allianzpartnern der sudanesischen Regierung gehören die Janjawid.5

Das historische Muster kommt wieder zum Vorschein, seit sich die Struktur der gewaltoffenen Grenze seit den frühen 1980er Jahren wieder ausgebildet hat. Die tschadischen Bürgerkriege wurden weitgehend auf darfurischem Gebiet ausgefochten, angefangen mit dem Sturz der Regierung Goukouni im Juni 1982 durch Hissène Habre mithilfe der Zaghawa aus dem sudanesischen Grenzland und Gadhafis Rekrutierung für seine islamische Legion aus den arabischen Ethnien. Im Dezember 1990 stürzte Idriss Déby seinerseits die Regierung Habre. Zur selben Zeit versuchte die SPLA eine zweite Front in Darfur zu etablieren und die tribalen Milizen, welche die sudanesische Zentralregierung gegen die SPLA ausgerüstet hatte, wandten sich auch Darfur zu. Seit 2005 sammeln sich wieder die tschadischen Rebellen mit Unterstützung der sudanesischen Regierung im darfurischen Grenzland6. Die tschadische Regierung dagegen unterstützt gezielt darfurische Rebellenmilizen, die aus den Flüchtlingslagern im Tschad rekrutieren und im Gegenzug die arabischen tschadischen Rebellenmilizen binden sollen. Angehörige arabischer Ethnien wie Mahamid und Salamat, aus dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik vertrieben, besiedeln inzwischen Gebiete in Darfur, aus denen vorher die arabischen Milizen Fur und Masalit vertrieben haben, u. a. das Gebiet der Massaker im Wadi Salih.

In der gesamten Region werden wieder die Konflikte zwischen den Herrschern und den Prätendenten auf die Herrschaft ausgefochten. Der Krieg ist von den Herrschern als Stellvertreterkrieg oder als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art gedacht, wird aber eben auch mit lokalen Ambitionen geführt. Das Grenzland hat sich zu einem Schlachtfeld entwickelt, auf dem allerhand Kriegerbanden agieren, seien dies Regierungstruppen oder Rebellen, dörfliche und nomadische Milizen, oder einfach nur Banditen oder Banden von Stammeskriegern, welche die Gelegenheit wahrnehmen, straflos ihre kleinen Kriege und Raubzüge unter dem Schirm der großen Konflikte zu führen. Eingebettete Gewalt könnte man dies wegen der Dynamik mehrfach ineinander verschachtelter Konflikte nennen.

Ethnizität, Tribalismus, Rassismus

Besonders blutig werden diese Konflikte, wenn sie gebündelt und auf einen ideologischen Generalnenner gebracht werden. Der Gesamteffekt all dieser Entwicklungen – Dürre, Migrationen und Ressourcenkonflikte, importierte Gewalt, Schwächung der lokalen Verwaltungen – war ein erster Ausbruch von ethnischer Gewalt in den späten 1980er Jahren. Ethnizität ist unter gewissen Umständen leicht anfällig für Militarisierung, zumindest bietet ethnische Zugehörigkeit ein ideales Rekrutierungsmuster. Darfur zur Zeit der Renaissance der Fur in den 1980er Jahren bietet ein Lehrbuchbeispiel für politische Ethnizität und die Ausbildung eines militanten Tribalismus. Ähnlich exemplarisch – diesmal für Rekrutierung über religiöse Zugehörigkeit – ist der Südsudankonflikt. Aber im Gegensatz zu dem jihadistisch dargestellten Bürgerkrieg im Südsudan fehlen in Darfur, wo sich alle zum Islam bekennen, dafür die Voraussetzungen. Mit der Bündelung der ethnischen Antagonismen in ein Lager der Zurqa (Schwarze, mit einem Beiklang von Sklaven) und ein Lager der Araber blüht heute in Darfur jedoch der Rassismus. Auf der einen Seite stehen die Ethnien, die im Sudan als afrikanisch gelten und auf der anderen Seite diejenigen, die als arabisch gelten.

Nach der Unabhängigkeit des Sudans wurde Darfur durch Verwaltungsbeamte aus der politischen Elite des Niltals regiert. Intellektuelle aus Darfur betrachteten dies als internen Kolonialismus in Termini einer alten Opposition zwischen der einheimischen marginalisierten Bevölkerung und den besser entwickelten Gebieten des zentralen Niltals.7 Schon in den 1960er Jahren meldeten sich die ersten Organisationen zu Wort, die eine stärkere Berücksichtigung darfurischer Interessen forderten, die frühen 1980er Jahre sahen eine Reihe von Streiks und Demonstrationen in den darfurischen Städten und schließlich setzte die Zentralregierung 1981 einen Darfuri als Gouverneur ein. Der Gouverneur stammte aus der Ethnie der Fur, als sein Stellvertreter wurde der zahlenmäßigen Bedeutung der Ethnien entsprechend ein Zaghawi bestellt.

Im politischen Bewusstsein der Savanne erlebte damit die alte Herrschaft der Fur eine Renaissance. Was folgte, war eine massive Tribalisierung der Verwaltung. Dies war auch die Zeit der Expansion der Landwirtschaft am Jabal Marra. Dann aber kamen die Dürren bei Zaghawa und arabische Nomaden und der Zuzug der Herden aus dem Norden mit den begleitenden Ressourcenkonflikten. Die Fur-Bauern verteidigten ihre Felder, Nomaden versuchten Zugang zu Weiden und Wasserstellen zu erzwingen. Milizen formierten sich, die Zaghawa setzten auf ihre tschadischen Beziehungen, die Fur wandten sich an Armee und Polizei. Zwischen 1983 und 1987 herrschte praktisch Kriegszustand zwischen Fur und Zaghawa. Die Fur beriefen sich auf ihre einheimischen Landrechte aus der Zeit des Sultanats, die Nomaden forderten ihren nie ganz unumstrittenen, aber gewohnheitsmäßigen freien Zugang als sudanesische Bürger. Im Verlauf des Konflikts wurden Siedlungen der Zaghawa niedergebrannt und mehrere ihrer Führer von den Sicherheitskräften der Fur exekutiert. Und die arabischen Nomaden, von der darfurischen Verwaltung ausgeschlossen und von den Weiden ausgesperrt, mussten erbittert zusehen, wie ihre Tiere verendeten und ihre Lager von darfurischen Sicherheitskräften zerstört wurden. Sie wandten sich zunächst an die Regierung in Khartum und als von dort keine Hilfe kam, setzten sie auf die libysche Karte. In dieser Zeit formierte sich unter dem Einfluss der Heimkehrer aus der Islamischen Legion und ihrer panarabischen Ideologie die arabische Sammlungsbewegung und zum ersten Mal kam die Rede von Darfur als Teil eines arabischen oder eines schwarzen Gürtels in der Savanne auf. Im Jahr 1987 schließlich brach der Krieg der arabischen Milizen gegen die Fur aus, ein gebündelter Stammeskrieg unter Führung der arabischen Sammlungsbewegung, und daher lokal als „Krieg der Stämme“ bezeichnet. 1989 folgte eine Friedenskonferenz in Darfur, aber inzwischen waren die Kontrahenten klar in ethnischen Lagern aufgestellt, die Kriegsbeute, Darfur, wurde immer mehr unter rassistischen Gesichtspunkten betrachtet. Es ging nicht mehr nur um kleine Ressourcenkonflikte, auch nicht mehr um Stammeskriege, sondern um die Vorherrschaft entweder der Afrikaner oder der Araber über ganz Darfur.

Auch nach den Friedensvereinbarungen von 1989 setzte sich der Konflikt, wenn auch auf niedrigem Niveau, fort, intensivierte sich jedoch gegen Ende der neunziger Jahre insbesondere zwischen Masalit und arabischen Nomaden an der Grenze zum Tschad. Es wurde bald deutlich, dass die neue Zentralregierung des Sudans, 1989 durch einen Putsch an die Macht gekommen, mit ihrer islamistisch-arabischen Ideologie die rassistische Interpretation des Konflikts in Darfur weiter schürte. Die von der Militärregierung eingesetzten Kommissare aus dem Niltal bauten auf die Unterstützung der arabischen Ethnien und unterstützten sie ihrerseits. In dieser Zeit bereits entstand der militärisch-politische Komplex aus Milizen, Geheimdiensten und Armee. Arabische Milizen im Gebiet der Masalit konnten ungehindert Dörfer der Bauern überfallen und genossen sogar bei Gelegenheit die Unterstützung der Armee.

Schließlich vereinigten sich 2002 Milizen der Fur, der Masalit und der Zaghawa zur Darfur Liberation Front und begannen wie bereits geschildert ihre Rebellion gegen die Zentralregierung. Zu deren Ausbruch gerade zu diesem Zeitpunkt mag beigetragen haben, dass die Zentralregierung immer mehr als Feind der afrikanischen Bevölkerung in Darfur galt und der Moment, als gerade die Friedensverhandlungen zwischen der Zentralregierung und der SPLA aus dem Südsudan begannen, als besonders günstig erachtet wurde, um auch Darfur mit seinen Problemen einen Platz am Verhandlungstisch zu erzwingen. Wenn dies die politische Überlegung war, dann beruhte sie auf einer dramatischen Fehleinschätzung der Zentralregierung, die, statt Interesse an einer politischen Lösung zu zeigen, über ihren politisch-militärischen Komplex zur Strategie der Aufstandsunterdrückung auf die billige Art griff und damit den Vernichtungsfeldzug gegen die afrikanischen Ethnien Darfurs eröffnete.

Die Ausbreitung des Konflikts

Lange schon hat sich der Darfurkonflikt auf den Tschad ausgedehnt. Um die 300.000 Flüchtlinge aus den afrikanischen Ethnien Darfurs leben seit 2003/4 in Lagern und in Siedlungen im östlichen Tschad. Arabische Milizen haben sie häufig über die Grenze verfolgt. Und die Janjawid rekrutieren sich neben den nördlichen Rizaiqat wesentlich aus arabischen Nomaden, die aus dem Tschad zugewandert sind und inzwischen begonnen haben, sich in den entvölkerten Gebieten Westdarfurs niederzulassen. 2005 begannen sich im östlichen Tschad bewaffnete Rebellengruppen gegen die Regierung Deby zu formieren. Seit Oktober 2005 waren Teile der Armee, auch aus dem innersten Kreis seiner hauptsächlich aus Zaghawa bestehenden Regierung, offenbar aus Unzufriedenheit über die Verteilung des neuen Ölreichtums im Tschad zu den Rebellen übergelaufen. Im April 2006 versuchten sie aus dem darfurischen Grenzland heraus die Hauptstadt N’Djamena zu erobern, wurden aber mit Unterstützung der französischen Armee zurückgeschlagen und haben seither eine Reihe von Niederlagen erlitten, sich aber mit Unterstützung der Janjawid und der sudanesischen Armee im Grenzland zwischen der Zentralafrikanischen Republik, Sudan und Tschad eingenistet, wo sie inzwischen als integraler Teil des Konflikts agieren.

Im April 2004 unterzeichneten die Rebellen und die sudanesische Regierung einen von der tschadischen Regierung und der Afrikanischen Union vermittelten Waffenstillstandsvertrag im Hinblick auf spätere Friedensverhandlungen, aber keine Seite hielt sich lange an ihn, am wenigsten die arabischen Milizen. Nach lange hingezogenen Verhandlungen, die immer wieder durch Nachrichten von Überfällen und Kämpfen unterbrochen wurden, kam es schließlich zu einem Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und einer der Rebellengruppen im April 2006.

Aber bereits während der Verhandlungen hatten sich die Rebellengruppen in eine Vielzahl von unabhängig voneinander operierenden Milizen aufgespalten. Vorher überspielte Interessengegensätze waren aufgebrochen, Feldkommandeure hatten sich gegen ihre Führer im Exil aufgelehnt, Milizen hatten unkontrolliert zu marodieren begonnen; ferner hatten sich Rebellenorganisationen entlang ethnischer Linien gespalten und neue Organisationen waren aufgetaucht, um ebenfalls einen Platz am Verhandlungstisch zu beanspruchen. Dazu kommt, dass inzwischen die arabischen Milizen, hochgerüstet wie sie sind, wieder damit begonnen haben, ihre kleinen Kriege gegeneinander auszufechten. Heute, nach der Unterzeichnung des Abkommens erscheint der Konflikt unkontrollierbarer denn je. Jetzt besteht neue Hoffnung, dass die UNAMID-Mission die Gewalt in Darfur einzudämmen vermag.

Anmerkungen

1) Resolution 1769 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, siehe www.un.org/News/Press/docs/2007/sc9089.doc.htm. Der AMIS-Einsatz beruhte auf der Resolution 1556 des Sicherheitsrats von 30. Juli 2004, siehe www.un.org/Depts/german/sr/sr_03-04/sinf59final.pdf.

2) Die Ereignisse sind gut dokumentiert durch mehrere Berichterstattermissionen der Vereinten Nationen, durch AMIS und durch die Tätigkeit internationaler Menschenrechtsorganisationen, v. a. Human Rights Watch: Darfur in Flames. Atrocities in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Darfur Destroyed. Ethnic Cleansing by Government and Militia Forces in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Empty Promises? Continuing Abuses in Darfur. New York 2004; Human Rights Watch: „If We Return, We Will Be Killed“. Consolidation of Ethnic Cleansing in Darfur, Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Entrenching Impunity. Government Responsibility for International Crimes in Darfur. New York 2005; Amnesty International: Darfur – Rape as a Weapon of War, London 2004.

3) De Waal, Alex: Counterinsurgency on the Cheap, London Review of Books 26/15, vom 5.8.2004.

4) Für eine detailliertere Darstellung der Ereignisse und der Hintergründe sei verwiesen auf eine Reihe von ausführlicheren Veröffentlichungen: El Battahani, Ata: Ideologische, expansionistische Bewegungen und historische indigene Rechte in der Region Darfur, Sudan. Vom Massenmord zum Genozid. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 8-51; Beck, Kurt: Die Massaker in Darfur. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 52-80; De Waal, Alex und Julie Flint (2005): A Short History of a Long War. London (Zed Books); Prunier, Gérard (2005): Darfur, The Ambiguous Genozide. London (Hurst).

5) Die sudanesische Regierung hat das vor der Weltöffentlichkeit immer bestritten. Sie hat insofern Recht, als sie selbst nur unabhängige Banden Janjawid nennt. Die arabischen Nomadenmilizen, welche die Weltöffentlichkeit als Janjawid bezeichnet, sind inzwischen Teil der Volksmilizen (Peoples Defense Forces), welche die islamistische Regierung nach ihrem Putsch gegründet hat, um eine Sturmtruppe neben und als Gegengewicht zur Armee zu haben, oder Teil der leichten Grenztruppen (Border Intelligence Guard), die wiederum nicht in die Armeehierarchie eingeordnet, sondern direkt dem Direktor der militärischen Abwehr unterstellt sind. Die Volksmiliz und selbstverständlich die militärische Abwehr sind innerhalb des Sudans unantastbar.

6) Human Rights Watch (2006): Violence Beyond Borders. The Human Rights Crisis in Eastern Chad. New York; Human Rights Watch (2007): „They Came Here to Kill Us“. Militia Attacks and Ethnic Targeting of Civilians in Eastern Chad. New York.

7) Ein spätes Produkt dieser Sicht ist das anonyme Black Book, das im Jahr 2000 im Sudan unter der Hand zirkulierte und in dem die Autoren die Marginalisierung Darfurs durch Statistiken belegen. Eine englische Übersetzung findet sich unter www.sudanjem.com/sudan-alt/english/books/books.htm.

Prof. Dr. Kurt Beck ist Professor für Ethnologie an der Universität Bayreuth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/4 Europäische Sicherheitspolitik, Seite