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W&F 1988/1

Eirene und Pax - Friedensgedanken in antiker Mythologie und Dichtung

von Peter Wülfing

Die griechisch-römische Antike ist, nicht anders als andere geschichtliche Epochen, markiert durch Kriege und Kriegertum. Es bedarf einer besonderen Anstrengung, wenn ein Altphilologe aus seinem Gebiet etwas zur heutigen Diskussion um die Möglichkeit das Friedens beitragen will. Meine Auswahl ist auf einige mythische Aussagen, die wir bei Hesiod finden, gefallen, auf die imaginäre Welt der Komödie des Aristophanes und auf den Kontrast, der sich einstellt, wo die Römer griechische Vorstellungen aufgenommen und oft tiefgreifend umgestaltet haben.

Einen Mythos vom „Goldenen Menschengeschlecht“ finden wir in Hesiods „Werken und Tagen“. Dieses Epos hat mit bäuerlicher Arbeit zu tun, aber mehr noch mit einer Ethik, wie sie für den Landmann unabdingbar ist.

Hesiod, vielleicht um 700 v. Chr. lebend, hat viel ganz Persönliches in dieses Gedicht eingebracht: Sein Bruder Perses hatte ihn bei der Erbteilung übervorteilt und bei dem anschließenden Gerichtsverfahren durch Bestechungen obsiegt. So wollte Hesiod hier seine Grundvorstellungen von Gerechtigkeit verkünden, welche durch die Herrschaft des Gottes Zeus über die anderen Götter und über die Menschen geschaffen worden sei.

In mehreren Absätzen wird erzählt, wie das Böse in die Welt kam. Eine dieser Erzählungen handelt von den fünf Geschlechtern, die nach Metallen benannt sind: Es folgt auf ein goldenes das silberne, das bronzene und nach dem Zwischenzeitalter der Heroen das jetzige, das eiserne Geschlecht. Ein jedes Glied wird schlechter sein als das vorangehende. Das goldene war also der Höhepunkt, von dem der Abstieg ausgegangen war. Es lebte vor der Herrschaft des Zeus, unter Kronos. Im Zusammenhang mit Hesiods Anschauung von der Gerechtigkeit des Zeus muß das bedeuten, daß es einer Rechtspflege damals noch nicht bedurfte.

Das Goldene Geschlecht lebte den Göttern gleich, hatte den Sinn ohne Sorgen, lebte fern von Mühe und Not. Kein elendes Alter:

Füße und Hände blieben sich immer gleich. „Man erfreute sich des Wohlstandes, fern von allem Bösen. Die Menschen starben vom Schlaf überwältigt. Frucht trug der fruchtbare Acker von selbst, viel und großzügig. Die Bauern lebten, nach ihrem Willen, ruhig, vom Ertrag ihrer Felder, mit vielen Gütern ausgestattet (Verse 108-119). Es fällt auf, daß hier der Friede nicht ausdrücklich genannt wird, aber er ist unzweifelhaft eingeschlossen in die Prädikate des Fehlens von Sorgen, Not und Bösem, in das Sterben im Schlaf, und - jetzt kommt der entscheidende Zug - der Gewaltlosigkeit des Lebens auf und aus dem Lande. Es ist eines der beständigsten Elemente des goldenen Zeitalters, daß die Früchte von selbst kommen. Im Grunde handelt es sich um das Empfinden des Landmannes, daß er Gewalt anwendet, wenn er Pflanzen und Tiere zum „Liefern“ zwingt. Der mythische Friede hatte den Naturfrieden eingeschlossen. Der Mensch war in paradiesischer Natur nicht auf Gewalt angewiesen, die Ausgangspunkt für seine tiefverwurzelte Unfriedlichkeit ist.

Hesiod hat das Thema noch einmal aufgenommen. 100 Verse weiter stellt er seinem ungerechten Bruder einen harmonischen Zustand der Welt vor Augen, in dem Gerechtigkeit sich durchgesetzt hat, nunmehr unter der Herrschaft des Zeus. Dieser Zustand fügt noch weitere Elemente in das Bild: Einheimischen wie Fremden (!) werden korrekte Richtersprüche zuteil, die Stadt blüht deshalb im Wohlstand, ebenso das Volk. Friede breitet sich über das Land aus; Eirene ist Nachwuchs ernährend wie eine Amme, und Zeus regt niemals mehr Krieg als Lösung von Problemen an. Hunger gibt es bei gerechten Menschen nicht (da sie richtig teilen. - Wohin sind wir gekommen!). Und dann kommen wieder die Hinweise auf den reichen Ertrag der Felder, des Viehs, der Menschen an Nachkommenschaft, mit einem auffallenden Zug: es gibt keine Seefahrt!

Hier ist das archaisch-bäuerliche Mißtrauen gegen das Nicht-Bodenständige wirksam, konkret auch die Furcht vor den Störungen, die Import und Export im Fernhandel in das stets prekäre Preisgefüge für den Bauern bringen. Die Seefahrt ist Merkmal des Handels, des Städtischen, des Unfriedlichen. Transportmittel sind ja immer auch Mittel der Herrschaft, der Ausbeutung, der Kolonialisierung. Es zeigt sich hier die Furcht vor technischen Errungenschaften, welche die mühsam bewahrten Gleichgewichte zerstören.

In der ersten Stelle fassen wir einen mythischen Urzustand, „noch unter Kronos“, sozusagen vor den Problemen, die sich die Menschen gegenseitig bereiten, bevor Güter verteilt werden müssen und so weiter, wodurch dann die schlechteren Arten von Menschen entstehen.

Die 2. Stelle, in welcher Eirene und Polemos, der Krieg, wirklich genannt werden, gehört nun in eine Situation, in der die Probleme bereits aufgebrochen sind, Gerechtigkeit ist die einzige Lösung für sie. Ihre Möglichkeit wird nicht als sicher, sondern als utopisch beschrieben, bis hin zum Verzicht auf Seefahrt. Ein Goldenes Zeitalter, das vorher als Urzustand beschrieben war, ist nun Lohn für Gerechtigkeit.

Hesiods Ausmalung ist sehr knapp: 24 Hexameter für beide Passagen, das ist kein langer Text. In der nachfolgenden Zeit, in der griechischen Klassik, und bei den Römern sind mehr Elemente hinzugekommen, die z.T. ebenfalls ein hohes Alter besitzen dürften. Hier soll es genügen, das Inventar von Vorstellungen zusammenzustellen. Das friedliche, goldene Menschengeschlecht:

  • lebt mit den Göttern zusammen,
  • erhält seinen Lebensunterhalt von einer freiwillig spendenden Pflanzenwelt,
  • einer ebensolchen Tierwelt,
  • es herrscht Überfluß,
  • Quellen oder Flüsse fließen von Wein, Milch, Honig, Nektar,
  • es herrscht gemäßigtes Klima,
  • ewiger Frühling.
  • Zur Gewaltlosigkeit des Daseins gehört auch der Tierfriede: d.h. Raubtiere existieren nicht oder reißen nicht,
  • dem entspricht bei den Menschen zuweilen Vegetarismus.

Und was hat das Goldene Geschlecht nicht? Es gibt keine Krankheiten, kein Alter, keine Schiffe, keinen Privatbesitz, besonders nicht an Grund und Boden, keine Sklaven, und vor allem keinen Krieg.

Im folgenden Beispiel zeigt sich der Friedensgedanke nicht mehr in der Form des „Es war einmal...“ oder des „Einst wird kommen...“, sondern vor dem düsteren Hintergrund des peloponnesischen Krieges, jenes fatalen Kampfes am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. zwischen dem demokratischen Athen und Sparta, das die kriegerischen Tugenden für sich gepachtet hatte. Da gab es in Athen die scharfe und vor Imaginationskraft sich manchmal überschlagende Stimme des Aristophanes. Der dachte sich konkrete und zugleich illusionistische Szenen aus, die mit der Stimmung des Volkes zu tun hatten, mit dessen Träumen von großen Siegen, aber auch mit der Besorgnis, der Friede könnte für immer verloren sein.

Ich will zwei solche Szenen erwähnen:

1.) In dem frühesten erhaltenen Stück des Aristophanes, den Acharnern, 425 v. Chr. aufgeführt, ist folgende Situation vorauszusetzen: Athen befindet sich seit sechs Jahren im Krieg, zwei Pestepidemien hat es überstanden, vier Invasionen der Spartaner bis vor die Mauern der Stadt. Die Bevölkerung Attikas ist hinter den Stadtmauern zusammengepfercht. Ihr Land ist verbrannte Erde, gefällte Bäume, meist Oliven (die erst nach vielen Jahren Früchte tragen). In der Stadt die Etappe, Drückeberger, Kriegsgewinnler, egoistische Politiker, gewissenlose Kriegspropagandisten. Dazu erfand Aristophanes den Einzelnen, der „spinnt“ und der eigentlich der einzige Vernünftige ist: Dikaiopolis („rechtschaffener Bürger“) macht nicht mehr mit. Er schließt einen Separatfrieden und erklärt seinen Hof zum Friedensgebiet und zur Freihandelszone. Sofort stellt sich großer Wohlstand ein. Es geht dem „spinnerten“ Dikaiopolis und seiner Familie prächtig, und die Auseinandersetzung mit kriegsbereiten Köhlern, den Acharnern des Titels, gewinnt er ebenso wie die mit dem General Lamachos, der von den prallen Vorräten des Dikaiopolis angelockt wird.

Die illusionistische Welt dieser Komödie gibt dem Friedensgedanken Raum, wo die Machtverhältnisse alle Bewegungsfreiheit des Individuums abgeschnitten haben. Der Gedanke bleibt noch frei, und das wird ausgeschöpft. So schöpfen auch heutige Friedensfreunde wenigstens den Denkraum aus, ihre Straße, ihr Viertel, ihre Stadt atomwaffenfrei zu erklären. Aristophanes hat das schon einmal vorgedacht und sich dabei auch noch erlaubt, die offizielle Kriegsschuldthese „Die Spartaner (immer ist es der jeweilige Gegner) tragen die alleinige Kriegsschuld“ in Zweifel zu ziehen.

2.) Eine verbreitete Illusion wird in dem berühmtesten Stück des Aristophanes in Szene gesetzt, der Lysistrate: die Illusion, die Frauen könnten mit den Mitteln des Ehestreiks erreichen, was Männer offenbar zu bewerkstelligen unfähig sind. Aristophanes Szenario ist aber etwas mehr als nur ein Spaß mit einem undurchführbaren und deshalb ungefährlichen Einfall. Aristophanes gibt seiner Utopie einige ganz realistische Züge: An der Durchführung wird von Anfang an eine Frau des gegnerischen Lagers, die Spartanerin Lampito, beteiligt. Auch wird sehr umsichtig als erster Schritt der Parthenon und damit die Staats- und Kriegskasse besetzt. Den Witz bezieht die Komödie aus zahlreichen Nebenhandlungen: Männer, die versuchen, an ihre Frauen auf der Burg heranzukommen. Frauen, die unter hanebüchenen Vorwänden versuchen, Urlaub nach Hause zu bekommen. Am Ende stehen aber ganz vernünftige, sachliche Verhandlungen, die den Friedensschluß herbeiführen. Also kein folgenloser Illusionismus, sondern ein sich Aufbäumen des gesunden Menschenverstandes gegen sture, zerstörerische, militaristische Rechthaberei. Die Wirklichkeit nahm natürlich den anderen Weg: Wenige Monate nach der Lysistrate übernahm, 411 v. Chr., eine terroristische Junta die Macht in Athen, die Demokratie wurde durch eine Diktatur von 400 anerkannten Bürgern ersetzt und, obwohl dies in der Tendenz ein spartafreundlicher Akt war, kam es nicht zum Friedensschluß. Der Peloponnesische Krieg schleppte sich über weitere sieben Jahre hin.

Fazit: Es ist eine Illusion, von denjenigen die befreienden Handlungen zu erwarten, die bisher besonders rechtlos waren. Die Frauen damals hatten nämlich nicht viel mehr Persönlichkeitsrechte als Sklaven. Weder von diesen noch von jenen sind nachhaltige Impulse zur Änderung der Verhältnisse ausgegangen. Heute ist die Friedensproblematik sicher auch nicht von den Frauen allein zu lösen, aber ohne die Frauen ist sie noch nicht einmal ernst anzugehen. Aristophanes vor fast 2500 Jahren hat da etwas vorausentworfen.

Die helle, gescheite, vitale, auch etwas verzweifelte Komik eines Aristophanes treffen wir bei den Römern nicht wieder. Vielmehr treffen wir ein neues Wort: pax. Die Etymologie, die für Eirene unbekannt ist, ist hier deutlich Pango und paciscor heißen „ein Abkommen schließen“; Perfektform ist pactum, was wir im Fremdwort Pakt benutzen.

Im lateinischen Wort steht also eine Bedeutung des Friedens im Vordergrund: der Frieden als Abkommen, wodurch kriegerische Konflikte beendet und Besitzveränderungen besiegelt werden. Es meint also den Frieden nach dem Sieg, und die Aktion, die dorthin führt, heißt pacare. So haben noch jüngst die Amerikaner ihre Operationen in Vietnam pacification genannt.

Die Gegner oder Opfer Roms haben diesen Sprachgebrauch durchschaut. Berühmt ist der Aufschrei des Britannierfürsten Calgacus in Tacitus Agricola: „Plündern, Morden, Rauben nennen sie mit gefälschtem Wort imperium und, wo sie Wüstenei schaffen, da sprechen sie von pax!“

Die personifizierte Pax als Friedensgöttin wird auf römischen Münzen übrigens auch mit den Symbolen der Victoria, der Göttin des Sieges, ausgestattet: Lorbeer, Lanze, Helm, Schild.

Diese römische Friedensauffassung erscheint bedrückend. Sie ist zunächst einmal eindeutig. Der griechische und unser Friedensbegriff sind dagegen vieldeutig. Daß „Friede“ als „Umfriedung“ den umhegten, geschützten Raum gemeint hat, ist längst vergessen. Er umfaßt - darüber dürfen wir uns nicht täuschen - auch den römischen mit, den „Siegfrieden“, von dem man im 1. Weltkrieg sprach.

Was ist aus dem griechischen Mythos vom goldenen Menschengeschlecht geworden? - Er ist von römischen Dichtern mit leidenschaftlichem Interesse aufgegriffen und umgestaltet worden. Zunächst waren es Römer, die an die Stelle der vier Menschengeschlechter den Zeitbegriff setzten. Sie erst reden vom goldenen Zeitalter, dem andere Zeitalter folgen oder vorausgehen. Diese Tendenz hat sicherlich mit der römischen Geschichtsauffassung zu tun, die eine starke Komponente des Intentionalen hat: Geschichte hat ein Ziel, Vergangenheit ist Vorgeschichte, es gibt einen Plan der Geschichte. Deshalb versuchen die Römer, die zyklischen Zeitalter in der linearen Geschichte wiederzufinden, was unmythisch gedacht ist; aber das ist die europäische Leistung der Römer, das Utopische ans Mögliche heranzuführen. Es stören uns zwar die Verbiegungen und Leugnungen der Realität, die damit verbunden sind, aber daß davon ungeheure Antriebe ausgegangen sind, ist unzweifelhaft.

Die Römer verwandelten seit den ersten Anfängen der Kaiserzeit, also unter sehr speziellen Umständen, das goldene Zeitalter in eine unmittelbar bevorstehende oder sogar bereits eingetretene Epoche. Seitdem ist diese unmittelbare Erwartung des aetas aurea immer wieder formuliert worden. Sie wurde zum Cliché der Kaiserpanegyrik. Augustus mitgezählt, ist von 16 (!) verschiedenen römischen Kaisern behauptet worden - und das sorgfältig vor ihren Ohren -, daß sie die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters bringen würden.

Einen entscheidenden Anteil an der beschriebenen römischen Entwicklung hat Vergil. An mehreren Stellen seines großen Werkes, von den sogenannten Hirtengedichten oder Eklogen über das Lehrgedicht Georgica bis zur Aeneis finden sich Aussagen über den Frieden des goldenen Zeitalters. Sie lassen sich auf 3 Kernaussagen konzentrieren:

1. Der Friede ist ein paradiesischer Zustand (Eklogen I und IV), er wird beschrieben als Wiederkehr der in den Anfängen der Menschheit unter Saturn herrschenden Goldenen Zeit.

Das ist eine klare Aufnahme des Mythos, der von Hesiod her tradiert ist.

2. Spuren dieser Goldenen paradiesischen Zeit finden sich noch heute, und zwar im Leben der italischen Bauern! (Georgica II, 136–176; 458-542)

Hesiod hätte das auch von seinen böotischen Landsleuten sicher nicht gesagt; aber auch er hatte einen Grund für das Ende der goldenen Generation im Eindringen des antiagrarischen Fernhandels gesehen, der nun für den italischen Landbau so katastrophale Folgen hatte.

3. Diese Goldene paradiesische Zeit wird als Erfüllung der Zeiten kommen nach der Geburt eines wunderbaren Kindes (Ekloge IV); ja diese Goldene Zeit ist da (!) als Werk des Augustus (Aeneis I 278 f., 286-96; VI 1, 791-807; VIII 313-327).

Zur eben erwähnten 4. Ekloge Vergils noch eine Beobachtung, die dem Theologen Jürgen Ebach verdankt wird: Der paradiesische Friedenszustand ist, wie in anderen Zeugnissen, illustriert durch den Tierfrieden. Zwischen den Tieren herrscht Harmonie sowie zwischen Tieren und Menschen. Die Ausmalung des Bildes stimmt in erstaunlichem Maß mit derjenigen überein, die beim Propheten Jesaia im Alten Testament gegeben wird, cap.11.

Das hat schon immer die Gemüter bewegt. Philologen haben daran die Hypothese geknüpft, Vergil habe Jesaia gekannt und die Aussagen von dort übernommen (was übrigens nicht so unwahrscheinlich ist, wie es sich anhört). Dabei wurden allerdings feine, aber bedeutende Unterschiede übersehen. Der Tierfriede bei Jesaia ist so geschildert:

„Da wird Gast sein der Wolf beim Lamm und der Leopard wird beim Böcklein lagern, Kalb und Löwe werden zusammen fett werden und ein kleiner Junge kann sie miteinander zur Weide führen ... Der Löwe wird wie das Vieh Stroh fressen. Da wird der Säugling vergnügt an der Höhe der Schlange spielen und nach der Viper hat schon das Kleinkind die Hand ausgestreckt.“

Wichtige Beteiligte sind also die Kinder (dreimal erwähnt), an sich wehrlos, sind sie in Harmonie mit den gefährlichsten Tieren vereint.

Bei Vergil gibt es Anklänge daran auch, aber, um nur diese beiden Äußerungen herauszustellen: der neugeborene Knabe ist deshalb sicher, weil es Löwen nicht oder nicht mehr gibt und weil die Schlange eingehen wird!

In dieser Einzelheit verrät sich eine Friedensauffassung, die auf Sicherheitsstreben reduziert ist, und die ist nur durch die Ausschaltung des gefährlichen Gegners zu garantieren. Friede kann eben auch Vernichtungsfriede sein.

Wir haben jedoch von den Römern nicht nur eine offizielle, staatstragende Friedensideologie. Das schönste Beispiel ganz privater Friedenssehnsucht bietet Tibulls Elegie 110. Dort steht der Friede in Verbindung mit menschlicher, jugendlicher Liebe, entsprechend der heutigen Formel „make love - not war“.

Was kann uns die Antike also lehren? - Z.B., daß man sich unter Frieden, Eirene und pax sehr verschiedene Dinge vorstellen kann, insbesondere, daß es eine römisch-lateinisch-westeuropäischee Tradition gibt, in welcher Friede ein Zustand nach dem Kriege ist, gesehen vom Überlegenen als eine Friedensordnung, vom Unterlegenen als Stillhalteverpflichtung: „Sei friedlich“, d.h. „halt den Mund und gehorche!“

Wir müssen erkennen, daß immer, meist unausgesprochen, ein Preis für den Frieden festgesetzt wird und daß sich auch die Friedensbewegung zu diesem Preis nur ungern äußert; ebensowenig wie der militärisch denkende und handelnde Teil der Menschheit: Er will ihn nur unter schwierig zu erfüllenden Bedingungen gewähren.

Ist darauf „Frieden um jeden Preis“ eine Antwort? Kann man bei weitgehender Ungeklärtheit stehen bleiben? Unsere lateinisch bestimmten Nachbarn, deren Wörter für Frieden sich von pax herleiten, betrachten das verständnislos bis mißtrauisch!

Wir sollten aus dieser zwiespältigen europäischen Tradition lernen, daß uns eine doppelte Aufgabe gestellt ist:

Wir müssen ebenso bereit sein, das augenblicklich Machbare für den Frieden zu tun, wie uns an fundamentalen utopischen Denkmodellen orientieren. Wir haben kein Recht, um eines absoluten Ziels willen den prekären Frieden von Menschenhand, d.i. in der Regel der von der Hand der Machthaber, zurückzuweisen. Wir haben die Zeit nicht, auf den „Gerechten Menschen“ zu warten, oder auf den Aufstand der Frauen, oder der Armen, oder auf eine neue, zum Frieden erzogene Generation von Kindern (als ob es Erziehung von der tabula rasa aus gäbe).

Zugleich aber ist der Blick ständig auf das utopische Modell zu halten. Sonst bleiben Einzelhandlungen ziellos und bleiben letztlich folgenlos.

Aus der mythischen Überlieferung kommen dafür die Elemente. Radikaler gedacht bei Jesaia als bei Vergil. Mehr interessenfrei bei Hesiod und Aristophanes als bei den Römern. Dafür bei den Römern auf irdisches Maß gebracht und mit der Tendenz und den Instrumenten zur Humanisierung ausgestattet.

Das sind die Denkmuster, welche die Antike anbietet.

Dr. Peter Wülfing ist Professor für Klassische Philologie an der Universität zu Köln.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/1 Warten auf die „Modernisierung“, Seite