W&F 1998/3

»Empowerment« in Bosnien-Hercegovina

Friedensfachdienste in Krisenregionen

von Martina Fischer

Schon mit Beginn und im Verlauf der Kriege im zerfallenden Jugoslawien begannen Friedensgruppen und Bürgerrechtsverbände, die bundesweit, europaweit oder international organisiert waren, friedensorientierte Initiativen in der Region zu unterstützen. Ihre Arbeit umfaßte die Herstellung von »Gegenöffentlichkeit« zur nationalistischen Propaganda und Aufklärung auf internationaler Ebene, die Unterstützung der Kriegsopfer und Flüchtlinge durch materielle, humanitäre, medizinische oder psychosoziale Hilfe sowie die Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. Es entstanden Initiativen zur Dokumentation von Kriegsverbrechen und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen, zur Aufrechterhaltung von Kommunikation zwischen Menschen verfeindeter Lager, zur Konfliktvermittlung und zum Aufbau einer zivilen Gesellschaft (vgl. dazu Large, 1997). Zwar haben diese Organisationen nicht die Kampfhandlungen beenden können, aber sie haben erheblich zur Bearbeitung der Kriegsfolgen beigetragen und Grundsteine für eine Verständigung gelegt, auf die eine notwendige Versöhnungsarbeit langfristig aufbauen kann. In folgendem Beitrag werden zwei unterschiedliche in Bosnien-Hercegovina praktizierte Ansätze skizziert. Dann wird den Fragen nachgegangen: Welche Voraussetzungen sind für eine langfristig erfolgreiche Friedensarbeit erforderlich, welche Anforderungen werden an die ProtagonistInnen gestellt und was bedeutet das für ihre Vorbereitung? Abschließend geht es um die politischen Rahmenbedingungen und Perspektiven für Friedensfachdienste in der Bundesrepublik.

Mitunter bereitet es Probleme zu bewerten, inwiefern die Angebote der sogenannten NGOs, also der vielen „(halb-) professionell und transnational arbeitenden Organisationen“, die unabhängig von staatlichen Strukturen in unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und politischen Bereichen tätig sind bzw. der „Arbeitsgruppen innerhalb strukturierter oder halb-spontaner Bewegungen“ (Merkel, 1993: 41), die sich für Frieden, Menschenrechte oder auch für Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, friedenspolitisch effektiv sind. Manchen wird nachgesagt, sie verfolgten eigene kommerzielle Interessen. Anderen wird vorgeworfen, sie etablierten durch ihre Intervention Abhängigkeiten. Tatsächlich stehen Verfahren »freiwilliger Selbstkontrolle«, wie sie von in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO-Plattformen etabliert oder angedacht wurden, für die in der südslawischen Region tätigen humanitären und friedenspolitischen Initiativen noch aus. Dafür müßten Netzwerke gebildet werden, die eine bessere Abstimmung der Aktivitäten gewährleisten und Kriterien zur Überprüfbarkeit der eigenen Arbeit entwickeln könnten. Die Entwicklung vorbildlicher Standards bildet einen zentralen Bestandteil in der Debatte um die Professionalisierung von Friedensarbeit.

In der Bundesrepublik setzen sich seit einigen Jahren verschiedene im Forum ziviler Friedensdienst zusammengeschlossene Gruppen und Einzelpersonen für eine staatlich geförderte Entsendung von Personen ein, die (auf freiwilliger Basis) Friedensarbeit in Konfliktregionen leisten sollen. Dachverbände, wie die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), bemühen sich vor allem um die Weiterentwicklung bisheriger Auslandsdienste (sozialer Lerndienste und qualifizierter Freiwilligendienste) zu »Friedensfachdiensten«, die sie in weitestgehender Unabhängigkeit von der staatlichen Ebene durchgeführt sehen wollen. Allen geht es um die Verbesserung der materiellen und politischen Voraussetzungen für die Entsendung und die Ausbildung von Freiwilligen, die von gesellschaftlichen Trägern in Konfliktregionen vermittelt werden.

Einige der Mitgliedsorganisationen aus dem unabhängigen und aus dem christlichen Spektrum haben in der südslawischen Region in den vergangenen Jahren Friedensprojekte etabliert, denen eines gemeinsam ist: Sie wurden auf Anfrage und/oder in enger Kooperation mit lokalen Partnern entwickelt und haben zum Ziel, Foren der Begegnung und des Dialogs zu schaffen, Kommunikation zu befördern, soziales Lernen zu ermöglichen, Flüchtlingen bei der Rückkehr in ihre Herkunftsregionen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen oder auch »empowerment« für friedenspolitische Initiativen (z. B. das Recht auf Kriegsdienstverweigerung) zu gewährleisten. Pax Christi, die Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste, der Versöhnungsbund, das Deutsche Mennonitische Friedenskomitee, IPAK und die Bildungs- und Begegnungsstätte »Kurve Wustrow« wurden in Bosnien-Hercegovina aktiv, Ohne Rüstung Leben in Kroatien (Ostslawonien) und in der BR Jugoslawien (Voijvodina); auch das vom Bund für soziale Verteidigung und zehn weiteren internationalen und europäischen Organisationen getragene Balkan Peace Team verfügt über mehrjährige Erfahrung in der Friedensarbeit in Kroatien und Jugoslawien (Kosovo). Gleiches gilt für das bundesweit aktive Netzwerk von Schüler helfen Leben oder für Initiativen, die sich der psychosozialen Arbeit mit weiblichen Flüchtlingen widmen, wie etwa die Freiburger Gruppe Amica.

Voraussetzungen für erfolgreiche Arbeit

In den Berichten von Friedensfachkräften wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie die Projekte anzulegen sind, damit sie dem erklärten Ziel der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen gerecht werden. Vielen ist bewußt, daß sich die Qualität ihrer Arbeit daran bemißt, daß sie sich möglichst rasch überflüssig machen. Die Mitarbeiter des Sarajevoer CNA-Projekts haben sich dafür das Prinzip »Train the Trainers« zu eigen gemacht: Man will verstärkt Workshops durchführen, in denen zukünftige TrainerInnen gewonnen und fortgebildet werden können. Außerdem sollen einheimische AktivistInnen den CNA-"Staff« perspektivisch verstärken. Auch Jörg Heidig kommt als Koordinator in Begov Han zu dem Schluß, daß im dörflichen Begegnungszentrum „vorwiegend Einheimische beschäftigt werden sollen und nicht mehr wie bisher vor allem Ausländer. Lokalen Angestellten ist es viel besser möglich, den Gedanken des Projektes zu vermitteln. Sie sprechen die Sprache, sind in dem Land aufgewachsen und werden von den Dorfbewohnern ernst genommen.“ Immer wieder stellt sich für Fachkräfte und ProjektkoordinatorInnen die Frage: Wie lassen sich Wissensvorsprünge abbauen und Strukturen so aufbauen, daß sie rasch in lokale Hände überführt werden können? Soll man sich als örtliche Organisation mit überwiegend einheimischen Mitarbeitern fortentwickeln, oder soll man sich perspektivisch überhaupt zurückziehen und die Arbeit ganz auf Partnerorganisationen übertragen?

Auch in der transnationalen Friedensarbeit gilt das Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe« bzw. der Förderung eigenständiger Initiativen im Zielland als Erfolgskriterium. Wie dieser theoretisch von den meisten nachvollziehbare Anspruch faktisch in der Konzeption der eigenen Arbeit umgesetzt und mit dem Projektalltag in Übereinstimmung gebracht werden kann, ist die entscheidende Frage, die im Vorfeld thematisiert werden muß, wenn der Herausbildung von Dominanzstrukturen in Projekten entgegengewirkt werden soll.

Das Anforderungsprofil von Friedensfachkräften erweist sich also in mancher Hinsicht als vergleichbar mit dem von Fachkräften in der Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Würtele, 1997: 63). Sie müssen einerseits hohe Motivation, also Belastungsfähigkeit und Selbstausbeutungsbereitschaft mitbringen, dürfen sich aber andererseits nicht für unentbehrlich halten und sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Es kommt in Projekten zu Spannungen, wenn AktivistInnen nicht gelernt haben, Verantwortung zu delegieren, oder das, was sie in mühevoller Arbeit mit aufgebaut haben, »loszulassen«, das heißt: anderen zu überantworten.

Eine intensive Motivationsklärung sollte zum zentralen Bestandteil von Vorbereitungsmaßnahmen gemacht werden. Von zentraler Bedeutung dabei erweisen sich die Fragen: Was will ich geben? Was will ich nehmen? und vor allem: Was mache ich danach, welchen Stellenwert hat der Friedenseinsatz in meiner Lebensplanung? In der Erfahrung von Entsendeorganisationen zeigt sich immer wieder, daß Personen, die diese Frage nicht beantworten können, dem Prinzip des »capacity-building« für einheimische Initiativen in Konfliktregionen kaum gerecht werden können. Wenn die Hilfe für andere zum Selbstzweck und Lebensinhalt der Helfer wird, fällt es schwer, sich selbst »überflüssig« zu machen.

Von prinzipieller Relevanz für erfolgreiche Friedensarbeit erweist sich weiterhin interkulturelle Kompetenz. Sie wird – neben einer allgemeinen sozialen Kompetenz – von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit seit langem als erforderlich für den Auslandsdienst erachtet. Das Training interkultureller Kommunikationsfähigkeit ist fester Bestandteil der Vorbereitung von Fachkräften der Entwicklungsdienste (vgl. DED, 1998: 9ff.). Es erweist sich erst recht für den Friedensdienst als unabdingbar: „Wer in Konflikt- oder Kriegsregionen arbeitet, muß besonders sensibel die interkulturellen Barrieren wahrnehmen, die zu Mißverständnissen führen und Kommunikationsprozesse blockieren können. Grundlegende Voraussetzung sind hinreichende Kenntnisse der Umgangssprache im Gastland und der dortigen Umgangsformen.“ (Freise, 1997: 78).

Personen im Auslandsdienst müssen sich in Menschen anderer Kulturen hineinversetzen können, sie in ihrem Denk- und Wertehorizont respektieren anstatt sie vom eigenen Verstehenshorizont her zu beurteilen oder gar zu verurteilen.1 Diese Personen müssen außerdem die eigene Identität darstellen können. Den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit zufolge ist bei der Ausbildung einer Beschäftigung mit der fremden Kultur die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur voranzustellen.2 Man geht davon aus, daß Menschen erst dann, wenn sie die eigenen Prägungen durch Geschichte und Kultur erkannt haben, kulturelle Unterschiede im Gastland wahrnehmen, verstehen und kritisch akzeptieren können (vgl. DED, 1998: 9).

Friedensfachkräfte müssen schon deshalb in der Lage sein, ihre eigene Identität zu finden und darzustellen, um entscheiden können, in welchen Konfliktsituationen sie eine neutrale Position einnehmen und beide Seiten verstehen müssen, weil dies für die Bearbeitung des Konflikts am ehesten Erfolg verspricht. Sie müssen gleichzeitig ein Gespür dafür entwickeln, in welchen Situationen ein Machtgefälle zwischen Unterdrückten und Unterdrückern gegeben ist, in dem Neutralität schädlich und unglaubwürdig wäre, wo es also um »empowerment« für die unterlegene Seite geht (vgl. Freise, 1997: 78).

Das Lernziel interkultureller Kompetenz wird zudem immer auch im Zusammenhang mit der Vermeidung eines »Kulturschocks« diskutiert. Die Frage: Wie weit muß ich mich anpassen (ohne eine Überanpassung zu vollziehen)? Wie weit ist Abgrenzung nötig? beschäftigt viele AktivistInnen.

Für zahlreiche Fachkräfte erweisen sich überdies noch weitergehende Qualifikationen als unabdingbar: Projektentwicklung, Management-Fähigkeiten und Kenntnisse in »fundraising«. Befragungen von AktivistInnen und ProjektkoordinatorInnen ergaben, daß sich die Tätigkeitsbereiche aus einer Kombination vielfältiger Aufgaben zusammensetzen. Häufig handelt es sich um eine Mischung aus Sozialarbeit (psychosoziale Unterstützung, Gemeinwesen- oder Kulturarbeit), Führungsaufgaben (manche Fachkräfte arbeiten in Strukturen, in denen sie andere MitarbeiterInnen oder internationale Freiwillige anleiten können müssen) sowie Aufgaben der Akquisition von Geldern zur Weiterentwicklung der Projektzusammenhänge. Gerade in den südslawischen Nachkriegsregionen haben zahlreiche internationale Organisationen (z.B. EU, UNHCR, OSZE) Fonds zur Unterstützung von NGOs eingerichtet, weil sie auf zivilgesellschaftliches Engagement für die Friedenssicherung angewiesen sind. Um diese Quellen zu erschließen, muß man vor Ort Kontakte mit Ansprechpartnern in den entsprechenden Organisationen pflegen.

An viele Friedensfachkräfte wird nicht nur der Anspruch gestellt, daß sie im Team arbeiten können, sondern auch, daß sie eigenverantwortlich in den genannten Feldern agieren können. Für das Anforderungsprofil gilt, was auch Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit für ihre Fachkräfte schon seit einiger Zeit feststellen: „Die Aufgaben (…) sind anspruchsvoller und komplexer geworden. Zunehmend gehen sie mit höherer Verantwortung und Entscheidungskompetenz einher. Heute ist immer weniger der praktisch Mitarbeitende verlangt, vielmehr jedoch der Berater für entwicklungspolitische Prozesse und Organisationsentwicklung, der Ausbilder von Multiplikatoren, der Vermittler (von Kontakten) und der Berater für Planung, Prüfung, Begleitung und Finanzfragen, Moderator, Koordinator etc.“ (Würtele, 1997: 65).

Perspektiven für Friedensfachdienste

Immer wieder stellen sich für die vor Ort meist an der gesellschaftlichen Basis tätigen Fachkräfte Fragen nach der Einordnung ihrer Arbeit in den politischen Gesamtzusammenhang. Zweifel am Sinn der eigenen Arbeit und der Reichweite der zivilgesellschaftlichen Akteure entstehen dann, wenn auf dem internationalen Parkett politische Entscheidungen getroffen werden, die Prozessen des »peace-building« zuwiderlaufen. Wenn z.B. auf staatlicher Ebene die Abschiebung von Flüchtlingen verfügt wird, obwohl deren Rückkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts des Mangels an Wohnraum und Erwerbsmöglichkeiten die vorhandenen Konfliktlinien noch verschärft.

Friedenskonsolidierung in Bosnien-Hercegovina hängt nach Einschätzung zahlreicher NGO-MitarbeiterInnen überdies vor allem davon ab, ob das krasse Mißverhältnis in der Mittelvergabe – für die militärische Komponente SFOR wird nach wie vor etwa das zehnfache an Ressourcen aufgewandt wie für den zivilen Aufbau3 – zugunsten eines umfassenden wirtschaftlichen Förderprogramms zur Ankurbelung des Produktionssektors und zur Schaffung von Arbeitsplätzen überwunden wird. Außerdem müßten die staatlichen Initiativen viel besser mit den gesellschaftlichen Ansätzen verzahnt werden. Das Gros der Aufgaben der NGOs und Friedensgruppen, die sich seit Ende der Kämpfe am Wiederaufbau demokratischer Gemeinwesen, Minderheitenrechte, Begleitung und Beratung von Flüchtlingen und Rückkehrern beteiligen und damit eine unverzichtbare Unterstützung für die Umsetzung des Friedensschlusses bilden, wird bislang von Freiwilligen oder Halbprofessionellen verrichtet und großenteils mit Hilfe von privatem Spendenaufkommen finanziert. Letzteres ist nach Abschluß des Dayton-Abkommens jedoch nahezu zum Erliegen gekommen. Staatenorganisationen wie die OSZE bzw. die Europäische Union halten zwar diverse Fonds für NGO-Arbeit in Bosnien bereit. Vor allem die im PHARE-Programm4 für den Zeitraum 1996 bis 1999 in Aussicht gestellte 1 Mrd. ECU bildete zunächst Hoffnungsschimmer. Aber immer wieder machen Gruppen die Erfahrung, daß sie durch schwerfällige Bürokratien hingehalten werden und dann nach mehr als zwölfmonatigen Bearbeitungsfristen doch noch leer ausgehen. So erging es aktuell dem im Kosovo tätigen Balkan Peace-Team.

Von StaatenvertreterInnen wird der Beitrag der gesellschaftlichen Akteure zum »peace-building« in Konfliktregionen zwar gern in Anspruch genommen und vordergründig anerkannt, aber weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung und Auswertung erfährt deren Arbeit bislang durch diese Ebene die gebührende Unterstützung. Die gesellschaftlichen Träger leiden aufgrund der knappen finanziellen Ausstattung chronisch unter Personalmangel und Arbeitsüberlastung. Viele arbeiten trotzdem mit einer erstaunlichen Professionalität. Ihre Arbeit wird jedoch durch die wechselvolle Entwicklung des privaten Spendenaufkommens häufig in ihrer langfristigen Planbarkeit eingeschränkt und auf kurzfristige Nothilfe reduziert. Wenn auch das Fundament transnationaler Friedensarbeit weiterhin durch die Zivilgesellschaft zu errichten sein wird, so könnte eine großzügige Co-Finanzierung aus öffentlichen Mitteln die Situation doch entschärfen. Es wäre an der Zeit, daß Bund, Länder und Gemeinden Möglichkeiten der Förderung für dezentrale Friedensfachdienste prüfen: Eine Unterstützung für die Personal- und Betriebskosten von Projekten, die von freien gesellschaftlichen Trägern aus Deutschland und aus Konfliktregionen gemeinsam entwickelt und durchgeführt werden, sowie für die Evaluation von Projekten, um die zur Konfliktbearbeitung eingesetzten Instrumentarien auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen (vgl. Müller, 1998: 12ff)5. Auch an der Bereitstellung einer qualifizierten Ausbildung könnten sie sich beteiligen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit der Etablierung des Ausbildungskurses »Zivile Konfliktbearbeitung« im Jahre 1997 dafür einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Errichtung einer bundesweiten Einrichtung harrt weiter der Realisierung.

Es bedarf kreativer Konzepte dafür, die materielle Basis für Maßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Konfliktgebieten zu fördern und die dafür tätigen Frauen und Männer finanziell, rechtlich und sozial in einer Weise abzusichern, die ihren verantwortungsvollen und teilweise nicht ungefährlichen Aufgaben angemessen ist. Dafür schlagen einige Trägerorganisationen unter anderem ein Freiwilligendienstgesetz (vgl. Frey, 1992) sowie ein Gesetz für die Regelung des Einsatzes von Friedensfachkräften analog zum Entwicklungshelferentsendegesetz vor. Wenn Regelungen wie die Sonderurlaubsverordnung für Beamte (Lehrer- und Parlamentarierfreistellung) auch auf die Friedensarbeit ausgeweitet würden, könnten sich auch Personen in fortgeschrittenen Berufsphasen für eine zeitlich begrenzte Friedensarbeit im Ausland entscheiden. Die politischen Mandats- und EntscheidungsträgerInnen sind weiterhin gefordert, sich für die erforderlichen gesetzlichen Regelungen und für den Aufbau einer umfassenden »Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung« (vgl. Calließ, 1996: 66ff, Merkel, 1994) einzusetzen. Sie könnten außerdem mit einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Würdigung der Friedensarbeit vor Ort, etwa durch Besuche von Projekten, zur Erhöhung der gesellschaftlichen Anerkennung beitragen. Nur wenn es gelingt, die praktischen Handlungsansätze sichtbar zu machen, kann die Einsicht dafür geschaffen werden, daß es sich lohnt, verstärkt in präventive und friedenskonsolidierende Maßnahmen zu investieren.

Literatur

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (Hrsg.) (1998): Friedensfachdienst ist nötig, Reihe Friedens- und Freiwilligendienste, Nr. 11, o.O., Februar 1998.

Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, AGdD (Hrsg.) (1997): Dem Frieden verpflichtet. Entwicklungsdienste für den Frieden, Reihe Basispädagogik der AGEH, Nr. 9, Köln.

Calließ, Jörg (1996): Die Aufgaben ziviler Konfliktbearbeitung und der Aufbau einer angemessenen Infrastruktur, in: Die Friedenswarte, Band 71, Heft 4, o.O.

Deutscher Entwicklungsdienst (DED, Abteilung Vorbereitung) (1998): Überregionales Lernprogramm, Berlin.

Fricke, Ekkehardt (1997): Friedensfachdienst im Entwicklungsdienst, in: Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, AGdD (Hrsg.), o.O., S. 30-44.

Heidig, Jörg (1998): Bericht über die Arbeit, Hrsg. Pax Christi, o.O., Mai 1998.

Large, Judith (1997): The War next Door. A study of second-track intervention during the war in ex-Yugoslavia, Gloucestershire.

Losche, Helga (1995): Interkulturelle Kommunikation, Alling.

Merkel, Christine M. (1993): Methoden ziviler Konfliktbewältigung: Fragen an eine krisengeschüttelte Welt, in: Birckenbach, Hanne u.a. (Hrsg.), Jahrbuch Frieden 1994, München, S. 35-48.

Müller, Harald (1998): Feststellung des Bedarfs für Friedensfachkräfte bei der AGDF, in: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (Hrsg.), o.O., S. 4-23.

Ropers, Norbert (1996): Rollen und Funktionen Dritter Parteien bei der konstruktiven Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte, in: Die Friedenswarte, Heft 4, o.O., S. 417-441.

Vukosavljevic, Nenad (1998): Zweiter öffentlicher Viermonatsbericht Dezember 1997 – April 1998 aus Bosnien-Hercegowina, Hrsg. »Kurve Wustrow«, o.O.

Würtele, Werner (1997): Anforderungsprofile von Fachkräften in der personellen Zusammenarbeit, in: Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, o.O., S. 61-66.

Der Beitrag beruht auf Eindrücken bei Forschungsreisen durch Bosnien-Hercegovina, Kroatien und die BR Jugoslawien 1997 und 1998, die teilnehmende Beobachtung und Interviews mit MitarbeiterInnen friedensaktiver NGOs zum Gegenstand hatten.

Anmerkungen

1 Friesenhahn (1995: 199) beschreibt als Hauptmerkmale von »interkultureller Kompetenz«: „Empathie, (die) Fähigkeit, zeitlich parallel auftretende unterschiedliche Erwartungen auszuhalten (Ambiguitätstoleranz), Offenheit, Kommunikationsfähigkeit in unterschiedlichen Settings, Flexibilität im Umgang mit Rollen, Streßtoleranz. Konfliktfähigkeit, Kreativität bei Konfliktlösungsversuchen.“ Zurück

2 Die Frage nach der eigenen Sozialisation, den eigenen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen steht z. B. am Beginn des Abschnitts interkulturellen Lernens im Vorbereitungsprogramm des DED. Zurück

3 Mit 10 Mrd. DM wurden nach Dayton die Kosten für den Militäreinsatz für ein Jahr veranschlagt, 5 Mrd. sind für den zivilen Wiederaufbau für einen Zeitraum von fünf Jahren angesetzt worden. Zurück

4 Für 1998 wurden von der EU im Rahmen des PHARE-Programms 100 Mio. ECU für Wiederaufbauprojekte freigegeben. Nur 15% der für 1997 bereitgestellten Mittel wurden überhaupt abgerufen. Der Grund wird nicht in einem Mangel an Anträgen sondern in der schwerfälligen Bearbeitungspraxis ausgemacht. Zurück

5 Vor allem bezogen auf die Bearbeitung von Konflikten in ethnisch diversifizierten Gesellschaften wäre eine Aufarbeitung der Erfahrungen dringend geboten (vgl. Fricke 1997:41 und Ropers 1996:426). Zurück

Martina Fischer, Dr. phil., Politologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berghof-Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/3 Friedenskonzepte, Seite