W&F 2013/1

Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie

15. Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI), 17.-18. November 2012, Tübingen

von Informationsstelle Militarisierung

Am IMI-Kongress 2012, »Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie«, nahmen bis zu 120 Menschen teil. Im Mittelpunkt standen Fragen des Abbaus demokratischer Kontrollfunktionen, die zunehmenden Formen klandestiner Kriegsführung sowie die Rolle der Zivilgesellschaft, des Internets und anderer neuer Partizipationsformen bezüglich der Frage von Krieg und Frieden.

Das erste Panel »Demokratieabbau und Militarisierung« widmete sich verschiedenen Formen des Abbaus parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten. Dabei argumentierte Martin Hantke zunächst, dass die Schuldenkrise in zahlreichen EU-Staaten zu einer massiven Aushöhlung nationaler Souveränitätsrechte geführt habe. Anschließend ging Jürgen Wagner darauf ein, dass der gleiche Befund mittlerweile auch für den Sicherheitsbereich gelte: Durch die immer wichtiger werdende Bündelung und gemeinsame Nutzung von Militärgerät (Pooling und Sharing) würden neue Sachzwänge geschaffen und in Forderungen nach der Aushebelung parlamentarischer Mitsprachemöglichkeiten auf nationalstaatlicher Ebene überführt. Dies betreffe, so Tobias Pflüger, insbesondere Deutschland, wo derzeit massiv daran gearbeitet werde, den bislang noch bestehenden Parlamentsvorbehalt auf vielfältige Weise auszuhöhlen. „Die EU ist eine Wirtschaftsdiktatur geworden, die militärisch abgesichert wird“, so Pflügers Fazit.

Anschließend beschäftigte sich Malte Lühmann unter dem Titel »Kriegspolitik hinter den Kulissen« zunächst mit dem Rüstungslobbyismus, der sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene immens an Bedeutung gewinne. Brüssel belege mit schätzungsweise 15-30.000 Lobbyisten den Platz als zweite Lobby-Hauptstadt der Welt – nach Washington D.C. Es drohe ein immer dichter werdendes Interessenskonglomerat zu entstehen, das starke Züge eines militärisch-industriellen Komplexes aufweise. Im anschließenden Beitrag beschrieb Christoph Marischka, wie Diplomatie und multilaterale Netzwerke zu einer Vorstufe militärischer Interventionen unfunktioniert worden seien und Pfadabhängigkeiten in Richtung Intervention oder Bürgerkrieg verursachten, denen sich nationale Parlamente nicht mehr entziehen könnten oder wollten.

Die Beiträge über »Unerklärte Kriege und automatisierte Gewalt« beschäftigten sich mit konkreten Kriegen bzw. Kriegsformen, die sich mehr und mehr jeglicher öffentlichen Kontrolle entziehen. Peter Clausing thematisierte dies anhand von »Anti-Drogen-Kriegen«, besonders in Mexiko. Werner Ruf analysierte anschließend den unerklärten Krieg im Sahel, an dem auch EU-Länder massiv beteiligt sind. Abschließend problematisierte Wolfgang Kaleck, dass die zunehmenden Drohnen-Einsätze einerseits sich jeglicher rechtlichen Kontrollierbarkeit entziehen und andererseits auch die Schwelle zum Gewalteinsatz aufseiten der politischen Entscheidungsträger erheblich absenken würden.

Das Abendpanel beschäftigte sich schließlich mit zwei Formen »Klandestine[r] Kriegsführung«. Jürgen Wagner beschrieb die zunehmende Verwendung von Spezialeinheiten. Vor allem die USA hätten ihre Spezialeinheiten extrem aufgewertet, dies zeige etwa die Erhöhung der entsprechenden Truppenzahlen (2001: 33.000; 2012: 63.000) und des Budgets (2001: 2,3 Mrd. US$; 2012: 10,5 Mrd. US$). Gleichzeitig seien wachsende außenpolitische Aktivitäten der Geheimdienste zu verzeichnen, wie Claudia Haydt betonte. Dies treffe auch für BND und MAD zu, die zunehmend in militärische Tätigkeiten eingebunden seien. Sie kam zum Schluss: „Geheimdienste sind unkontrollierbar, ihre Tätigkeit entzieht sich vollständig jeglicher Öffentlichkeit. Das ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Sämtliche Geheimdienste gehören aufgelöst – sofort.“.

Der Sonntag des Kongresses beschäftigte sich mit der Kehrseite der Medaille, als unter dem Titel »Krieg? Gefällt mir!« der Frage nachgegangen wurde, weshalb gerade aus neuen Formen der demokratischen Partizipation – zivilgesellschaftlichen Kampagnen, Organisationen und Diskursen – häufig Forderungen nach militärischen Interventionen hervorgehen. Hierfür beurteilte Christoph Marischka den Begriff der »Zivilgesellschaft« als problematisch, weil leider zu Unrecht als vorurteilsfrei konnotiert. Unter dem positiv besetzten Begriff würden zunehmend interventionistische Strategien für gezielte äußere Eingriffe in Gesellschaften zugunsten westlicher Interessen verfolgt. Anschließend beschäftigte sich Thomas Mickan mit der Frage, „warum manche Menschen sich der Überzeugung hingeben, dass mit militärischer Gewalt Gutes vollbracht werden könne“. Zur Erklärung bezog er sich unter Rückgriff auf Foucault auf den Begriff der „diskursiven Polizei“. Über Schlagwörter wie »Ruanda« oder »Srebrenica« werde versuchte, jegliche Debatte in Richtung militärischer Intervention zu lenken, anstatt sich mit möglichen Alternativen auseinanderzusetzen.

Unter dem Titel »Netzkultur und die Frage von Krieg und Frieden« referierte Jörg Friedrich zu „Feindkonstruktionen und Frontenbildung“ in der Netzwelt. Dabei sprach er eine zunehmenden „Twitterisierung“ der Informations- und Meinungsvermittlung an: Alles beschränke sich auf extrem kurze Statements, die häufig der komplexen Realität kaum gerecht würden. Außerdem würden Debatten in diesen Netzwerken selten über einen längeren Zeitraum geführt, da sie sehr schnell von neuen Einträgen verdrängt würden. Auch wenn es natürlich allerlei Nischen im Internet gebe, würden dort tendenziell dennoch gesellschaftliche Kommunikationsformen nicht verändert, sondern vielmehr die vorherrschenden Formen reproduziert. Schon gar nicht könne die Netzwelt reale Proteste auf der Straße ersetzen.

In der Abschlussdiskussion über »Krieg und Demokratie« wurde zunächst noch einmal anhand des Gefechtsübungszentrums Colbitz-Letzlinger Heide (GÜZ) thematisiert, dass die Bundeswehr dort nicht nur die Kriegsführung im Ausland, sondern auch die Aufstandsbekämpfung im Inland üben könne. Angesichts abnehmender Partizipationsmöglichkeiten bei wachsenden sozialen Konflikten wird die zunehmend repressive Unterdrückung von Protesten vorbereitet, die vonseiten der Friedensbewegung künftig stärker in den Blick genommen werden muss, so ein wichtiges Fazit der Schlussdiskussion.

Eine Dokumentation des Kongresses ist in Arbeit. Ein ausführlicher Kongressbericht findet sich auf imi-online.de.

Informationsstelle Militarisierung (IMI)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/1 Geopolitik, Seite 57–58