W&F 1988/4

Ruhr Universität Bochum 14.09.1988

Ergebnisse beweisen: Tests können überwacht werden

von Redaktion

Fernüberwachung als wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Erneut gemeinsameramerikanisch-sowjetischer Atombombentest

Pünktlich acht Minuten nach der unterirdischen Zündung der Bombe in der asiatischenSowjetrepublik Kasachstan erreichten heute früh die seismischen Wellen das Ruhrgebiet undwurden vom Erdbebennetz der Ruhr-Universität Bochum erfaßt. Im Vergleich zuramerikanischen Sprengung am 17. August erzeugte die russische Kernexplosion wesentlichdeutlichere Ausschläge aller Seismographen des Bochumer Netzes, die nicht nur auf demGelände der Ruhr-Universität installiert sind, sondern auch an unterirdischenMeßplätzen im Raum Hamm (ca. 900 m unter NN) und im Raum Moers (ca. 600 m unter NN). Ausdiesen Aufzeichnungen kann man abschätzen, daß die Explosion eine Stärke von 100 - 150Kilotonnen hatte. Die genaue Ladungsstärke soll später im Rahmen des Datenaustauscheszwischen den Supermächten publiziert werden. Für die Seismologen in aller Welt, derenInstrumente beide Explosionen registrierten, ergibt sich damit die Möglichkeit, ihreAufzeichnungen zu vergleichen, um zukünftig die Ladungsstärken derartiger Explosionenbesser abschätzen zu können: Ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer weiterenVerringerung und letztlich der völligen Abschaffung atomarer Bombentests.

Die Bochumer Messungen am frühen Morgen (4.00 Uhr Weltzeit, 6.00 Uhr MEZ) beweisenerneut: Atomtests sind auch durch Fernmessungen kontrollierbar. Bereits am 17. Augusthatte Prof. Dr. Hans-Peter Harjes, Geophysiker an der Fakultät für Geowissenschaften derRuhr-Universität Bochum, die von amerikanischen und sowjetischen Technikern gemeinsamdurchgeführte unterirdische Atomwaffenexplosion aufgezeichnet, mit der die Einhaltung vonObergrenzen für die Stärke unterirdischer Kernwaffentests gegenseitig zuverlässigüberwacht werden soll. Die Kernexplosion in Semipalatinsk ist – nach der in Nevada– der zweite Test, den die Experten beider Mächte nach dem »GemeinsamenVerifikations-Experiment«-Vertrag (JVE) zwischen US-Außenminister Shultz und seinemsowjetischen Kollegen Schewardnadse vom April 1988 durchgeführt haben. Zwischen beidenLändern war vereinbart worden, die Möglichkeiten zur Überwachung von"Test-Schwellenabkommen« effektiv zu erkunden. Die Geophysiker um Prof. Harjes an derRuhr-Universität haben durch ihre Forschungen maßgeblich dazu beigetragen, das Know-howund die technischen Möglichkeiten zur Fernerfassung von unterirdischen Tests zuerarbeiten.

Prof. Harjes diente auch diese Kernexplosion als Eichexperiment, das Daten fürzukünftige Überwachungsaufgaben liefern soll. In Ergänzung zu den lokalenhydrodynamischen Meßmethoden amerikanischer und sowjetischer Techniker schlägt er dieFernüberwachung von Atomteststopp-Verträgen vor. Sie ist nach seiner Meinung nicht nurtechnisch möglich, sondern auch eine besonders vertrauensbildende Maßnahme. Alsseismologischer Experte ist der Bochumer Geophysiker Harjes seit 1976 Berater derBundesregierung bei den Genfer Abrüstungsgesprächen. In dieser Eigenschaft hatte erbereits 1986 dem Internationalen Friedensforscher Kongreß zum Thema »Ways out of theArms Race« ein Memorandum mit dem Titel „The Verification of a Comprehensive TestBan“ vorgelegt. Dieser Vorschlag wurde in die Genfer Abrüstungsgesprächeeingebracht. Darin skizziert Harjes ein Überwachungssystem für Teststoppabkommen durchein weltumspannendes Netz seismischer Beobachtungszentren. Dieses sollte aus etwa 50 bis100 über die ganze Welt verteilten sogenannten »Arrays« bestehen, die einheitlich mitden modernsten Instrumenten ausgestattet sein müßten. Arrays sind mehrere, zentralzusammengeschaltete Erdbebenmeßgeräte in Abständen von jeweils einigen Kilometern.

Nach Aussage von Prof. Harjes ist der Vorteil eines solchen Netzes gegenüber denlokalen hydrodynamischen Erfassungsmethoden der Sowjets und der Amerikaner die flexibleMeßgenauigkeit. Während z.B. »Corrtex«, das hydrodynamische Meßgerät der Amerikaner,direkt vor Ort installiert und hauptsächlich für Explosionen um 150 Kilotonnen verwendetwird, gelingt einem teleseismologischen Netz bereits der Nachweis unterirdisch gezündeternuklearer Ladungen bis hinab zu zehn Kilotonnen TNT.

Ein solches Netz basiert auf Erfahrungen von Erdbebenmessungen. Atomexplosionenerzeugen Erdstöße ähnlich denen von Erdbeben, wobei Seismologen heute genauunterscheiden können, ob es sich um ein Erdbeben oder um eine unterirdische Atomexplosionhandelt. Im Unterschied zu Erdbeben, bei denen das Gestein auf einer ebenen Fläche vongelegentlich mehreren Kilometern bricht, wirkt der Überdruck von Atomexplosionengleichstark in alle Richtungen, so daß man in diesen Fällen von »punktförmigenQuellen« spricht. Die charakteristischen Ausschläge von Erdbeben und Kernexplosionenlassen sich daher im seismologischen Erscheinungsbild deutlich voneinander unterscheiden.Auch die Stärke einer Sprengung können seismologische Experten nach den registriertenAusschlägen abschätzen. Selbst getarnte Versuche sind durch sie richtig erfaßbar, weilden Geologen genaue Informationen über Gesteinsarten und ihre Verteilung in der Weltvorliegen und weil ihnen die infrage kommenden Orte bekannt sind, wo die Zündungunterirdischer Atomtests möglich ist.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/4 Die neue nukleare Aufrüstung: Großbritannien und Frankreich, Seite