W&F 2020/4

Es ist geschafft! Gorleben lebt!

Ein Kommentar zum Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung

von Wolfgang Ehmke

Mit dem Zwischenbericht der Endlagerkommission geht ein entscheidendes Kapitel in der bundesdeutschen Atomgeschichte zu Ende: der jahrzehntelange Streit um die Eignung des Salzstocks Gorleben-Rambow für die Endlagerung. Die Bürgerinitiative vor Ort hat diese Auseinandersetzung maßgeblich mitgestaltet, kreative Protestformen ausprobiert und nun schlußendlich Recht bekommen. W&F bot der BI an, einen Kommentar zum gerade erschienenen Zwischenbericht zu veröffentlichen.

Für die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (BI) ist es keine Überraschung, dass der Salzstock Gorleben-Rambow beim geowissenschaftlichen Ranking der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE 2020a) durch- und als Endlagerstandort herausfiel. Die Fakten, die gegen eine Eignung sprechen, sind lange bekannt. Schon nach Auswertung der Tiefbohrungen in den Jahren 1981-1983 wurden die geologischen Mängel dokumentiert. Die damals federführende Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hatte diese Mängel ebenfalls in einem Zwischenbericht festgehalten und die Empfehlung ausgesprochen, neben Gorleben weitere Standorte zu untersuchen. Nach Interventionen aus Regierungskreisen wurde diese Empfehlung jedoch kassiert, stattdessen wurde dem Salzstock fälschlich dessen „Eignungshöffigkeit“ attestiert (Deutscher Bundestag 2013, S. 146).

Ein Erfolg nach langen Jahren

Nun sind die Fakten amtlich. Die BGE nahm in ihren Zwischenbericht, den sie am 30. September 2020 in Berlin vorstellte, ein eigenes Kapitel zu Gorleben auf und legte die wissenschaftsbasierten Ausschlussgründe dar (BGE 2020b). Da mag man in Bayern schäumen, aber Gorleben ist raus.

Damit hat die BI erneut Geschichte geschrieben, das darf man mit Fug und Recht behaupten – generationenübergreifend, bunt, unverzagt, frech und mit langem Atem. Vor 43 Jahren sollte im Wendland ein riesiges Atommüllzentrum gebaut werden (Ehmke 2013, S. 15). Das Herzstück, eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), war der Ausdruck des staatlichen Bestrebens, die zivile Nutzung der Atomkraft mit der militärischen Nutzung zu verknüpfen.1 Der Widerstand gegen die Endlagerung im Land war groß, nicht nur im Wendland.

Der »Gorleben-Treck« von Hunderten protestierenden Landwirten nach Hannover im Jahr 1979 brachte die erste Wende. 100.000 Menschen bejubelten den Treck, der gegen die Pläne eines Atomzentrums im Wendland mit einer Wiederaufbereitungsanlage für Plutonium, hohen Schloten und radioaktiver Verseuchungsgefahr demonstrierte. Die Menschen entlang der Strecke und auf den Traktoren waren nicht minder aufgeschreckt durch die Havarie im Atomkraftwerk »Three Mile Island« (Harrisburg) im selben Jahr. „Technisch machbar, aber politisch nicht durchsetzbar“, sagte schließlich genau derjenige, der uns das Atomzentrum im Wendland auf großen Druck der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) eingebrockt hatte: Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) ruderte zurück. Er sah in der Aufgabe der WAA-Pläne die Chance, zumindest das Endlagerprojekt in Gorleben durchzusetzen. In einem Brief an Bundeskanzler Schmidt erläuterte er seine Strategie: Wichtiger als der Bau einer WAA sei, dass die Vorarbeiten zum Bau eines Atommüllendlagers weitergingen, um für den Bau und Betrieb der Atomkraftwerke einen Entsorgungsnachweis liefern zu können (Ehmke 1987, S. 58 f.).

Auch Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf scheiterten 1989, befeuert durch die bundesweiten Proteste nach dem Super-GAU in Tschernobyl drei Jahre zuvor. Ob in Wyhl, Brokdorf, Grohnde oder anderswo, Menschen gingen gegen die dort vorgesehenen Atomkraftwerke auf die Straße und forderten den Atomausstieg. Der Ausbau des Atomprogramms stotterte, und der außerparlamentarische Protest erwies sich als Korrekturfaktor für eine verfehlte Energiepolitik. Selbst das Bundesverfassungsgericht verwies in seinem Grundsatzurteil zur Versammlungsfreiheit in Brokdorf darauf, die Proteste seien ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie (BVerfG 1985; Der Spiegel 1985).

Bei jedem Castortransport zwischen den Jahren 1995 bis 2011 war das Wendland der zentrale Ort, wo auf Kundgebungen, auf der Straße und der Schiene der Atomausstieg eingefordert wurde, ebenso der Ausbau der regenerativen Energien und das Ende des geologisch höchst problematischen »Endlagerbergwerks« in Gorleben. Der schreckliche, von einem Erdbeben ausgelöste Tsunami in Japan 2011 mit der anschließenden Reaktorkatastrophe von Fukushima wirkte nochmals wie ein Treibsatz. Erneut gingen Abertausende für den Atomausstieg auf die Straße, und die Regierungskoalition von CDU und FDP, die zuvor noch die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und das Ende des Gorleben-Moratoriums2 beschlossen hatte, stoppte den Irrsinn (Tagesschau.de 2011). Damit wurde deutlich, dass sich der zivile, gewaltfreie Widerstand, die Beharrlichkeit und die Expertise der Arbeit der Bürgerinitiative über mehr als 40 Jahre ausgezahlt haben. Die Nutzung der Atomenergie in Deutschland wird beendet. Nun galt es noch, das geologisch unsinnige unterirdische Endlager für hochradioaktive Abfälle in Gorleben zu verhindern.

Das StandAG und seine Probleme

2013 wurde endlich ein neues Standortauswahlgesetz (StandAG) zur Auswahl möglicher Endlagerstandorte für hochstrahlenden Müll nach wissenschaftlichen Kriterien beschlossen, das 2017 nochmals überarbeitet wurde (StandAG 2017).3 Dass es dazu kam, ging unmittelbar auf die nicht versiegenden Proteste gegen die Castortransporte in den Jahren 2010 und 2011 zurück. Hinzu kamen die Ergebnisse eines drei Jahre tagenden Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu Gorleben, die 2013 vorgelegt wurden.4 Im Untersuchungsbericht wurden die ganzen Tatachenverdrehungen und Manipulationen, die es zu Gorleben gegeben hatte, herausgearbeitet, dennoch kam es nicht zu einem gemeinsamen Votum. Die Unionsparteien und die FDP klammerten sich nach wie vor an Gorleben, doch der Standort war angezählt.

In dem im Oktober 2020 vorgelegten Zwischenbericht identifizierte die BGE 90 Teilgebiete, die den geologischen Mindestanforderungen entsprechen. Diese Teilgebiete decken 54 % der bundesdeutschen Gesamtfläche ab, allerdings mit großen regionalen Unterschieden, denn allein 56 dieser Teilgebiete entfallen auf Niedersachsen. Mit dem havarierten, einst illegal betriebenen Endlager Asse II, dem Schacht Konrad sowie dem geplanten Endlager Gorleben hatte Niedersachsen auch in der Vergangenheit schon die Hauptlast im Atommüll-Desaster zu schultern.

Im Suchverfahren nach dem StandAG werden nun neben Salzstöcken auch flache Salzvorkommen, Ton und Kristallin als mögliches Lagergestein in Betracht gezogen.

Zu kritisieren gibt es am bisherigen Suchverfahren vor allem die fehlenden oder marginalen Mitbestimmungsmöglichkeiten Betroffener (Jahrens 2020). Die Rolle der Zivilgesellschaft, das lehrt uns die Gorleben-Erfolgsgeschichte, ist jedoch von zentraler Bedeutung für die Gestaltung und Akzeptanz einer jeglichen Suche nach einem Endlager (Gorleben Archiv 2019). Die Bundesregierung erschwert ohne einen transparenten und bürgernahen Prozess erneut die Suche nach einem Endlager. Daher sind mit zunehmender Eingrenzung möglicher Endlagerorte auch dort Proteste und Konflikte zu erwarten.

Widerstand übersetzen

Der jetzt vorgelegte Zwischenbericht der BGE ist ein erster Schlusspunkt unter die lange Geschichte des Widerstands gegen die Endlagerung im Wendland und deutet das Ende der Ära der atomaren Energiewirtschaft an. Doch längst ist das wendländische Widerstandssymbol X weitergewandert. Es taucht u.a. in den Dörfern auf, die vom Braunkohleabbau betroffen sind – Gorleben ist jetzt tatsächlich »überall«, denn es geht nicht mehr allein um die Atomkraft, sondern um eine Energiepolitik ohne Kohle und Atom.

Wie ein Sauerteig hat der widerständige Geist der Zivilgesellschaft das ganze Land erfasst. In diesem Sinne: »Gorleben lebt!« – bundesweit. Nach der Veröffentlichung des Zwischenberichtes der BGE bot die BI im Wendland umgehend anderen Initiativen ihre Unterstützung an, auch wenn sich die Erfahrungen und das Protestgeschehen im Wendland nicht einfach auf andere Regionen übertragen lassen. Die BI wird die Umsetzung des Atomausstiegs weiterhin kritisch und in Solidarität mit anderen Initiativen begleiten.

Anmerkungen

1) In einer Wiederaufarbeitungsanlage wird aus abgebrannten Brennelementen das beim Abbrand entstandene Plutonium abgetrennt. Dieses kann für die erneute Nutzung in Atomkraftwerken so genannten MOX-Brennelementen beigemischt oder zur Produktion von Atomwaffen verwendet werden. Im deutschen Plutoniumbunker in Hanau lagerte noch bis 2005 waffenfähiges Plutonium, teilweise seit den 1980er Jahren.

2) Das »Gorleben-Moratorium« wurde im Jahr 2000 von der Regierungskoalition von SPD und Bündnis90/Die Grünen mit den Energieversorgungsunternehmen vereinbart. Es sah die Einstellung der Erkundung des Bergwerks Gorleben bis 2010 vor, um bis dahin allgemeine sicherheitstechnische Fragen der Endlagerung zu klären.

3) Das Suchverfahren für schwach- und mittelstrahlenden Atommüll ist im Zwischenbericht ausgeklammert. Die Unklarheit über die Endlagersuche für diese schwächer strahlenden Müllsorten zementiert die »Quasi«-Lagerung in Schacht Konrad in Salzgitter.

4) Der Untersuchungsausschuss kam zustande, nachdem der Autor beim Bundesamt für Strahlenschutz Akteneinsicht in die Unterlagen zu den Tiefenbohrungen der Jahre 1981-83 im Salzstock Gorleben-Rambow genommen und festgestellt hatte, dass die damaligen Empfehlungen nicht den Ergebnissen der Erkundung entsprachen.

Literatur:

BVerfG (1985): Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985, Aktenzeichen 1 BvR 233, 341/81. BVerfGE 69, S. 315.

Bundesgesellschaft für Endlagerung (2020a): Zwischenbericht Teilgebiete gemäß §13 StandAG. SG01101/16-1/2-2019#3. Peine: BGE.

Bundesgesellschaft für Endlagerung (2020b): §36 Salzstock Gorleben – Zusammenfassung existierender Studien und Ergebnisse gemäß §§22 bis 24 StandAG im Rahmen der Ermittlung von Teilgebieten gemäß §13 StandAG. SG01101/16-1/2-2020#25. Peine: BGE.

Deutscher Bundestag (2013): Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes [Gorleben-Untersuchungsausschuss]. Drucksache 17/13700.

Der Spiegel (1985): Hohe Schwelle. Nr. 31/1985, S. 36-37.

Ehmke, W. (1987): Zwischenschritte – Die Anti-Atom-Kraft-Bewegung zwischen Gorleben und Wackersdorf. Köln: Kölner Volksblatt.

Ehmke, W. (2013): Der Widerstand gegen die Atomkraft im Wendland. In: Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv IV – Gorleben und der Castor-Widerstand. Bibliothek des Widerstands, Bd. 24. Hamburg: Laika, S. 13-37.

Gorleben Archiv e.V. (Hrsg.) (2019): „Mein lieber Herr Albrecht …!“ Wie der Gorleben-Konflikt eine Region veränderte – 34 Gespräche mit Zeitzeugen. Lüchow: jeetzelbuch.

Jahrens, L. (2020): Partizipation oder Particitainment? Gorleben Rundschau, Heft V-VII/2020, S. 18-20.

Standortauswahlgesetz (StandAG) vom 5. Mai 2017 (Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle). BGBl. I, S. 1074.

Tagesschau.de (2011): Der Einstieg in den stufenweisen Ausstieg – Kabinett billigt Atomausstieg bis 2022. Tagesschau.de, 6.6.2011.

Wolfgang Ehmke ist langjähriger Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V., Publizist und Autor des Widerstandsromans »Der Kastor kommt! Eine Beziehungsgeschichte« (2019, Lüchow: Köhring). Er arbeitet als Dozent in Sprachkursen für Geflüchtete.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/4 Umwelt, Klima, Konflikt – Krieg oder Frieden mit der Natur?, Seite 48–49