Eureka réanimé?
von Johannes M. Becker
Es ist Bewegung gekommen in die European Research Coordination Agency. Was von vielen Politik-Beobachtern und Betreibern vornehmlich aus der Reagans SDI favorisierenden Szene im vergangenen Jahr noch als ein Sturm im Wasserglas notorischer „Europäer“ abgetan worden war, nahm im Verlaufe von 1986 mehr und mehr Kontur an.
„SDI-Aufträge nur für Amerikaner?“ fragte die FAZ am 11. August 1986 und zitierte den demokratischen Senator John Glenn: „Ich sage, es ist Zeit, daß wir uns selbst unterstützen. Das ist Forschung für Amerika.“ Glenn hatte die Regierung Reagan im übrigen, so die Zeitung an anderer Stelle („SDI-Verträge nur noch in Amerika“) des Opportunismus bezichtigt: „(…) die Regierung nutze das Lockmittel umfangreicher Forschungsaufträge im Ausland, um von ihren Alliierten Zustimmung für das kontroverse Programm zu erhalten.“
Diese Entwicklung war für die bundesdeutschen SDI-Protagonisten um so peinlicher, da nur wenige Wochen zuvor ein SDI-Auftrag an den Messerschmitt Bölkow Blohm Konzern mit einem Volumen von 8,8 Millionen DM mit großem publizistischem Aufwand als Bestätigung der Vertrags- und Bündnistreue der US-Regierung gefeiert worden war. Wobei mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, von Bülow, sich gleich ein Kritiker vor, SDI zu Wort gemeldet hatte: Es handele sich um einen „schlimmen Roßtäuschertrick“ (FAZ v. 16.7.86); schließlich mache das lächerliche Finanzvolumen des MBB-Auftrages gerade zwölf Prozent vom Werte eines Tornado-Kampfflugzeuges aus. Die in etwa zeitgleich verlaufende Belebung von EUREKA mag am deutlichsten am Wandel der bundesdeutschen Haltung aufzuzeigen sein: Hatte die Bundesregierung sich bis zum Sommer 1986 strikt geweigert, für das vornehmlich von Frankreich vorangetriebene Gesamtprojekt überhaupt Gelder zur Verfügung zu stellen (Minister Riesenhuber: „EUREKA darf kein neuer Subventionstopf werden“), so annoncierte sie anläßlich der dritten EUREKA-Konferenz im Juni/Juli in London staatliche Zuschüsse von immerhin knapp 500 Millionen DM für die kommenden acht Jahre, Frankreich war hier mit der Zahlung von 330 Millionen DM für die Jahre 1985 und 1986 vorangegangen. Des weiteren stimmte die Bundesregierung auch der Einrichtung eines EUREKA-Sekretariats in Brüssel zu, machte sich schließlich nach den beiden letzten Konferenzen (in Hannover und eben in London) zügig daran, bspw. über die Wissenschaftsminister der Länder für das Projekt zu werben.'
Überhaupt können sich die Ergebnisse der Londoner Konferenz sehen lassen: Zu den bereits in Hannover im November 1985 vereinbarten 10 Einzelprojekten wurden hier 62 weitere Forschungsvorhaben fixiert, „die Palette reicht von Sonnenblumensamen bis zum automatischen Operationssaal“, wie die FR (am 2.8.86) kommentierte. Die Bundesrepublik ist an 19 Einzelprojekten beteiligt, Frankreich an mehr als der Hälfte.
Die Zeitung verdeutlichte die Wirkung von EUREKA an verschiedenen Beispielen: So arbeiten Siemens, Porsche, Audi und Daimler-Benz in Kooperation mit italienischen, schwedischen und britischen Unternehmen an „Prometheus“, einer Computersteuerung des Individual-Verkehrs auf Europas Straßen – in den USA und Japan, so Industrievertreter, werde schon mit Hochdruck an einem derartigen System gearbeitet; das erforderliche Investitionsvolumen sei für ein einzelnes Land zu klein, und im übrigen handele es sich um ein klassisches Gemeinschaftsprojekt. Bei der Kooperation von MBB und Frankreichs Ölkonzern Total („Phototronics“, Solarzellen zur Energiegewinnung) habe EUREKA ebenfalls stimulierend gewirkt; die Hälfte der 120 Millionen DM fließt nun aus französischen und deutschen Subventionstöpfen. Die staatlichen Zuschüsse werden im übrigen von dem jeweiligen Geberland individuell einzelnen Projekten zugeteilt – je nach dem Wert, den man der Sache beimißt. Sie sollen jedoch 50 Prozent der Investitionssumme nicht überschreiten.
Die Kritiker EUREKAS weisen ihrerseits auf das mit knapp 5 Milliarden DM für die avisierten Projekte recht schwache Finanzvolumen hin; die US-Regierung investiert allein 1987 stark 7 Milliarden DM in bspw. das SDI-Projekt. Auch bewegen sich die nationalen Forschungsausgaben in anderen Dimensionen (BRD z.B. über 50 Milliarden DM allein 1986). Diese Kritiker verlieren jedoch nach meiner Einschätzung die dürftigen Ausmaße bisheriger ziviler europäischer Kooperation aus den Augen – zumal wenn es sich um Umweltschutzprojekte handelte, die sich in verschiedenen EUREKA-Projekten wiederfinden.
Die an dieser Stelle bereits problematisierte Gefahr der Militarisierung zumindest einzelner EUREKA-Vorhaben muß in der Diskussion bleiben. So ist weder von einer Einbeziehung einzelner Warschauer Vertrags Staaten bisher die Rede noch von einer Ausweitung der Projektpalette auf den geisteswissenschaftlichen Bereich. Im Gegenteil sind durch den Regierungswechsel vom März 1986 in Frankreich die Tendenzen in dieser Hinsicht gestärkt. Die in EUREKA involvierten Wissenschaftler sollten ihrerseits die zahlreichen Deklarationen über den strikt zivilen Charakter des Projektes beim Wort nehmen und die Planungen im konkreten Falle mit diesem Anspruch vergleichen und, da Geheimhaltungsvorschriften von untergeordneter Rolle sein dürften, die demokratische Öffentlichkeit in die Vorgänge einbeziehen.
Johannes M. Becker ist Politikwissenschaftler in Marburg