Europa atomwaffenfrei
Konferenz auf Burg Schlaining
von Manfred Mohr
Burg Schaining, malerisch im österreichischen Burgenland gelegen und Sitz der Europäischen Friedensuniversität, war als Konferenzort gut gewählt. Zur Konferenz geladen hatten – neben der Friedensuniversität – folgende NGO's bzw. Bewegungen: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Internationales Friedensbüro (IPB), Internationale Juristenvereinigung gegen Atomwaffen (IALANA), Internationales Netzwerk von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren (INES), Projekt für europäische atomare Nicht-Weiterverbreitung (PENN), Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF). Der Einladung waren über 120 Teilnehmer gefolgt, die die Breite der konferenztragenden Organisationen und der europäischen Antiatomwaffenbewegung widerspiegelten. Es trafen sich Wissenschaftler, Politiker und Friedensaktivisten; häufig waren alle drei Qualitäten in einer Person vereinigt.
Die Konferenz (13.-15.06.1997) setzte sich aus Grundsatzreden, u.a. der Schwedin Mai-Britt Theorin, Arbeitsgruppensitzungen, u.a. zur weiteren Delegitimierung nuklearer Waffen und zur NATO-Osterweiterung, und einer abschließenden Plenarsitzung zusammen, auf der ein Aktionsprogramm und das »Schlaining Manifest« verabschiedet wurden. Aus der Konferenzdiskussion und den Abschlußdokumenten sollen folgende Punkte hervorgehoben werden:
- Vor dem Hintergrund des Kernwaffengutachtens des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom Juli 1996, der NATO-Erweiterung und der EU-Entwicklung hat die Nuklearwaffenproblematik erneut an Aktualität gewonnen. Die Bewegung für ein atomwaffenfreies Europa und für eine atomwaffenfreie Welt hat neuen Auftrieb bekommen. Sie kann sich auf eine weitgehende, in Meinungsumfragen bekräftigte Ablehnung von Kernwaffen in der Bevölkerung stützen.
- Nach dem erwähnten IGH-Gutachten sind die Drohung mit und der Einsatz von Kernwaffen generell völkerrechtswidrig. Der Gerichtshof sieht sich allerdings (und lediglich) außerstande, die Legalitätsfrage für extreme Selbstverteidigungssituationen zu entscheiden, in denen das bloße Überleben eines Staates auf dem Spiel steht. Diesen Feststellungen des Hauptrechtsprechungsorgans der UNO widerspricht die geltende Nukleardoktrin der NATO, die weder an der (Erst-)Einsatzoption Abstriche macht noch auf solche »Extremsituationen« begrenzt ist. Von daher ist das Gutachten hervorragend geeignet, die Rechtswidrigkeit der NATO-Konzeption zu belegen und (entsprechend) in nationalen bzw. internationalen Gerichtsverfahren als Argumentationsbasis benutzt zu werden.
- Es bestehen die Chance und die Notwendigkeit, Kernwaffen endgültig abzuschaffen. Ein hierauf gerichteter schrittweiser Prozeß kann u.a. die Trennung der nuklearen Gefechtsköpfe von den Trägersystemen sowie die Schaffung nuklearwaffenfreier Zonen umfassen. Entscheidend ist, daß – im Einklang mit Art. VI des Atomwaffensperrvertrages (NPT) und wie von der UN-Generalversammlung bzw. dem Europäischen Parlament gefordert – endlich nukleare Abrüstungsverhandlungen in Gang kommen, deren Ziel der Abschluß einer (Anti-)Kernwaffenkonvention nach dem Muster des Chemiewaffenübereinkommens sein muß.
- Eine künftige europäische Sicherheitsstruktur sollte sich weniger an einer osterweiterten NATO als an der OSZE orientieren. Dies hat neben sicherheitspolitischen auch Kostengründe. Gemeinsame, gesamteuropäische Sicherheit sollte sich eher auf Konfliktverhütung als auf militärische Mittel stützen. Die Europäische Union sollte ihre sich herausbildende Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zur Stärkung der Stabilisierungskapazitäten der OSZE einsetzen. Auf jeden Fall muß verhindert werden, daß die EU-Entwicklung zu einer nuklearen Proliferation führt; die EU darf nicht zu einer neuen Kernwaffenbewegung werden.
- Die nächsten praktischen Schritte der Antiatomwaffenbewegung in Europa können bzw. sollten umfassen:
- eine öffentliche Diskussion und Kritik der NATO-Atomwaffendoktrin, u.a. des Konzepts der »nuklearen Teilhabe«;
- Lobbyarbeit für atomwaffenfreie Zonen in Europa;
- Stärkung und Schutz von »Ausplauderern« (»whistleblower«);
- Schaffung eines europäischen Netzwerks innerhalb der globalen Kampagne »Abolition 2000«;
- Vorbereitungsaktivitäten zur Haager Friedenskonfernez 1999;
- Anti-Atomwaffen-Aktionen verschiedenster Art.
Die Konferenz in Burg Schlaining hat der europäischen Friedens- und Abrüstungsbewegung neue Impulse gegeben; auf ihr »follow-up« kann man gespannt sein. Sie hat zugleich verdeutlicht, daß die Atomwaffenproblematik in breitere sicherheitspolitische Fragestellungen – etwa einer europäischen Sicherheitsstruktur oder der vollständigen, auch konventionellen Abrüstung – eingebettet ist.
Prof. Dr. Manfred Mohr ist Völkerrechtler, Gründungsmitglied und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der IALANA