W&F 2020/2

Feministische Friedensarbeit

Tagung der Projektgruppe »bertha«, Hannover, 1. Februar 2020

von David Scheuing und Katharina Müller

Unter dem Titel »Feministische Friedensarbeit: Reflexion. Organisation. Thema – Gender und Intersektionalität als Chancen der antimilitaristischen und pazifistischen Arbeit« fand am 1. Februar dieses Jahres in Hannover die erste Veranstaltung der Projektgruppe »bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit« statt. Für die Gruppe, ein Zusammenschluss von Aktiven aus der Friedensbewegung, war die Veranstaltung ein erster Beitrag und Versuch, intersektionale Ansätze in der Friedensarbeit zu verankern.

Der ursprünglich für 40 Teilnehmende ausgelegte Kongress überstieg das erwartete Interesse bei Weitem, sodass die Kapazitäten erweitert wurden und am Ende rund 100 der 150 Interessent*innen am Symposium teilnehmen konnten.

Das Programm bestand aus drei Impulsvorträgen und Workshops mit abschließender Vorstellung der Ergebnisse sowie einem Ausblick auf die zukünftige (Zusammen-) Arbeit. Durch den Tag führte der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß.

Mit dem Vortrag »Frieden und Gender – Möglichkeiten und Herausforderungen von Ansätzen in ihrer praktischen Umsetzung« machte Gesa Bent den Auftakt und stellte zunächst die relevanten Definitionen von Gender, Intersektionalität und Gender Mainstreaming vor. An den Beispielen des Bündnisses »Global Partnership for the Prevention of Armed Conflict« und der »KURVE Wustrow – Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V.« zeigte sie dann verschiedene Wege auf, Geschlechtergleichstellung in Friedensorganisationen, insbesondere in ihren Planungs- und Entscheidungsprozessen, effektiv zu verankern.

Für den Vortrag »Kolonialismus und Rassismus in der deutschen und europäischen Expansionspolitik und die Folgen für Menschen und ihre Handlungsfähigkeiten« war kurzfristig Mai Ali Shatta für die erkrankte Katharina Oguntoye eingesprungen. Sie sprach über ihre eigenen Erfahrungen mit rassistischen Strukturen und den Folgen des Kolonialismus in Deutschland. Dabei kritisierte sie Friedensorganisationen, die sich kaum bis gar nicht mit ihren eigenen rassistischen und kolonialen Strukturen auseinandersetzten, und stellte fest, die »deutsche« Friedens- und Entwicklungsarbeit habe ein kolonialrassistisches Problem.

Zum Thema »Intersektionalität – was soll das denn? Von ‚race‘, class und gender – eine Unterdrückungsgeschichte und ihre emanzipatorischen Gegenentwürfe« referierte zum Abschluss der Vortragsreihe ­Joanna Mechnich. Sie erläuterte den Ursprung des Konzeptes der Intersektionalität in der US-amerikanischen Rechtstheorie als eine Linse, durch die unterschiedliche »Überschneidungen« der Wirkungen von gesellschaftlichen In- und Exklusions-Strukturen (»Race«, Klasse, Geschlecht) auf Menschen sichtbar und dadurch auch verhandelbar werden können. Ein erster wichtiger Schritt ist daher die Bereitschaft einer Gruppe oder Organisation, diese »Überschneidungen« auch anzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen, wie sie aufgrund ihrer Strukturen bestimmte Gruppen oder Personen, im besten Falle unabsichtlich, ausschließen. Auch sie äußerte sich kritisch zum Mangel an selbstreflektiven Prozessen in der Friedensbewegung, die für die Überwindung rassistischer Strukturen nötig wären. Insgesamt zeigten die Vorträge also auf, worin die Aufgabe für Friedensarbeit bestehen kann: In einer Zeit der sich wandelnden personellen wie inhaltlichen Aufstellung der Friedensbewegung und der stärkeren Professionalisierung von Friedensorganisationen muss es eine Auseinandersetzung über (mindestens) diese Fragen geben:

  • Welche Kämpfe/Bewegungen sieht die Friedensbewegung als ihre an, und mit welchen erklärt sie sich bewusst solidarisch bzw. mit welchen nicht? Hier wäre beispielsweise zu zeigen, inwieweit friedensbewegte Gruppen durch die starke Abgrenzung gegen rechts(offene) »Friedens«gruppen oftmals andere organisierte Zusammenhänge übersehen, obwohl sie gemeinsame Anliegen haben. Dazu gehören unter anderem Klimagerechtigkeitsgruppen von Black and People of Colour (BPoC), also Menschen mit Rassismuserfahrungen. Gibt es ein Einigeln der Friedensbewegung?
  • Welche Bereitschaft gibt es, sich Themen zu nähern, die nicht »klassisch« friedensbewegt scheinen? Weshalb sollten solidarische Armutsbeseitigung und Mietenstreiks, Anti-Hartz-IV-Sanktions-Arbeit, antirassistische Arbeit oder feministische Fragen nach sozialer Gerechtigkeit nicht zentrale Friedensthemen sein? Hier könnten – wie schon Frauen der ersten und zweiten Frauenbewegung sichtbar machten! – zentrale solidarische Schnittpunkte sichtbar werden. Aber es müsste auch zugehört werden können und eine Bereitschaft zur Veränderung liebgewonnener Strukturen da sein.
  • Welche Herausforderungen stellt die möglichst bewusste Auseinandersetzung mit der je unterschiedlichen Betroffenheit von rassistischer, sexistischer oder klassistischer Ausgrenzung in der Friedensarbeit für eben diese Friedensarbeit dar? Wie können Programme internationaler Friedensarbeit in diesem Licht geschaffen werden? Wie kann aber beispielsweise auch die Gleichstellungsarbeit der Bundeswehr kritisiert werden, ohne dabei sexistisch zu argumentieren?

Diesen und anderen Fragen sollten sich die Teilnehmenden mithilfe unterschiedlicher Methoden und Perspektiven im zweiten Teil des Tages nähern, in einer dreistündigen Workshop-Phase über drei parallele Themenbereiche.

So wurden im ersten Workshop (persönliche) Erfahrungen der Teilnehmer*innen und erlebte Diskriminierung reflektiert und genutzt, um Herausforderungen herauszuarbeiten und Strategien für eine intersektionale Friedensarbeit zu entwickeln. Im zweiten Workshop behandelten die Teilnehmenden intersektionale Ansätze in der internen Organisation und Strukturierung von Nichtregierungsorganisationen und anderen Akteur*innen der Friedensbewegung. Der dritte Workshop gab den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit konkreten Themen der Friedensbewegung, z.B. großen friedenspolitischen Kampagnen, deren Themensetzung und inneren Strukturen zu befassen, und versuchte, auf dieser Ebene intersektionale Ansätze zu identifizieren und zu diskutieren.

Das Symposium und die Fortsetzung der Arbeit von »bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit« sind wichtige Schritte hin zu einer intersektionalen Friedensarbeit. Einige weitere konkrete Maßnahmen konnten in der Abschlussdebatte des Kongresses bereits herausgestellt werden: Intersektionalität müsse Grundlage für alle Materialien und Veranstaltungskonzepte werden; auch in der Praxis müssten intersektionale Themen häufiger von Friedensorganisationen aufgegriffen werden; marginalisierte Gruppen in der Friedensbewegung müssten sichtbarer gemacht werden.

Dieses erste Symposium war ein erfolgreicher Beginn, der genutzt werden kann zu einer längeren Auseinandersetzung mit diesen Themen in der breiteren Friedensarbeit. Anstatt dass viele Organisationen und Gruppen diese Themen alleine behandeln, kann »bertha« ein Forum für eine gemeinsame Aushandlung und Praxis bieten. Aus dem Symposium soll eine kleine Broschüre entstehen; auch jetzt schon sind die Dokumentation und Videos des Symposiums auf friedensbertha.de zu finden.

Weitere Veranstaltungen, Formate und Austauschmöglichkeiten werden in der Zukunft kommen, eine Organisationsgruppe aus Menschen verschiedener Friedensorganisationen hat gerade ihre Arbeit aufgenommen. Wer mitmachen möchte, melde sich bei david@friedensbertha.de.

David Scheuing und Katharina Müller

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/2 Frieden begreifen, Seite 49–50