Fischers »strategische Dimension«
von Jürgen Nieth
Liebe Leserinnen, liebe Leser, der deutsche Außenminister ist schon per Amt einer der einflussreichsten in der EU und es ist auch kein Geheimnis, dass Joseph Fischer gerne EU-Außenminister werden möchte. Es ist also verständlich, dass sich keiner aus der deutschen Ministerriege so oft und so umfassend zu europäischen Zukunftsfragen zu Wort meldet wie er. Manchmal dabei auch Irritationen auslösend. So als er sich am 28.02.04 in einem Interview mit der Berliner Zeitung von der These eines Kerneuropas – einer EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, für die er seit vier Jahren gestritten hatte – verabschiedete.
In einem Interview mit der FAZ (»Die Rekonstruktion des Westens«, 06.03.04. Alle nicht anders gezeichneten Zitate sind diesem Artikel entnommen) und anderen Beiträgen werden die Gründe erkennbar, die zu diesen Kurswechsel führten: Fischer registriert eine neue Lage, in der ein Kerneuropa, das neben Deutschland und Frankreich nur wenige Länder umfasst hätte, nicht mehr reicht, um der Globalisierung und den Gefahren des Terrorismus zu begegnen. Gleichzeitig sieht er die Bereitschaft der meisten EU-Mitgliedstaaten mitzumachen. Die „Idee eines Gravitationszentrums oder einer Avantgardegruppe,“ möchte Fischer jedoch auf keinen Fall aufgeben, die Vorraussetzungen dafür sieht er sogar „im Verfassungsvertrag umgesetzt.“ Dafür spreche auch: „Nicht alle werden können, ganz wenige werden nicht wollen.“
Aus dem »Kerneuropa« ist ein Gravitationsfeld mit wechselnder Zusammensetzung geworden; natürlich immer mit Deutschland und Frankreich im Mittelpunkt, deren Macht damit gestärkt werden dürfte. Es geht um deutsche Macht in der EU und es geht um eine neue machtpolitische Positionierung der EU im weltweiten Kräftespiel.
Aus Fischers Sicht hat das „Projekt einer neuen europäischen Ordnung drei Dimensionen … : eine historische, eine pragmatische und nun auch eine strategische.“ 1989 kam für ihn diese dritte Dimension dazu. „Es zeigte sich, dass sich die Union nicht länger nur im Schlagschatten des Ost-West-Konflikts entwickeln konnte, wo die strategische Last in Amerika lag. Und die Ausrichtung dieser strategischen Dimension, die am 9.11. (1989) zutage trat, wurde durch den 11.09.(2001) wesentlich defeniert.“ Damals habe sich auch gezeigt, dass die EU für „diese strategische Dimension von Krieg und Frieden … noch nicht gebaut war.“
Dass die EU bis 1989 nur aus Geschichte und Pragmatismus bestanden haben soll, ist schon nicht nachvollziehbar, doch was versteht Fischer unter einer »strategischen Dimension« oder einer »strategischen Last«? Wenn wir im Duden (Mannheim, 2000) nachschlagen unter »Strategie« erfahren wir: „Genauer Plan des eigenen Vorgehens, der dazu dient, ein militärisches , politisches , psychologisches, wirtschaftliches o.ä. Ziel zu erreichen, und indem man die Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen können, von vorneherein einzukalkulieren versucht.“ Und unter strategisch: „genau geplant einer Strategie folgend.“ Fischers Begriffsschöpfungen werden auch unter Zuhilfenahme des Dudens nicht verständlicher, ihnen kommt man näher, wenn man das Wort Strategie in seiner ursprünglichen Bedeutung nimmt: Kriegskunst.
Auch einige weitere Formulierungen Fischers erschließen sich dann, wenn man »strategisch« liest und »militärisch« denkt. Etwa wenn Fischer davon spricht, dass nach dem 11.09. „das mangelnde strategische Bewusstsein bei uns selbst … zur mangelnden strategischen Dialogfähigkeit mit dem Partner Amerika“ führte. Oder wenn er meint, dass die NATO erst dann „ein Instrument des 21. Jahrhunderts werden (wird), wenn die strategische Dimension Europas zu Bewusstsein kommt.“
Wie stark Fischer heute in militärischen Kategorien denkt, wird deutlich, wenn er formuliert, der Irak-Krieg habe bei den Europäern die Erkenntnis gefördert, „die strategische Dimension auszufüllen. Mit der neuen Strategie, dem »Solana-Papier«,haben wir jetzt erstmals die Voraussetzung dafür geschaffen. Die Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik, besonders auch der militärischen Fähigkeiten ist dabei ein ganz wchtiger Faktor.“
Der EU ist nach 1989 weltpolitisch gesehen eine größere Rolle zugefallen. Die Macht der EU wird weiter wachsen. Und Macht an sich ist ja nichts Schlechtes. Es kommt darauf an, wie und wofür sie eingesetzt wird und welche Machtinstrumente vorrangig entwickelt werden.
Eine starke EU ist in der Lage, Pflöcke zu setzen für einen gerechteren Welthandel, einen Nord-Süd-Ausgleich, beim Ausbau des internationalen Rechtssystems und für einen Dialog der Kulturen, bei der zivilen Bearbeitung von Konflikten usw. Doch wenn schon ein Politiker wie Joseph Fischer – mit einer solchen Vita – heute nicht mehr aus militärischen Denkkategorien rauskommt, wenn in einer EU-Verfassung eine Aufrüstungsverpflichtung festgeschrieben wird, dann wissen wir, wieweit wir von einer solchen Politik heute entfernt sind.
Dabei wäre eine Zivilmacht Europa in der Weltpolitik ein Schwergewicht. Eine Militärmacht Europa bleibt bestenfalls Juniorpartner der USA, im schlechtesten Fall wird sie in einem Rüstungswettlauf hinter dieser hinterher hecheln.
Jürgen Nieth