W&F 2002/2

Frauen und Gewalt

von Christiane Lammers

Mann möchte meinen, die Zeiten hätten sich geändert: Die Emanzipationsprozesse müssten doch inzwischen weit vorangeschritten sein, wenn eine Frau der CDU vorsitzt, wenn eine Frau oberste Verfassungsrichterin ist, wenn Frauen zum Dienst an der Waffe zugelassen sind, wenn Frauen zu Selbstmordattentäterinnen werden oder wenn die Befreiung der Frau sogar nicht hinterfragtes Motiv für einen Krieg geworden ist. Also, was wollen Frauen noch mehr?

Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist …

Die Zulassung der Frau zum Dienst an der Waffe wurde zweifach in der deutschen Öffentlichkeit begründet. Zum einen als Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum anderen als Möglichkeit, ausgehend von der Armee als Teil der Gesellschaft, emanzipatorische Bestrebungen zu forcieren. Studien in Armeen, die schon länger weibliche Soldaten »integriert« haben, zeigen jedoch, dass dies weder eine Demokratisierung noch eine Humanisierung der Armeen mit sich gebracht hat – in sich wohl schon eine paradoxe Zielvorstellung –, noch dass die Frauen gleichberechtigt behandelt werden. Frauen erreichen auch hier nicht die Spitze des hierarchischen Dreiecks und bleiben in der Regel in marginalisierten Positionen.

Ein Attentat einer Palästinenserin hat zu erheblichem Aufsehen geführt. Es wurde interpretiert als weitere Eskalationsstufe des israelisch-palästinensischen Konfliktes im Sinne von „nun beteiligen sich also auch die Frauen aktiv an dem Konflikt“. Nicht die Hintergründe und Motive der Frau spielten eine Rolle, sondern allein ihr Geschlecht. Nicht nur das Phantom von der friedlichen, passiven Frau, sondern auch die Ignoranz gegenüber der tagtäglichen Betroffenheit der palästinensischen Frauen kommt zum Vorschein.

Und nun geht die Instrumentalisierung der Frauen noch einen Schritt weiter. In Anbetracht der Bilder von gefolterten Frauen auf Kabuls Straßen wird zweifach die Akzeptanz des Krieges in Afghanistan hergestellt: Die Männer können ihren Beschützertrieb mobilisieren, emanzipierte Frauen, die vielleicht ein besonders kritisches Potenzial gegenüber militärischen Männerkoalitionen aufbieten würden, werden irritiert und instrumentalisiert.

Hat Mann die Frauen in Afghanistan eigentlich gefragt, ob sie »ihre Befreiung« mit einem solchen Preis bezahlen wollen? Ob sie wiederum verbrannte Erde neu beackern, ihr Leben und das der Kinder gefährdet durch mehr als 40.000 Landminen sehen wollen? Noch nicht einmal die Opferzahlen sind bekannt. Stillschweigen wird erzeugt, um nicht an den ursprünglichen humanitären Zielen gemessen zu werden. Ist nun nach dem »gewonnenen« Krieg sichergestellt, dass der Wiederaufbau Afghanistans sich an den Interessen der Frauen orientiert? Erhebliche Zweifel sind angebracht.

Selbst in Friedensforschungs- und -arbeitsfeldern, die als typisch weiblich eingeordnet werden, bleibt die Genderperspektive bisher noch unbearbeitet liegen. Die zivile Konfliktbearbeitung, die die ganze Gesellschaftswelt und damit die Alltagswelten beider Geschlechter im Blick haben müsste, weist hier noch einige Leerstellen auf. Oftmals drängen sich auch hier die Männerwelten in den Vordergrund: Entwaffnung von Männern, Einrichtung von zivilgesellschaftlichen und politischen Strukturen nach dem Muster männlicher Dominanz, Arbeitsplätze für Männer, insbesondere für Kombattanten. Alles wichtige Arbeitsfelder, die gleichzeitig infolge der Mittelknappheit Richtungsentscheidungen in der Genderfrage sind. Es irritiert, dass auch in diesem Arbeitsfeld, das sich in der Bundesrepublik als das Arbeitsthema insbesondere von Wissenschaftlerinnen und Friedensarbeiterinnen herauskristallisiert hat, die Genderperspektive bisher keine reflektierte und erkennbare Rolle spielt.

Männer sind nicht die Wurzeln allen Übels und Frauen nicht das friedliche Geschlecht. Eine Banalität, die jedoch auf die falsche Fährte führen könnte. Die Thematisierung der Genderfrage sollte auch in friedenswissenschaftlichem Zusammenhang nicht zur Instrumentalisierung der Frauen führen, im Sinne von Frauen an die Macht und das friedliche Paradies auf Erden hat begonnen. Trotzdem – ohne diesen Zustand festzuschreiben oder in Form einer Gleichmacherei aufheben zu wollen – unterscheiden sich vor allem die Alltagswelten der beiden Geschlechter noch immer ganz wesentlich und bieten deshalb unterschiedliche Friedensstrategien an. Friedensprozesse werden nur erfolgreich sein können, wenn sie integrativ, sowohl horizontal wie auch vertikal möglichst breit angelegt sind. Dazu bedarf es eines weiten Blickes. Frauen benötigen keine patriarchalische Fürsprache, sondern Zugänge zu Ressourcen und Machtstrukturen, um ihre Sichtweisen und Interessen einzubringen. Die Geschlechterteilung hängt ohne Zweifel mit der Verfasstheit der staatlichen Strukturen und Institutionen zusammen; die Machtfrage ist gestellt – in der Hoffnung sie konstruktiv beantworten zu können.

Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist…

Kein Kinderspiel – und trotzdem möglicherweise ein Spiel ohne Verlierer.

Christiane Lammers

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/2 Frauen und Krieg, Seite