W&F 2004/3

Frieden mit friedlichen Mitteln

von Bernhard Nolz

In »Neue Wege zum Frieden« stellen Johan Galtung, Carl G. Jacobsen und Kai Frithjof Brand-Jacobsen TRANSCEND vor: eine Friedensphilosophie und einen Weg, sie in die Tat umzusetzen. TRANSCEND wird von den Autoren als eine Friedens- und Entwicklungsorganisation für Konflikttransformation mit friedlichen Mittel bezeichnet. Bernhard Nolz über die Bedeutung dieser Arbeit und auszugsweise vier Schwerpunkte vorstellend.

Wissensvermittlung und Persönlichkeitsbildung finden in sozialen Zusammenhängen und durch Medien statt. In einer aktuellen Medienerziehung, die zu einem wichtigen friedenspädagogischen Aufgabenfeld gehört, spielt eine kritische Analyse der elektronischen Medien eine ebenso wichtige Rolle wie – und das nicht erst seit »PISA« – die Wissensvermittlung durch das Medium Buch.

Für die Friedenserziehung ist die Auseinandersetzung mit der Macht und den Möglichkeiten der Medien insofern wichtig, als sich gerade in der Berichterstattung über den Bereich des Militärischen bzw. über Vorbereitung und Realisierung von Kriegen ein bedeutendes Manipulationsspektrum findet, das es zu durchschauen und kritisch offen zu legen gilt.

Eine solche Medienerziehung kann als Beitrag zur Schaffung einer Kultur des Friedens angesehen werden.

Friedenskultur orientiert sich an den Prinzipien der Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit, der Mitmenschlichkeit und Nachhaltigkeit:

  • Gewaltlosigkeit als Fähigkeit, sich kritisch und kreativ mit den verschiedenen Erscheinungsformen von Gewalt auseinander zu setzen – sei es physische, körperliche oder strukturelle oder kulturelle Gewalt – und jeweils Wege zur Beseitigung oder Minderung dieser Gewaltformen zu finden und zu gehen.
  • Gerechtigkeit als Sensibilität für Recht und Unrecht im Zusammenleben von Menschen untereinander und mit der Natur und Umwelt.
  • Mitmenschlichkeit als Sensibilität für die Andersartigkeit von Mitmenschen, für deren andere Anschauungen und Probleme, für deren (vielleicht verborgene, unausgesprochene) Bedürfnisse nach Verständnis und Verständigung.
  • Nachhaltigkeit als Sensibilität für Fragen nach einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und Umwelt, mit nicht regenerierbaren und regenerierbaren Ressourcen unserer Erde.

Für die Entwicklung von Friedenserziehung und Friedenskultur ist das Buch »Neue Wege zum Frieden« ein ergiebiger Ratgeber. Im 2. Teil des Buches beschreibt Johan Galtung seine Konflikt-Transformations-Erfahrungen aus 45 Jahren. Galtung geht davon aus, dass man Konflikten nicht vorbeugen kann, wohl aber der Gewalt, so dass es darauf ankomme, die Konfliktenergie so zu lenken, dass sie eine gewaltfreie und transformierende Wirkung erhält. Diese Wirkungsweise soll an vier Beispielen, die »Neue Wege zum Frieden« entnommen wurden, dargestellt werden.

  • Mit Shir wird eine traditionelle Konfliktlösungsstruktur vorgestellt, die insbesondere verdeutlicht, welche Bedeutung seit allen Zeiten die Gender-Perspektive für die Realisierung gewaltfreier Lösungen von Konflikten haben kann.
  • In Friedensdienst beschreibt Galtung Überlegungen zur Beendigung der Wehrpflicht, die als staatlicher Zwangdienst beurteilt wird. Den Befürwortern der Wehrpflicht hält er die transformatorische Wirkung entgegen, die mit der Einführung eines freiwilligen Friedensdienstes verbunden wäre, weil durch das Prinzip der Freiwilligkeit dem allgemeinen Friedensprozess in der Gesellschaft neue Energien zugeführt werden können. Die Sensibilität für den Frieden scheint deutschen Politikern ab zu gehen, wenn sie stur an der Wehrpflicht festhalten wollen, einen Arbeitszwang eingeführt haben, wie es ihn zuletzt in der NS-Diktatur gab, und die Zwangsschrauben gegen MigrantInnen immer fester drehen.
  • Was wir heute Globalisierung nennen, bezeichnete Johan Galtung vor 40 bzw. 26 Jahren noch als Nord-Süd-Konflikt. Heute würde man auch nicht mehr von Unabhängigkeitskämpfen reden, sondern zur Kenntnis nehmen müssen, dass fast überall auf der Welt die politische »Befreiung« in eine zerstörerische Abhängigkeit durch die Industrieländer und ihre Unterdrückungsinstrumente wie Weltbank und Internationaler Währungsfond (IWF) gemündet ist. Galtungs Vorschläge beziehen sich auf die Überwindung der negativen Folgen der Globalisierung, die sich bis heute verschärft haben und die durch die Politik des Neoliberalismus auf die Bevölkerung der Industrieländer in Form von Sozialabbau und politischer Entrechtung zurück fallen. Johan Galtung weist »prophetisch« auf gewaltfreie Wege zur Konfliktlösung hin, die auf lokaler und regionaler Ebene zum Tragen kommen können und dem Abbau struktureller Gewaltverhältnisse eine positive Gestaltungsmöglichkeit entgegen halten.

Im Folgenden Textauszüge aus o.g. Buch von Johan Galtung zu diesen vier Punkten:

Shir – eine traditionelle Konfliktlösungsstruktur

Konflikt setzt menschliche und soziale, individuelle und kollektive Energie frei und baut sie auf. Die Frage ist, wie diese Energie in Richtungen gelenkt werden kann, die zu konstruktiven und nicht zu destruktiven Ergebnissen führen. Man sehe in die Gesichter, man sehe den Menschen in die Augen, wenn sie sich im Konflikt befinden: Einige sehen matt und apathisch aus, die Augen anderer leuchten vor Aktionsbereitschaft. Die Frage ist, aktionsbereit zu welcher Aktion: zum Kampf auf dem Schlachtfeld oder zum Ersteigen der Gipfel menschlicher Kreativität?

… Wir jedoch suchen einen Weg, wie Menschen gemeinsam kreativ werden können wie z.B. im »Shir« in Somalia.

»Shir« ist eine traditionelle Konfliktlösungsstruktur: Alle reifen Männer der in einen Konflikt verwickelten Klans treffen sich. Frauen, Kinder und junge heißblütige Krieger sind ausgeschlossen. Die Männer lagern sich während des heißen, trockenen Tages unter den Dornenbäumen. Sie schwatzen und trinken Tee. Sie verbringen auch viele Stunden damit, Kat zu kauen, die leicht euphorisierende Droge, die am Horn von Afrika angebaut wird. Sie rauchen, begrüßen einander, freuen sich, alte Freunde – und alte Feinde zu treffen. An irgendeinem Punkt, nehmen die Dinge Gestalt an. Die verschiedenen Teile, die das Hauptproblem bilden, um dessentwillen der »Shir« zusammengerufen wurde, zerfallen in Stücke, weil langsam ein Klima entstand, das einer Lösung förderlich ist. Das Ergebnis ist richtiger Frieden, ein Frieden von innen, ein Frieden, der nichts mit den von den UN organisierten eiligen Konferenzen in Hotels mit Klimaanlage in Addis Abeba gemeinsam hat.

Kurz gesagt: ein Konfliktmarkt, bis an seine Ränder mit Dialogen gefüllt!

Wir nehmen nicht an, dass es einfach wäre, das in diesem Kapitel beschriebene Modell umzusetzen. Wir wollen betonen, dass große intellektuelle Anstrengungen notwendig sind, um fruchtbare Konfliktperspektiven zu entwickeln. Allerdings sollte der intellektuelle Aspekt durch keine Aufmerksamkeit auf das Emotionale und das Unterbewusste, wie man sie auch rechtfertigen mag, geschmälert werden, ganz gleich ob Konflikte eine ausreichende Anzahl von Menschen mit den notwendigen Talenten mobilisieren oder nicht. Das Urteil des 20. Jahrhunderts über den Krieg ist ein schallendes Nein. Wir müssen noch viel lernen und tun, um Konflikte besser zu handhaben.

Friedensdienst

Eine TRANSCEND-Perspektive aus den Jahren 1959 und 1964:

Diagnose

Die Pflicht zum Militärdienst, die 1505 von Machiavelli vorgeschlagen worden war, wurde zuerst 1793 von Frankreich als die Kehrseite der Bürgerrechte eingeführt: Die Pflicht, sein Leben zu geben, wenn der Staat dazu aufrief. Als logische Konsequenz des militärischen Herangehens an Konflikte, das tief in der europäischen Tradition verwurzelt ist, war die Wehrpflicht auch eine Konsequenz der wachsenden Demokratisierung (Teilnahme des »demos«) für Männer. Die Wehrpflicht wirft eine Reihe von Fragen auf:

  • Gibt es eine »militärische Lösung« eines Konflikts?
  • Gibt es eine Alternative für die, die aus irgendeinem Grund »nein« sagen?
  • Könnte die Alternative ein Friedens- oder Entwicklungsdienst sein?
  • Was würde ein solcher Dienst genau enthalten?
  • Wie ist es mit der weiblichen Hälfte der Bevölkerung?

Die Antwort auf die erste Frage bedingt die Antwort auf die folgenden vier. Sie reflektiert die Trennung zwischen Bellizisten (Kriegsbefürwortern) und Pazifisten:

Bellizisten: Es gibt keine Alternative. Wenn ein Kriegsdienstverweigerer-Status akzeptiert wird, soll er nicht attraktiver als der Militärdienst sein und Risiken enthalten. Die Bellizisten sind geteilter Meinung in der Frage, ob Frauen Posten im Militär bekleiden sollten oder nicht.

Pazifisten: Eine Alternative zur Wehrpflicht zu haben ist Menschenrecht. Es sollte auch einen Friedens- bzw. Entwicklungsdienst geben, der allen offen steht, auch Frauen.

Das Staatsmonopol auf Gewalt macht den Staat nicht nur zum Organisator von Militärmacht, sondern auch zu einer Kraft, diejenigen, die es ablehnen, Militärdienst zu leisten, zu exekutieren (als Deserteure), zu verfolgen und ins Gefängnis zu sperren oder ihnen das Recht auf eine Alternative zuzugestehen. Dadurch wird das Problem vom formalen Standpunkt aus zu einem Problem zwischen Staat und Bürger und von einem evolutionären Standpunkt aus zu einem Problem, das neue Wege öffnet, dem Friedensprozess ganzflächig neue Energien zuzuführen.

Prognose

Die Prognose ist positiv, weil es absurd ist, jungen Menschen, die dem Frieden dienen wollen, das Recht dazu zu verweigern (Absurdität: Eine tiefe Diskrepanz zwischen erklärten Zielen und der Realität). In manchen Ländern mag es im Wesentlichen eine Frage der genügend großen Zahl von Kriegsdienstverweigerern sein, nicht nur eine Alternative mit allgemeiner Anziehungskraft zu formulieren, sondern auch diesen Ansatz mit zivilem Ungehorsam zu begleiten, den die Alternative darstellt.

Therapie

Seit den späten 50er bzw. den frühen 60er Jahren ist ein »Friedenskorps«, das nicht nur so heißt, von Wichtigkeit. Es verbindet fünf Aspekte miteinander:

  • Das Friedenskorps leistet Entwicklungsdienst für die Bedürftigsten der Weltgemeinschaft,
  • sein Dienst soll auf Gegenseitigkeit beruhen, nicht nur in Richtung von den reichen zu den armen Ländern; ein Hin- und Herfließen von menschlichen und sozialen Entwicklungsdiensten im Austausch mit technischen Diensten,
  • die Menschen, die diesen Dienst tun, können auch als Konflikt-Lösungs-Korps, bestehend aus Jungen und Alten, Männern und Frauen, dienen; sie sollen sich integer in die Konfliktgebiete begeben, ihre guten Dienste als Zeugen, Helfer bei Konfliktlösung und Versöhnung, beim Aufbau sozialer Netzwerke und der Bestärkung zum Frieden, Errichten von Friedenszonen usw. leisten,
  • Internationalisierung des Korps (wie die Freiwilligen der Vereinten Nationen), womit vermieden wird, dass es zu Propagandazwecken für nur ein Land benutzt wird,
  • Offenhalten für alle: Für Junge und Alte, Männer und Frauen.

Das würde nicht nur sicherstellen, dass Kriegsdienstverweigerer ihre Zeit nicht vergeuden und dass sie das Problem ihrer zunehmenden Polarisierung und Marginalisierung durch die Regierung lösen, sondern es würde auch andere Menschen für einen alternativen, gewaltfreien Dienst für den Frieden als Menschenrecht mobilisieren.

Nord-Süd-Konflikt

Eine TRANSCEND-Perspektive aus den Jahren 1964 und 1978

Diagnose

Was diesen riesigen Komplex zu einem Konflikt-Komplex macht, ist nicht der Umstand, dass einige Menschen reich und einige arm sind, dass die Grundbedürfnisse der einen erfüllt werden und die der anderen nicht, sondern dass einige Menschen deshalb arm sind, weil andere reich sind und umgekehrt. Das nennt man Ausbeutung (oder sanfter ausgedrückt: Unfairness), und es ist allgegenwärtig. Dadurch wird weder Armut noch Reichtum erklärt. Viele andere Faktoren sind am Werk: Einer ist harte Arbeit, ein anderer Gier, aber ein dritter Faktor ist sicherlich der Mangel an Rücksicht und die damit verbundene Ausbeutung.

Der Mangel an Rücksicht ist tief in dem Ökonomismus als Ideologie eingewurzelt, die das Wirtschaftswachstum als Risikobereitschaft unter Bedingungen, die nur der Freie Markt bietet, erklärt, wobei man hofft, durch das Schaffen von Arbeitsplätzen die Wirkung bzw. Verteilung nach unten weiterzuleiten.

Unter gewissen Bedingungen geschieht das tatsächlich, besonders in den Ländern an der Spitze der Weltwirtschaft. Aber die Nebenwirkungen sind für gewöhnlich negativ für die Armen und positiv für die Reichen, denn z.B. sind die Fähigkeiten von jemandem, der das Rohmaterial für den Export ausgräbt, viel weniger gefordert als die eines Menschen, der mit den Problemen der Verarbeitung von Rohmaterial zu ringen hat. Anforderung, Training im Zusammenarbeiten, Verschmutzung und Abnahme der Ressourcen, all diese unsymmetrisch verteilten Nebenwirkungen wirtschaftlicher Aktivität fügen sich zu einem unsymmetrischen Austausch zusammen, der die solide Grundlage bildet, auf der sich die westliche Überlegenheit aufbaut. Da die Wirtschafts-»Wissenschaft« der Grund dafür ist, ist genau sie der Ort, wo die Heilmittel gefunden werden müssen: In einer alternativen Wirtschaft; sie zu schaffen ist eine wichtige intellektuelle Herausforderung. Viele Menschen arbeiten daran. Inzwischen geht die westliche wirtschaftliche Globalisierung weiter, nachdem der rote und der grüne Sozialismus auf Kosten einer ständig wachsenden Ungleichheit überall auf der Welt fürs Erste besiegt sind. Der geschaffene Reichtum kann nicht einmal die reichen Gesellschaften gegen Arbeitslosigkeit, Elend und Krise schützen.

Prognose

Es wird in vielen Gesellschaften Wirtschaftswachstum geben, d.h. durchschnittlich eine Aufwärtsbewegung in der Welt und in vielen Gesellschaften, und es wird eine ständig zunehmende Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern und reichen und armen Menschen in den meisten Ländern geben, wenn die Ideologie des Ökonomismus (Neoliberalismus, Neoklassizismus) tiefer in der Praxis verwurzelt sein wird. In vielen Teilen der südlichen bzw. Dritten Welt wird das zu noch massiverem Elend, zu Gewalt und Migration führen. Im Norden wird es zu massiver Arbeitslosigkeit führen.

Therapie

Wenn man die von der Natur gesetzten Grenzen bedenkt, ist klar, dass der Lebensstandard der reichsten Menschen für die meisten unerreichbar und vielleicht auch nicht wünschbar ist. Aber eine anständige Lebensgrundlage für alle ist eine vollkommen realistische Vorstellung. Dafür ist die Einhaltung einiger Richtlinien notwendig:

  • Alternative Wirtschaft: Das Augenmerk der Wirtschaft vom Wachstum weg und auf die Bedürfniserfüllung aller zu richten, eingeschlossen das offensichtliche »Verinnerlichen der Äußerlichkeiten« (d.h. das, was bisher aus dem Ausland kam, wird im Inland hergestellt) und Bedenken aller Nebenwirkungen.
  • Selbstständigkeit I: Die lokale Produktion der Mittel des Grundbedarfs anregen, besonders auf den Gebieten Ernährung, Kleidung, Obdach, Gesundheitsfürsorge und Erziehung, und über die Notwendigkeiten hinaus zu normalen Konsumgütern fortschreiten, wobei Herausforderungen angenommen, Verschmutzung durch Transport reduziert, Ressourcen besser genutzt und die Nachhaltigkeit geschützt werden.
  • Selbstständigkeit II: Darüber hinaus, Handel mit Partnern auf derselben Ebene, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Gemeint ist Süd-Süd-Handel und Süd-Süd-Zusammenarbeit aller Art.
  • Gegenseitige Entwicklungshilfe: Aus demselben Grund soll Entwicklungshilfe nur von solchen Partnern (Ländern) angenommen werden, die ihrerseits bereit sind, im Tausch Entwicklungshilfe anzunehmen. Arme Länder können menschliche und soziale Hilfe im Austausch gegen technische und wirtschaftliche Hilfe anbieten, was Fairness aufbaut.

Vieles davon hängt von der sehr ungleichen Fähigkeit der Zivilgesellschaft ab, d.h. der lokalen Behörden und der NGOs.

Unabhängigkeitskämpfe

Eine TRANSCEND-Perspektive aus den Jahren 1970-1975

Diagnose

Unter dieser allgemeinen Überschrift wurde ein Forschungsprojekt in dem Gebiet, das damals Südrhodesien war, durchgeführt: Teilweise über die Wirkung der Wirtschaftssanktionen gegen die weiße Minderheitsregierung (vier Prozent) nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung (UDI) im November 1965 und teilweise über die allgemeine Strategie eines Kampfes um Unabhängigkeit, in diesem Fall gegen den Kolonialismus der weißen Siedler mit ihrem Anspruch auf Zivilisationsmissionierung, der ihre offensichtlich wirtschaftlichen Interessen krönte. Der Konflikt war dreiseitig; die drei Parteien waren die weißen Siedler, die schwarze Mehrheit (geteilt, aber nicht in dieser Hinsicht) und die sanktionierenden Länder, besonders England. Das Ziel der Siedler war der Status quo durch UDI, das Ziel der schwarzen Mehrheit war eine Mehrheitsregierung, und das Ziel Englands war es, den Prozess zu regeln, indem es das aus dem Ruder gelaufene weiße Regime dazu brachte, sich dem »Mutterland« zu fügen.

Prognose

Die Prognose war, dass die Wirtschaftssanktionen nicht ausreichen würden, um das Regime aus dem Sattel zu heben, teilweise weil die Republik Südafrika und das weiße Siedler-Regime desjenigen Gebietes, das damals die portugiesischen Kolonien Angola und Mozambique umfasste, zur Hilfe kommen würden und teilweise, weil Wirtschaftssanktionen die Tendenz haben, die Ziele der Sanktionierten zu stärken und Innovationen zu stimulieren. Aber wichtiger war eine andere Prognose: Dass die schwarzen Freiheitskämpfer die Herren werden wollten und durch ihre eigene Befreiung eine andere Art von Beziehung hervorbringen würden, die nicht mehr so war wie die Beziehung zwischen England und dem Weißen Rhodesien. Anders gesagt: Die Freiheitskämpfer würden lieber ihren Kampf aufnehmen als darauf warten, dass die Wirtschaftssanktionen greifen würden. Der Kampf war ein gewaltsamer Guerillakampf, kein Kampf mit friedlichen Mitteln. Zu dieser Zeit waren Wirtschaftssanktionen zwar wenigstens weniger gewaltsam, aber dafür fast völlig wirkungslos.

Therapie

Der Lösungsvorschlag war ein Freiheitskampf mit völlig gewaltfreien Mitteln. Konflikttransformation und Kreativität kamen nicht in Frage: Kolonialismus kann nicht, ebenso wenig wie Sklaverei, transformiert werden, er muss abgeschafft werden. Es gibt keinen Raum für Kompromisse. Die einzige Frage war, wie und wann man sich über untergeordnete Probleme einigen würde, z.B. darüber, welche Garantien den Siedlern gegeben werden konnten, die als Bürger Zimbabwes im Land bleiben wollten.

Führende weiße Sicherheitsfachleute gaben zu verstehen, dass das, was sie am meisten fürchteten, eben solche massive Gewaltfreiheit war, z.B. in Form eines gewaltfreien Marsches auf Salisbury (jetzt Harare), womöglich von Frauen und Kindern. Sie meinten, sie könnten mit Guerillas umgehen, aber nicht mit massiver Gewaltfreiheit.

Die Reaktion der Freiheitskämpfer brachte einen anderen Aspekt zu Tage: Den Konflikt über die Eigentümerschaft der Befreiung. Der Kampf um Unabhängigkeit ist auch ein Kampf der Männlichkeit, der Selbstbestätigung, wenn nötig mit Gewalt, kein »weiblicher Kampf wie Gandhis«. Verhandlungen haben auch deshalb ihre Grenzen, weil sie die andere Seite des Kolonialismus, die Erniedrigung, das Elend von Generationen unter weißer Herrschaft, nicht berücksichtigen. Dazu kommt noch die Darstellung von Macho-Tapferkeit als Schlüssel zur Macht, wenn der Kampf vorüber ist und die schwarze Mehrheit herrscht.

Dieselbe Reaktion war in der Akhali-Bewegung für den Sikh-Staat Khalistan, der von New Delhi unabhängig sein sollte, zu beobachten: Singh heißt Löwe! Und in der kurdischen Bewegung für kurdische Autonomie: Das Problem war nicht Wirksamkeit oder Effizienz, sondern: Wer übernimmt in einem festen Patriarchat die Macht, wenn der Kampf vorbei ist, Männer oder Frauen.

Das Problem ist allgemein. Traditionelle Gewaltmittel beansprucht die Kriegerkaste für sich allein. Klasse und Geschlecht bleiben bestimmend, auch wenn die Akteure wechseln. Beim üblichen gewaltsamen Kampf überlebt das Patriarchat. Die Herausforderung besteht darin, Unterdrückung, Gewalt und Patriarchat gleichzeitig zu überwinden. Wahrlich eine riesige Aufgabe.

Literatur

Johan Galtung, Carl G. Jacobsen, Kai Frithjof Brand-Jacobsen: Neue Wege zum Frieden. Konflikte aus 45 Jahren: Diagnose, Prognose, Therapie, herausgegeben vom Bund für Soziale Verteidigung, Minden 2003, 391 S., 15,90 Euro

Bernhard Nolz ist Vorsitzender des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV), Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF), Geschäftsführer des Zentrums für Friedenskultur (ZFK) Siegen, Träger des Aachener Friedenspreises, Träger des Preises für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/3 Ziviler Widerstand, Seite