Friedensfähig statt erstschlagfähig
von Regina Hagen
Der Amtsantritt von Donald Trump ist mit berechtigten Befürchtungen verbunden. Es gibt aber auch die gegenteilige Reaktion, nämlich Hoffnung, auch in Teilen der Friedensbewegung, vor allem in den USA. Sie klammern sich an die Möglichkeit, der neue US-Präsident werde wie von ihm angekündigt ein »Friedenspräsident« sein und existierende Kriege beenden sowie keine neuen zulassen. Darauf gründen sie ihre Erwartung, Präsident Trump werde die Entscheidung zur Stationierung landgestützter US-Mittelstreckenwaffen (siehe Forum in W&F 4/2024) in Deutschland rückgängig machen.
Dies verkennt, dass sich die Stationierung in Deutschland in das von den USA seit Jahren vorangetriebene Konzept des (Conventional) Prompt Global Strike einfügt. Damit will das US-Militär dafür sorgen, dass es weltweit mit minimaler Vorwarnzeit hochpräzise Schläge auf gegnerisches Territorium durchführen kann. Zu den Aufgaben der 2021 in Wiesbaden aktivierten 2nd Multi-Domain Task Force der US Army, die für die geplanten Mittelstreckenwaffen zuständig ist, gehört genau dies: die Fähigkeit, hochwertige Ziele auf russischem Territorium durch einen Präventivschlag auszuschalten. Wir reden hier also von Angriffswaffen.
Für diejenigen hingegen, die nicht an Trumps Friedensberufung glauben, ist das erratische Verhalten des neuen Oberkommandierenden der US-Streitkräfte nur ein weiteres Argument, von der Bundesregierung noch vor Umsetzung der bilateralen Stationierungsvereinbarung deren Aufkündigung zu fordern.
Zahlreiche Sicherheitsexpert*innen, darunter auch hohe ehemalige Militärs, warnen deutlich vor den Gefahren der Stationierung. Ihre Argumente greift unsere kürzlich gegründete Kampagne »Friedensfähig statt erstschlagfähig. Für ein Mitteleuropa ohne Mittelstreckenwaffen!« auf. Diese sind: Die Stationierung hat eine stark destabilisierende Wirkung im ohnehin eisigen Verhältnis mit Russland; auch wenn die Waffen nicht nuklear bestückt sind, erhöht sich durch sie das Risiko eines Atomkriegs, und sei es nur aus Versehen; sie heizen den Rüstungswettlauf weiter an (der Einsatz der russischen Mittelstreckenrakete Oreshnik gegen die Ukraine im November vergangenen Jahres hat das Argument nur bekräftigt); sie machen Deutschland im militärischen Konfliktfall zu einem zentralen Angriffsziel russischer Waffen. Weitere Kritikpunkte sind die mangelnde öffentliche Debatte im Vorfeld der Entscheidung und die Umgehung des Parlaments, das heißt die fehlende demokratische Legitimation, sowie das Fehlen eines Verhandlungsangebots an Russland, um die Stationierung abzuwenden.
Die neue Kampagne belässt es nicht bei der Forderung, die geplante US-Stationierung zu stoppen. Kanzler Scholz initiierte im Juni vergangenen Jahres mit anderen Staatschefs ELSA, die European Long Range Strike Approach, zur Entwicklung einer eigenständigen landbasierten Mittelstreckenwaffe. Zu den Gründungsmitgliedern Deutschland, Frankreich und Polen gesellten sich inzwischen Italien, die Niederlande, Schweden und das Vereinigte Königreich. Alle oben aufgeführten Argumente gegen US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland treffen ungeschmälert auch auf ELSA zu.
Die vom Aktionsbündnis »atomwaffenfrei.jetzt« getragene und bereits von knapp 50 Organisationen sowie dem Berliner Appell unterstützte Kampagne drängt die Regierung, sich wieder auf die Vorteile und Stärken von Rüstungskontrolle und Abrüstungsvereinbarungen zu besinnen. Es ist trotz des unerbittlichen Kriegs zwischen Russland und der Ukraine nicht naiv, darauf hinzuweisen, dass unsere Zukunft – die in Deutschland, in Europa und darüber hinaus – nicht mit stetig wachsenden und immer ausgefeilteren Waffenarsenalen gesichert werden kann. Es gilt daher, die Vision einer neuen Friedensordnung für Europa im Blick zu behalten.
Im Januar schickte die Kampagne einen von zahlreichen Persönlichkeiten unterzeichneten Offenen Brief an die Kandidat*innen der Bundestagswahl. „Deutschland hat der Diplomatie der 1980er Jahre viel zu verdanken. Daher muss gerade jetzt das Signal für neue Initiativen der Rüstungskontrolle und des Dialogs aus Berlin kommen!“, gibt sie den künftigen Abgeordneten und der neuen Bundesregierung mit auf den Weg. Es steht viel auf dem Spiel und es wäre fahrlässig, nicht jede Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen, um die aktuelle Eskalationsspirale zu durchbrechen. Gespräche mit Russland über den beidseitigen Verzicht – kurzfristig zumindest ein Moratorium – der Weiterentwicklung und Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Europa sind dazu ein wichtiges Element.
Regina Hagen ist Mitbegründerin der neuen Kampagne »Friedensfähig statt erstschlagfähig. Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!« Mehr Informationen zur Kampagne und zum Offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten finden sich unter: friedensfaehig.de.