W&F 1985/3

Friedensforum Stuttgarter Wissenschaftler

von Joachim Nitsch

Stuttgart ist durch eine beachtliche Konzentration wissenschaftlicher Einrichtungen gekennzeichnet. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich im Paffenwald (S.-Vaihingen). die Institute der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten der Universität, sowie Institute der Max- Planck- Gesellschaft, der Fraunhofer- Gesellschaft und der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR). Gemeinsam mit den geisteswissenschaftlichen Fakultäten im Stadtzentrum dürften rund 3000 Wissenschaftler und Ingenieure tätig sein, dazu kommen etwa 16 000 Studenten. Die Universität Hohenheim ist nur wenige Kilometer entfernt.

Eine günstige Ausgangsbasis für friedenspolitische Arbeit sollte man meinen. Nach anfänglich erfreulicher Resonanz – Anzeigen gegen „Nachrüstung“ mit zahlreichen Unterschriften, Vorträgen an Max- Planck- Instituten u. ä. – hat sich jedoch nur, neben einem studentischen Arbeitskreis „Frieden“, das „Friedensforum Stuttgarter Wissenschaftler“ permanent etabliert. Die verbliebenen 8 bis 10 Professoren und Wissenschaftler veranstalten inzwischen die 3. Ringvorlesung. Das Thema des Semesters lautet: „Bedrohung – Wahrnehmung, Realität, Analyse“. Noch drei Vorträge stehen aus:

30.5. A. A. Guha (Frankfurt). Feindbild und Bedrohungsvorstellungen. – Welche Rolle spielen dabei die Medien?

27.6. Dr. A. von Bülow (Bonn): Vertrauensbildende Verteidigungskonzepte? Auf der Suche nach entspannungsfördernden Militärstrukturen in Ost und West.

11.7. Dr. H. G. Brauch (Mosbach): Rüstungsvergleich als Rechtfertigungsinstrument für Aufrüstung am Beispiel der Genfer Gespräche.

Letzte Aktion war ein Offener Brief an Ministerpräsident Späth, einem der enthusiastischsten Befürworter von SDI. Antwort auf unsere kritischen Fragen erhielten wir nicht, auch die örtlichen Medien griffen den Brief nicht auf, alle Oppositionsfraktionen des Landtags (einschließlich der F.D.P.) stimmten unserer Position jedoch voll zu.

Uns beschäftigt vor allem eine Frage: Warum sind unter Tausenden von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren nur wenige zu eigenem Engagement in der wissenschaftlichen Friedensarbeit bereit? Zwar wissen wir von vielen Aufgeschlossenen und Gleichgesinnten (z. B. beim Göttinger Appell), einer aktiven Teilnahme wird jedoch mit deutlicher Zurückhaltung begegnet.

Uns scheint dies symptomatisch für die stark ingenieurwissenschaftlich bezogene, also anwendungsorientierte Forschung zu sein. Daß die Vorstände der Großforschungseinrichtungen die kritische Information über und die Bewertung militärischer Forschung und Entwicklung nur ungern sehen, dürfte bekannt sein. Die Zwänge aus der Beteiligung an „rüstungsrelevanter“ Forschung und Entwicklung, der mehr oder weniger starken Abhängigkeit vom Geldgeber oder von direkten Firmenaufträgen blockieren vielfach eine Aussprache oder die Diskussion kontroverser Standpunkte. Aufforderungen in dieser Richtung entzieht man sich zumeist mit dem Hinweis auf die ausschließlich naturwissenschaftlich- technische Kompetenz; die Beurteilung der rüstungstechnischen, militärstrategischen oder forschungspolitischen Auswirkungen sei auszuklammern oder Kompetenteren (wem?) zu überlassen. Da überlegt es sich ein Wissenschaftler zweimal, ob er sein Unbehagen oder seine Kritik allzu deutlich zum Ausdruck bringt. Erst kürzlich wurden die Vorschläge des Arbeitskreises „Verantwortung in Naturwissenschaft und Technik“ von Mitarbeitern der DFVLR (der sich überregional in mehreren Zentren der Forschungsanstalt gebildet hat) zur Diskussion der Weltraumrüstung im innerbetrieblichen Rahmen abgelehnt.

Darüberhinaus dürften aber auch der Widerwille, den bequemen Standpunkt des Nichtbetroffenseins aufzugeben oder einfach auch die Fülle der alltäglichen Arbeit oder Karriereabsichten Gründe für das zaghafte Engagement vieler in der angewandten Forschung Tätiger sein.

Bleibt als Freiraum die Universität. Doch auch dort ist man, wie an allen ingenieurwissenschaftlichen Universitäten, nicht ganz frei von den o.g. Zwängen, wenn auch der Spielraum größer ist. Trotzdem bedarf es eines gewissen Fingerspitzengefühls und Hartnäckigkeit, um z.B. oben erwähnte Ringvorlesung zu etablieren und am Leben zu erhalten. Nicht von ungefähr sind in dem Forum die Geisteswissenschaftler in der Überzahl, die Beteiligung von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren läßt in Stuttgart zu wünschen übrig.

Das FSW hat deshalb beschlossen, sich an den Friedenswochen im November 1985 zu beteiligen, um noch mehr Hochschulangehörige zu erreichen und in Aufklärungs- und Diskussionsveranstaltungen darauf hinzuwirken, daß Naturwissenschaftler und Ingenieure nicht abseits stehen dürfen bei der Suche nach Wegen zur Abrüstung.

Dr. Joachim Nitsch, Wiss. Mitarbeiter der DFVLR im Forschungszentrum Stuttgart.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1985/3 1985-3, Seite