Friedensnobelpreis für Manning
von Jürgen Nieth
Vor drei Jahren veröffentlichte WikiLeaks zahlreiche Dokumente über US-amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan. Sie erinnern sich vielleicht an die Videoaufnahmen des Beschusses und Todes irakischer ZivilistInnen und JournalistInnen durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber am 12. Juli 2007 in Bagdad. Insgesamt handelt es sich um 450.000 Dokumente: Direktmeldungen von den Fronten im Irak und in Afghanistan. Sie belegen über 100.000 Todesfälle und alleine für 2010 über 300 Fälle von Folter durch ausländische Einheiten im Irak.
Als WikiLeaks-Informant wurde am 26. Mai 2010 der damals 22-jährige Obergefreite des US-Heeres Bradley Mannings inhaftiert. Es folgte für ihn eine monatelange Einzelhaft in einer 1,8 mal 2,4 Meter großen Zelle. 23 Stunden am Tag musste Mannings sich in diesem Loch aufhalten. Er hatte keinen Zugang zu Nachrichten und aktuellen Informationen; Bettlaken und Kissen gab es nicht. Wiederholt wurde ihm seine Kleidung abgenommen, so dass er nachts stundenlang nackt in seiner Zelle ausharren musste, um anschließend auch noch nackt vor seiner Zelle anzutreten. Bedingungen, die vom UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan E. Mendez, als „grausam, unmenschlich und demütigend“ bezeichnet wurden.
Während das US-Verteidigungsministerium Manning 2011 auf seinen Geisteszustand untersuchen ließ und in der Öffentlichkeit versucht wurde, ihn als einen labilen, mit seiner Identität ringenden (homosexuellen) jungen Menschen darzustellen, zeigt sich Manning selbst als politisch und humanitär engagiert. Ende Februar 2013 bekannte er sich in zehn von 22 Anklagepunkten für schuldig und gestand die Übergabe von Material an WikiLeaks. Gleichzeitig legte er dar, dass seine Entscheidung gereift sei, als er im Februar 2010 über die Festnahme von 15 Irakern recherchiert habe. Oppositionelle, die die Öffentlichkeit über Korruption in der irakischen Regierung informiert hatten, seien dafür als Terroristen verfolgt worden. Seine Vorgesetzten hätten ihn angewiesen, das Thema fallen zu lassen. Konrad Ege zitiert Manning (Freitag, 05.04.13): „Ich wusste, wenn ich fortfuhr, der Polizei in Bagdad dabei zu helfen, politische Gegner von Premierminister al-Maliki zu identifizieren, würden die eingesperrt und sehr wahrscheinlich von einer polizeilichen Spezialeinheit gefoltert. Man würde sie eine lange Zeit nicht mehr sehen – wenn überhaupt.“ Das habe ihn deprimiert, und er habe in den USA eine Debatte anstoßen wollen über „Counterinsurgency-Operationen, bei denen die Menschen in den betroffenen Gebieten ignoriert werden“.
Im Fall einer Verurteilung könnte das Strafmaß allein für die von ihm gestandenen Taten bis zu 20 Jahre Gefängnis betragen. Weiterhin offen ist aber noch der schwerste Anklagepunkt: Kollaboration mit dem Feind. Die Staatsanwaltschaft beharrt auf diesem Punkt und hat dafür lebenslänglich gefordert. Das Gericht kann über die Anträge der Staatsanwaltschaft hinausgehen und dafür die Todesstrafe verhängen.
Es ist unwahrscheinlich, dass Manning sich dieses Risikos nicht bewusst war. Er wusste, dass kein Staat ein Interesse daran hat, dass die Grausamkeit seiner Kriege öffentlich wird. Das gilt für die USA ganz besonders. Zu dicht ist noch in Erinnerung, dass die Bilder des Vietnamkrieges zum »Einsturz der Heimatfront« beitrugen. Und Manning war im Irak stationiert, während des Krieges, in dem die USA Journalisten nur »embedded« zuließen, zwecks Kontrolle der Berichterstattung.
Ein Verschweigen oder Herunterspielen von Kriegsfolgen gibt es aber auch bei uns. Wenn es um die Begründung von Kriegseinsätzen geht, sind die Titelseiten der Tageszeitungen voll. Nach dem offiziellen Kriegsende, das in den letzten 20 Jahren nie mit dem Ende bewaffneter Auseinandersetzungen übereinstimmte, wird das Schlachtfeld medial weitgehend verlassen. Wäre es anders, würden die Kriegsfolgen, die Zerstörungen, die zerrütteten und gespaltenen Gesellschaften, die Kriminalität und das Nachkriegselend sichtbar, dann wäre der nächste Militäreinsatz viel schwerer zu vermitteln.
Manning hat einen Teil der Kriegsfolgen sichtbar gemacht. Mit den von ihm veröffentlichten Menschenrechtsverletzungen, den Bildern von Folter und Mord, hat er der Kriegspropaganda die Arbeit erschwert. Vielleicht geht die Tatsache, dass die USA in ihrer Kriegsbereitschaft in Libyen und Mali etwas zurückhaltender als üblich waren, auch auf diese Veröffentlichungen zurück.
2011 und 2012 wurde er für sein »Whistleblowing« für den Friedensnobelpreis nominiert. Bekommen hat er ihn nicht, und es ist auch nicht anzunehmen, dass das Nobelpreiskomitee 2013 dazu den Mut aufbringt. Aber vielleicht ist angesichts der vielen fragwürdigen Entscheidungen in Oslo ja auch der Alternative Nobelpreis die höhere Auszeichnung. Manning hat ihn verdient.
Ihr Jürgen Nieth