Friedenspreis für Pro Asyl
Göttingen, 6. März 2010
von Jürgen Nieth
In Würdigung seiner langjährigen Arbeit für die Belange der Flüchtlinge und insbesondere für die erfolgreiche Realisierung der Kampagne »Stoppt das Sterben« hat die Stiftung Dr. Roland Röhl den Förderverein Pro Asyl e.V. am 6. März mit dem »Göttinger Friedenspreis 2010« ausgezeichnet.
Der Göttinger Friedenspreis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit 3.000 Euro dotiert. In seinem Grußwort betonte der Präsident der Georg-August-Universität, Prof. Dr. Kurt von Figura: „Die Universität ist froh, alljährlich der Ort für die Verleihung dieses außergewöhnlichen Preises sein zu dürfen und so das Anliegen Dr. Röhls unterstützen zu können. Dem diesjährigen Preisträger Pro Asyl gratulieren wir sehr herzlich zu dieser Auszeichnung. Für die künftige Arbeit wünschen wir Pro Asyl weiterhin viel Erfolg.“ Dr. von Figura hob hervor, dass Dr. Roland Röhl Anfang der 1980er Jahre als Wissenschaftler zum Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie nach Göttingen gekommen sei und später als Wissenschaftsjournalist sich besonders dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung zugewandt und dort großes Renommee erworben habe. Roland Röhl starb 1997 im Alter von 42 Jahren. Zuvor hatte er Vorkehrungen getroffen, eine Stiftung zu errichten, die dazu verhelfen soll, der Konflikt- und Friedensforschung Geltung zu verschaffen. Mit ihrer Hilfe wird seither der Göttinger Friedenspreis verliehen.
In der diesjährigen Begründung zur Preisverleihung heißt es dazu unter anderem:
„Pro Asyl lässt sich seit seiner Gründung 1986 von dem Prinzip leiten, dass Flüchtlinge einen Anspruch auf Respektierung ihrer Menschenrechte und auf Schutz vor Verfolgung haben. Pro Asyl engagiert sich für ein humanes und gerechtes Asylrecht in Deutschland und ganz Europa.
Immer häufiger werden Flüchtlinge … ohne Prüfung ihres Asylbegehrens in das EU-Land zurückgeschoben, über das sie eingereist sind. Auf Familienbindungen oder humanitäre Verpflichtungen wird dabei selbst bei Jugendlichen zumeist keine Rücksicht genommen. In einigen Grenzländern der EU sind seit Jahren gravierende Menschenrechtsverletzungen bis hin zu schweren Misshandlungen zu verzeichnen.
Neben einer Vielzahl anderer Aktivitäten unterstützt und organisiert Pro Asyl schwerpunktmäßig Flüchtlingsprojekte an den Außengrenzen der EU … Pro Asyl mischt sich in politische Debatten ein und setzt sich für humane Aufnahmebedingungen Schutzsuchender und für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards in Europa ein. Es appelliert an das Europäische Parlament, seine humanitäre Aufgabe zu erfüllen und die Flüchtlings- und Menschenrechte ernst zu nehmen. Kritisiert werden unterschiedliche und restriktive Aufnahmebedingungen, Druck gegenüber den ärmeren Grenzländern, Brutalisierungstendenzen im Umgang mit Schutzsuchenden. Konkret wird die Einstellung der FRONTEX-Einsätze gefordert.
Um immer wieder auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, betreibt Pro Asyl eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Es informiert per Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Flugblättern und Broschüren sowie regelmäßigen Mitglieder- und Spenderinformationen. Es sorgt für vertiefende und fachkundige Informationen durch themenspezifische Materialsammlungen, Bücher und Angebote im Internetportal. Es steht den Schutzsuchenden bei Behörden und Gerichten mit Recherchen, Gutachten und Rechtshilfen zur Seite.
Pro Asyl tritt an einer zentralen Schnittstelle von innerer und äußerer Friedensförderung für die Gebote menschlicher Sicherheit ein und wirkt damit als wichtige »Stimme der Humanität«…“
Es ist nicht der erste Friedenspreis, mit dem die Arbeit von Pro Asyl gewürdigt wurde. 1998 wurde der Verein bereits mit dem Bonhoeffer-Preis ausgezeichnet und 2001 erhielt Pro Asyl den Aachener Friedenspreis.
Für Pro Asyl nahmen deren Geschäftsführer Günter Burkhardt und der Europareferent Karl Kopp den Preis entgegen. In seiner Dankesrede schilderte Günter Burkhardt die traurige Realität an Europas Außengrenzen:
„Die Menschenrechte und internationale Flüchtlingsschutzstandards werden täglich an den EU-Außengrenzen eklatant verletzt. Schutzsuchende werden in Transitländer wie Libyen, die Türkei, Mauretanien und die Ukraine zurück transportiert – egal wie es dort um die Menschenrechte bestellt ist. Die Todesrate bei den Einreiseversuchen an der Seegrenze nach Europa ist unvermindert hoch. Über 500 Bootsflüchtlinge sind allein 2009 im Kanal von Sizilien ums Leben gekommen. Häufig schauen Mitgliedstaaten einfach nur zu, wie Bootsflüchtlinge verzweifelt um ihr nacktes Überleben kämpfen und streiten sich derweil über Zuständigkeitsfragen bei der Seenotrettung. Schiffscrews, die Flüchtlinge aus dem Wasser fischen, müssen befürchten mit skandalösen Verfahren wegen Beihilfe zur »illegalen Einreise« überzogen zu werden. Die fatale Botschaft dieser Gerichtsverfahren: Schiffsbesatzungen schaut weg, fahrt weiter und legt euch nicht mit der Festung Europa an. Entlang der europäischen Küsten und Landgrenzen entstehen immer mehr Haftanstalten für die neu ankommenden Flüchtlinge. Potentiellen Schutzsuchenden auf der anderen Seite des Meeres soll vermittelt werden, dass an den europäischen Küsten nur die Inhaftierung, der Rücktransport oder der nasse Tod auf sie warten.“
Eindringlich schilderte er am Beispiel zweier Prozesse wie Lebensretter kriminalisiert werden sollen. Während der Kapitän Stefan Schmidt und Elias Bierdel, die zusammen mit der Crew der Cap Anamur im Juni 2004 37 Bootsflüchtlinge vor dem sicheren Tod retteten, nach einem fast dreijährigen Prozess – wohl auf Grund des großen internationalen Drucks – freigesprochen wurden, gab es Haftstrafen für tunesische Fischer.
„Die beiden tunesischen Kapitäne der »Morthada« und der »Mohamed El Hedi« wurden (in Italien) wegen angeblichem Widerstand gegen die Staatsgewalt und gegen ein Kriegsschiff zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt …
Der damals diensthabende Kommandant der italienischen Küstenwache vertrat im Prozess die Auffassung, die Bootsflüchtlinge seien nicht in Lebensgefahr gewesen. Deshalb habe es sich nicht um eine Rettungsaktion gehandelt. Es sei die Pflicht der Küstenwache gewesen, die Einfahrt in italienische Gewässer zu verhindern. Die Manöver, mit denen die Kapitäne einer Kollision mit den Marineschiffen auswichen, wurden ihnen nun zur Last gelegt.
Fakt ist: Den Flüchtlingen ging es gesundheitlich sehr schlecht. Der Fischer Zenzeri erzählte: »Eine Schwangere hätte Lampedusa nicht mehr lebend erreicht, wenn wir ihr nicht mit traditionellen Mitteln geholfen hätten. Sie war sonnenverbrannt und am Verdursten. Alle 15 Minuten haben wir ihr frische Tücher aufgelegt, sie konnte kaum die Augen öffnen, war fast tot.« Allein drei Bootsflüchtlinge mussten umgehend nach ihrer Ankunft auf Lampedusa mit dem Rettungshubschrauber nach Sizilien ausgeflogen werden.
Die beiden verurteilten Kapitäne gehen nun in die Berufung. Ihre Schiffe wurden konfisziert, ihre Fischereilizenzen nicht erneuert.“ Damit wurde ihre Existenz vernichtet.
Zu den Auswirkungen solcher Urteile zitiert Burkhardt den Fischer Mohamed Anine Bayoud: „Ich bin 22 und ich habe keine Zukunft. Die Italiener haben ihr Ziel erreicht: viele Fischer sagen sich, sie wollen nicht helfen, damit es ihnen nicht ergeht wie Zenzeri und meinem Vater.“
Burkhardt kündigte an, dass Pro Asyl das Preisgeld des Göttinger Friedenspreises in Höhe von 3.000 Euro den tunesischen Fischern zukommen lassen wird. „Solidarität heißt, diese Lebenesretter zu unterstützen.“ Zusätzlich wird Pro Asyl Mittel bereitstellen für den weiteren Prozess.
Der Geschäftsführer von Pro Asyl verwies auf erste Erfolge der Kampagne »Stoppt das Sterben!«: „Als Pro Asyl vor rund drei Jahren (2008) diese Kampagne startete, war das Sterben an Europas Grenzen kaum ein Thema in Deutschland. Die (Frontex)Agentur und ihr oft menschenrechtsverletzendes Handeln kannte kaum jemand. Heute hat sich dies geändert, vor allem im Sommer wird die Tragödie an Europas Grenzen öffentlich.“ Kritisch stellte er dann fest, dass für die Regierungen aber offensichtlich nach wie vor »Stoppt das Sterben!« heißt, „macht es unsichtbar!
Im Süden Lybiens soll ein elektrischer Zaun gebaut werden – finanziert mit Mitteln der Europäischen Union. Mit der Türkei wird über ein Rückübernahmeabkommen verhandelt. Wirtschaftliche Vorteile und Geld dürften in Aussicht gestellt werden für eine regidere Grenzkontrolle.“
Burkhardt verweist darauf, dass nebulös und unpräzise bleibt, was konkret die Grenzschützer unter Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention an Europas Grenzen tun sollen. „Wie wird geprüft, ob Personen schutzbedürftig sind? Wie wird ggf. ein Zugang zu einem Asylverfahren gewährt? Und vor allem: Wer ist verantwortlich, wenn bei einem -Einsatz mehrere Mitgliedstaaten mit gemischten Polizeiteams koordiniert zusammenarbeiten? Was ist mit Personen auf Hoher See, die erkennbar besonderen Schutz im Sinne der Flüchtlingsaufnahmerichtlinien der Europäischen Union bedürfen – so z.B. Minderjährige, Behinderte, Schwangere oder ältere Menschen? All dies ist offen. Gibt es Anfragen im Deutschen Bundestag, etwa von der Fraktion der Grünen oder der Linken – sind die Antworten nebulös… (Wird z.B. präzise) gefragt, welche Übereinkünfte es von EU-Staaten mit anderen Staaten gibt. Die Antwort: »Die Bundesregierung sieht sich außerstande, für alle an Einsatzmaßnahmen teilnehmenden Staaten alle hier in Frage kommenden zwei- oder mehrseitigen Übereinkünfte aufzuführen.« Dabei weiß die Regierung sehr genau, welche Abkommen es gibt, so z.B. Italien mit Libyen. Im Februar wurden nun drei weitere Schnellboote von Italien zur Verfügung gestellt, die patrouillieren. Insgesamt waren es sechs. Libyen verhindert so, dass Flüchtlinge, vor allem aus Eritrea, Italien erreichen. Italien schiebt zurück. Kommen Boote doch in die Nähe italienischer Gewässer, werden libysche Einheiten gerufen und die Menschen zurück verfrachtet.“
Kritisch beleuchtete auch Jürgen Trittin, Bundesminister a.D. und Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, in seiner Laudatio die EU-Abschottungspolitik: „Die EU reagiert auf das Elend vor den Toren Europas mit einer immer massiveren Abschottung. Zur koordinierten Abschottung wurde im Jahr 2004 eine Europäische Grenz-Agentur mit dem Namen Frontex gegründet. Über Jahre hinweg agiert diese Agentur, ohne dass sich die EU-Regierungen mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen von Frontex ernsthaft auseinandergesetzt hätten. Monat für Monat werden Flüchtlingsboote im Mittelmeer oder dem Atlantik durch Frontex-Schiffe abgefangen und an ihrer Weiterfahrt in die EU gehindert.
Dabei sollten die Einhaltung menschenrechtlicher Standards, einheitliche Auslegung des Seerechts, einheitliche Definition von Seenot, bessere Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und die parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag und das Europäische Parlament eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Das Refoulement-Verbot – das Verbot, Flüchtlingsboote zurückzuweisen – muss auch auf hoher See gelten und aufgegriffene Schiffbrüchige sollen auf das Territorium des flaggeführenden oder nächstgelegenen Mitgliedstaats gebracht werden. Dort muss dann entschieden werden, wer schutzbedürftig ist und wer zurück muss.“
Jürgen Nieth