W&F 1998/1

Gastkommentar: 150 Jahre 48er Revolution

von Manfred Messerschmidt

Eine Revolution, jahrzehntelang vergessen, der man sich im Kaiserreich geradezu geschämt hat, was hat sie gewollt, warum fand sie überhaupt statt, was ist geblieben?

Sicher gehen die meisten jetzt inszenierten Jubiläumsveranstaltungen mit ihrer Thematik Freiheit, Demokratie und der Klage über das Scheitern der 48er Revolution an den wichtigsten Fragestellungen vorbei. Es wurde von den Kritikern schon früh von der »Revolution der Intellektuellen« gesprochen. In der Tat saßen in der Paulskirche zahlreiche Professoren und Juristen, Dichter und Journalisten. Wer aber kann glauben, daß deutsche Akademiker eine Revolution veranstaltet haben? Sie brachten, als sie von Frankreich importiert war, in unendlichen Debatten ihre Ideen ein, zerredeten viel, verpaßten Chancen, aber sie brachten – im März 1848 endlich – eine Reichsverfassung liberalen Zuschnitts zustande und ein Reichswahlgesetz, das auf der Grundlage allgemeiner und geheimer Wahlen allerdings nur knappe Mehrheiten gefunden hatte. Sie wollten ein einig Vaterland, es sollte groß und stark sein, deutsches Wesen und Kultur bis weit über die Grenzen ausstrahlen lassen, deutsche Interessen bis in die ferne Türkei anmelden. Der Liberalismus der Intellektuellen trug in seinem Gepäck ein beträchtliches nationalistisches Gewicht, akkumuliert infolge lang angestauter Enttäuschungen darüber, daß die Befreiungskriege leider keine Freiheitskriege gewesen waren und angesichts der österreichisch-preußischen Regie so etwas wie die Revolution von 1830 in Frankreich oder die belgische Verfassung im deutschen Raum nicht möglich war. Liberale Sehnsüchte deutscher Intellektueller träumten deshalb von Geschlossenheit und Stärke. Daß Polen und Tschechen ein national geeintes Deutschland als glückliches Anhängsel zu verschönern hatten, stand außer Frage. Nichts hat die Gemüter der bürgerlichen »Revolutionäre« in Frankfurt so erhitzen können, wie der Friedensschluß Preußens mit Dänemark. War das nicht Verrat an der deutschen Sache? Was scherte sie überdies der Druck anderer Mächte! Nationale Euphorie und die sich drängend anmeldenden Interessen von Wirtschaft und Industrie ließen wenig Raum für die Beschäftigung mit viel drängenderen sozialen Fragen: Schutz der Arbeit, Recht auf Arbeit, Festsetzung des Lohnminimums und andere Vorschläge fanden keine Mehrheit.

Die bürgerlichen »Revolutionäre« wollten keine Republik. Sie wollten nicht mit den Monarchien brechen. Die Chancen dafür standen allerdings auch schlecht. Obwohl Preußen und Österreich von der Märzwelle der Revolution überrollt wurden, ihre Hauptstädte in der Hand der Aufständischen waren, stellte sich bald heraus, daß der Sieg, vor allem in Preußen, ein bloßer Kompromiß war. Zwar hatten die Truppen auf Befehl Berlin verlassen, besiegt waren sie aber nicht. In Potsdam warteten die Offiziere nur auf das königliche Signal zum Losschlagen. Friedrich Wilhelm IV. wußte aber zunächst nicht recht, was zu tun sei: sich an die Spitze der nationalen Bewegung stellen? Ja, aber auch an die Spitze der liberalen Kräfte? Das nicht. Sein Zögern schaffte bis zum Herbst ein Moratorium, das trügerische Hoffnungen begünstigte.

Wie die Revolution durch Anstoß von außen ausgelöst und damit eher ein Geschenk für liberale Intelligenz und Besitzbürger wurde, so erhielt sie auch von außen ihren Gnadenstoß. Im Paris wurden schon im Sommer 1848 sozialrevolutionäre Aufstände brachial beendet. General Cavaignac triumphierte auf dem städtischen Schlachtfeld mit 10.000 Toten. Schließlich ging aus allen Kämpfen und Forderungen das politische System Napoleon III. hervor. In Ungarn besorgte der Zar die Wiederherstellung von »Ruhe und Ordnung«. Ende Oktober schlug Fürst Windischgrätz mit Hilfe kroatischer Truppen die Revolution in Wien nieder. Es gab also einen europäischen Takt im Auf und Ab der Revolution. Diesem gehorchte auch Preußen, das ja die kleindeutsche Mehrheit der Paulskirche zum Machtträger ihrer Illusionen erkoren hatte. Im November vertrieben Wrangels Soldaten die Nationalversammlung aus Berlin. 80.000 Mann und 170 Kanonen zählte die Streitmacht. Der König kündigte die Oktroyierung einer Verfassung an. Hier hatte das souveräne Volk nichts zu bestellen. Und es war schon bezeichnend, daß die Paulskirchen-Revolutionäre dem preußischen König die Kaiserkrone antrugen, die er aus den Händen des Volkes nicht entgegenzunehmen bereit war.

Was hatten die propreußischen Liberalen an Preußen nicht alles vorbildlich gefunden: vor allem die preußische Armee mit ihrer allgemeinen Wehrpflicht. Diese Armee rückte unter dem Prinzen von Preußen, dem »Kartätschenprinz« und späteren Kaiser Wilhelm I, mit 50.000 Mann im Juni 1849 in die Pfalz und in Baden ein, herbeigerufen von dem geflüchteten Großherzog. Hier stand die von der Revolutionsregierung auf die Reichsverfassung vereidigte Revolutionsarmee unter dem taktisch versierten Ludwig von Mieroslawski. Zu ihr gehörten aufständische badische und desertierte bayrisch-pfälzische Soldaten, Zivilisten und Idealisten. Freiheit in einer deutschen Republik und ein starkes Reich hätten sie alle gern gehabt.

Nun mußten sie gegen die preußischen Soldaten der allgemeinen Wehrpflicht kämpfen, die eine Armee des Königs war und bis 1918 geblieben ist, mit einem Offizierskorps, dem Liberalismus, Parlament und Revolution ein Greuel waren. Die Soldaten, kaserniert, fest im Griff der Unteroffiziere und Offiziere, den Sachwaltern unbedingten Gehorsams, hatten bis dahin wenig Gelegenheit gehabt, sich über die Ziele der Revolution und die Hoffnungen und Sorgen der Menschen im deutschen Südwesten kundig zu machen. Hier hatten schon im März 1848 starke sozialrevolutionäre Proteste der Landbevölkerung die Situation gekennzeichnet. Hier und in Sachsen hatte sich auch der stärkste republikanische Geist gezeigt. Aber nicht nur Preußen, sondern auch die Frankfurter Zentralregierung schickte Truppen zur Bekämpfung der unerwünschten Ausuferungen der Revolution, die unter dem Befehl des Reichskriegsministers von Peucker, eines preußischen Generals, standen. So kämpften Frankfurt und Berlin in allerdings nicht problemfreier Gemeinsamkeit gegen Soldaten der Südwestdeutschen Demokraten, die auf die Frankfurter Reichsverfassung eingeschworen waren. Dies war der Kampf der Feinde der Revolution und der halben Revolution gegen die ganze Revolution: Eine Situation, die im deutschen Gedächtnis vielfach als Konfrontation von Gut und Böse haften geblieben ist. Bismarck hatte schließlich bewiesen, daß die deutsche Einheit ohne eine demokratisch eingefärbte Revolution erreicht werden konnte: auf eine Weise, die dem Machtgedanken besonders dienlich gewesen ist. Dies haben die Liberalen geschätzt und respektiert und sich dann als Nationalliberale gemütlich im preußisch-deutschen Machtstaat niedergelassen, wo sie vereint mit den Konservativen die Sozialdemokratie zu bändigen versuchten und wo sie stolz auf ihre Söhne sein konnten, die als Reserveoffiziere die richtige Staatsgesinnung repräsentierten.

Seither spätestens ist in Deutschland erwiesen, daß der südwestdeutsche liberale Kritiker der stehenden Heere, Karl von Rotteck, im Unrecht war, und daß die preußische allgemeine Wehrpflicht, jenes Kampfinstrument gegen die Demokratie im Südwesten wie gegen soziale Unruhen in Preußen, die eigentliche deutsche Form einer demokratischen Armee darstellt. Das Bürgertum war stolz darauf, gehorchen gelernt zu haben.

Wichtige Seiten der Geschichte der 48er Revolution sind aufgrund der Entwicklung seit 1866/71 aus dem Gedächtnis verschwunden, vor allem die republikanisch-demokratischen Aspekte. Mit Recht hat Veit Valentin, der bedeutende Historiker der 48er Revolution, von der Brandmarkung des Revolutionsgedankens gesprochen.

Der Nationalismus, viel früher erwacht, aber von der Revolution weitergetrieben, hat sich dagegen kräftig weiterentwickelt und schließlich im Ersten Weltkrieg in Aufrufen von Professoren, in politischen Verbänden und Gruppierungen, wie etwa den Gegnern eines Verständigungsfriedens, insbesondere den Alldeutschen, einen Höhepunkt erreicht, der nur noch im Zweiten Weltkrieg überboten werden konnte. Erbträger waren in hohem Maße Vertreter jenes bourgeoisen Militarismus, der so liberal im Revolutionsfrühling aufgekeimt war und schließlich, von der »Blut- und Eisen-Politik« kräftig genährt, die Macht anzubeten gelernt hatte: die stärkste Armee der Welt, die Flotte auf den Weltmeeren, die Weltpolitik.

Nach 1918 reichten die Beschwörungen der Reformen von 1848/49 durch einige geschichtsbewußte Historiker und Politiker nicht aus, um die zweite deutsche Revolution wirklich erfolgreich sein zu lassen. Man wußte dank des politischen Klimas in der Kaiserzeit nicht mehr allzuviel Gründe, die zum Vergessen der ersten Revolution geführt hatten. Veit Valentin, ihr Chronist und Interpret, ist in der Weimarer Republik heftig anfeindet worden. Die Alldeutschen hatten schon während des Ersten Weltkrieges dafür gesorgt, daß ein Mann mit seinen Ansichten seine Lehrtätigkeit in Freiburg aufgeben mußte. Rechte Parteien, in denen sich viele Intellektuelle und andere Vertreter des Bürgertums sammelten, hielten nichts von den Symbolen der Republik. Schwarz-Rot-Gold war bei ihnen verpönt wie bei zahlreichen Offizieren, die die neuen Symbole verschmähten und lieber gegen die Republik zu Felde zogen. Es war so einfach, die Revolution mit der Niederlage im Krieg in Verbindung zu bringen. Damit wurde das Bild des gefährlichen Revolutionärs in starker Vergrößerung und heller Belichtung gezeichnet und dem Geschichtsbewußtsein von Millionen eingeprägt.

Nach 1945 ist begreiflicherweise nicht an den Kultur- und Sprachnationalismus und an die Machtträume der gebildeten »Revolutionäre« der Paulskirche erinnert worden. Es waren vornehmlich englische Historiker, die uns den Spiegel vorgehalten haben. Manche von ihnen hielten sogar die von der Macht träumenden Paulskirchenprofessoren für gefährlicher als die preußischen Militaristen. Aber weil sie ihre Pointen zu scharf gesetzt hatten, erkannten sich die Deutschen in diesen Bildern nicht wieder. Im Kalten Krieg legten sie Wert auf ihre demokratische Vergangenheit, die vielleicht helfen konnte, besser über die Rolle der deutschen Eliten zwischen 1933 und 1945 hinweg zu kommen. Das Jubiläum von 1848 hat viele Fragen offen gelassen. Es gibt noch vieles zu bedenken zum 15ojährigen.

Prof. Dr. Manfred Messerschmidt, Historiker und Jurist, war von 1970-1988 Leitender Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und von 1973-1988 Präsident der historischen Sektion der internationalen Gesellschaft für Militärrecht.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/1 Gewaltverhältnisse, Seite