W&F 1998/4

Gastkommentar: Neuer Anlauf in der Außenpolitik?

Zur Konzeption der rot-grünen Koalition

von Ulrich Albrecht

Das Koalitionsabkommen ist das einer Regierung, die sich nach innen wendet. Elf der zwölf Kapitel des Vertrages gelten innenpolitischen Themen. Es geht los mit Arbeitslosigkeit und der Bewältigung der Folgen der deutschen Einheit (deutlich sozialdemokratische Handschrift, deswegen ist Schröder ja auch gewählt worden), an dritter und vierter Stelle gefolgt von Kapiteln zur ökologischen Steuerreform und zur ökologischen Modernisierung (deutlich die Handschrift des grünen Partners). Die Außen- und Friedenspolitik ist die Schlußnummer in diesem Koalitionspakt. Hernach folgt, im Abgesang, lediglich ein Kapitel über die Zusammenarbeit der beiden Parteien in der Koalition.

Das elfte Kapitel, überschrieben mit dem Omnibus-Titel „Europäische Einigung, internationale Partnerschaft, Sicherheit und Frieden“, ist vergleichsweise lang ausgefallen. Das sagt dem Analytiker zunächst einmal zweierlei. Entweder werden hier eine Anzahl von Prioritäten ausformuliert. Das ist die optimistische Variante. Oder es mußten wortreich Kompromisse formuliert werden – die pessimistische Variante. Eine inhaltliche Durchsicht führt eher zu der erstgenannten Wertung.

Der Text zur Außenpolitik der neuen Regierung setzt ein mit dem Satz „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“. Das hätten Kohl/Kinkel nicht anders formuliert. Nun wird man den Text des Koalitionsabkommens nicht wegen der Formelsprache, der schönen Bezeigungen, lesen. Dienen doch solche Äußerungen der Signalisierung von Intentionen an multiple Rezipienten. Zuvörderst steht die Selbstvergewisserung der vertragschließenden Parteien, was man denn gemeinsam vorhabe. Es folgt die Information für die Öffentlichkeit (genauer: die Wähler), danach die Mitteilung an das skeptische Ausland und irgendwo dazwischen die Instruktion an die Ministerialstäbe, die ihre Wendehälse schon eifrig wiegen, und die zu wissen begehren, was nunmehr Sache ist.

Alle werden rückfragen: »Where is the beef?« Was sind die Fleischstücke der Koalitionsvereinbarung?

Wie im Wahlkampf auch (aber der ist doch vorbei) betonen Schröder/Fischer Kontinuität („Die neue Bundesregierung wird die Grundlinien bisheriger deutscher Außenpolitik weiterentwickeln“, heißt es im Auftakt unmittelbar nach dem angeführten Satz zur Friedenspolitik). Eine solche Floskel ist das Gegenteil von Neuerung. Sie ist allenfalls zur Pazifizierung skeptischer ausländischer Eliten hinnehmbar. Die Rot-Grünen müssen aufpassen, ob sie außenpolitisch nicht zu staatstragend, zu pro-NATO geraten.

Im selben Absatz steht eine Formel, die vom Sessel hochjagt. Zur Weiterentwicklung der besagten »Grundlinien« wird „die besondere Verantwortung für Demokratie und Stabilität in Mittel,- Ost- und Südosteuropa„ aufgezählt.

Generalpause. Man stelle sich einen Augenblick vor, die neue Bundesregierung beanspruche eine „besondere Verantwortung für Demokratie und Stabilität“, sagen wir mal, in den westlichen Nachbarstaaten Frankreich und England. Eine angemessene Antwort wäre dort, die Atomwaffen scharf zu machen.

Ich weiß nicht, wie Polen und Tschechen, die mit der Wahrnehmung einer „besonderen Verantwortung“ der Deutschen für ihre inneren Verhältnisse so ihre eigenen Erfahrungen haben, auf diese Passage reagieren. Vielleicht cool, den Teilsatz als unbeholfene Sympathiekundgebung wertend. Das ist der zweite Einwand gegen das Außenpolitikkapitel im Koalitionsvertrag: ist ja alles (schrecklich) gut gemeint. Nur, das reicht nicht.

Die neue Regierung tritt im ersten Halbjahr 1999 sogleich eine Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union an. Es hat sich eingebürgert, vom jeweiligen Präsidentschaftsland besondere Anstrengungen zur Förderung der Union zu erwarten, zur Abwehr von »Eurosklerose«. Da dieses Stichwort besonders für die Jahre der SPD-geführten Bundesregierung Schmidt galt, ist man bei den europäischen Nachbarn gespannt, wie die rot-grüne Koalition hier vorgehen wird. Diese verspricht im Koalitionsabkommen tapfer, „die deutsche Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 1999 zu nutzen, um der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union neue Impulse zu verleihen.“ Mithin beide Dimensionen der Entwicklung der EU, Vertiefung und Erweiterung – recht ehrgeizig.

Robin Cook als neuer britischer Außenminister hat eine solche Ratspräsidentschaft im vorigen Jahr genutzt, um den allfälligen Anti-Gipfel von Nicht-Regierungsorganisationen anzusprechen und über die Kasse der EU gar mit 125.000 Pfund fördern zu lassen. Er kam zur Schlußsitzung dieses Anti-Gipfels, um sich dessen Ergebnisse anzuhören. Es wird interessant sein zu beobachten, wie der grün-alternative neue deutsche Außenminister Fischer solche Vorlagen aufnimmt. Es gibt eine Vorbereitungsgruppe für einen erneuten Anti-Gipfel, und besonders die NGOs aus Ostmitteleuropa, die an einer Teilnahme brennendes Interesse hätten, wären auf eine bescheidene Förderung angewiesen. Als Clearing-House wirkt die Helsinki Citizens’ Assembly, die in den neuen Demokratien eine besondere Reputation genießt.

Ansonsten klingen die europa<->politischen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag verführerisch. Die Koalition will sich „für mehr Demokratrie in der Europäischen Union und die Stärkung des Europäischen Parlaments einsetzen.“ Da fällt einem der Aufstieg des Parlamentarismus in Europa als Leitbild ein: die parlamentarische Verantwortung von Ministern/Kommissaren, die Entscheidung über den Haushalt durch das Parlament, die Kompetenz zur Gesetzgebung.

Die Idee, „den europäischen Verträgen eine Grundrechtscharta voranzustellen“, verdient in dem patch-work, das ein solcher Vertrag immer sein wird, eine besondere Hervorhebung. Eine großartige Idee. Sie verleiht dem außenpolitischen Programm der Regierung jenseits von Apellen und Deklarationen Linie: es geht darum, die Herrschaft des Rechts umfassend wirksam werden zu lassen, um einen anderen Umgang mit Konflikten anzubahnen.

Appelle und Deklarationen zur Erweiterung der europäischen Institutionen, die sich wohlfeil in diesem Koalitionsvertrag finden („die historische Chance der Erweiterung der Europäischen Union…„, „Stabilisierung der mittel- und osteuropäischen Länder„), werden scharf zurückgestutzt durch die nachfolgenden Politikankündigungen. Diese überschreiten gar die Legislaturperiode: „Für den Finanzplanungszeitraum von 2000 bis 2006 muß die bisher geltende Obergrenze für den EU-<->Haushalt in Höhe von 1,27 % des BSP unter Einschluß der Kosten der Osterweiterung beibehalten und möglichst unterschritten werden.“ Mit anderen Worten: Die innenpolitisch orientierte Koalition will für die Osterweiterung keine Mark mehr ausgeben als für die bisherige EU insgesamt. Während für die Osterweiterung der NATO Dutzende von Milliarden als Mehraufwand konzipiert werden, schon aufgrund amerikanischen Drucks, sollen die Transformationsökonomien Mittelosteuropas in einen würdelosen und für sie nachteiligen Verteilungskampf um den vorhandenen EU-Topf gezogen werden.

Keine Begeisterung auslösen kann ferner, was der Koalitionsvertrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU besagt. Zum einen erfährt der verdutzte Leser, daß die neue Regierung „die Europäische Union auf dem Feld der internationalen Politik handlungsfähig“ machen will. Wie denn, war die dies bisher nicht? Die Handlungsfähigkeit der EU etwa im vormaligen Jugoslawienkrieg war beklagenswert, hatte aber Wirkungen.

Im Folgenden findet sich manches Innovative, etwa wenn die „rechtliche Basis der OSZE“ gestärkt werden soll oder „besondere Bedeutung … der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen“ zugemessen wird. In Aufnahme der Inaugurationsrede von Gustav Heinemann aus dem Jahre 1969 ist von einer neuerlichen „Förderung der Friedens- und Konfliktforschung“ die Rede, ebenso von der Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten „im Bereich von Peacekeeping und Peacebuilding“. Wenn die Bundesregierung durch die Änderung von Vorschriften für die Einstellung so Ausgebildeter auch dafür Sorge trägt, daß diese tatsächlich ihre Aufgabe ausüben können, wäre viel gewonnen.

Im Abrüstungskapitel fehlt bei den Atomwaffen das Entscheidende. Da ist etwa die Rede davon, daß „sich die neue Bundesregierung für die Absenkung des Alarmstatus der Atomwaffen“ einsetzen wolle. Sicher richtig, aber da hat Deutschland keine direkte Mitwirkung. Es steht die Entnuklearisierung der europäischen NATO an, die Beseitigung mehrerer hundert amerikanischer atomarer Fliegerbomben auf europäischen Flugbasen (sieht man von den französischen und britischen Kernwaffen ab, aber für die eigenen hat Blair eben ein solches De-alerting beschlossen). Der Direktor des angesehenen Friedensforschunsgsinstitutes der amerikanischen Notre Dame-Universität, Raimo Väyrynen, hat am entschiedensten dafür plädiert, die verbleibenden amerikanischen Nuklearwaffen auf deutschem Boden abzuziehen – und er meint kess, die Deutschen sollten hierbei die Initiative ergreifen.

Nach den Landminen steht ein weiteres Thema auf der internationalen Agende oben an: sogenannte Kleinwaffen. Hinter dieser Bezeichnung verbergen sich Infanteriewaffen aller Art, zumeist Sturmgewehre und Maschinenpistolen. In den Weltkriegen, aber auch in den für die europäischen Erfahrungen neuartigen ethnopolitischen Kriegen wie etwa im vormaligen Jugoslawien, starben die meisten Opfer durch solche Waffen. Die neue Regierung kündigt „eine Initiative zur Kontrolle und Begrenzung von Kleinwaffen“ an. Sicher verdienstvoll.

Mut zeigen die Koalitionäre – mit Blick auf vergangene Streitereien über out-of-area Einsätze der Bundeswehr, die ja bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe gingen – mit der Festlegung, daß „den Vereinten Nationen … eigenständige Einheiten für friedenserhaltende Maßnahmen (peacekeeping) als »stand by forces« angeboten“ werden sollen. Gewiß ein richtiger Schritt. Was der Generalsekretär der UNO noch lieber hätte (und was für seine Aufgaben beim »peacekeeping« noch dringlicher wäre), sind deutsche Polizi<->sten. Aber über die verfügt die Bundesregierung nicht.

Kanzler Kohls UN-Projekt, ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat mit allen Rechten, einschließlich dem zum Veto, findet sich im Koalitionsvertrag mehrfach an Bedingungen rückgebunden. Der neue Außenminister Fischer hat mittlerweile wissen lassen, daß sein Ministerium an diesem Ziel nicht mehr festhält.

Eine Reform der Bundeswehr steht an, und deswegen ist im Koalitionsvertrag auch erneut eine »Wehrstrukturkommission« vorgesehen. Hier schlägt der abgeschlagene SPD-Vorsitzende Scharping voll durch. Der alte sozialdemokratische Slogan „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ ist heute abgelöst durch die Forderung Scharpings, am Haushalt der Bundeswehr keinerlei Abstriche zu machen. Scharping hat auch erreicht, daß die neue Kommission eine des Ministers – und nicht etwa eine des Parlaments – wird. Das wird zumindest die Verfassungsrichter in Karlsruhe verdrießen, hatten diese doch mit ihrem Urteil zu den out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr und der regelmäßigen Zustimmungspflicht des Bundestages die Spur zum »Parlamentsheer« festigen wollen.

Neu ist in Deutschland die von den Koalitionären vereinbarte jährliche Vorlage eines Rüstungsexportberichtes. Über die deutsche Waffenausfuhr hat es in der Vergangenheit in Bonn viel Geheimniskrämerei gegeben. Sehr spektakulär ist der Schritt der neuen Regierung heute nicht mehr. Die US-Abrüstungsbehörde veröffentlicht seit Jahr und Tag die Waffeneinfuhr- und Ausfuhrdaten aller Herren Länder, Erkenntnisse der CIA nutzend, und die alte Bundesregierung hat den Vereinten Nationen in neuerer Zeit für deren »reporting instrument« diese Daten freiwillig angegeben. Diese Angaben waren bislang vor allem Fachleuten zugänglich. Die Veröffentlichung als Regierungsbericht wird vor allem für die Innenpolitik Bedeutung haben, im Sinne der Einrichtung von mehr Transparenz von Regierungshandeln.

Zum Schluß des außenpolitischen Teils des Koalitionsabkommens werden einzelne europäische Nachbarländer angesprochen, in bemerkenswerter Reihung. Zwar will die neue Regierung die „Beziehungen zu allen Nachbarn“ Deutschlands intensiv pflegen, aber im besonderen „der deutsch-französischen Freundschaft neue Impulse geben.“ Daß die Rot-Grünen das Verhältnis zu Frankreich nicht sonderlich pflegen würden, war im Wahlkampf von Seiten der Christdemokraten eine vernehmbare Befürchtung – insofern mag es sich um eine Pflichtbekundung handeln. Neu ist, daß gegenüber dem an zweiter Stelle genannten Polen „eine besondere historische Verantwortung“ festgestellt wird, „der die neue Bundesregierung mit dem Angebot einer immer engeren Partnerschaft zwischen Polen und Deutschen gerecht werden wird.“ Eine aktive Ostpolitik ist sozialdemokratisches Erbe, hier ist gegenüber der Regierung Kohl Neues erwartbar. Als Ansatzpunkt wird das »Weimarer Dreieck« zwischen Polen, Frankreich und Deutschland angeführt. – Mit dem nachfolgend genannten Tschechien gebe es „noch bestehende Probleme“, die „abzubauen“ seien. Dann folgt ein Passus über Israel („besondere Verpflichtung„), ehe schließlich die Rede von Rußland ist.

Entwicklungspolitische Organisationen wie VENRO (hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen) haben den einschlägigen Schlußabschnitt im internationalen Kapitel deutlich begrüßt („…läßt auf frischen Wind in der Entwicklungspolitik hoffen„). VENRO salutiert der neuen Leitung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit nachgerade überschwenglich: „Ihre Berufung hat bei uns Freude und Zuversicht ausgelöst, die großen Herausforderungen einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklungspolitik in einem offenen und konstruktiven Dialog zwischen Staat und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen sichtbar voranzubringen.“ Von diesem schönen Amtsdeutsch abgesehen: Man kommt sich fast gemein vor, wenn man zweifelt, ob diese Regierung wirklich das alte Ziel erreichen will und gar kann, die öffentlichen Zahlungen an die Dritte Welt auf 0,7 Prozent des Sozialprodukts zu steigern. Die angekündigte stärkere Förderung von NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit macht sich optisch gut, liegt aber eh im Trend: nach drei fehlgeschlagenen Entwicklungsdekaden erscheinen auch konservativen Regierungen die NGOs als rettender Strohhalm, um aus der Misere der Dritten Welt herauszukommen.

Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder hat – in verkürzender Form – die Festlegungen des Koalitionsabkommens bestätigt. In seiner zweistündigen Rede kam der Kanzler unter dem 16. (von insgesamt 20 Punkten) auf Nicht-Deutsches, auf Außenpolitik zu sprechen. Zuvor dominierte der im Auftakt dieser Erklärung ohne Abstriche vorgetragene Leitsatz: „Wir wissen: Ökonomische Leitungsfähigkeit ist der Anfang von allem.„

Kanzler Schröder setzt den Außenpolitikteil an mit deutschen Sorgen: Krieg „vor unserer Haustür in Europa„ und „in den Ländern des Südens.“ Es folgt, nach der erwartbaren Beschwörung des Verhältnisses zu den USA, ein ungewöhnliches Bekenntnis: „Etliche, die heute in diesem Deutschen Bundestag sitzen – auch manche, die jetzt Mitglied der Regierung sind – waren nicht immer mit allem einverstanden, was unsere amerikanischen Partner, vor allem in der Hochrüstungsphase des Kalten Krieges getan und vorgeschlagen haben.“

Der Kanzler erwähnt in einer tour d’horizont Kernaussagen des Koalitionsabkommens („Deutsche Außenpolitik ist und bleibt Friedenspolitik„), die Stärkung der OSZE und die Beteiligung der Bundesregierung an der Friedenswahrung im Kosovo. Etwas überraschend stellt er in diesem Zusammenhang fest: „Wir liefern damit auch eine hochmoderne Definition vom Wirken der Bundeswehr.“ Begründung: „Unsere Soldaten setzen heute ihr militärisches Know-how in immer mehr Bereichen zivil ein.“ Man liest gespannt weiter – wie agiert denn diese Zivil-Bundeswehr konkret? Schröder: „Das reicht von der Eindämmung von Naturkatastrophen bis hin zu aktiver Demokratisierungshilfe.“

Spätestens hier wird der good will des Lesers enorm strapaziert. Von „Demokratisierungshilfe“ war im Koalitionsabkommen mit bezug auf die neuen Demokratien östlich des Landes die Rede. Der Gedanke ist zu absurd, um gedacht werden zu dürfen, daß dieser Schröder zur Demokratieförderung dort die Bundeswehr out-of-area einzusetzen gedenkt. Bloß: Wo dann sollen diese Demokratisierungshelfer in Uniform tätig werden?

Der Satz in der Kanzlerrede: „Die Bundesregierung hält an dem Ziel der vollständigen Abschaffung der Massenvernichtungswaffen fest“ gerät unverhoffterweise zum ersten Prüfstein für das tatsächliche Verhalten der Regierung. In der Vollversammlung der Vereinten Nationen steht die Abstimmung an über eine Resolution mit dem Titel und Inhalt „Hin zu einer atomwaffenfreien Welt“. Aus Bonn melden Zeitungsnachrichten, daß die neue Regierung mit einem schallenden »Jein« votieren wird, der Enthaltung bei der Stimmabgabe. Das gilt aus NATO-Gründen in Fischers Außenministerium als das Frechste, was man sich erlauben kann.

Zusammengefaßt: diese Gutmenschen, die heute die Bundesrepublik regieren, haben sich in der internationalen Politik viel vorgenommen, auch wenn dies deutlich gegenüber der Innenpolitik hintenansteht. Sie formulieren ihre Absichten mitunter in einer Weise, die ihre ausländischen Partner auf ihren Stühlen unruhig werden läßt. Ein Teil der wohlklingenden Absichtsbekundungen, wie die UN-Abstimmung über die Abschaffung der Kernwaffen zeigt, wird nicht einmal die Gnadenperiode der ersten hundert Regierungstage überleben. Die Umsetzung weiterer Ankündigungen hängt nicht nur von der Regierung ab – es wird an den Bürgern liegen, zuzugreifen und einen anderen Schritt in die deutsche Politik zu bringen als in der Ära Kohl.

Prof. Dr. Ulrich Albrecht lehrt am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/4 Türkei, Seite