W&F 1998/2

Geloben? Öffentlich?

von Till Bastian

In Bremen wurde ein geplantes öffentliches Gelöbnis von der Bundeswehrführung abgesagt – der Senat hatte es im Saale stattfinden lassen wollen; das Militär reagierte beleidigt. In Frankfurt an der Oder hat die Stadtverwaltung das für den 15. August geplante Gelöbnis gleich ganz platzen lassen – und Minister Rühe konterte säuerlich: Eine Beleidigung der »Hochwasserhelden« sei das. Von »Undankbarkeit« kündete denn auch die Schlagzeile der BILD-Zeitung am 7. Mai.

In der Tat: Schlechte Zeiten für die Traditionspflege, für das öffentliche Auftreten einer krisengeschüttelten Armee. Der »Verteidigungsfall« an den deutschen Grenzen ist den Bürgern kaum noch plausibel zu machen – sollen wir ernsthaft glauben, die Dänen wollten Kiel, die Österreicher Lindau, die Tschechen Bayreuth erobern? Aber offenbar fällt es uns leichter, auf die DM zu verzichten als auf die Bundeswehr.

Das politische Establishment setzt ohnehin ganz auf den Einsatz in Übersee, da ja – so die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« des Ministers Rühe vom Dezember 1992 – die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der Zugang zu den Rohstoffen in aller Welt als „vitales Sicherheitsinteresse“ Deutschlands zu betrachten sind. Ein solcher Einsatz – gedacht wohl mehr als Befähigungsnachweis, um endlich den heißersehnten ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat antreten zu dürfen – war ja schon in Somalia über 500 Millionen DM wert, die im wahrsten Wortsinn »in den Sand« gesetzt wurden: Das ehemalige Lazarett der »Engel von Belet Huen« verrottet heute nutzlos in der Wüste Somalias…

Währenddessen wurde – und sicher zu Recht – mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß das Anwachsen rechtsradikaler Umtriebe in der Truppe durchaus zusammenhängt mit dem neuen Geist, der den »Ernstfall Übersee« zum Normaleinsatz stilisieren möchte – es scheint allerdings, daß manche Soldaten, vom Offensivdrang beflügelt, den Feind, den diese Armee seit Ende des Kalten Krieges entbehrt, schneller im eigenen Land finden als anderenorts.

Was also gibt es in dieser Situation zu zelebrieren? Was zu geloben? Den Kampf gegen die Oderfluten bei Bedarf fortzusetzen? Oder die Treue zum Grundgesetz – das aber wohl kaum in Somalia verteidigt werden muß?

Deutschland hat, seit dem Beitritt der ehemaligen DDR-Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990, neun Nachbarländer: Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz und Tschechien. Mit sechs seiner Nachbarn ist Deutschland in supranationalen Bündnissen und Zusammenschlüssen, Nato und Europäischer Union, verbunden; im Falle der EU sind bereits nationale Machtbefugnisse auf höhere Instanzen übertragen worden; die Währungsunion ist beschlossene Sache. Die Nachbarstaaten Polen und Tschechien würden sich erklärtermaßen lieber heute als morgen voll in diese Bindungen einfügen. Mit dem einzigen Nachbarland, das EU und NATO fernsteht, der Schweiz, ist eine militärische Konfrontation gewiß nicht zu fürchten. Deutschland ist also, wie schon erwähnt, „von Freunden umstellt“. Und auch mit den Ländern, die – quasi in einem zweiten konzentrischen Kreis – Nachbarn unserer Nachbarn sind (Schweden, Spanien, Italien, Slowenien, Slowakei, Weißrußland, Ukraine, Rußland), müssen kriegerische Konflikte nicht erwartet werden; die wirtschaftliche Verflechtung ist hochentwickelt und knüpft sich jeden Tag fester.

Was spräche also dagegen, daß Deutschland dem Beispiel Costa Ricas, Haitis und Panamas folgte und seine bewaffneten Streitkräfte abschaffte – als vierter Mitgliedstaat der Vereinten Nationen? Die Signalwirkung, die dieser Schritt weltpolitisch entfalten würde, wäre gewiß unvergleichlich. Sie stünde einem Land nicht schlecht zu Gesicht, dessen Soldaten 1914 und 1939 mit der gewaltsamen Überschreitung der belgischen bzw. der polnischen Grenze die beiden blutigsten Kriege dieses Jahrhunderts begonnen haben.

Es sei klargestellt, daß einer solchen Initiative keinesfalls der konsequent pazifistische Standpunkt, d.h. die prinzipielle Ablehnung jeglicher Gewaltmittel im Falle zwischenstaatlicher Konflikte, zugrunde liegen muß. Solche Konflikte werden durch weltweite Abrüstung und, vor allem, durch eine endlich wirksam gestaltete Eindämmung des internationalen Waffenhandels zwar unwahrscheinlicher, bleiben aber prinzipiell möglich. Hier, falls unbedingt erforderlich, zu intervenieren, sollte den Vereinten Nationen vorbehalten bleiben, deren Reform nicht zuletzt aus eben diesem Grund auf der Tagesordnung steht. In seiner leider fast schon vergessenen »Agenda für den Frieden« hatte der damalige Generalsekretär Butros Butros Ghali eigene Streitkräfte für die Vereinten Nationen gefordert (worin ihm übrigens auch der Bericht der von Richard Weizsäcker geleiteten »Reformkommission« bekräftigt hat). Daß eine solche »ultima ratio« der Weltgemeinschaft Wirklichkeit werde, dagegen wehren sich vor allem solche Staaten, die die Rolle des Weltpolizisten aus durchaus eigennützigen Motiven seit jeher für sich reklamieren. Darüber muß hier nicht weiter debattiert werden; eine Bundesrepublik Deutschland ohne Bundeswehr, etwa im 50. Bestandsjahr des Grundgesetzes (1999) verwirklicht, würde jedenfalls die Sicherheitslage unseres Landes nicht verschlechtern, die Chancen für den Weltfrieden jedoch erheblich verbessern. Sie könnte zudem erhebliche Kräfte und Mittel freisetzen zur Entwicklung jenes Weltbürgertums, ohne dessen Heranbildung jeder dauerhafte Friede in der Tat bloße Chimäre bleiben muß.

Dr. Till Bastian, Arzt und Publizist

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/2 Kinder und Krieg, Seite