W&F 2010/2

»Gender Counts«

10 Jahre UN-Resolution 1325 – Bilanz, Herausforderungen und Perspektiven

von Rita Schäfer

Ende Oktober 2010 jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Die Resolution verlangt, Frauen und Mädchen vor sexualisierter Kriegsgewalt zu schützen, Frauen in Friedensverhandlungen und -missionen stärker einzubeziehen und »Gender«-Dimensionen bei allen Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogrammen zu berücksichtigen. Auf diese Weise soll der Gewalt Einhalt geboten und die Geschlechtergerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften gefördert werden. Schließlich bedroht die grassierende sexuelle Gewalt in vielen Nachkriegsgesellschaften den oft labilen Frieden.

Umsetzung der UN-Resolution 1325

Selbstkritisch merkte der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem letzten Jahresbericht zur UN-Resolution 1325 an, dass der Frauenanteil in zivilen und militärischen Kontingenten der UN-Friedensmissionen verschwindet gering sei. 2008 waren knapp 3% des militärischen Personals im UN-Auftrag Frauen. Nur eine einzige der weltweit 30 Friedensmissionen wurde von einer Frau geleitet. Bei Friedensverhandlungen betrug der Frauenanteil 7,6%; von einzelnen Ausnahmen abgesehen obliegt die Verhandlungsleitung nach wie vor Männern.

Nur bei den Aus- und Fortbildungsprogrammen zu »Gender«-Themen sieht der UN-Generalsekretär einige Verbesserungen. Wie notwendig »Gender«-Trainingsprogramme sind, illustrieren die zahlreichen sexuellen Misshandlungen durch Blauhelmsoldaten, die ganze Friedensmissionen in Misskredit bringen. Die Folgen sind Misstrauen, Verachtung oder gar Anfeindungen durch die lokale Bevölkerung, die eigentlich geschützt werden sollte. Allein zwischen 2007 und 2009 wurden 450 Fälle registriert, von denen aber nur 29 weiter verfolgt wurden. Allerdings ist die Dunkelziffer weitaus höher und die Überstellung der Täter an die Justiz ihrer Heimatländer bleibt häufig ohne juristische Folgen. Faktisch wird den oft minderjährigen Opfern Gerechtigkeit verwehrt; nicht nur die Eltern der missbrauchten Mädchen, sondern auch nicht-staatliche Frauenorganisationen prangern diese Straflosigkeit an.

Während der letzten Jahre nimmt ein Netzwerk von Nicht-Regierungsorganisationen die Implementierung der UN-Resolution 1325 in den einzelnen UN-Organisationen kritisch unter die Lupe. Es verlangt, dass internationale und nationale Akteure energischer gegen sexualisierte Gewalt vorgehen sollten. Man könne nicht allein den Frauenorganisationen eines Landes zumuten, der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre und dem Genozid in Ruanda 1994 forderten Frauenrechtlerinnen und Friedensexpertinnen die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt. Jahrelang leisteten sie politische Lobbyarbeit für die Resolution 1325. Um so wichtiger sind die Einschätzungen der Vertreterinnen lokaler Organisationen, wenn es darum geht, nun die Umsetzung der Resolution 1325 auf nationaler und internationaler Ebene zu bilanzieren.

»Gender Counts«

Die internationale Konferenz »Gender Counts«, die vom 24.-26. März 2010 in Berlin stattfand, bot ein Forum für den Austausch zwischen Friedensaktivistinnen aus dem Kaukasus, dem Südosten Europas, dem Nahen Osten und aus Ostafrika. Veranstalter der dreitägigen Konferenz mit über 120 Teilnehmer/-innen war OWEN, die mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung. Gemeinsam mit dem deutschen Frauensicherheitsrat und dem Forum Ziviler Friedensdienst zielen sie darauf ab, vor allem zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Gehör zu verschaffen. So gab es mehrere Arbeitsgruppen zum Erfahrungsaustausch über die konkrete Friedensarbeit und innovative Ansätze gegen Gewalt in den unterschiedlichen Regionen, Dialogforen mit hiesigen Nicht-Regierungs- und Geberorganisationen sowie Diskussionen mit deutschen und internationalen politischen Entscheidungsträgern.

Angesichts der Tatsache, dass es bislang keine genauen Indikatoren und keinen Zeitplan zur Umsetzung der Resolution 1325 gibt, verschleppen viele Länder die Umsetzung. So haben erst einzelne Regierungen nationale Aktionspläne erarbeitet. Mancherorts scheitert deren systematische Implementierung am politischen Willen und an finanziellen Ressourcen. Deshalb fordert der deutsche Frauensicherheitsrat seit langem eine kohärente Gesamtstrategie, eine geschlechterpolitische Konzeption, konkrete Umsetzungsvorgaben und überprüfbare Kriterien im Rahmen eines nationalen Aktionsplans. Diesen Forderungen wurde während der Diskussion mit Regierungsvertretern eine eindeutige Absage erteilt. Sie beriefen sich auf zahlreiche Einzelmaßnahmen, vor allem im Trainingsbereich. Die frühere Bundesregierung hatte einen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 mit dem Hinweis abgelehnt, »Gender« sei im Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention enthalten.

Demgegenüber betonte die ugandische Friedensaktivistin Ruth Ojimbo Ochieng, dass ein nationaler Aktionsplan der deutschen Regierung zur UN-Resolution 1325 einen geeigneten Rahmen schaffe, um den Missbrauch deutscher Entwicklungsgelder durch Eliten in afrikanischen Nachkriegsgesellschaften zu unterbinden und lokale Friedensaktivistinnen zu erreichen. Sie leitet seit vielen Jahren die Organisation ISIS/WICC in Kampala, die Studien zur Problemlage von Frauen in Nachkriegsgebieten durchführt und konkrete Vorschläge für Entwicklungsprogramme formuliert. Deshalb kennt sie die Korruptionsprobleme und sucht nach Gegenstrategien.

Auch Irene Dawa, die vor allem Jugendprojekte im Norden Ugandas und im Süd-Sudan durchführt, bekräftigte, dass die UN-Resolution 1325 ein sinnvolles Instrument sei, um Frauen in peripheren ländlichen Gebieten an Friedens- und Entwicklungsprogrammen zu beteiligen. Ihre Interessen und Bedürfnisse sollten von Entwicklungsplanern und politischen Entscheidungsträgern viel stärker beachtet werden. Sonst würden weiterhin zahllose Workshops zur Demokratieförderung veranstaltet, während gleichzeitig die Gesundheitssituation so problematisch sei, dass viele Frauen an einfach zu behandelnden Krankheiten sterben. Irene Dawa unterstrich, dass es ohne die Überwindung der gravierenden Missachtung von Frauen und der geschlechtsspezifischen Gewalt keine Demokratie und keinen Frieden geben kann.

Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen

Diese Einschätzung teilte auch Flora Macula, die für UNIFEM im Kosovo arbeitet und grenzübergreifend mit serbischen Frauenorganisationen kooperiert. Zudem pflegt sie Kontakte mit Frauenrechtlerinnen in Bosnien-Herzegowina. Flora Macula erklärte, dass viele Frauenorganisationen ganz gezielt an Demokratisierungsprozessen und inter-ethnischen Dialogen arbeiten. Unter Berufung auf die UN-Resolution 1325 stärkt UNIFEM solche Frauenorganisationen. Flora Macula ist überzeugt, dass auf diese Weise auch geschlechtergerechte Rechtsreformen und politische Strukturveränderungen in Gang gesetzt werden. Sie schlug vor, dass Frauenorganisationen als wichtige zivilgesellschaftliche Interessenvertretungen die Regierungsarbeit im Bereich der Frauenrechte und Geschlechterpolitik kritisch beobachten sollten. Dafür seien Vernetzungen auf regionaler Ebene notwendig. Um das zu erreichen, muss der geschlechtsspezifischen Gewalt Einhalt geboten werden. Die »Gender«-Expertin weiß, dass die Gewalt ein zentrales Problem ist, dass Frauen aller Ethnien betrifft. Ihrer Meinung nach eint die Überwindung der Gewalt Frauen unterschiedlicher Herkunft.

Grenzüberschreitende Dialoge

Verknüpfungen zwischen gewaltgeprägter Männlichkeit und der Militarisierung einer Gesellschaft zeigten auch Friedensaktivistinnen aus dem Nahen Osten auf. So strebt die Organisation New Profile die Überwindung der Militarisierung und des Sexismus in der israelischen Gesellschaft an. Deshalb richtet sich die Kritik der politischen Machthaber auch immer wieder gegen sie. Die Organisation Al-Tariq (übersetzt »Der Weg«) bemüht sich, der Militarisierung der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft gegenzusteuern. Unter schwierigen Bedingungen veranstaltet sie Friedenscamps für palästinensische und israelische Jugendliche. In diesem Rahmen wird versucht, gewaltfreie Konfliktlösungen zu vermitteln. Diana Jarrar, eine junge Palästinenserin, und Noam Tirosh, ein junger Israeli, berichteten über ihre Projekte, die auf Einstellungsveränderungen abzielen. Gleichzeitig wiesen sie eindrücklich auf die großen Probleme hin, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind. So sind die Schwierigkeiten beim Aufbau von Verständigung sowie die Geschlechterkonflikte in ihren Gesellschaften vor allem durch die komplizierten und langjährigen politischen Konflikte begründet.

An grenzüberschreitenden Dialogprogrammen arbeiten auch Frauenorganisationen im Kaukasus. Ihr Bemühen gilt der Sensibilisierung von Lehrerinnen und Journalistinnen, die als Multiplikatorinnen für Versöhnung und Friedensstiftung gestärkt werden. Dabei beziehen sie sich auf die UN-Resolution 1325, die ausdrücklich die Potenziale von Frauenorganisationen in Friedensprozessen anerkennt. Um ihre vielerorts nicht ungefährliche Arbeit fortführen zu können, brauchen lokale Friedensaktivisten/-innen verlässliche Partnerschaften mit hiesigen Nicht-Regierungsorganisationen und internationalen Organisationen. Über bisherige Erfahrungen und zukünftige Erwartungen an solche Partnerschaften wurde während der Konferenz ganz offen diskutiert. Das war auch ein ausdrückliches Anliegen der Veranstalterinnen.

Die Konferenz »Gender Counts« verdeutlichte: Der Schutz vor Gewalt und die Verwirklichung von Frauen/Menschenrechten sind wesentliche Beiträge zur nachhaltigen Befriedung von Gesellschaften. Lokale Frauenorganisationen haben innovative Ansätze zur Überwindung gewaltgeprägter Männlichkeit und zur Demokratisierung im Sinne der UN-Resolution 1325 entwickelt. Diese sollten von politischen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern beachtet werden.

Rita Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/2 Frieden und Krieg im Islam, Seite 58–59