W&F 1993/2

Gescheitert

30 Jahre Organisation für Afrikanische Einheit

von Abdulrahman Mohamed Babu

Als die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) 1963 gegründet wurde, weckte dies auf dem Kontinent große Hoffnungen. Die Mehrheit seiner Bewohner glaubte, daß Afrika endlich die vom Kolonialismus geschaffene, auf der Berliner Konferenz von 1884 mit der künstlichen Grenzziehung festgeschriebene Aufteilung des Kontinents in künstliche »Territorien« beseitigen würde, die mit der Unabhängigkeit neue Staaten geworden waren. Aber dazu sollte es wegen der innerhalb der OAU bestehenden ideologischen Differenzen nie kommen. In Afrika besteht heute die Teilung genauso fort wie vor 30 Jahren, mit all den verheerenden Auswirkungen auf das Wohlergehen der Völker und die nationale Würde.

Die Idee der »afrikanischen Einheit« wurde als ein Mittel im Kampf gegen zwei Geißeln verstanden, die der Kolonialismus Afrika aufgebürdet hat. Eine war die Zersplitterung des Kontinents, die schwache und wirtschaftlich nicht lebensfähige Staaten nach sich zog. Die zweite war Armut, ihrerseits eine Folge der Zersplitterung, der extensiven kolonialen Ausbeutung und einer vernunftswidrigen und primitiven, jegliche Entwicklung verhindernde koloniale Wirtschaftsstruktur. Diese beiden Geißeln waren miteinander verknüpft, um die koloniale Unterwerfung und Ausbeutung zu erleichtern. Es war deshalb nicht möglich, ein Übel ohne das andere zu beseitigen – beide mußten gleichzeitig angegangen werden, indem man damit begann, die Grundlage für die Einheit des Kontinents oder, wie es Nkrumah nannte, Afrikas „vereinigtes Kommando“ zu errichten.

Kwame Nkrumah, Ghanas damaliger Präsident, war der Urheber dieser radikalen Formulierung. Es war sein unermüdliches Bemühen, das zur Gründung der OAU führte. Aber um dies trotz der damals unter den unabhängigen afrikanischen Staaten bestehenden Kluft zwischen radikalen und konservativen Strömungen zu erreichen, mußten die Radikalen bei einigen ihrer Prinzipien Zugeständnisse machen. Nur so konnten die Konservativen dazu gebracht werden, mit an Bord zu gehen. Das erwies sich als verhängnisvoll, weil es gerade die Einbeziehung der konservativen Staaten in die OAU war, die diese Organisation zu einer, wie sich heute zeigt, im Sterben liegenden Institution gemacht hat.

Ihren ersten Erfolg bei der Verhinderung der afrikanischen Einheit erzielten die Konservativen auf dem OAU-Gipfel 1964 in Kairo. Es war diese entscheidende Konferenz, auf der Nyerere, der damalige Präsident Tansanias, geschickt zur Annahme einer Resolution drängte, nach der die OAU die koloniale Grenzziehung absegnen und sie als unveränderliche Grundlage ihrer Mitgliedsstaaten anerkennen sollte. Dieser Schritt erfolgte im Einvernehmen mit Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, der zwei Jahre zuvor Eritrea annektiert und es mit brutaler Gewalt unterworfen hatte. Er war damals bemüht, diesen barbarischen Akt durch die OAU legitimieren zu lassen. Aber das eigentliche Motiv der Resolution bestand darin, Nkrumah mit seinen panafrikanischen Idealen auflaufen zu lassen, obwohl der Antragsteller vorgab, daß er die Zahl der Grenzkonflikte in Afrika niedrig halten möchte. Die Entschließung wurde mit einfacher Mehrheit angenommen und zu einem wichtigen, bindenden Grundsatz der OAU-Charta. Somit hat die OAU statt Afrikas erste Geißel, die Uneinigkeit zu überwinden, diese ironischerweise verfestigt.

Zweitens waren die Konservativen bestrebt, aus der OAU eine Institution zu machen, die ihren Interessen und nicht denen Afrikas insgesamt dient. Sie wollten das Machtgleichgewicht auf dem Kontinent zu Lasten der Radikalen verändern, die damals noch die afrikanische Politik beherrschten. Folglich fädelten sie im Zusammenwirken mit ihren früheren Kolonialherren den Sturz der radikalen Führer durch die Militärs ein.

Von der afrikanischen Einheit zum Club der Militärstaatschefs

Nur zwei bzw. drei Jahre nach Gründung der OAU fiel einer nach dem anderen, zuerst Algeriens Ben Bella 1965 und dann Nkrumah selbst im Februar 1966. Von nun an hörte die Organisation auf, ein Instrument des panafrikanischen revolutionären Wandels zu sein und wurde zum Verteidiger des Status quo. Selbst die Befreiung der verbliebenen Kolonien erfolgte im Kontext des Bemühens um die Aufrechterhaltung des Status quo. Es dauerte selbst für Nyerere, den Architekten der OAU, nicht lange, bis er 1972 öffentlich eingestand, daß aus der OAU lediglich eine „Gewerkschaft der afrikanischen Staatsoberhäupter“ geworden war.

Als Folge einer Reihe von Staatsstreichen gegen progressive Regierungschefs und insbesondere seit dem Tod des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser im Jahre 1970 geriet die OAU vollständig in die Hand reaktionärer Militärstaatschefs, die meist politische Analphabeten waren und von Wirtschaft nur so viel verstanden, um ihre Taschen zu füllen. Es war eine Katastrophe für Afrika, da dem Kontinent in einer entscheidenden Phase (1972/73) eine kampferprobte und entschlossene Führung fehlte, in der die Weltwirtschaft mit dem Auftreten Europas und Japans als starke Handelsblöcke eine entscheidende Veränderung erfuhr und der Dollarverfall zur Ölpreisexplosion führte. Die OAU hatte kein politisches Konzept. Sie beschränkte sich darauf, kraftlos und bescheiden mehr Hilfe und Kredite zu erbitten, damit die Staaten Afrikas, die ohne Ölvorkommen sind, ihre durch den astronomischen Anstieg der Erdölpreise erlittenen Devisenverluste ausgleichen könnten.

Da die OAU vor allem daran gescheitert ist, das Hauptproblem der afrikanischen Einheit gleich zu Beginn anzugehen, verkam sie zu einer riesigen und teuren Bürokratie, der jeglicher Orientierungssinn fehlt. Sicherlich hat sie dabei geholfen, den Entkolonisierungsprozeß zu beschleunigen, aber mit oder ohne OAU war dieser Prozeß bereits mit Ghanas Unabhängigkeit im Jahr 1957 und dem »Wind des Wandels« angestoßen worden, den sie in Afrikas politische Arena gebracht hat.

Viele Beobachter glauben inzwischen, daß die OAU 1972 in einigen Fällen, wie bei der Befreiung des südlichen Afrikas, tatsächllich schwere strategische Fehler begangen hat, die die Unabhängigkeit Namibias und Südafrikas verzögerten und zur Verwüstung von Angola und Mosambik durch Südafrika führten. Diese »Strategie«, die man auch »Salami-Taktik« nennen kann, wies der OAU die Aufgabe zu, sich zuerst auf die Befreiung des sogenannten »schwächsten Gliedes«, also auf die portugiesischen Kolonien, dann Rhodesien (Simbabwe), Namibia und schließlich Südafrika zu konzentrieren. Dies hat sich als verhängnisvoll erwiesen, da man Südafrika, als dem letzten Ziel, die Möglichkeit ließ, die sozioökonomischen Grundlagen in Angola, Mosambik und zu einem gewissen Grad auch in Simbabwe zu zerstören.

Die OAU unternahm mehrere Versuche, Institutionen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ihrer Mitgliedsländer zu schaffen. Alle scheiterten aber aus dem einfachen Grund, daß kein afrikanischer Staat seit der Unabhängigkeit seine koloniale Wirtschaftsstruktur verändert hat. Es gab und gibt keine objektive ökonomische Komplementarität unter den Mitgliedsländern, was die Vorbedingung für eine sinnvolle wirtschaftliche Zusammenarbeit ist. Der Ruf der OAU nach einem »gemeinsamen afrikanischen Markt« hört sich folglich eher wie ein Hirngespinst an.

30 Jahre danach

Jetzt, an ihrem dreißigsten Geburtstag, ist die OAU trotz der dynamischen Führungsqualität von Generalsekretär Salim zu einer unnützen Institution verkommen, die, politisch und wirtschaftlich bankrott, keine Rolle mehr spielt und selbst die Entkolonialisierung verloren hat. Sie ist inzwischen nicht mehr als ein Instrument zur Vorbeugung und Lösung von »Konflikten«. Die Konflikte, die die Resolution von 1964 minimieren wollte, stehen aber genau aufgrund dieser Entschließung auf der Tagesordnung. Das edle Ziel der afrikanischen Einheit scheint noch weiter entrückt zu sein. Tatsächlich besteht jetzt die Gefahr, daß sich Afrika einer weiteren Desintegration einiger seiner bestehenden Staaten gegenübersieht. Und dennoch hat die OAU keine Vision, welche Gestalt Afrika in der kommenden Dekade etwa annehmen könnte. Sie ist mittlerweile auf »Krisenmanagement« beschränkt. Ihre Vision ist verdeckt von den festgefügten Vorurteilen der bestimmenden Staaten.

Beispielsweise haben die Eritreer 30 Jahre – so lange wie die OAU besteht – unter großen menschlichen und materiellen Opfern für ihre Unabhängigkeit gekämpft, und doch blieb dieser Kampf von der OAU unbeachtet. Somalia verblutete und tut es noch heute, aber die OAU hat keinen Flnger gekrümmt, um den Konflikt zu lösen. Die Nigerianer zerbomben liberianische Dörfer in tausend Stücke und töten im Namen der westafrikanischen Einheit unter ECOWAS-Kommando, sanktioniert von der OAU, unschuldige Kinder, Frauen und Alte.

Zukünftige Rolle der OAU

Wird sie in Zukunft irgendeine sinnvolle Rolle spielen? Wenn die OAU nicht aufhört, das »Hauptquartier der Intrigen« und Förderband für ehrgeizige afrikanische Diplomaten zu sein, wird sie nicht mehr lange den Muskelschwund überleben. Die OAU ist die Summe ihrer Mitgliedsländer, und diese sind jetzt vereinzelt, schwach, erschöpft und ihrerseits ohne jede Vision. Diese Situation spiegelt sich notwendigerweise in der OAU wider. Wenn sie sich reaktivieren und eine maßgebliche Rolle spielen will, muß sie sich zum Volk hinab begeben. Sie muß aufhören, lediglich Instrument der Staatsoberhäupter zu sein, die zumeist ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie sollte wieder den Geist des Panafrikanismus entfachen, der ihr den mit der Begeisterung der Völker verbundenen Schwung und Elan verschafft, statt der kalten Leere der pompös auftretenden Diplomaten, die nur sich selbst dienen.

Dies sind die notwendigen Voraussetzungen für jede afrikanische Organisation, die sich bemüht, angemessene Antworten für das zu finden, was auf dem Kontinent geschieht. Leider scheint die Zukunft der OAU, wie es aussieht, dunkel zu sein.

Anmerkung

Der Artikel konnte mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift epd-entwicklungspolitik in unserer Zeitschrift nachgedruckt werden (epd-entwicklungsplitik 11/93, Mai).

Abdulrahman Mohamed Babu hat als einer der Emmissäre von Julius Nyerere maßgeblich an der Gründung der OAU mitgewirkt. Er lebt heute in England.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/2 Das UN-System, Seite