W&F 2020/3

Gewalt gegen Fremde

Studie: Viele Ausländer*innen, weniger fremdenfeindliche Straftaten

von Ulrich Wagner

Fremdenfeindliche Straftaten sind insbesondere 2015 und 2016 in zeitlichem Zusammenhang mit der verstärkten Einwanderung von Geflüchteten nach Deutschland und Europa stark gestiegen. Immer noch verharren sie auf einem hohen Niveau. Dabei zeigen sich starke lokale Unterschiede. Uns, einem Verbund von universitären Forscher*innen und Kolleg*innen vom Bundeskriminalamt, interessierte, wie man dies erklären kann.

Unsere Frage war: Führen die Anwesenheit von Ausländer*innen und einer großen Zahl von Geflüchteten in der Wohnumgebung zu mehr Feindseligkeit gegen Flüchtlinge – oder gehen die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund und die Anzahl von Geflüchteten mit einer Abnahme fremdenfeindlicher Straftaten einher? Beides erscheint plausibel, sowohl auf der Basis von Alltagsüberlegungen als auch vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Modelle: Sozialwissenschaftliche Theorien, die Bedrohung in den Vordergrund stellen (z.B. Stephan und Renfro 2002), lassen erwarten, dass mit einer höheren Zahl von Ausländer*innen und Geflüchteten Gefühle von Bedrohung zunehmen, was wiederum zur Ablehnung von »Fremden« und zu mehr Straftaten gegen Geflüchtete führen sollte. Die Kontakttheorie (vgl. Pettigrew und Tropp 2011) hingegen sagt, dass mit einer größeren Zahl von Ausländer*innen und geflüchteten Menschen in der Nachbarschaft Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung zunehmen, was wiederum Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt vermindern sollte.

Wir sind dieser Frage empirisch nachgegangen. Dazu haben wir Daten der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik von 2015 verwendet und analysiert, wie die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten in den 402 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten mit wichtigen demographischen und strukturellen Merkmalen der Kreise zusammenhängt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Zahl der Ausländer*innen, die in einem Kreis leben, negativ mit der Zahl fremdenfeindlicher Straftaten zusammenhängt: je höher der Ausländeranteil in einem Kreis, umso geringer die Anzahl fremdenfeindlicher Straftaten. Wir fanden darüber hinaus einen positiven Zusammenhang der Anzahl fremdenfeindlicher Straftaten mit der Anzahl von Straftaten in den Kreisen insgesamt und mit der Lokalisation der Kreise in Ost- oder Westdeutschland: In Ostdeutschland gibt es deutlich mehr fremdenfeindliche Straftaten als im Westen. Die Anzahl fremdenfeindlicher Straftaten ist unabhängig von der Anzahl Geflüchteter in den Kreisen. All diese Zusammenhänge lassen sich nachweisen, auch wenn man für wichtige mögliche weitere Einflussfaktoren statistisch kontrolliert, wie für die ökonomische Situation und die Arbeitslosigkeit in den Kreisen.

Insgesamt stützen unsere Befunde die Kontakthypothese: Mit einer höheren Zahl von Ausländer*innen im Kreis nehmen die Kontakte zu und reduzieren Ablehnung und Gewalt – ein Mechanismus, den wir auch schon in anderen Studien nachweisen konnten (vgl. Wagner et al. 2006). Und wir finden keine Hinweise darauf, dass besondere Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit Zuwanderung eine bedeutsame Triebfeder für fremdenfeindliche Straftaten sind.

Kontakt hilft, Fremdenfeindlichkeit zu reduzieren. Unsere Befunde haben praktische Bedeutung: Es macht Sinn, Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft aktiv zu fördern. Das sollte beispielsweise berücksichtig werden, wenn es um Fragen der demographischen Zusammensetzung von Wohnbezirken geht oder um die Zusammensetzung von Schulen und Schulklassen. Empirisch nachgewiesen ist auch (vgl. Lemmer und Wagner 2015), dass Programme zur Förderung von interkultureller Kompetenz, die darauf basieren, Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu fördern, tatsächlich wirksam sind.

Literatur

Die Ergebnisse wurden jetzt veröffentlicht in: Wagner, U.; Tachtsoglou, S.; Kotzur, P.F.; Friehs, M.T.; Kemmesies, U. (2020): Proportion of foreigners negatively predicts the prevalence of xenophobic hate crimes within German districts. Social Psychology Quarterly, S. 195-205.

Weitere Quellen

Lemmer, G.; Wagner, U. (2015): Can we reduce prejudice outside the lab? A meta-analysis of direct and indirect contact interventions. European Journal of Social Psychology, Vol. 45, Nr. 2, S. 152-168.

Pettigrew, T.F.; Tropp, L. (2011): When groups meet – The dynamics of intergroup contact. New York: Psychology Press.

Stephan, W. G.; Renfro, C. L. (2002): The role of threat in intergroup relations. In: Mackie, D.M.; Smith, E.R. (eds.): From prejudice to intergroup relations. New York: Psychology Press, S. 191-207.

Wagner, U.; Christ, O.; Pettigrew, T.F.; Stellmacher, J.; Wolf, C. (2006); Prejudice and minor­ity proportion: Contact instead of threat effects. Social Psychology Quarterly, Vol. 69, Nr. 4, S. 380-390.

Dr. Ulrich Wagner ist Professor für Sozial­psychologie im Ruhestand an der Philipps-Universität Marburg und aktiv im Vorstand von W&F.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/3 Der kranke Planet, Seite 42