W&F 2008/1

Globale Herausforderungen

von Jakob von Uexküll

Die globalen Herausforderungen entstehen heute vor allem durch das Durchbrechen von Grenzen - „das Ende des Anderen“ (Ulrich Beck). Die Folgen unserer Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen sind zum ersten Mal in der Geschichte global: sogar geologische Zeiträume sind dadurch moralisch relevant geworden. Wie gehen wir mit dieser einmaligen Verantwortung um, ohne von ihr erdrückt zu werden? Können wir sie irgendwie managen?

Der wissenschaftliche Konsens sagt noch „ja“, aber nur wenn wir in den nächsten Jahren (nicht mehr Jahrzehnten) auf sehr vielen Gebieten radikal umsteuern. Die Grenzen des Wachstums sind endgültig erreicht. Das Klima-Chaos erlaubt kein Entkommen. Die Folgen der ökologischen Globalisierung sind nicht steuerbar. Geldschulden können gestundet oder umgeschuldet werden. Aber mit schmelzenden Gletschern kann man nicht verhandeln und Folgen eines Umweltbankrotts können ewig nachwirken!

Der Klima-Bericht von Sir Nicholas Stern beschreibt den Klimawandel als das größte Marktversagen aller Zeiten. Es handelt sich aber auch um ein beispielloses Politik- und Medienversagen, denn das Klimachaos ist ja nicht von informierten Bürgern gewählt worden. Im Gegenteil! Schockiert von den zunehmenden Katastrophenmeldungen lehnen jetzt immer mehr Menschen die Gesamt-Richtung ab. In den neoliberalen Vorreiter-Ländern USA und Großbritannien sind weniger als 20% der Meinung, dass die Globalisierung im Ganzen positiv ist. Die Idee, dass mehr Konsum besser ist, beginnt Unterstützung zu verlieren. Die britische Zeitung The Guardian berichtete kürzlich von einem Dorf, das versucht seine CO2-Emissionen zu verringern: „Plötzlich fühlt sich das Ehepaar mit einem Zweithaus in Barbados schuldig statt beneidet, und die Werte der bürgerlichen Mittelschicht beginnen sich zu verändern.“

Wir haben jetzt die Wahl, entweder weiterhin mit kleinen Reformen »Business as usual« zu betreiben, und vielleicht dabei noch reicher zu werden, wie ein erfolgreicher Pokerspieler auf der sinkenden Titanic. Oder wir können die Zukunft ernst nehmen und jetzt umsteuern. Privat und beruflich können wir dabei schon recht viel verändern, um ein Teil der Lösung zu werden. Aber wir wissen, dass dies nicht ausreichen wird! Wir müssen uns zugleich gesellschaftlich und politisch engagieren, um die Regeln, Institutionen und Informationsströme so zu ändern, dass sie unseren höchsten Werten entsprechen und unsere persönlichen Veränderungen unterstützen.

Das Hauptproblem heute ist, dass wir die großen globalen Krisen nicht lösen, obwohl wir das Wissen, die Arbeitskraft und die Ressourcen dazu haben. Warum? Viele Umfragen zeigen, dass große Mehrheiten problembewusst und handlungsbereit sind - auch um große Schritte zu unternehmen. Was hält sie zurück? Die Antwort ist eindeutig: der feste Glaube, dass es nicht ausreichen wird, weil die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft nicht mitziehen werden! Wir müssen also jetzt durch eigenes Vorangehen mehr Menschen davon überzeugen, dass sie Veränderungen erreichen können und ihre Schritte sich lohnen! Jedes existierende Gesetz, jede Regelung, jedes Abkommen, jede Institution, auch jede Gewohnheit, muss unter dem Aspekt seiner Zukunfts- und Umweltverträglichkeit neu überprüft und bei Bedarf geändert werden.

Die Basis unseren Handelns kann nur jener Wert sein, der allen Menschen gemeinsam war und ist: die tief gefühlte Verpflichtung, unseren Kindern und ihren Kindern eine bessere Welt zu übergeben. Wie schnell unsere moderne Zivilisation zusammenbrechen kann, zeigte sich in dem Superdome Sportstadium von New Orleans nach dem Hurrikan Katrina, als junge kräftige Männer die knappen Trinkwasservorräte an sich rissen, während Frauen, Kinder und alte Menschen hilflos zuschauten.

Wir brauchen heute ein neues Verständnis von Gefahren und Risiko-Hierarchien. Der Klimawandel ist nicht nur ein Umweltrisiko, sondern bedroht unsere Sicherheit, Menschenrechte, Hunger- und Armutsbekämpfung u.v.a.m. Ulrich Beck weist darauf hin, dass in der Weltrisikogesellschaft der „Versicherungsschutz paradoxerweise mit der Größe der Gefahr abnimmt.“ Unsere Hauptaufgabe ist die Entwicklung integrierter Antworten. Eine effektive Energie-Effizienzrevolution z. B. erfordert eine tiefgreifende ökologische Steuerreform. Wohlstandsmehrung kann nicht länger bedeuten, unseren wirklichen Reichtum - eine gesunde Erde - zu opfern im Austausch für Computer-Ausdrucke, die uns erzählen wie reich wir angeblich sind. Für viele sind die Konsequenzen schon da. In Australien werden aus Wassermangel ganze Städte evakuiert.

Die Schaffung von Lebensqualität mit weniger Energie und Ressourcen muss unser Ziel sein, wenn wir eine Zukunft voller Konflikte vermeiden wollen. Wir brauchen ein Wirtschaften auf der Basis von Reife und Zusammenarbeit, nicht Unreife und Gier. Nicht maximaler Produkt-Besitz, sondern optimierte Dienstleistungen werden die Kriterien des ethischen Verbrauchens sein. Der baldige Höhepunkt der globalen Ölvorräte, der sogenannte peak oil, noch vor wenigen Jahren nur von einigen Außenseitern vorausgesagt, wird jetzt von den meisten Öl-Experten akzeptiert. Die kommende, unaufhaltbare Masseneinwanderung von Klimaflüchtlingen aus Nordafrika etc. wird in Europa Ausmaße erreichen, die unsere Mitmenschlichkeit auf sehr harte Proben stellen wird. Unsere derzeitigen Probleme werden dagegen lächerlich erscheinen. Die nötigen Veränderungen müssen bei uns selbst beginnen, im Wiederentdecken der Eigenschaft, die die alten Israelis »hochma« nannten, d.h. die Fähigkeit zu fühlen und zu handeln als ob die Zukunft von jedem von uns abhängt.

Jakob von Uexküll ist Gründer des World Future Council.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite