Globale Konfliktdynamiken
Eine Zusammenfassung des Konfliktbarometers 2021
von Maximilian Brien und Jannik Mertens
Mit der 30. Ausgabe des Konfliktbarometers setzt das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) seine jährlich erscheinende Studie zum weltweiten Konfliktgeschehen fort. Das Konfliktbarometer erfasst qualitativ und quantitativ die Dynamiken politischer Konflikte, sowohl gewaltsamer als auch gewaltloser Natur.
2021 beobachtete das HIIK insgesamt 355 Konflikte weltweit. Davon wurden 204 gewaltsam und 151 gewaltlos ausgetragen (vgl. Graphik 1 und Karte 1). Im Vergleich zum Vorjahr verringerte sich die Zahl der Kriege von 21 auf 20. Dies ist die zweithöchste Anzahl an Kriegen, die jemals vom HIIK erfasst wurde. Von den im Vorjahr dokumentierten 21 Kriegen deeskalierten sieben zu begrenzten Kriegen oder gewaltsamen Krisen, während sich 14 Kriege auf dem gleichen Niveau fortsetzen. Sechs Konflikte eskalierten zu Kriegen, fünf davon im subsaharischen Afrika.
Die Zahl der begrenzten Kriege stieg im Vergleich zum Vorjahr leicht von 19 auf 20. Wie im vorherigen Jahr machten innerstaatliche Konflikte den Großteil der erfassten Konflikte aus. Im Vergleich zum Vorjahr blieb die Anzahl an hochintensiven Konflikten gleich. Dabei ließ sich eine anhaltende Konzentration von hochintensiven Konflikten in Subsahara-Afrika beobachten.
Die Regionen im Detail
Westasien, Nordafrika, Afghanistan
- In der Region Westasien, Nordafrika und Afghanistan stieg die Anzahl der beobachteten aktiven Konflikte um drei auf 59 (vgl. Graphik 2). 33 Konflikte wurden gewaltsam ausgetragen, ein Anstieg um einen im Vergleich zum Vorjahr. Die Anzahl an Kriegen verringerte sich von sieben auf drei. Je zwei Kriege deeskalierten zu begrenzten Kriegen beziehungsweise gewaltsamen Krisen. Als Krieg fortgeführt wurde der Konflikt zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, unterstützt durch die von der NATO angeführte »Resolute Support Mission«, welcher nach dem Rückzug der NATO-Truppen und dem darauffolgenden Sturz der Regierung endete. Als Krieg fortgeführt wurde ebenso der Konflikt zwischen den al-Houthi und der jemenitischen Regierung sowie der Konflikt zwischen dem sogenannten »Islamischen Staat« auf der einen Seite und verschiedenen Regierungen und Milizen auf der anderen. Damit sah die Region die zweithöchste Anzahl an Kriegen weltweit.
- Die Anzahl an begrenzten Kriegen stieg von einem auf drei an. Während der begrenzte Krieg zwischen militanten Gruppen und der ägyptischen Regierung auf der Sinai-Halbinsel zu einer gewaltsamen Krise deeskalierte, eskalierte eine gewaltsame Krise und zwei Kriege deeskalierten zu begrenzten Kriegen. Die gewaltsame Krise zwischen der Hamas und dem Islamischen Jihad in Palästina auf der einen Seite und der israelischen Regierung auf der anderen eskalierte in der Mitte des Jahres. In Syrien deeskalierte der Krieg zwischen der Opposition und der syrischen Regierung, nachdem Russland und die Türkei im März 2020 einen Waffenstillstand vermittelt hatten. Der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Regierung deeskalierte ebenfalls.
Asien und Ozeanien
- In Asien und Ozeanien reduzierte sich die Anzahl der beobachteten aktiven Konflikte um einen auf 100 (vgl. Graphik 2). 54 Konflikte wurden gewaltsam ausgetragen, ein Rückgang um vier im Vergleich zum Vorjahr.
- Dieses Jahr dokumentierte das HIIK das erste Mal seit 2017 einen Krieg in der Region. Die gewaltsame Krise zwischen der oppositionellen Interimsregierung in Myanmar und der Armee eskalierte nach dem Staatsstreich durch das Militär im Februar des vergangenen Jahres. Als Folge dessen eskalierten in Myanmar zwei weitere gewaltsame Krisen zu begrenzten Kriegen. Dies betraf den Konflikt zwischen der Unabhängigen Armee Kachin und dem Militär sowie zwischen der Myanmar National Democratic Alliance Army und dem Militär.
- Die Anzahl an begrenzten Kriegen in der gesamten Region erhöhte sich von vier auf sechs im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt sah die Region also eine Eskalation in der Anzahl an hochintensiven Konflikten. Drei dieser sechs begrenzten Kriege fanden auf den Philippinen statt. Die Regierung fand sich in anhaltenden Konflikten mit verschiedenen kommunistischen und islamistischen Gruppen wieder.
- Der Grenzkonflikt zwischen tadschikischen, usbekischen und kirgisischen Gemeinschaften, unterstützt durch ihre jeweiligen Regierungen, eskalierte nach dem Ausbruch von gewaltsamen Auseinandersetzungen an der kirgisisch-tadschikischen Grenze. Hochintensive Maßnahmen konzentrierten sich auf Ende April.
Subsahara-Afrika
- In Subsahara-Afrika stieg die Zahl der beobachteten aktiven Konflikte um einen auf 87 (vgl. Graphik 2). 59 Konflikte wurden gewaltsam ausgetragen, ein Rückgang um sieben im Vergleich zum Vorjahr. Wie auch im letzten Jahr war Subsahara-Afrika die Region mit den meisten Kriegen. Alle elf Kriege des Vorjahres setzen sich fort, während fünf begrenzte Kriege eskalierten. Dazu kamen sechs begrenzte Kriege.
- Davon wurden allein in der Demokratischen Republik Kongo drei Kriege ausgetragen. Verschiedene aufständische und islamistische Gruppen lieferten sich vor allem im Osten des Landes heftige Auseinandersetzungen mit kongolesischen und ugandischen Regierungstruppen sowie der UN-Friedenstruppe MINUSCO. Ebenso war Äthiopien Schauplatz dreier Kriege: Der im letzten Jahr ausgebrochene Krieg zwischen der Volksbefreiungsfront von Tigray und äthiopischen und eritreischen Regierungstruppen hielt auch in 2021 an. Der begrenzte Krieg zwischen der Oromo-Befreiungsfront und der äthiopischen Regierung eskalierte zu einem Krieg. Die militärischen Fraktionen der beiden Gruppen verbündeten sich gegen die Regierung, nachdem sie von dieser zu Terrororganisationen erklärt worden waren. Im Schatten dieser Konflikte wurde der Konflikt zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen auf dem Niveau eines Krieges sowie der Konflikt zwischen verschiedenen oppositionellen Gruppen und der Regierung auf dem Niveau eines begrenzten Krieges ausgetragen.
- Auf dem Kontinent wurden verschiedene Kriege unter Beteiligung islamistischer Gruppierungen fortgesetzt. Vor allem in der Sahel-Region und angrenzenden Ländern wurden diese Konflikte oftmals als transstaatliche Konflikte über Ländergrenzen hinweg unter Beteiligung mehrerer Staaten und internationaler Unterstützungstruppen ausgetragen. Kriege mit Beteiligung islamistischer Gruppierungen fanden auch in der Demokratischen Republik Kongo, Mosambik und Somalia statt. Weitere innerstaatliche Kriege beobachtete das HIIK in Kamerun, Nigeria, Sudan, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik.
- In Südafrika eskalierte der Konflikt zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen und der Regierung zu einem begrenzten Krieg. Nach der Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma kam es im Juli zu gewaltsamen Protesten und landesweiten Plünderungen von Geschäften, mit mindestens 337 Toten. Für den Rest des Jahres wurden keine gewaltsamen Maßnahmen beobachtet.
Graphik 1
Graphik 2
Amerikas
- In den Amerikas stieg die Anzahl der beobachteten aktiven Konflikte um einen auf 59 (vgl. Graphik 2). 40 Konflikte wurden gewaltsam ausgetragen, ein Anstieg um drei im Vergleich zum Vorjahr. In Brasilien deeskalierte der vor allem in den Favelas von Rio de Janeiro ausgetragene Krieg zwischen Drogenkartellen, Milizen und der Regierung zu einem begrenzten Krieg. In Mexiko setzten sich die beiden begrenzten Kriege zwischen Drogenkartellen, Milizen und der Regierung sowie unter den Kartellen fort. In Kolumbien setzte sich der begrenzte Krieg zwischen unterschiedlichen nichtstaatlichen Akteuren ebenso fort, während der begrenzte Krieg zwischen der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) und der Regierung zu einer gewaltsamen Krise deeskalierte. In Venezuela eskalierte an der Grenze zu Kolumbien die gewaltsame Krise zwischen mindestens einer abtrünnigen Gruppe der FARC und der Regierung zu einem begrenzten Krieg.
- Alle hochintensiven Konflikte in den Amerikas sahen die Beteiligung von Akteuren, die in die Herstellung beziehungsweise den Handel von Drogen involviert waren.
Europa
- In Europa verringerte sich die Gesamtzahl der beobachteten Konflikte um drei auf 50 aktive Konflikte (vgl. Graphik 2). Die Zahl der gewaltsamen Krisen blieb konstant bei 18 verglichen zum Vorjahr. Erstmals seit 2008 verzeichnete das HIIK keinen hochintensiven Konflikt in der Region Europa.
- Der Donbass-Konflikt in der Ukraine deeskalierte von einem begrenzten Krieg zu einer gewaltsamen Krise. Ebenso deeskalierten die eng verknüpften Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie zwischen der selbsterklärten Republik Arzach und Aserbaidschan um das umstrittene Territorium Bergkarabach beide vom Niveau eines Krieges auf das einer gewaltsamen Krise. Dieser erfreuliche Befund des Konfliktbarometers 2021 wurde mittlerweile von der Realität des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 überholt.
Karte 1
Das jährliche Heidelberger Konfliktbarometer kann auf der Homepage des HIIK kostenlos heruntergeladen werden. Der Bericht erscheint in englischer Sprache.
Maximilian Brien studiert Volkswirtschaftslehre im Master an der Paris School of Economics und war Co-Chefredaktor des Konfliktbarometers 2021.
Jannik Mertens studiert Politikwissenschaften im Master an der Philipps-Universität Marburg und war Co-Chefredakteur des Konfliktbarometers 2021.
Definitionen – Der Heidelberger Ansatz
Politischer Konflikt: Ein politischer Konflikt ist eine Positionsdifferenz hinsichtlich gesamtgesellschaftlich relevanter, immaterieller oder materieller Güter – den Konfliktgegenständen – zwischen mindestens zwei als durchsetzungsfähig wahrgenommenen direkt beteiligten Akteuren, die mittels beobachtbarer und aufeinander bezogener Konfliktmaßnahmen ausgetragen wird. Diese Maßnahmen gelten als konstitutiv für einen Konflikt, sofern sie außerhalb etablierter Regelungsverfahren liegen und eine staatliche Kernfunktion oder die internationale Ordnung bedrohen oder eine solche Bedrohung in Aussicht stellen.
Intensitätsstufen: Es werden insgesamt fünf Intensitätsstufen unterschieden: Disput, gewaltlose Krise, gewaltsame Krise, begrenzter Krieg und Krieg. Die gewaltsame Krise, der begrenzte Krieg und der Krieg bilden zusammen die Kategorie der Gewaltkonflikte, im Unterschied zu den gewaltfreien Konflikten.
Indikatoren: Zur Ausdifferenzierung des Gewaltkonflikts werden als weitere Kriterien die zur Durchführung der gewaltsamen Konfliktmaßnahmen eingesetzten Mittel und die Folgen des Gewalteinsatzes herangezogen. Die Dimension der Mittel umfasst die Indikatoren Waffeneinsatz und Personaleinsatz, die Dimension der Folgen ferner die Indikatoren Todesopfer, Zerstörung und Geflüchtete (Flüchtlinge sowie Binnenvertriebene).
Eine ausführliche Darstellung der Methodik findet sich unter https://hiik.de/hiik/methodik auf der Website des HIIK.