W&F 2003/3

Globalisierte Gewalt

von Jürgen Scheffran

Die USA haben den Krieg gegen den Irak gewonnen. Wer hat anderes erwartet?

Doch welches Bild bietet sich uns, nachdem die Nebelwerfer des Krieges ihr Abenteuer im »Bett der Armee« weitgehend unbeschadet überstanden haben? Es dominieren Angst und Schrecken, Elend und Zerstörung, Chaos und Anarchie. Die Invasoren waren bestens gerüstet, um die Infrastruktur des Irak zu zerstören, doch völlig überfordert bei dem Versuch, im Land Recht und Ordnung, Sicherheit und Demokratie herzustellen. Wäre dies das Ziel gewesen, das Scheitern wäre offensichtlich.

Gewonnen haben die Besatzer da, wo sie es wollten: Bei der Sicherung der gewaltigen Ölvorräte des Irak. Wer argumentiert, dies könne angesichts der enormen Kriegskosten kein rationaler Kriegsgrund gewesen sein, übersieht, dass die Kriegsgewinne privatisiert, die Kriegskosten und -schäden jedoch sozialisiert werden. Gewinner sind die Firmen, die den Irak aufgerüstet haben, die die von den USA in den beiden Irakkriegen eingesetzten Waffen produziert haben, die jetzt die Ölreserven des Landes erschließen und dann den Irak wieder aufbauen und aufrüsten dürfen. In diesem Zyklus von Ausbeutung und Zerstörung bereichern sich einige US-Firmen gleich mehrfach, bestens bedient von führenden Repräsentanten der Bush-Administration

Der Irakkrieg war Teil jenes andauernden Krieges (sustained war), der der Globalisierung mit Gewalt zum Durchbruch verhelfen soll. Es geht den USA um die langfristige Absicherung ihrer Hegemonie, um die Schaffung eines von ihnen dominierten Weltmarkts und um die Privatisierung aller gewinnträchtigen Bereiche. Wer dagegen die Globalisierungsdynamik und damit verbundene Kriege als Kampf der Demokratien um mehr Demokratie begreift, übersieht die vorherrschende ökonomische Dimension und die Tatsache, dass im Rahmen der Globalisierung sich immer mehr Reichtum in den Händen weniger privater Akteure konzentriert, die durch keinerlei demokratische Strukturen kontrolliert werden.

Eng damit verknüpft ist die wirtschaftliche Privatisierung aller Lebensbereiche und öffentlichen Güter. Es gibt kaum noch etwas, was nicht privatisiert wird: Wasser, Energie, Müllbeseitigung, Genmaterial, Post, Eisenbahn und Flugverkehr, Renten- und Sozialversicherung, und schließlich Polizei und Militär. Nicht jede Privatisierung muss von Übel sein, gelegentlich bringen Effizienzzuwächse und Kosteneinsparungen Vorteile. Doch oft sind es gerade die lukrativen Bereiche, die in private Hände überführt werden, während die kostenintensiven Bereiche weiterhin Löcher in staatliche und kommunale Haushalte reißen.

Besonders problematisch ist die Privatisierung der Sicherheitsdienste, das Entstehen moderner Söldnerheere. Die Fraktionierung der Gewaltstrukturen bringt unermessliches Leid über die Zivilbevölkerung, sie zerstört – z.B. in zahlreichen Ländern Afrikas – soziale und politische Strukturen. Dauerkriege, verbunden mit Massenmord und millionenfacher Flucht und Vertreibung, sind die Folge.

An der gesellschaftlichen Basis wächst damit ein Potential der Verarmten und Verzweifelten, der Missachteten und Empörten heran, das einen Nährboden für jede Form der Radikalität bietet. Durch Vernetzung kann die Unzufriedenheit auf der lokalen Ebene in nationale, ja globale Netzwerke der Gewalt einbezogen werden. Verbrecher- und Terrornetze agieren weltweit, der Drogen- und Waffenhandel floriert und ist über eine Schattenwirtschaft mit der globalen Ökonomie verknüpft. Dass solche Netzwerke besonders im Umfeld und als Folge von Kriegen gedeihen, zeigt sich auf dem Balkan und in Afghanistan, vielleicht demnächst auch im Irak.

Wissenschaft und Technik spielen eine Schlüsselrolle in diesem Netz globalisierter Gewalt. Kommunikations- und Transportnetzwerke stellen Verbindungen her, überbrücken Distanzen als gäbe es weder Raum noch Zeit. Sie verknüpfen die Globalisierung der Gewalt mit der Miniaturisierung von Gewalt, was in den Informationskriegen auf unseren Computern ebenso zum Ausdruck kommt wie im Krieg der Mikroben oder Mini-Kampfroboter. Durch sie findet der Krieg Einzug in unseren Nahbereich, unsere Wohnung, ja unseren eigenen Körper. Die globale Unsicherheit schafft zugleich menschliche Unsicherheit und umgekehrt.

Sicherlich eröffnet das Wechselspiel von Mikro und Makro auch Chancen für die Friedenssicherung und die Entstehung demokratischer Strukturen. Jeder einzelne ist Knoten in dem globalen Netzwerk und kann sich die Strukturen als Machtverstärker zunutze machen, Hacker und Terroristen ebenso wie Friedensaktivisten. Die globale Protestbewegung gegen den Irakkrieg, die im millionenfachen Nein des 15. Februar ihren Höhepunkt fand, hat den USA eine politische Niederlage versetzt, die sie durch ihren Medienkrieg teilweise kaschieren konnte. Diese Bewegung hat im Ansatz gezeigt, dass es möglich ist eine politische Kultur zu schaffen, die die Möglichkeiten der Globalisierung nutzt und eine Gegenmacht aufbaut zu den destruktiven Tendenzen.

Jürgen Scheffran

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/3 Globalisierte Gewalt, Seite