Göttinger Friedenspreis an Egon Bahr verliehen
Stiftung Dr. Roland Röhl richtet Festakt aus
von Redaktion
Im Rahmen eines Festaktes wurde der diesjährige Göttinger Friedenspreis an Professor Egon Bahr verliehen. Die Stiftung Dr. Roland Röhl würdigte damit das herausragende politische Lebenswerk des 85jährigen und seinen großen Einsatz für nachhaltigen Frieden. In der Urkunde heißt es u.a.: „Der Preisträger hat unter den ideologischen und machtpolitischen Bedingungen des Ost-West-Konfliktes weitsichtige Konzeptionen und Strategien zu dessen Überwindung entwickelt und in Ost und West durchsetzungsfähig gemacht. Als Chef des Planungsstabes im Auswärtigen Amt (von 1966 bis 1969) und als Staatssekretär im Bundeskanzleramt seit Beginn der sozialliberalen Koalition war er der engste und einflussreichste Berater Willy Brandts in Fragen der Ost-West-Politik. Egon Bahr war es, der die Neue Ostpolitik des Außenministers und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt strategisch konzipierte, operativ durchdachte und gegen massive Widerstände konsequent umsetzte. Sein unermüdliches friedenspolitisches Engagement hat maßgeblich zur Ost-West-Entspannung und zur friedlichen Beendigung des Kalten Krieges beigetragen.“
Als Laudator trat Hans-Peter Dürr an, das Lebenswerk des Preisträgers anhand wichtiger Stationen, aber auch persönlicher Erinnerungen an Begegnungen mit Egon Bahr zu umreissen. Er erinnerte an die Konferenz der Evangelischen Akademie in Tutzing vom Juli 1963, bei der Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister Westberlins, gemeinsam mit Egon Bahr, der von seiner Position als Chefkommentator der RIAS (Rundfunkanstalt im amerikanischen Sektor) auf eine Beraterposition bei Brandt gewechselt war, ihre 1961 begonnenen Überlegungen zu einer neuen Ostpolitik einer interessierten Öffentlichkeit vorstellten.
Diese neue Konzeption, fortan mit der Formel »Wandel durch Annäherung!« verbunden, schien, so Hans-Peter Dürr, vielen als „ein möglicher Weg, die sich anbahnende politische Polarisierung und Ost-West Konfrontation zu mildern und sie in eine kooperative Richtung zu lenken.“ Dies sei auch deshalb von großer Bedeutung gewesen, weil von zahlreichen Beobachtern die Remilitarisierung West-Deutschlands mit großer Sorge verfolgt worden sei. Hiervon habe nicht zuletzt die Erklärung der Göttinger 18 gezeugt, die öffentlich und der Regierung gegenüber ihre Mitarbeit an jeglicher Entwicklung von Atomwaffen verweigerten. Als Abkehr von einer Konfrontationspolitik hätten Willy Brandt und Egon Bahr - auch angesichts der erfolgreich bewältigten Cuba-Krise - die Aufgabe der von der westlichen Welt postulierten »Politik der Stärke« gefordert: „Der Kontakt zu den osteuropäischen Staaten müsse deshalb, so forderten sie, in einem Klima der Entspannung aufgenommen werden.“
Hans-Peter Dürr erinnerte freilich auch daran, dass erst mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler und Egon Bahrs zu seinem Staatssekretär im Bundeskanzleramt 1969 und ihrem ersten Schritt, der Umwandlung des Ministeriums für »Gesamtdeutsche Beziehungen« in ein Ministerium für »Innerdeutsche Beziehungen«, eine dynamische Entwicklung in die Entspannungspolitik gebracht worden sei: „Dies führte 1970 zu ersten Gesprächen zwischen Bahr und dem sowjetischen Außenminister Andreij Gromyko über einen Gewaltverzicht zwischen der Sowjetunion und der BRD, was letztlich im August 1970 zum Moskauer Vertrag und in der Folge auch im Dezember zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zur Normalisierung der wechselseitigen Beziehungen führte. Es war vor dem Ehrenmahl des jüdischen Ghettos in Warschau, dass Willy Brandt als »Repräsentant des anderen Deutschland« mit einem Kniefall Abbitte leistete für die von Deutschen und im Namen Deutschlands verübten Gräuel.“
Mit der Reflexion auf die historische Entwicklung verband Hans-Peter Dürr nachdrücklich den Hinweis auf die Möglichkeit, wie „Visionen, Überzeugung, Engagement und Tatkraft von Einzelnen oder kleinen Gruppen Umfassenderes, konstruktiv Großes in Bewegung setzen können, wenn sie spüren, dass die Zeit für einen Wandel reif ist.“ Der Laudator verwies dabei auf zahlreiche Stationen des Wirkens von Egon Bahr, zu der nicht alleine die Entwicklung des Konzeptes der »Gemeinsamen Sicherheit« gehörte, sondern auch die Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Regierung Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre.
In einem Grußwort hob Professor Michael Brzoska, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, hervor, dass Bahr mit seiner Orientierung an der Maxime von Willy Brandt »Friede ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts« einer der bedeutendsten deutschen Politiker des vergangenen Jahrhunderts gewesen sei. Auch er würdigte den großen Beitrag, den der Preisträger als Vordenker und aktiv Handelnder beim friedlichen Wandel in Europa gehabt habe: „Seine Konzepte und seine Kontakte nach Ost und West, seine Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit haben entscheidend mit dazu beigetragen, dass es Ende der 1980er Jahre nicht zu einem großen Knall, sondern zu einem weitgehend gewaltfreien Ende des Kalten Krieges kam.“
Professor Brzoska erinnerte zudem daran, dass Egon Bahr zu den wichtigsten Förderern der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland und Europa gehört habe, der nicht nur als Politiker und Diplomat, sondern auch mit seinen Ideen, seinen Schriften und seinem Handeln der Friedens- und Konfliktforschung wesentliche Anstöße gegeben habe. Hinsichtlich der Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung habe nicht zuletzt Bahrs Diktum von der Neutronenbombe als einer „Perversion des menschlichen Denkens“ die Diskussion um neue Nuklearwaffen nachhaltig beeinflusst. Und: „Seine Erweiterung des Konzepts des Sicherheitsdilemmas zur Gemeinsamen Sicherheit prägt das Nachdenken über strategische Stabilität; nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nun in anderen Regionen der Welt.“
Professor Michael Brzoska erinnerte an die Amtszeit Egon Bahrs als Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (1984-1994) wie an dessen Mitarbeit am Palme-Bericht, die langjährige Mitgliedschaft im »Governing Board« des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI sowie die Mitwirkung an der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung Ende der 1990er Jahre.
Schließlich verschwieg er auch nicht, dass die politischen Ideen und das Wirken von Egon Bahr in der friedens- und konfliktwissenschaftlichen »community« nicht unumstritten waren: „Im Gegenteil, insbesondere sein klares Bekenntnis zur Realpolitik, zur Nutzung von Macht im eigenen, deutschen Interesse, findet manchen Widerspruch. Aber unbestritten ist, dass man sich mit Egon Bahr auseinandersetzen muss, dass sein Wort Gewicht hat.“ Die Anerkennung des Lebenswerkes Egon Bahrs wurde seitens der Festversammlung mit lang anhaltendem Applaus zum Ausdruck gebracht.
Der Geehrte erinnerte zunächst an Göttingen als den Ort, an dem vor fast 51 Jahren 18 Wissenschaftler ihre Erklärung gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen veröffentlicht hatten, die „Adenauer in seiner schrecklichen Vereinfachung als eine Weiterentwicklung der Artillerie bezeichnet hatte“. Auch wenn Deutschland aufgrund alliierter Vorbehalte in der Folge keine eigenständige Verfügungsmacht über Atomwaffen erhalten habe, habe Adenauer zumindest hinsichtlich der Miniaturisierung der Waffensysteme recht behalten. Dies führte Egon Bahr zu der Feststellung: „Mit der Verkleinerung von Atomwaffen wird auch die Angst vor ihnen verkleinert, diese Qualitätsschwelle überschreiten zu können, ohne die Eskalation befürchten zu müssen.“
Angesichts der auf dem Gebiet Westdeutschlands stationierten atomaren Kurzstreckenraketen, deren Einsatzradius das Gebiet der damaligen Bundesrepublik häufig nicht überschritten hat, hätte - so führte Egon Bahr für den Fall eines Einsatzbefehls der von US-Soldaten kontrollierten Waffen aus - der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt als letzte Weisung den Befehl an die Soldaten zur Befehlsverweigerung gegeben. Egon Bahr, dem nach eigenem Bekunden „das atomare Thema und die politische Normalität (...) die beiden Aspekte (sind), die mein politisches Leben bestimmt haben, und die unter der gemeinsamen Überschrift rangieren: Die Deutsche Selbstbestimmung“, hob entsprechend hervor, dass der noch vorhandene atomar benutzbare Teil der Luftwaffe ein Relikt aus der Zeit sei, in der es deutsche Selbstbestimmung militärisch nicht gegeben habe. Handlungsbedarf, wenn auch mittelfristig, formulierte Egon Bahr auch hinsichtlich der auf dem Gebiet der Bundesrepublik stationierten US-Atomwaffen sowie der „exterritorialen Stützpunkte“ der USA.
In seinen weiteren Ausführungen befasste sich Egon Bahr mit widersprüchlichen US-amerikanischen und deutschen Interessen und kritisierte, dass George W. Bush „das gigantischste Aufrüstungsprogramm der Geschichte entworfen“ habe. Damit wolle er „die Uneinholbarkeit der amerikanischen Überlegenheit ausbauen“, was nicht „nur Ausdruck einer Arroganz der Macht, sondern eines unipolaren Denkens“ sei, das „sich mit jedem Monat überholt, in dem das Gewicht Chinas, Indiens und Russland wächst.“
Egon Bahr betonte in seiner Rede zudem die Notwendigkeit zweier Debatten: einer über eine transatlantische Partnerschaft, die auf Respekt vor unterschiedlichen Interessen und Verantwortungen beruhe statt auf Unterordnung und eine andere über Abrüstung - ein Begriff, der seit 8 Jahren von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwunden sei.