W&F 2002/2

Grenzen für die biologische Abwehrforschung

von Jan van Aken

Die Anschläge in den USA mit Milzbranderregern, die am US-Votum gescheiterte Konferenz zum internationalen Biowaffen-Übereinkommen, ein mit der Existenz von Biowaffen begründeter drohender Krieg der USA gegen den Irak. Drei aktuelle Beispiele, die die Bedeutung der Herausarbeitung und Festlegung von Kontrollmechanismen bei Biowaffen unterstreichen. Nun ist es ein Allgemeinplatz, dass offensive und defensive Forschung an biologischen Waffen nur schwer zu unterscheiden sind. Im Zuge der biologischen Abwehrforschung wird oft auch ein offensives Potenzial entwickelt. Eine generelle Grenzziehung ist schwierig bis unmöglich – im konkreten Einzelfall lassen sich jedoch sehr wohl Forschungsprojekte identifizieren, die eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellen, ohne einen wirklichen defensiven Nutzen zu besitzen. In diesem Beitrag werden zwei Bereiche vorgestellt, in denen – auch für die Bundeswehr – klare Grenzen gezogen werden können und müssen.
Die Forderung nach einem generellen Verbot der defensiven Biowaffen-Forschung wäre verfehlt, denn praktisch ließe sich jede biomedizinische Entwicklung per definitionem als biologische Abwehrforschung bezeichnen, da sie gegebenenfalls auch zur Behandlung nach einem Angriff mit Biowaffen eingesetzt werden könnte. Nun gibt es zwar offensichtliche Unterschiede zwischen der Entwicklung eines neuen Antibiotikums und der Produktion von getrockneten, tödlichen Milzbrandsporen, aber beides lässt sich mit guten Argumenten unter Defensivforschung subsumieren. Am Beispiel von Verbreitungstechniken für Biowaffen sowie von gentechnischen Arbeiten in Militärlabors sollen hier zwei mögliche Grenzziehungen versucht werden, die die zunehmende beliebige Ausweitung der »Abwehr«-Forschung ein wenig begrenzen könnten.

Gentechnik an biologischen Waffen

Mittlerweile ist die Gentechnik in den Alltag der meisten biomedizinischen Labore eingezogen und wird entsprechend auch in der biologischen Abwehrforschung eingesetzt. Das mag in einigen Fällen auch eindeutig und unzweifelhaft rein defensiven Zwecken dienen, es ist jedoch andererseits offensichtlich, dass gerade die Gentechnik ein enormes Potenzial für die Entwicklung noch effektiverer Biowaffen besitzt. Hier drei Beispiele, die bereits realisiert wurden:

  • Unsichtbares Anthrax: Durch die Übertragung eines Gens aus einem nahe verwandten Bakterium haben russische Forscher Milzbrand-Bakterien so verändert, dass sich ihre Oberflächenstrukturen veränderten.1 Weder Impfungen noch Nachweisverfahren sprangen auf die veränderten Bakterien an. Brisanterweise haben die russischen Forscher gleichzeitig einen spezifischen Impfstoff für die »unsichtbare« Variante mit entwickelt – eine optimale Kombination für den offensiven Einsatz. Im September 2001 wurde bekannt, dass die US-Armee diesen Versuch in eigenen Labors wiederholen will.
  • Antibiotika-Resistenz: In der Gentechnik werden als Hilfsmittel häufig Gene eingesetzt, die eine Resistenz gegen Antibiotika verleihen. Diese Technik bekommt eine besondere Brisanz, wenn sie auf tödliche Krankheitserreger angewendet wird, die dann nicht mehr mit den Antibiotika behandelt werden können. Auch an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München wird mit Hasenpest-Erregern gearbeitet, die gentechnisch gegen Antibiotika immun gemacht wurden. Hasenpest ist neben Milzbrand einer der klassischen Biowaffen-Erreger. Nach Angaben der Bundeswehr verfolgt das Projekt rein defensive Zwecke und soll grundlegende Erkenntnisse über die Krankheitsentstehung bringen. Auch wenn hier wirklich friedliche Motive zugrunde liegen, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass mit diesem Experiment »waffentaugliche« Bakterien entstanden sind, die nicht mehr mit diesen Antibiotika behandelt werden können. Die gleichen Experimente könnten problemlos auch ohne die Übertragung einer Antibiotika-Resistenz durchgeführt werden.
  • Material zersetzende Mikroben: Mit Hilfe der Gentechnik können nicht nur die klassischen Biowaffen-Erreger noch effektiver gestaltet werden, es lassen sich auch gänzlich neue Biowaffen entwickeln, die ohne die Gentechnik gar nicht möglich wären. So arbeiten Forscher am Naval Research Laboratory in den USA an Mikroorganismen, die Material zersetzen. Sie haben bereits einen gentechnisch veränderten Pilz patentiert, der den Kunststoff Polyurethan zerlegen kann. Die beteiligten Forscher beschreiben mögliche militärische Anwendungen dieser Arbeit folgendermaßen: „Es ist durchaus möglich, dass mikrobiologisch hergestellte Esterasen eingesetzt werden, um die Tarnanstriche von Flugzeugen abzulösen, um so die Entdeckung und Zerstörung dieser Flieger zu erleichtern.“2 Auch die Navy-Forscher geben an, einen defensiven Zweck zu verfolgen, da sie parallel auch neue Tarnanstriche entwickeln, die gegen solche zerstörerischen Mikroben resistent sind.

Diese Beispiele unterstreichen das extrem gefährliche Potenzial der Gentechnologie für die Entwicklung noch zerstörerischer Waffen. Angesichts der ungeheuren Eingriffstiefe von Gen- und Biotechnologie ist es dringend erforderlich, hier – weltweit – Grenzen zu ziehen, um bestimmte Entwicklungen von vornherein zu verhindern bzw. besser kontrollieren zu können.

Konkret ist deshalb ein generelles Verbot von Experimenten zu fordern, gentechnische Arbeiten betreffend, die das offensive Potential von Organismen erhöhen und vom Militär durchgeführt oder finanziert werden.

Unter dieses Verbot würde beispielsweise die Übertragung von Genen fallen, die die Behandlung oder den Nachweis einer Krankheit erschweren, die die Stabilität der Erreger in der Umwelt erhöhen, die ihre Wirtsspezifität ändern, ihre Produktion erleichtern oder die Krankheitswirkung verstärken.

Das Argument, dass damit auch eine Reihe legitimer Experimente verboten wird, wie beispielsweise die Erforschung der Hasenpest bei der Bundeswehr, gilt nicht. Zum einen gibt es oft alternative Versuchsansätze, die auf eine Übertragung von »waffentauglichen« Genen verzichten können, zum anderen geht es hier um eine Risiko-Nutzen-Abwägung, bei der die Vermeidung eines gentechnischen Wettrüstens nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Die Beschränkung eines solchen Verbotes auf militärische Forschung ist sicherlich zweischneidig. Einerseits ist es kaum auf jegliche zivile Forschung übertragbar, da damit sehr viele biomedizinische Experimente unter das Verbot fallen würden. Andererseits ließe sich das Verbot durch die Verlagerung kritischer Forschungsprojekte in einen formal zivilen Rahmen unterlaufen – in den USA zum Beispiel die National Laboratories, die dem Energieministerium unterstehen. Als eine Minimallösung wäre hier eine Meldepflicht und Kontrolle im Rahmen der Verifikation der Biowaffen-Konvention denkbar.

Ein derartiges Verbot wird sicherlich nicht ganz einfach durchzusetzen sein, da viele Staaten nur schwerlich Beschränkungen in der Defensivforschung akzeptieren werden. Auch die Bundeswehr geht hier mit schlechtem Beispiel voran und verteidigt mit Klauen und Zähnen ihre Versuche zur Antibiotika-Resistenz, obwohl das angesichts von einfachen Alternativen kaum mehr nachvollziehbar ist.

Verbreitungsmechanismen

Die US-Regierung ist ausgesprochen kreativ in der Auslegung der Biowaffen-Konvention, die eine Ausnahme für Abwehrforschung vorsieht. Im September vergangenen Jahres wurden verschiedene US-Forschungsprojekte öffentlich, die die Grenzen der Konvention arg strapazieren. Drei davon befassten sich mit Methoden zur Verbreitung von biologischen Erregern:

  • Unter dem Code-Namen »Clear Vision« wurden unter der Regie der CIA seit 1997 sowjetische Miniaturbomben nachgebaut, mit denen biologische Waffen als feiner Nebel versprüht werden können. Bis zum Jahr 2000 wurden im Battelle Memorial Institute die Bombenmodelle daraufhin getestet, wie gut sie ihre tödliche Fracht verbreiten können. Die CIA vertritt bis heute die Ansicht, dass das Projekt rein defensiver Natur war und ausschließlich darauf abzielte, den möglichen Schaden durch eine solche Bombe besser abschätzen zu können.3
  • Das US Department of Energy (DOE) unterhält drei große Einrichtungen zur Erzeugung von Aerosolen. In der Biowaffen-Forschung gelten Aerosole, feinste Nebel, als die effektivste Methode, die tödlichen Erreger zu verbreiten. Laut Jahresbericht des DOE werden in den Anlagen Aerosole von Mikroorganismen unter anderem durch Explosionen erzeugt, um so zu untersuchen, wie effektiv verschiedene Angriffsszenarien eine Krankheit auszulösen vermögen.4 Heutzutage spielen Aerosole zwar eine wichtige Rolle in der pharmazeutischen Forschung, doch hat die Erzeugung von Aerosolen mit Hilfe von Explosivstoffen keinerlei zivile oder medizinische Anwendung.
  • Im Auftrag des Pentagon hat die Firma ITT Industries Systems Division in Colorado Springs besonders gehärtete Raketensprengköpfe für biologische Waffen entwickelt und gebaut. Dies geht aus einer Meldung hervor, die die US-Regierung 1999 im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen der Biowaffen-Konvention an die Vereinten Nationen abgegeben hat. Die Arbeiten fanden im Rahmen der Raketenabwehrpläne der USA statt und sollten ermitteln, wie Raketen mit biologischen Waffen effektiv noch in der Flugbahn zerstört werden können. Dafür wurden die speziell entwickelten Sprengköpfe testweise mit harmlosen Bakterien gefüllt und in Simulationsexperimenten zerstört.

Alle drei Projekte verstoßen unzweifelhaft gegen die Biowaffen-Konvention, auch wenn die US-Regierung einen defensiven Zweck behauptet. Denn laut Artikel 1, Absatz 2 der Konvention ist die Forschung und Entwicklung von Verbreitungsmechanismen prinzipiell verboten, eine Ausnahme für defensive Forschung ist dafür nicht vorgesehen:

„Each State Party to this Convention undertakes never in any circumstances to develop, produce, stockpile or otherwise acquire or retain:

  1. Microbial or other biological agents, or toxins whatever their origin or method of production, of types and in quantities that have no justification for prophylactic, protective or other peaceful purposes
  2. Weapons, equipment or means of delivery designed to use such agents or toxins for hostile purposes or in armed conflict.“

Während im ersten Absatz eine ausdrückliche Ausnahme für Schutz-Zwecke enthalten ist, fehlt diese Einschränkung im zweiten Absatz. Nach Absatz 2 dürften zum Beispiel Sprayverfahren für pharmazeutische Anwendungen entwickelt werden, denn ihr „design“ ist nicht „für feindselige Zwecke“ bestimmt. Für die drei oben aufgeführten Beispiele aus den USA gilt jedoch offensichtlich das Gegenteil.

Hier zeichnet sich eine weitere Grenzziehung für die Defensivforschung, ab, die sogar bereits in der Biowaffen-Konvention verankert ist, aber derzeit nicht wirkungsvoll um- und durchgesetzt wird.

Schlussbemerkung

Die beliebige Verwendung des Defensiv-Argumentes, die zur Zeit insbesondere von den USA extensiv praktiziert wird, unterhöhlt das weltweite Forschungsverbot an Biowaffen. Diese Art der kreativen Auslegung defensiver Forschung darf sich nicht durchsetzen, denn dann kann kaum noch ein Forschungsprojekt als verboten gelten, solange es denn nur mit einem defensiven Etikett versehen wird. Deshalb sind klare Grenzen für die Abwehrforschung dringender als je.

Es ist unbestritten, dass in vielen Bereichen der biologischen Forschung Grenzziehungen nur schwer möglich sein werden. Das bedeutet jedoch andererseits nicht, dass es überhaupt keine Kriterien für eine Differenzierung in sinnvolle und gefährliche, in defensive und tendenziell offensive Forschung geben kann.

Anmerkungen

1) Pomerantsev AP, Staritsin NA, Mockov YV, Marinin LI (1997) Expression of cereolysine ab genes in Bacillus anthracis vaccine strain ensures protection against experimental hemolytic anthrax infection. Vaccine 15:1846-1850

2) Defense against biodegradation of military materiel. Presentation of J.R. Campbell of the US Naval Research Laboratory at the 3rd Non-lethal Defense Sympsium at the Johns Hopkins Applied Physics Laboratory in February 1998.

3) New York Times, Sep. 4, 2001. US Germ warfare research pushes treaty limits

4) Los Angeles Times, 6. Sept. 2001: Who is afraid of a germ warfare treaty?

Dr. Jan van Aken ist Gründer des Sunshine Project, das Informationen über Biowaffen recherchiert und veröffentlicht

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/2 Frauen und Krieg, Seite