W&F 2007/3

»Hallo Krieg«

Internationale Videoprojekte zur politischen Bildung

von Andreas von Hören

Das Medienprojekt Wuppertal konzipiert und realisiert seit 1992 erfolgreich Modellprojekte aktiver Jugendvideoarbeit unter dem Motto »das bestmögliche Video für das größtmögliche Publikum«. Innerhalb kurzer Zeit hat sich das »Medienprojekt« zur bundesweit größten und ambitioniertesten Jugendvideoproduktion entwickelt. Jugendliche und junge Erwachsene werden im Rahmen von pädagogischen Institutionen oder frei organisiert bei ihren eigenen Videoproduktionen unterstützt, ihre Videos im Kino, in Schulen, Jugendeinrichtungen etc. in Wuppertal präsentiert und als Bildungsmittel bundesweit vertrieben. Alle Projekte dienen der aktiven Medienerziehung und dem kreativen Ausdruck jugendlicher Ästhetiken, Meinungen und Lebensinhalte.

Die Doku-Serie »Hallo Krieg«

Unter dem Titel »Hallo Krieg« produzierte das Medienprojekt Wuppertal von Januar bis August 2003 mit Jugendlichen eine Doku-Serie zum Irakkrieg. Deutsche, irakische und amerikanische Jugendliche dokumentierten in diesem weltweit einzigartigen tri-nationalen Projekt mit der Videokamera ihr Leben und ihre Gedanken über mehrere Monate vor, während und nach dem Krieg. Sie wurden dabei angeleitet von Medienpädagogen und Filmemachern. Die Doku-Serie wurde in Bagdad, Wuppertal, Iowa und Oklahoma produziert. Mit dem Filmprojekt sollte erreicht werden, Krieg und seine Auswirkungen für Jugendliche in allen drei Ländern aus den verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen nachvollziehbarer zu machen.

»Hallo Krieg« wurde in 30-minütigen Folgen von Februar bis Mai alle 3 Wochen veröffentlicht und bundesweit als politisches Bildungsmittel für Schulen, Jugendeinrichtungen, Veranstaltungen und Privatpersonen vertrieben. Ausschnitte und Making-of-Reportagen aus dem Projekt wurden regelmäßig aktuell im Fernsehen gezeigt. Für den abschließenden fünften Teil reisten im August 2003 drei Schülerinnen mit dem Projektleiter nach Bagdad, um dort eine Reportage über den Krieg und die Kriegsauswirkungen im Irak aus junger Sichtweise zu drehen.

Der medienpädagogische Ansatz des Projektes

Der medienpädagogische Ansatz setzt auf Peereducation/Peerinvolvement: Jugendliche klären Jugendliche am besten auf. Jugendliche sollen sowohl medial als auch politisch partizipieren und ihre junge mediale Artikulation in Verbindung mit ihrer breiten öffentlichen Publikation gefördert werden.

Viele Jugendliche sind nicht politikverdrossen, sondern Politikerverdrossen, d.h. frustriert und ablehnend gegenüber dem in den »großen Medien« i.d.R. lancierten personenbezogenen Politikstil mit offensichtlichen Unmoralitäten. Andererseits engagieren sich viele Jugendliche für moralische Zwecke aus ihrem Lebensumfeld, wenn man sie lässt und dabei unterstützt. Dieses ist auch für sie oftmals ungewohnt und muss erst mal gelernt werden – von den produzierenden Jugendlichen, von den unterstützenden Medienpädagogen, von den kritisierten Politikern.

Unpolitische PädagogInnen machen unpolitische Medienarbeit. Als negative Vorbilder für Jugendliche sind viele MedienpädagogInnen mit ihrer journalistischen oder künstlerischen Artikulation traditionell näher an der Pädagogik als an den Medien. In politischen Projekten geht es nicht nur um das klassisch-pädagogische »Reden über« sondern um ein »Engagieren für«. Außerdem müssen die Jugendlichen das Medium technisch und künstlerisch beherrschen und nicht andersherum das Medium die Jugendlichen.

Politische Gruppen haben für ihre Videoarbeit oftmals weder ausreichendes Know-how noch adäquates Equipment oder Publikationsmöglichkeiten außerhalb ihrer Subkultur. Video bietet die Möglichkeit einer Verbindung von kognitiven und emotionalen Inhalten, von Kommunikation und Aktion und gleicht damit der politischen Einmischung selbst. Video ist als publiziertes Medium massenwirksam, politisiert informell und schafft so politische Partizipation für Jugendliche. Politisch partizipative Videoarbeit versucht Jugendliche zu unterstützen, individuelle und gesellschaftliche Grenzlinien zu überschreiten und somit auszudehnen. Hierbei stößt sie an institutionelle Grenzen, in dem sie politische Reaktionen provoziert. Was für den Medienpädagogen eine Gefahr ist, wird für Jugendliche zum Erfolg.

Politische Bildungsarbeit via Medienpädagogik ist dann erfolgreich im Sinne der Zielgruppe, wenn sie keinen individuell-defizitären sondern einen positiven, gesellschaftskritischen Ansatz verfolgt. Politische Filmarbeit versucht reflektiert Parteilichkeit, Emotionalität und Spaß miteinander zu verquicken. Wenn Demokratie individuell und gesellschaftlich das Ziel ist, so gilt es demokratische Mittel zu nutzen. Unsere Projekte zeichnen sich durch die inhaltliche Autonomie der jugendlichen FilmemacherInnen, filmgestalterische Unterstützung »learning by doing« durch »Film-Profis« mit politischem Bewusstsein, mobiles Digital-Videoequipment für Produktion und Postproduktion, massenwirksame öffentliche und szenemäßige Publikationsforen mit entsprechendem Marketing und begleitende Medienkampagnen aus.

In ihren Videos bearbeiten Jugendliche nicht abstrakte oder recherchierte Themen sondern Selbstthematisierungen, wo sie tatsächlich involviert sind. Deswegen sind ihre Filme oft dynamischer, authentischer, direkter und kompromissloser als Fernsehproduktionen.

Die produzierende Gruppe

Die Doku-Serie wurde hauptsächlich von 8 Wuppertaler Jugendlichen (7 Mädchen und 1 Junge) im Alter zwischen 18 und 19 Jahren produziert. Die Gruppe arbeitete mehrere Monate mit bemerkenswerten Engagement an allen Stufen dieses Projektes: Konzeption, Recherche, Dreh, Interviews, Schnitt, Organisation von Werbung für Aufführungen, Pressetermine, Gesamtorganisation und Konzeption von Aktionen. Ermutigt wurde die Gruppe, die zum großen Teil im Abitur stand, durch den politischen Anlass und das positive Feedback im persönlichen Kreis sowie in der bundesweiten Berichterstattung. Die Gruppe merkte, dass sie tatsächlich etwas bewegen konnte. Neben dieser Kerngruppe arbeiteten noch zwei Austauschschüler in den USA mit amerikanischen Jugendlichen an dem Projekt. Sie produzierten zahlreiche Interviews, die per Post alle 3 Wochen nach Wuppertal geschickt wurden. Mit Studenten aus Bagdad nahm die Wuppertaler Gruppe einen langfristigen Kontakt auf, zunächst in Telefoninterviews, später mit einem Besuch vor Ort. Es fand auch eine enge Zusammenarbeit mit in Wuppertal lebenden Irakis statt, die zunächst reine Interviewpartner waren. Später entstanden private Kontakte mit der produzierenden Gruppe und sie nahmen Pressetermine gemeinsam wahr. Neben der Kerngruppe arbeiteten diverse weitere Jugendliche an dem Projekt auf vielen Ebenen: Als Synchronsprecher, ein aus Kanada stammender Student beteiligte sich an der Übersetzung, bei Straßenaktionen wirkten weitere SchülerInnen mit.

Bei der Bagdadreportage für Teil 5 der Serie bestand die Gruppe aus 3 Mädchen, die zu der Kerngruppe zählen, welche seit Beginn beim Projekt teilnehmen. Das Projekt war sehr Mädchen-dominant, weil Mädchen nach unseren Erfahrungen – im Durchschnitt – neben gleichen filmischen Kompetenzen höhere kommunikative, sensitive Fähigkeiten, die für Dokumentarprojekte wichtig sind, mitbringen sowie eine größere Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit aufweisen.

Die RezipientInnen

Die Filme wurden vor, während und nach dem Irakkrieg alle drei Wochen aktuell in einem Wuppertaler Kulturzentrum vor mehreren hundert Zuschauern uraufgeführt. Die Altersstruktur war gemischt. Sie bestand zu ca. 2/3 aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen (12 bis 25 Jahre), zu ca. 1/3 aus Erwachsenen jeglichen Alters. Die Aufführungen erfolgten immer zeitnah zu den aktuellen Geschehnissen. Außerdem fanden Aufführungen in einer Wuppertaler Kirche statt. Die einzelnen Serienteile wurden in einer Auflage von je ca. 250 Stück bundesweit als Bildungsmittel vertrieben und wurden so von mehreren 10.000 Personen gesehen. Ferner bekamen alle Wuppertaler Schulen kostenfrei und unmittelbar nach der Fertigstellung Exemplare für den Schulunterricht geliefert. Die Filme wurden auch flächendeckend als Unterrichtsmaterial eingesetzt. Extra für Unterrichtsstunden gibt es optional auch eine Kurzfassung von 15 Min. auf dem Videotape, um den Film auch in einer Einzelstunde behandeln zu können.

Nach Erscheinen der aktuellen Teile tourten Mitarbeiter und jugendliche Filmemacher mit Videoleinwand und Beamer durch Kneipen, Clubs und Discos. Es gab eine breite mediale Berichterstattung und regelmäßige Fernsehausstrahlungen von Ausschnitten der Filme und Making-of-Reportagen. Ein 60minütiger Zusammenschnitt aller Serienteile wurde nach Abschluss des Projektes bundesweit als Bildungsmittel vertrieben. Dieser soll nicht nur über den immer noch aktuellen Krieg berichten, sondern zeigen, welche Auswirkungen Krieg im Verlauf auf junge Menschen in verschiedenen Ländern hat

Auszeichnungen

Die Doku-Reihe »Hallo Krieg« wurde mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, wie dem 1. Preis des Dieter-Baacke-Preises 2003, dem Jugendkulturpreis NRW 2004 und demHans-Götzelmann-Preis 2004. Auszeichnungen sind nicht nur als qualifiziertes Feed Back und zur Anerkennung der medienpädagogischen, künstlerischen und inhaltlichen Leistung aller ProjektteilnehmerInnen wichtig. Die öffentliche Darstellung und Wahrnehmung ist zum einen wichtig, weil politische Filmprojekte bei politischen Entscheidungsträgern oft umstritten sind und von diesen nur auf Grund der veröffentlichten Meinung wahrgenommen und wertgeschätzt wird: Was gilt der Prophet im eigenen Land, und gerne tötet man den Überbringer von »bösen« Nachrichten. Zum anderen ist die Filmarbeit finanziell von Förderungen abhängig, qualifizierte Bewertungen helfen hierbei perspektivisch.

Andreas von Hören ist Gründer und Geschäftsführer des Medienprojektes Wuppertal e.V.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/3 Medien und Krieg / Kriegsmedien, Seite