W&F 1989/4

Heldenkult oder Friedensmahnung?

Kriegerdenkmale nach beiden Weltkriegen

von Susanne Behrenbeck

Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt bereits 44 Jahre zurück, und noch immer werden Denkmale zur Erinnerung an seine Toten errichtet. Der andauernde Bau solcher Gedenkzeichen beschränkt sich nicht nur auf Personengruppen, die bisher vernachlässigt wurden oder auf ältere Denkmale, die durch zeitgemäße ersetzt werden sollen, sondern er hat noch tiefer liegende Gründe. Horst Baier nannte diese in seinem Beitrag zum Volkstrauertag 1987 das „Brandmal der Republik“, das weiter schwärt und keine Ruhe läßt: Es sei der Geburtsmakel unseres Staatswesens, daß jede Erinnerung an seinen Ursprung, jedes Jubiläum wie das diesjährige, zugleich Trauer um Tod und Schuld sein muß. Echte Versöhnung, „die immer auch Vergeben und Vergessen einschließt, eine solche Versöhnung der Deutschen mit ihren ehemaligen Gegner ist bis heute … nicht Wirklichkeit geworden. Die Geschichte vergißt nur, wenn die Wunden ihrer Taten und Untaten geschlossen sind.“ 1 Dies sei aber weder bei uns noch bei den Opfern und früheren Gegner der Fall.

Das Gedächtnis an die Opfer des Krieges in Form von dauerhaften Gedenkzeichen kann demnach auch als eine Art und Weise verstanden werden, wie dieser Staat und seine Bürger versuchen, ihre moralische Selbstverantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen. Zwar kann der Geburtsmakel dadurch nicht behoben werden, womöglich aber „in die Helle des Gedächtnisses und in die Klarheit eines Bekenntnisses“ erhoben werden. „So könnte sich Mittat der Voreltern und Mitleid der Nachfolgenden versöhnen, zuerst bei und und dann zusammen mit den Nachbarn“.2

Kriegerdenkmale als Mittel der Versöhnung und gegen die Verdrängung – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Die Geschichte dieser Kunstgattung zeichnet ein anderes Bild. Ein Vergleich der Kriegerdenkmale im ersten Jahrzehnt nach beiden Weltkriegen soll zeigen, welche gesellschaftlichen Bedürfnisse sie erfüllen.

In den Kriegerdenkmalen kommen breite Gesellschaftsgruppen zur Sprache, denn die Stifter solcher Gedenkzeichen stammen sowohl aus Soldatenverbänden und Stadtparlamenten wie aus Krichen und Arbeiterschaft. Zu den Spendenaktionen war die Gesamtbevölkerung aufgerufen und fühlte sich – wie die Sammelergebnisse belegen – offenbar auch angesprochen. Von den beauftragten Künstlern wurde verlangt, möglichst präzise dem Empfinden der Stifter, ihrer Einstellung zum Kriegstod Ausdruck zu verleihen; das Gesamtspektrum der Kriegerdenkmale ergibt daher ein recht aussagekräftiges Bild von der versuchten Bewältigung des Kriegstodes in der Nachkriegsgesellschaft.

Zeichen der Trauer und nicht des Triumphes

Zwei zeitgenössische Beobachter sollen den Einstieg ins Thema vermitteln. So äußerte sich Bruno Taut, ein politisch und sozial engagierter Architekt, in seiner Zeitschrift „Frühlicht“ 1922 zur Situation der Kriegerehrung:

„Die Denkmalbewegung für die Gefallenen des großen Krieges scheint sich unaufhaltsam überallhin zu verbreiten. Bei Autofahrten findet man schon in den meisten Dörfern irgendeinen Stein oder ein steinähnliches Gebilde, sei es nun, daß es eine Figur darstellt, der nur noch die Engelsfittiche fehlen, oder daß ein Findlingsblock unmittelbar von den Eisbergen angeschwemmt ist. Ja, es soll sogar Firmen geben, welche »eisenarmierte Betongranithohlfindlinge« offerieren und bei der sentimentalen Bevölkerung Erfolg damit haben. Viel anders verhält es sich aber mit den werkbundgerechten Versuchen auch nicht, die Kriegerdenksteine in eine »geschmackvolle« Form zu bringen, eine Form, die gewöhnlich einem Briefbeschwerer ähnlich sieht …“ 3

Taut weist in diesem Zusammenhang auf die gesellschaftliche Zerrissenheit seiner Zeit und deren Auswirkungen auf die Kriegerdenkmale hin:

„Ein Denkmal kann möglich sein, wenn es sich um eine Idee handelt, deren Symbol restlos und klar allgemeine Gültigkeit hat … Die Einstellung des deutschen Volkes zum vergangenen Kriege ist aber eine so verschiedenartige, daß man eine Allgemeingültigkeit irgendeines Symbols dafür nicht entfernt feststellen kann. Die einen wünschen eine Heroisierung der grausigen Vorgänge und die Vergöttlichung ihrer Opfer, die anderen grausige Zeichen zur Erinnerung an dieses Geschehen, Zeichen, welche die Erinnerung an seine Furchtbarkeit niemals erlöschen lassen sollen. Künstlerisch wäre diese Aufgabe als solche lösbar, wenn eine dieser beiden Anschauungen zweifelsfrei überwiegen würde. Das ist aber nicht der Fall …“ 4

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Einstellung zum Kriegstod offensichtlich verändert. Adolf Rieth, als Berater für Kriegerdenkmale in Baden-Württemberg tätig, faßt Anfang der 60er Jahre im Rückblick den Unterschied zu früheren Zeiten zusammen:

„Wir lehnen heute die falsch verstandene Gefallenenehrung nach 1918 weitgehend ab, weil sie vielfach … patriotische Stimmungsmache war, die selbst mit den Zeichen des Christentums Mißbrauch trieb und damit ungewollt das Verhängnis des zweiten Weltkriegs vorbereiten half.“ 5

„Während die Gefallenendenkmale des ersten Weltkriegs weitgehend auf das Kriegserlebnis Bezug nahmen, verkörpern die neuen Male die Kriegsfolgen. War in den früheren Malen Trotz und Auflehnung zu spüren, so weisen die heutigen auf die Opfer und das tragische Geschehen des letzten Krieges hin … Der Infantrist aus Bronze oder Stein, … dieser Kämpfer ist endgültig weggetreten … und wäre bei uns, auch ohne den Einfluß der Denkmalpflege, wohl nicht wiedergekommen. Das neue Denkmal … ist ein Zeichen der Trauer und nicht des Triumphes. … War das Gefallenendenkmal früher ein Ort der nationalen Sammlung, so ist es heute ein Ort der inneren Sammlung geworden, ein Zeichen, daß der Versöhnung zwischen den Völkern dient.“ 6

Es scheint also, als sei die Einstellung zu Krieg und Kriegstod nach 1918 von Gegensätzen geprägt gewesen, während sich in der zweiten Nachkriegszeit eine einheitliche Haltung durchgesetzt habe. Ob Taut die Befürworter von »grausigen« Gedenkzeichen für zu zahlreich hielt, ob Rieth mit seiner optimistischen Beurteilung der neuen Denkmale recht hat, soll in diesem Beitrag geprüft werden.

Helden oder Opfer?

Auch die Namen, mit denen die Denkmale in beiden Nachkriegszeiten bezeichnet wurden, spiegeln deutliche Unterschiede. Sie leiten sich meist von den in der Widmungsinschrift benutzten Vokabeln ab. In beiden untersuchten Nachkriegsjahrzehnten waren zwar verschiedene Benennungen nebeneinander gebräuchlich, jedoch lassen sich eindeutige »Trends« feststellen:

Nach dem Ersten Weltkrieg hießen die Monumente meist Helden-, Gefallenen- oder Kriegerdenkmal, oft mit dem Zusatz »Ehrenmal« versehen.7 Durch den steinernen Dank der Heimat sollte die Ehre der gefallenen Helden wiederhergestellt werden. Die Dolchstoßlegende wurde in solchen Widmungen bekräftigt und die militärische Niederlage geleugnet. Nicht der Tod der Soldaten, sondern ihre Bewährung im Kampf stand dabei im Zentrum.8 Dem entsprach die häufige Darstellung von kämpferischen, leiblich unversehrten und korrekt uniformierten Soldatengestalten auf dem Denkmalsockel.9

In der zweiten Nachkriegszeit wurden andere Begriffe gebildet, wobei an erster Stelle »Mahnmal« und »Kriegsopfermal« rangierten.10 Es wurden mit diesem Gedenkzeichen zunächst v.a. die zivilen Opfer des Krieges beklagt, zumal die Opfer des NS-Regimes. Ihrem Sterben konnte keine heldenhafte Entscheidung, kein freiwilliges Opfern mehr unterstellt werden, allenfalls eine Art Martyrium. Die an sie erinnernden Denkmale sollten den Betrachter mahnen im Sinne von: vor einer Wiederhohlung warnen.11 Die Darstellung schmerzerfüllter Hinterbliebener und ausgemergelter Leiber gehört zu diesem Denkmaltypus.

Die Frage ist nun, ob es sich bei den Namensänderungen um eine Art »Etikettenschwindel« handelt, oder ob sie den formalen wie inhaltlichen Veränderungen der Denkmale entsprechen.

Bewältigung der Niederlage

Nach einem verlorenen Krieg mit steinernen Denkmalen dauerhaft an die Niederlage zu erinnern, widerspricht zunächst der Grundintention des Denkmals und steht dem menschlichen Verlangen entgegen, unangenehme Erinnerungen zu verdrängen. Diese Ambivalenz, der offenbar unbewußte Zwang, das Schreckliche dennoch im Gedächtnis zu bewahren, bestimmt die Gestaltung vieler Monumente nach beiden Weltkriegen, als die Kriegsdenkmale nicht länger zugleich Siegeszeichen sind.

Ihre Funktion ist in erster Linie, das Rechtfertigungsbedürfnis der Überlebenden zu befriedigen und den gewaltsamen Tod so vieler Menschen zu erklären, wenn möglich mit einem Sinn zu versehen.12

Nach 1918 zeigten die Kriegerdenkmale eine andere Haltung zum Kriegstod als im 19. Jahrhundert. Linse stellt als Ergebnis eine gesteigerte Heroisierung und Sakralisierung der Kriegstoten fest. Ihr Ziel sei es, die Wirklichkeit des Sterbens zu verdrängen oder – wie Mosse es ausdrückt – den Tod der Gefallenen zu leugnen. Das bedeutet: die Gedächtniszeichen des Ersten Weltkrieges sollten v.a. die »wahre« Erinnerung zugunsten einer erträglicheren verdrängen.13

Enorm war der Aufwand, mit dem der Bau solcher Monumente betrieben wurde – sie waren manchmal imposanter als die Nationaldenkmale des 19. Jahrhunderts14. Darin spiegeln sich die Verzweiflung und Radikalität, welche hinter diesem Verdrängungswunsch wirksam war, aber auch die Befürchtungen, die mit einer wahrheitsgemäßen Erinnerung verbunden gewesen sein müssen. Die Kriegsniederlage sollte eben nichts an der traditionellen Einstellung zu Krieg und Kriegstod ändern, die alten Werte, für welche die Soldaten in den Krieg und in den Tod gezogen waren, sollten wegen ihrer vermeintlich staatstragenden Funktion um fast jeden Preis bewahrt werden.15 Diesen Werten, Idealen und Tugenden wurden die Denkmale gesetzt, die Gefallenen verkörperten deren Verwirklichung unter den extremen Bedingungen eines Krieges.

Koselleck sieht die Funktion der Kriegerdenkmale nach 1918 ebenfalls v.a. in der moralischen Verarbeitung der Niederlage und nicht etwa der Kriegsschuld. Kraft einer »Inversionslogik« fordern sie zur Identifikation mit dem Vaterland auf, für das zu sterben trotz der Niederlage lohnt, wie die Millionen Toten »beweisen«. Andernfalls wären diese ja umsonst, d.h. sinnlos gestorben.16

Die Gedenkstätten konnten auch zur Bewältigung der negativen Kriegserlebnisse dienen, gerade indem sie diese verschwiegen und statt dessen dem Mythos von den „im Stahlbad geläuterten Helden“, von der Frontkameradschaft und der Apotheose des Krieges konkret und anschaulich Ausdruck verliehen, wodurch sie teilweise zum Gegenstand kollektiver Verehrung wurden.17 Die ehemaligen Frontsoldaten, von der Nachkriegszeit meist frustriert, stärkten so ihr Selbstwertgefühl. Die ab 1925 immer häufiger werdenden revanchistischen Denkmale drücken auch die gewünschte Revision der innerdeutschen Verhältnisse aus.

Die Eingliederungsprobleme der Kriegsheimkehrer konnten durch ihre bildlich dargestellte Teilhabe am Heldentum der toten Kameraden gemildert werden. Entsprechend oft ist ein trauernder Soldat mit dem Gefallenen auf dem Denkmalsockel zu finden.18 Außerdem bildeten die Denkmale vor Ort einen Ersatz für die an der Front gelegenen Gräber, sie wurden zum Mittelpunkt der Trauergefühle der einzelnen Hinterbliebenen und stifteten so Gemeinschaftserlebnisse. Indem die Überlebenden sich materielle Opfer auferlegten, um mit aufwendigen Denkmalen die Gefallenen zu ehren, sollte der durch Niederlage und Dolchstoßlegende entstandene »Schuldkomplex« der Heimatfront abgetragen werden. So formuliert Probst: „Das Denkmal wurde also nicht nur den Gefallenen errichtet. Die Überlebenden setzten es sich auch selbst unter Aufopferung ihrer Kräfte.“ 19 Damit erklärt sich die häufige Darstellung von trauernden Hinterbliebenen, oft in das überzeitliche Motiv der Pietà gekleidet.

Die so präsentierte Tugendhaftigkeit von Soldaten und Überlebenden stand für die innere Unversehrtheit des Reiches, die der politischen Niederlage gegenübergestellt wurde. Diese Geschichtsmanipulation ist laut Probst „als Teil der mentalen Überlebensstrategie … zu verstehen.“ 20

Der neue Opfer-Begriff

Im Vergleich zu diesen Ergebnissen der ersten Nachkriegszeit bescheinigen alle Autoren den Denkmalen nach dem Zweiten Weltkrieg eine insgesamt veränderte Haltung zum Krieg. Ihr wichtigstes Merkmal sei, daß sie keine patriotischen Leidenschaften mehr wecken. Kritisiert wird dagegen vielfach die »Sprachlosigkeit« der Denkmale, die über Pfichtübungen nicht hinauskämen21. Dies wird auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt.

Durch die Änderung der Staatsform und die Ablösung des alten Regimes ergab sich nach beiden Weltkriegen die Situation, daß die Denkmale ex post den Soldatentod legitimieren mußten, nachdem und obwohl sich die moralische Bewertung seiner Voraussetzungern verändert hatten. Nachträglich galt es, andere Rechtfertigungen für das Sterben zu finden, als die Soldaten im Fahneneid auf Kaiser oder Führer jeweils antizipiert hatten. Zugleich sollten die Ziele der Gefallenen jedoch nicht völlig desavouiert werden.

Die Denkmale beider Nachkriegszeiten spiegeln die Überforderung ihrer Stifter mit dieser Situation wider. Meist wird ein direkter Bezug auf das vergangene Regime vermieden, der Tod der Soldaten auf Heimat, Vaterland und Angehörige statt auf Monarchie und Drittes Reich bezogen.

Doch durch diese allgemein spürbare Verunsicherung kommt es zögernd zu einer veränderten moralischen Bewertung des Sterbens im Krieg. Nach 1945 galt „der Kriegstod nicht mehr überwiegend als vorbildlich. Statt des Appells zur Nachfolge trat Trauer in den Vordergrund. Damit geriet die soziale Rolle der Toten als Vorbilder in Frage“, so lautet das erfreuliche Urteil von Lurz.22

Der Schuldkomplex, der sich nach 1918 im sofortigen Bau von Gefallenendenkmalen äußerte, bezieht sich nun auf die in deutscher Verantwortung begangenen Verbrechen und hat zum Teil den raschen Bau von KZ-Opfermalen zur Folge.

Solche Mahnmale, die von befreiten Häftlingen und Siegermächten initiiert worden sind, werden zu Anfang der 50er Jahre in die Obhut von Ländern und Gemeinden übernommen und ausgebaut.23

Die anfängliche Bestürzung und Scham über die aufgedeckten NS-Verbrechen und die sicher vorhandene spontane Solidarisierung mit den Opfern weicht im Zuge des Kalten Krieges und des wirtschaftlichen Aufschwungs anderen Gefühlen: Die Deutschen beginnen, sich selbst als Opfer von Teilung, Vertreibung, Besatzung und schließlich des Nationalsozialismus zu sehen. Dem entspricht, daß seit Ende der 40er Jahre Mahnmale für die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung sowie der Kriegsgefangenschaft in Angriff genommen werden. Parallel zu einer Schuldabtragung in den KZ-Gedenkstätten läuft also eine Beschuldigung bwz. Aufrechnung von Schuld gegnüber dem einzigen Gegner, der von den alliierten Siegermächten für die westdeutsche Seite noch ins alte Feindbild paßt, der Sowjetunion. Die Denkmale für die eigenen Opfer lenken ab von den Opfern, die man zu verantworten hat. Der im Schatten des Kalten Krieges entstandene neue Mythos vom gemeinsamen Kampf der westlichen Welt gegen den Kommunismus als Wurzel allen Übels hilft in der Bundesrepublik, die Verbrechen der NS-Zeit zu exorzieren.24 Er kann dazu dienen, die unangenehme und beschämende Erinnerung in eine akzeptable Vergangenheit zu verwandeln – ein Vorgang, der auch in der ersten Nachkriegszeit zu beobachten war, allerdings mit anderen äußeren Konsequenzen.

Hinzu kommt, daß schon seit dem Ersten Weltkrieg die Denkmale zusehends aus dem Ortskern an die Peripherie gedrängt wurden, ein Trend, der sich nach 1945 deutlich verstärkt.25 Offenbar sollen die Denkmale für die Kriegstoten weniger öffentliches Aufsehen erregen und der politischen Erziehung dienen als vielmehr dem stillen Gedenken und der persönlichen Besinnung des einzelnen. Es ist also eine deutliche Privatisierung bzw. Individualisierung des Gefallenengedächtnisses zu beobachten, die sich von der früheren Kollektivierung und Nationalisierung weit entfernt hat.

Der stark zusammenfassende Opfer-Begriff nach dem Zweiten Weltkrieg geht einher mit der Verlegung der Gedenkzeichen auf den örtlichen Friedhof. Der Unterschied zwischen Kriegstod und zivilem bzw. natürlichem Tod wird dadurch stark nivelliert.26

Die neuen Helden

Einen Gefallenenkult wie 1918 gibt es nach 1945 nicht mehr. Die neuen Helden der Denkmale sind nicht mehr die toten Soldaten, sondern eindeutig die Verfolgten und Widerstandskämpfer,27 wobei diese Personengruppen sich oft nur in ihrer Gegnerschaft einig waren, nicht aber in den angestrebten Zielen. Die Bildersprache der Gedenkzeichen in der Bundesrepublik thematisiert meist keine positiven Werte, die Widmungsinschriften erschöpfen sich in hilflosem oder lyrischem Pathos. Auch den Festredner gelingt es kaum einmal, eine inhaltliche Alternative zum Nationalsozialismus zu konkretisieren.28 Der Krieg wird zum Unglücksfall, tragischen Schicksal, zur Naturkatastrophe erklärt; die soldatischen Tugenden werden dadurch nicht außer Kraft gesetzt und können gerade für die Helden des militärischen Widerstands in Anspruch genommen werden.

Die militärische und politische Niederlage, die 1945 viel größere Dimensionen hatte als 1918, taucht in den Denkmalen nicht mehr als trotziges »Dennoch« auf wie nach dem Ersten Weltkrieg, sie wird zwar nicht geleugnet, aber auch nicht thematisiert. Der völlige Zusammenbruch auf allen gesellschaftlichen Ebenen fördert die Illusion eines möglichen Neuanfangs. Zu der nationalsozialistischen Vergangenheit als Kriegsursache begeben sich die Denkmalstifter auf Distanz.

Die Verarbeitung der Niederlage und der NS-Verbrechen wird in Westdeutschland durch Verdrängung der Schuldgefühle und eine allzu rasche Identifizierung mit den Siegermächten im Zuge des Kalten Krieges verhindert. Dieser psychosoziale Vorgang zeigt sich besonders eindrücklich am Denkmal für die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 in Berlin29. Die Bundesrepublik will damit nicht nur ihre eindeutige Abkehr von der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihre ungeteilte Solidarität mit dem Widerstand bekunden. Wie die Einweihungsreden zeigen, soll mit dem Gedenkzeichen zugleich das Geschehen vom 17. Juni 1953 in der DDR mitverurteilt werden. Die Männer vom 20. Juli bieten außerdem der neu gegründeten Bundeswehr die Möglichkeit, an positive Traditionen anzuknüpfen. Sie sind schließlich die einzigen, die noch den »Tod fürs Vaterland« gestorben sein dürften. Nur bei den Denkmalen für die Widerstandskämpfer findet eine eindeutige Verurteilung des NS-Regimes statt.30 Gleichzeitig wird jedoch auf den Gefallenendenkmalen auch die Treue und Tapferkeit der deutschen Soldaten gelobt ohne Hinweis darauf, daß diese für ein verbrecherisches Regime kämpften und durch ihre gerühmte Pflichterfüllung die Ausrottung von Millionen Menschen in den Todeslagern ermöglichten. Dieses Paradoxon zeigt das Ausmaß der Tabuisierung und Verdrängung, das in den Kriegsdenkmalen aufgebaut wurde.

Doch die Frage nach dem Sinn von Gedenkzeichen ist damit nicht obsolet geworden, denn wiederum ein Denkmal, wenn auch ganz anderer Art, soll helfen, solche Verdrängung aufzubrechen. Ausgerechnet im Jubeljahr 1989 wurde im 2000jährigen Bonn der Antrag gestellt, ein Denkmal für den unbekannten Deserteur auf dem Friedensplatz aufzustellen. Die enorme Provokation, die von diesen Plänen ausging, hat gezeigt, wie sehr prosoldatische Werte noch immer als staatstragend gelten, wie wenig sich eine pazifistische Grundhaltung durchgesetzt hat und wie offen die Wunden der Vergangenheit noch sind. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem »Stein des Anstoßes« als Kunstwerk oder mit der Desertion eines auf Hitler vereidigten Soldaten fand nicht statt. Die einseitige Verehrung der Männer vom 20. Juli zeigt, daß Tyrannenmord als einzig legitimes Verhalten in einem Unrechtsstaat gilt, sich zu verweigern, als verabscheuungswürdige Handlung.

Vergleicht man das von Richard Scheibe für die Widerstandskämpfer gestaltete Denkmal – die Symbolfigur eines nackten, klassizistischen Jünglings, der sich die lose geschlungenen Handfesseln abstreift – mit dem von Mehmet Azoy geschaffenen Deserteurdenkmal – ein großer Marmorbrocken, in dem ein weicher menschlicher Körper seinen Abdruck hinterließ, bevor er durch ein Loch in die Freiheit entkam – so wird der Unterschied zwischen den zugrundeliegenden Handlungen, das Identifikationsangebot für den Betrachter deutlich. Das Hamburger Gegen-Denkmal von Alfred Hrdlicka (1983-86) macht den Kontrast sogar im direkten Gegenüber zum heroisierenden 36er Denkmal nachvollziehbar.

Man kann unterschiedliche Einstellungen zur realistischen Formensprache dieser Künstler einnehmen, ihr unbestreitbarer Vorteil ist jedoch, daß sie auch für künstlerisch ungeschulte Menschen leicht verständlich ist und ihnen eine Auseinandersetzung mit den Inhalten eröffnet.

Es gibt in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Staaten kein symbolisches Denkmal für den unbekannten Soldaten, um das sich ein Gefallenenkult entfalten könnte. Auch das im Geiste des Kalten Krieges initiierte Denkmal für den unbekannten politischen Häftling ist gescheitert. Das nun in Bonn gegen große Widerstände zumindest provisorisch installierte Denkmal für den unbekannten Deserteur gehört zu den wenigen, die man Anti-Kriegsdenkmale nennen kann, weil sie abschreckende Wahrheiten über den Krieg ins öffentliche Gedächtnis gebracht haben.

Was die Formensprache solcher Gedenkzeichen angeht, so teilen sie das Los vieler anderer Kriegsdenkmale nach dem 2. Weltkrieg: sie sind von viel gutem Willen und ehrlichem Bemühen beseelt, scheitern aber oft (wie das Deserteurdenkmal in Bremen) an Hilflosigkeit, an der schier unüberwindlichen Diskrepanz zwischen Denkmalanlaß und Denkmalgestalt. Die Aufgabe ist wohl als solche nicht ohne weiteres künstlerisch lösbar, wie Taut 1922 voraussetzte.

Müssen Kriegsdenkmale und besonders ihre Stifter deswegen grundsätzlich verdächtig erscheinen, wie eine Untersuchung der Fachhochschule Dortmund schlußfolgert? Ihre Autoren kommen nämlich zu einer viel drastischeren Einschätzung als der eingangs zitierte Denkmalpfleger Rieth: „Der Denkmalskult ist offenkundig unfähig zur Trauer, Mahnung, Demut oder gar zur Verhinderung von Kriegen. Friedenskultur und Friedenserziehung lassen sich nicht monumentalisieren.“ 31 Sind Kriegerdenkmale demnach als Gattung gefährlich und sollten abgeschafft werden? Brauchen wir heute überhaupt noch solche Zeichen? Wenn ja, wie ließe sich eine Gestaltungsform finden, die tatsächlich erinnert, ohne zu verdrängen und die dennoch nicht auf spontane, allgemeine Ablehnung träfe? Wie müßten Anti-Kriegsdenkmale aussehen, die zum Friedenshandeln auffordern, die neben dem Sterben auch das Töten im Krieg thematisieren? Und wie müßte der Umgang mit den alten Gedenkstätten gestaltet werden, damit deren unfriedliche Wirkung gebrochen wird? Gerade im Hinblick auf die Debatte um ein zentrales Mahnmal der Bundesrepublik scheint mir die Auseinandersetzung mit solchen Fagen von aktueller Bedeutung zu sein.

Es handelt sich um die leicht veränderte Fassung eines Vortrags den Sabine Behrenbeck auf der Tagung »Nachkriegszeiten im Vergleich« des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (27-29.10.1989, Bonn) gehalten hat.

Anmerkungen

1) Baier, Horst, Totentrauer – die Frömmigkeit unserer Republik, über Sühne, Wiedergutmachung und Selbstverantwortlichkeit, in: FAZ v. 14.11.1987 Zurück

2) Ebenda Zurück

3) Taut, Bruno, Gefallenendenkmal für Magdeburg, in: Ders (Hg), Frühlicht 1920-1922, Eine Folge für die Verwirklichung des neuen Baugedankens, Nachdruck hg. v. Ulrich Conrads, Frankfurt/Berlin 1963, H.2, 1921/22, S. 109-113, hier 109 Zurück

4) Ebenda, S. 110 Zurück

5) Rieth, Adolf, Neue Gefallenendenkmale in Süd-Württemberg, in: Bewahren und Gestalten, Festschrift für G. Grundmann, Hamburg 1962, S. 109-114, hier 109 Zurück

6) Ders., Denkmal ohne Pathos, Totenmale des zweiten Weltkriegs in Südwürttemberg-Hohenzollern, mit einer geschichtlichen Einleitung, Tübingen 1967, S. 27 Zurück

7) Kurz, Meinhold, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. IV, Weimarer Republik, Heidelberg 1985, S. 342 Zurück

8) Rieth, A. Denkmal ohne Pathos, S. 12 Zurück

9) Probst, Volker G., Bilder vom Tode, eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in der Weimarer Republik, Hamburg 1986, S. 20f. Zurück

10) Kurz, M., Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. VI, Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1986, S. 272f., 304 u. 331 ff. Zurück

11) Ebenda, S. 350; vgl. a. Mosse, l. George, Two World Wars and the Myth of War Experience, in: Journal of Contemporary History, Vol. 21 (1986), S. 491-513, hier 503 Zurück

12) Koselleck, Reinhart, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Identität, hg. von Odo Marquart u. Karl-Heinz Stierle, Münschen 1979, S. 255-276, hier 256 f. Zurück

13) Linse, Ulrich, „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden!“, Zur Resymbolisierung des Soldatentods, in: Kriegserlebnis, Der erste Weltkrieg in der literischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, hg. v. Klaus Vondung, Göttingen 1980, S. 262-274, hier 262f. Zurück

14) Mosse, L. George, Soldatenfriedhöfe und nationale Wiedergeburt, Der Gefallenenkult in Deutschland, in: Kriegserlebnis, S. 240-261, hier 258 Zurück

15) So auch V.G. Probst, S. 95 Zurück

16) Koselleck, R., S. 262f. Zurück

17) Mosse, G.l., Soldatenfriedhöfe, S. 244 und Ders., Two World Wars, S. 500 ff. Zurück

18) Vgl. dazu die Studie von V.G. Probst pas. Zurück

19) Ebenda, S. 3, 73f. u. 80ff. Zurück

20) Ebenda, s. 87 Zurück

21) Plagemann, Volker, „Vaterstadt, Vaterland ...“, Denkmäler in Hamburg, Hamburg 1986, S.156 Zurück

22) Kurz, M., Bd. VI, S. 40 Zurück

23) Rieth, A., Denkmal ohne Pathos, S. 29 Zurück

24) Mosse, G.L. Two World Wars, S. 498-500 Zurück

25) Seegert, Siegfried, Wandlungen in der Einstellung zum Krieg, dagestellt an den westfälischen Ehrenmalen für die Kriegstoten, (Diss. phil.) Münster 1962, S. 90-93. Seeger führt dies auf die allgemeine Verdrängung des Todes in unserer Gesellschaft zurück. Zurück

26) So die Kritik von Lurz, M., Bd. VI, S. 352 ff. Zurück

27) Ebenda, S. 183 u. 370 Zurück

28) Ebenda, S. 182 u. 500 Zurück

29) Dazu ausführlich ebenda, S. 202 sowie der Aufsatz von Damus, Martin, Die Vergegeständlichung bürgerlicher Wertvorstellungen in der Denkmalplastik, Das Denkmal zur Erinnerung an den 20 Juli 1944 von Richard Scheibe in Berlin – Der nackte Jüngling als Symbolfigur für den Widerstand, in: Kunst und Unterricht, Sonderheft, Weinheim 1974, S. 69-80 Zurück

30) Kurz, M. S. 318, 370 u. 375. Die anklagenden Mahnmale der VVN sind von dieser Kritik nicht betroffen. Zurück

31) „Unseren tapferen Helden … “, Kriegs- und Kriegerdenkmäler und politische Ehrenmale, Dortmunder Beispiele, hg. v. der Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Design, Dortmund 1987, S. 16 Zurück

Sabine Behrenbeck ist Historikerin und promoviert über den „Kult um die toten Helden im Nationalsozialismus“.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/4 Die 90er Jahre: Neue Horizonte, Seite