Hin zur Erneuerung
Wege zu dauerhaftem Frieden und Gerechtigkeit
von »Nobel Women’s Initiative«, im Namen von Jody Williams, Shirin Ebadi, Tawakkol Karman, Leymah Gbowee, Rigoberta Menchú Tum, Narges Mohammadi, Maria Ressa und Oleksandra Matviichuk
Die Welt befindet sich in einer Krise. Bewaffnete Konflikte eskalieren. Autoritäre Regime weiten ihre Macht aus und sichern sie durch Angst, Spaltung und Militarisierung. Sie verschärfen ihre Kontrolle durch Desinformation und Angst und schüren so Unsicherheit und Ressentiments, die die Bürger*innen gegeneinander aufhetzen. In dieser Atmosphäre der Spaltung instrumentalisieren politische Akteure Frauenfeindlichkeit, befeuern toxische Männlichkeitsbilder, entfachen neue Konflikte und berauben Frauen und marginalisierte Gemeinschaften ihrer Rechte.
Weltweit hat die Verherrlichung von Gewalt und die Normalisierung von Hass schonungslos offengelegt, wie fragil unsere Demokratien geworden sind. Diplomatie, Dialog und Kooperation weichen der Politik der Dominanzherrschaft. Wir erleben einen tiefgreifenden Wandel von multilateraler Zusammenarbeit hin zu Zwang und Verachtung. Der Raum für Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit schrumpft, während Herrschaft ohne Rechenschaftspflicht die Oberhand gewinnt, demokratische Institutionen untergräbt, Gerichte politisiert, Journalist*innen zum Schweigen bringt und die Zivilgesellschaft delegitimiert.
Und doch leisten Frauen und Gemeinschaften weltweit Widerstand – sie trotzen jeden Tag Vertreibung, Patriarchat, Geschlechterapartheid und militarisierter Gewalt.
- In Gaza halten Frauen inmitten unerbittlicher Zerstörung ihre Familien und Gemeinschaften zusammen und finden Wege, Hilfe zu leisten, sich um die Verletzten zu kümmern und angesichts unvorstellbarer Verluste Hoffnung zu bewahren.
- Aus Iran hallt der Ruf „Frauen, Leben, Freiheit“ weit über seine Grenzen hinaus, denn Frauen setzen ihren Kampf für Gleichberechtigung trotz Inhaftierung, Folter, Zensur und der Androhung der Hinrichtung unbeirrt fort.
- In der Demokratischen Republik Kongo stellen sich Frauen der Gewalt von Milizen und dem sexuellen Terror mit außergewöhnlichem Mut entgegen, indem sie Schutznetzwerke organisieren und Gerechtigkeit fordern, wo Straflosigkeit herrscht.
- In Afghanistan, wo Mädchen und Frauen fast aller Rechte beraubt wurden, finden sie Wege, sich zu vernetzen, zu lehren und zu lernen – und halten so die Möglichkeit einer Zukunft am Leben, die auf Wissen und Solidarität aufbaut.
- In der Ukraine dokumentieren Frauen Kriegsverbrechen und fordern Gerechtigkeit, selbst angesichts der zunehmenden Angriffe auf Städte und zivile Ziele.
Auf allen Kontinenten bauen Frauen mit Weitblick und Beharrlichkeit zerstörte Gesellschaften wieder auf. Ihr Mut zeigt, dass ein anderer Weg möglich ist. Die Beweislage ist eindeutig: Der Frieden hält, wenn Frauen einbezogen werden. Friedensabkommen haben eine um 20 % höhere Wahrscheinlichkeit, zwei Jahre zu halten, und eine um 35 % höhere Wahrscheinlichkeit, fünfzehn Jahre zu bestehen, wenn Frauen maßgeblich beteiligt sind. Doch trotz ihrer zentralen Rolle beim Erhalt von Gemeinschaften, im Widerstand gegen Tyrannei und beim Wiederaufbau nach Konflikten bleiben Frauen weiterhin weitgehend ausgeschlossen von formellen Friedensprozessen. Drei Jahrzehnte nach der »Pekinger Erklärung und Aktionsplattform« und fünfundzwanzig Jahre nach Verabschiedung der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zu »Frauen, Frieden und Sicherheit« stellten Frauen im Jahr 2023 lediglich 5 % der Friedensverhandler*innen und 9 % der Mediator*innen. Selbst die Vereinten Nationen, das weltweit wichtigste Symbol des Multilateralismus, wurden noch nie von einer Frau geleitet. Dieser Ausschluss ist nicht symbolisch – er ist strukturell bedingt. Das zu ändern ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Grundvoraussetzung für Frieden.
Der globale autoritäre Kurs gedeiht durch Ausgrenzung. Er gedeiht durch Desinformation und digitale Gewalt – durch die Unterdrückung von Journalist*innen, der Einschüchterung von Menschenrechtsverteidiger*innen und der Verbreitung von Lügen im öffentlichen Diskurs. Er gedeiht durch die Militarisierung der Staatshaushalte, Grenzen und Glaubenssysteme. Im Jahr 2024 überstiegen die globalen Militärausgaben 2,7 Billionen US$ – der stärkste Anstieg seit dem Kalten Krieg. Jeder Dollar, der für Waffen ausgegeben wird, ist ein Dollar, der für Bildung, Gesundheitswesen, Klimaschutz und Gerechtigkeit fehlt.
Wir lehnen die falsche Wahl zwischen »Sicherheit« und Menschlichkeit ab. Wahre Sicherheit bemisst sich nicht an der Größe von Armeen, sondern am Wohlergehen der Gesellschaften und der Stärke der Menschenrechte. Militarisierung untergräbt Frieden und unseren Planeten. Krieg vergiftet Wasser, verbrennt Wälder, zerstört Ackerland und schädigt Ökosysteme für Generationen. Das Militär ist für über 5 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auf einer sterbenden Erde kann es keinen Frieden geben.
Was muss jetzt getan werden?
- Erstens muss das Profitieren an Kriegen beendet werden. Regierungen müssen aufhören, Konflikte durch Waffenverkäufe und Besatzung zu fördern und stattdessen diese Ressourcen für Friedensförderung und humanitäre Hilfe einsetzen.
- Zweitens müssen wir der Instrumentalisierung der »Wahrheit« entgegentreten. Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Friedensaktivistinnen müssen geschützt werden; digitale Plattformen, die Hass und Desinformation verbreiten, müssen reguliert werden; und die Meinungsfreiheit muss für alle gewährleistet sein.
- Drittens müssen die Verpflichtungen zur Teilhabe und Führung von Frauen erfüllt werden. Die von Frauen geführten zivilgesellschaftlichen Strukturen müssen finanziell unterstützt, die Frauen an vorderster Front geschützt und die Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« endlich vollständig umgesetzt werden.
- Und nicht zuletzt müssen wir unseren Planeten entmilitarisieren und wahrhaft verteidigen. Die globalen Militärausgaben müssen reduziert und bis 2030 mindestens zehn Prozent der Militärbudgets für Frieden, Diplomatie und Klimaschutz bereitgestellt werden (siehe »10 % für alle«-Kampagne). Umweltverantwortung muss in alle Friedensprozesse integriert werden, und wir müssen anerkennen, dass das Überleben der Erde und das Überleben der Menschheit untrennbar miteinander verbunden sind.
Als Friedensnobelpreisträgerinnen, vereint in der »Nobel Women’s Initiative«, erheben wir unsere Stimmen mit Dringlichkeit und Hoffnung – gegründet auf Solidarität, Gerechtigkeit und die Überzeugung, dass Frieden kein abstraktes Ideal, sondern ein täglicher Akt der Courage ist. Wir weisen die Vorstellung zurück, Krieg könne jemals Frieden bringen. Wir verurteilen die Heuchelei, die Militarismus im Gewand der Demokratie tarnt.
Die Welt, die wir uns vorstellen, ist eine, in der Frauen die Nationen weg von der Tyrannei und hin zu Erneuerung führen; eine Welt, in der die Wahrheit genauso vehement verteidigt wird wie das Territorium; eine Welt, in der die Erde selbst als heilig und nicht als entbehrlich betrachtet wird. Diese Zukunft ist nicht unmöglich. Sie wird bereits gestaltet, still und entschlossen, überall dort, wo Frauen sich dem Krieg verweigern. Unsere Aufgabe – als Bürger*innen, als Bewegungen, als Regierungen – ist es, zuzuhören, uns anzuschließen und zu handeln. Für einen Frieden, der niemanden ausschließt, und für eine Gerechtigkeit, die für alle Bestand hat.
Über die »Nobel Women›s Initiative« – Die Initiative wird von acht Friedensnobelpreisträgerinnen geleitet: Jody Williams (USA), Shirin Ebadi (Iran), Tawakkol Karman (Jemen), Leymah Gbowee (Liberia), Rigoberta Menchú Tum (Guatemala), Narges Mohammadi (Iran), Maria Ressa (Philippinen) und Oleksandra Matviichuk (Ukraine). Frauen spielen eine entscheidende Rolle für dauerhaften Frieden. Die Preisträgerinnen kennen die Bedeutung von Friedensaktivistinnen und die Herausforderungen, denen sie begegnen, aus eigener Erfahrung. Bei der NWI nutzen sie gemeinsam die Plattform und die Möglichkeiten, die der Friedensnobelpreis bietet, um ihre Stimmen zu stärken und die Arbeit von Friedensaktivistinnen weltweit zu unterstützen.
Mehr zur Arbeit der Initiative: nobelwomensinitiative.org. Das englische Original dieses Gastkommentars ist auf der Homepage von W&F dokumentiert.

