W&F 2005/2

Hoch gepokert

Nordkorea: Kleines Land, große Chuzpe

von Rainer Werning

2002 von US-Präsident Bush als Teil einer »Achse des Bösen« gescholten, setzt Nordkoreas Regime mit Beginn der zweiten Amtszeit seines Erzrivalen ebenfalls auf Stärke und den Besitz von Atomwaffen. So weit sind die führenden Politiker und Diplomaten der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) bislang noch nicht gegangen. Beharrte Pjöngjang zuvor lediglich auf seinem Recht, auch über eine »militärische Abschreckungskraft« zu verfügen, so erklärte das nordkoreanische Außenministerium in einer am 10. Februar von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA verbreiteten Stellungnahme: „Wir haben Nuklearwaffen zur Selbstverteidigung hergestellt, um mit der immer unverhohleneren Politik der Bush-Regierung zur Isolierung und Erstickung (Nordkoreas) fertig zu werden. (…) Die gegenwärtige Realität beweist, dass nur mächtige Stärke Gerechtigkeit und Wahrheit schützen kann.“ Zugleich gab die Regierung der Volksrepublik bekannt, der sogenannten Sechser-Runde, den von Beijing initiierten und seit 2003 in der chinesischen Hauptstadt stattfindenden internationalen Verhandlungen, über Nordkoreas Atomprogramm einstweilen fern zu bleiben. Neben Nordkorea und der VR China nahmen an den Gesprächen in Beijing auch Südkorea, Japan, Russland und die USA teil.

Seit dem 10. Februar ist somit der – aus westlicher Perspektive – dritte Atomkonflikt auf der koreanischen Halbinsel eingeläutet. Unabhängig davon, ob Nordkorea nunmehr tatsächlich im Besitz von Atombomben und technisch ausgereiften Trägersystemen ist, was selbst Siegfried Hecker, einst Direktor des Atomwaffenlabors in Los Alamos, New Mexico, nach einem Besuch des nordkoreanischen Reaktorkomplexes Yongbyon im vergangenen Jahr bezweifelte, pokert Pjöngjang diesmal hoch.

Eins, zwei, drei Atomkonflikte

Der erste Atomkonflikt (1993/94) war durch die Vermittlung des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter beigelegt worden. Im Oktober 1994 vereinbarten die USA und Nordkorea in Genf das »Agreed Framework«. Gemäß diesem Rahmenabkommen verzichtete Pjöngjang auf sein laufendes Nuklearprogramm. Als Gegenleistung sicherten die USA zu, den Nordkoreanern bis zur Fertigstellung zweier Leichtwasserreaktoren zwecks ziviler Nutzung im Jahre 2003 jährlich 500.000 Tonnen Schweröl zu liefern und die Souveränität des Landes anzuerkennen. Eine Sicherheitsgarantie also, was Nordkorea als Vorstufe einer möglichen friedensvertraglichen Regelung mit den USA werten konnte. Denn seit dem Ende des Koreakrieges (1950-53) existiert lediglich ein Waffenstillstands-, jedoch kein Friedensabkommen für die koreanische Halbinsel. Zur Umsetzung des »Agreed Framework« wurde eigens im März 1995 von den USA, Südkorea und Japan die Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) gegründet, an der sich auch die EU von 1996 bis 2000 mit damals umgerechnet rund 150 Millionen DM beteiligte. Aufgrund dieser Vereinbarung kehrte Nordkorea wieder vollumgänglich unter das Kontrollsystem der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zurück.

Zwar erregte damals in Washington das von der nordkoreanischen Führung mehrfach praktizierte Junktim – erhöhte Nahrungsmittellieferungen im Austausch für IAEA-Inspektionen – Ärgernis. Das jedoch hielt die Clinton-Administration nicht davon ab, den früheren Verteidigungsminister William Perry mit der Ausarbeitung von Richtlinien einer künftigen US-amerikanischen Nordkoreapolitik zu beauftragen. Nach intensiver Ostasien-Shuttle-Diplomatie kam Perry in seinem am 12. Oktober 1999 veröffentlichten Report zu dem Ergebnis, dass das »Agreed Framework« unbedingt Bestand haben müsse, wenngleich kooperative und konfrontative Elemente im Umgang mit Pjöngjang fortan stärker aufeinander abgestimmt werden sollten. Die Bedeutung des Perry-Reports lag darin, dass er auf der Basis intensiver, für sämtliche Protagonisten in der Region Gesicht wahrender Gespräche verfasst wurde, die ursprünglich angenommene Prämisse eines kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas revidierte, die von Südkoreas Präsidenten Kim Dae-Jung seit 1998 verfolgte »Sonnenscheinpolitik« vis-à-vis Pjöngjang ausdrücklich befürwortete und das seit dem Koreakrieg wichtigste Entspannungssignal aussandte. Konkretes Ergebnis dieses Berichts war ein für beide Seiten zeitweilig immerhin vorteilhaftes Arrangement. Erklärte sich Nordkorea zum Verzicht weiterer Raketentests bereit, lockerte Washington im Gegenzug einige seiner Wirtschaftssanktionen und setzte sich für die Fortführung und Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik ein. Die Normalisierung zwischen beiden Ländern verlief auf einmal so reibungslos, dass sich US-Außenministerin Madeleine Albright und General Cho Myoung-Rok, damals die Nummer drei in der Nomenklatur der Volksrepublik, gegenseitige Besuche in Pjöngjang und Washington abstatteten. In beiden Hauptstädten waren sogar Vorbereitungen für US-Präsident Clintons letzten Auslandsbesuch vor Ablauf seiner Amtszeit im Januar 2001 getroffen worden. Diese Reise hätte Clinton nach Nordkorea führen sollen, was zumindest im Anschluss von Albrights Besuch in der Volksrepublik Ende Oktober 2000 avisiert war.

Seitdem George W. Bush ins Weiße Haus einzog, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Washington und Pjöngjang ebenso rasch wie tiefgreifend. Ausschlaggebend dafür waren zunehmende Konflikte zwischen dem State Department und dem Pentagon über die Richtlinienkompetenz in der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Oberhand behielt das Pentagon, dessen harte Linie dann sowohl von der damaligen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Vizepräsident Dick Cheney unterstützt und schließlich von George W. Bush vollumfänglich mitgetragen wurde. Bereits im Frühjahr 2001 nannten Rice und Bush die Volksrepublik China eine „aufstrebende Macht“ beziehungsweise einen „strategischen Gegner“, während der innerkoreanische Entspannungsprozess konterkariert wurde. Südkoreas Präsident Kim Dae-Jung wurde Anfang März 2001 anlässlich seines USA-Besuchs buchstäblich vorgeführt und brüskiert. Während dieses ersten Staatsbesuchs eines asiatischen Regierungschefs beim neuen Mann im Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea am 7. März 2001 ohne Umschweife einen Bedrohungsfaktor in Ostasien, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-amerikanischen Asienpolitik wieder aufgenommen würden. Als er dann auch noch den innerkoreanischen Dialog ernsthaft in Zweifel zog und signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung einstellen, ließ das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer und seine Entourage wie begossene Pudel dastehen. Noch einen Tag zuvor hatte US-Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlich gestimmten Gästen aus Seoul versichert, sein Land werde die „vielversprechenden Elemente“ der Nordkorea-Politik seiner Vorgängerin weiterführen und da anknüpfen, wo die Clinton-Administration aufgehört habe.

Bushs Ende Januar 2002 erstmalig aufgestellte Behauptung, Nordkorea sei Teil einer „Achse des Bösen“, erboste die politische Führung in Pjöngjang. Dort fuhr man derbe Retourkutschen, schimpfte den US-Präsidenten einen „Schurkenbandenchef“ und warf den USA vor, von „moralischer Lepra“ (allesamt O-Töne der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA) befallen zu sein. Der zweite Atomkonflikt war programmiert, als der Abteilungsleiter für Ostasien-Angelegenheiten im Außenministerium, James A. Kelly, im Oktober 2002 Pjöngjang besuchte. Entgegen den Erwartungen der Gastgeber, sein Besuch könnte endlich eine Wende in den bilateralen Beziehungen einleiten, hinterließ das Treffen zwischen Kelly und dem stellvertretenden Außenminister Kang Suk-Ju einen Scherbenhaufen. Kelly legte »Beweise« vor, die angeblich das heimliche Atombombenprojekt in Nordkorea belegten. Diesen Vorwurf wies Kang scharf zurück und warf Kelly einen „arroganten Verhandlungsstil“ vor.

Nach dem Treffen im Oktober 2002 forderten die USA Nordkorea zum sofortigen Stopp des Nuklearprogramms auf. Im Dezember 2002 kappte Washington seine zugesicherten Heizöllieferungen an Pjöngjang, was dessen Führung in einem drastischen Gegenzug dazu bewog, am 10. Januar 2003 endgültig die Zusammenarbeit mit der IAEA aufzukündigen und deren Mitarbeiter des Landes zu verweisen. Zuvor hatten Pakistan und Indien (beide Nichtunterzeichner des Atomwaffensperrvertrags) erklärt, Atomwaffen zu besitzen. Während die USA selektiv ihren Druck auf den Irak ständig erhöhten, kochte die Bush-Administration ihren Konflikt mit Nordkorea zwischenzeitlich auf Sparflamme, obgleich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die USA in der Lage wähnte, zwei Kriege – im Irak und gegen Nordkorea – gleichzeitig führen und gewinnen zu können.

Angst vor Straßenräubern …

Im Sommer 2003 konstatierte ein Autorenkollektiv des (staatlichen) Instituts für die Wiedervereinigung des Vaterlandes in Pjöngjang: „Die USA verprügeln wie ein Straßenräuber rücksichtslos schwache Gegner im Kosovo, in Afghanistan und im Irak, nur gegenüber Nordkorea vermeiden sie den ‚Präventivschlag’. Dies geschieht nicht etwa aus Gnade, sondern aufgrund des Besitzes militärischer Abschreckungskraft durch Nordkorea. Im Übrigen garantiert dies Eigenständigkeit und den Frieden auf der koreanischen Halbinsel und widerspricht auch nicht der von Nord- und Südkorea 1992 unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung zur Denuklearisierung, die ja ihrerseits den vollständigen Abzug der in Südkorea dislozierten US-amerikanischen Atomwaffen zur Voraussetzung hat.“ Als der »Präventivschlag« gemäß der seit September 2002 gültigen National Security Strategy (NSS) gegen den Irak näher rückte, vertraten die »Falken« in den USA lautstark das Argument, Nordkorea sei für den Weltfrieden weitaus bedrohlicher als der Irak. Einige Hardliner im Pentagon und in den Medien (z.B. das Wall Street Journal) befürworteten gar eine totale Seeblockade Nordkoreas sowie einen „chirurgischen Eingriff“ in die umstrittene Atomanlage in Yongbyon. Doch: Nordkorea besitzt keine Erdölvorkommen wie der Irak, und zu dem Zeitpunkt waren gut 37.000 GIs in Südkorea stationiert, die sich – gemeinsam mit den Bewohnern der nur knapp 50 Kilometer von der Demarkationslinie entfernt gelegenen Metropole Seoul – in Reichweite nordkoreanischen Artilleriefeuers befunden hätten. Gary E. Luck, einst kommandierender General der US-Streitkräfte in Südkorea, äußerte in Hearings des US-Kongresses und – Senats die Befürchtung, dass im Falle einer Irak-ähnlichen Operation gegen Nordkorea mit Hunderttausenden Toten gerechnet werden müsste.

Ein solches Risiko war der Bush-Regierung dann doch zu hoch. Selbst deren Verbündete in Tokio und Seoul zeigten sich alarmiert. In Südkorea setzt die politische Führung des Landes unbeirrt auf intensiven Dialog mit dem Norden und profitiert auch wirtschaftlich von einer regulierten Kooperation auf Staatsebene. So entstand erst vor wenigen Wochen der mit finanzieller sowie technischer Hilfe aus Seoul gebaute Industriepark Kaesong in Nordkoreas südlichster Stadt nahe der »entmilitarisierten Zone« am 38. Breitengrad, wo nunmehr eine Art kleiner Grenzverkehr täglich pendelnder Fachkräfte aus dem Süden existiert. Der Architekt der »Sonnenscheinpolitik«, der dafür im Jahre 2000 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Ex-Präsident Südkoreas, Kim Dae-Jung, hatte noch Mitte Juni 2003 unverblümt erklärt, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, besäße es sie denn tatsächlich, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal wie Spielzeuge ausnähmen. Und der in Pjöngjang für Südkoreafragen zuständige ranghohe Parteikader Ahn Byung-Ho hat mehrfach und deutlich die Position seines Landes bekräftigt, in dem Moment endgültig und definitiv aus dem Atomwaffenprogramm auszusteigen, sobald die USA das Existenzrecht Nordkoreas mit einem Nichtangriffsabkommen garantierten. Diese Position bezeichneten die chinesischen Gastgeber der Sechser-Gespräche in Beijing noch Anfang 2004 als „neues mutiges Angebot“.

… und einem erzwungenen Regimewechsel

Was also steckt hinter der weit reichenden Erklärung des nordkoreanischen Außenministeriums? Warum wurde sie zu diesem Zeitpunkt lanciert? Beabsichtigt Pjöngjang, den von Beijing gesponserten Sechser-Gesprächen tatsächlich fern zu bleiben?

Zeitpunkt und Inhalt der Erklärung stehen in direktem Zusammenhang mit Präsident Bushs zweiter Amtszeit. Wenngleich er in seiner Antrittsrede direkte Attacken gegen Nordkorea vermied, nährten seine weiteren Ausführungen, „die Fackel der Freiheit in alle Winkel der Welt zu tragen“, in Pjöngjang die Auffassung, dass Washington auf Kontinuität setzt, direkte bilaterale Verhandlungen kategorisch ablehnt und auch in den kommenden vier Jahren an seiner kompromisslosen Politik gegenüber »Schurkenstaaten« festhält. Schließlich bezeichnete die neue US-Außenministerin Condoleezza Rice Nordkorea als einen „Vorposten der Tyrannei“. Spekulierten die USA lange Zeit auf das Zusammenbrechen oder eine Implosion der Volksrepublik, vergleichbar den Prozessen in der DDR und anderen realsozialistischen Regimes, so arbeitet die Bush-Regierung entsprechend ihrem Postulat des »Systemwechsels« weiterhin aktiv auf den Bruch der »Achse des Bösen« hin. Der Besitz oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist da, wie im Irak eindeutig demonstriert, von untergeordneter Bedeutung. Wäre Nordkorea militärisch so schwach wie der Irak, hätte vielleicht bereits vor dem Irak ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel stattgefunden. Dass den unilateral handelnden USA weder mit Logik, Bitten, Goodwill, Reaktorinspektionen und internationalem Recht beizukommen ist, bestärkt das ohne militärische Schutzmacht und ohne »atomaren Schutzschild« allein dastehende Regime in Pjöngjang in seinem Kalkül, unter allen Umständen anzustreben, mit den USA auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Und das schließt die Drohung mit beziehungsweise den (tatsächlichen oder vermeintlichen) Besitz von »starker militärischer Abschreckungskraft« ein – ein risikoreiches Unterfangen.

Auch innenpolitisch verfehlt die Strategie des Pjöngjanger Außenministeriums ihre Wirkung nicht. Erklärtes Ziel ist seit Jahren die Politik des »starken Staates« und das Postulat »Die Armee zuerst!« Im Interessenkonflikt zwischen militärischer Stärkung des Landes und der Verbesserung der regional desolaten Lebenssituation der Bevölkerung hat sich die Führung eindeutig für die erste Option entschieden. Obgleich die Volksrepublik nach westlichen Schätzungen einen exorbitanten Anteil – etwa 30 Prozent – ihres Bruttoinlandprodukts in den Militärsektor investiert, entspricht diese Summe gerade mal einem Drittel der entsprechenden Ausgaben in Südkorea, wo überdies noch mit modernsten Waffen ausgerüstete 37.000 GIs stationiert sind. Atomare Abschreckungsmittel hätten aus Pjöngjanger Sicht den Vorteil, weitaus kostengünstiger als konventionelle Waffen zu sein. So könnten Ressourcen verstärkt für die Wiederbelebung der – streckenweise maroden – Wirtschaft mobilisiert werden. Weil es dazu auf die Erdöllieferungen aus der VR China angewiesen ist, wird sich Nordkorea (notfalls) politisch-diplomatischem Druck aus Beijing nicht verschließen (können), dorthin erneut an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Pjöngjang weiß letztlich nur zu gut, dass es momentan keinen besseren Vermittler zwischen den USA und Nordkorea gibt als den »älteren Bruder« China. China ist nicht daran gelegen, an seinen Grenzen mit Nordkorea einen Dauerkonflikt schwelen zu lassen, der zudem die Stabilität und Sicherheitslage in Nordostasien gefährdet. Solange international auf den »nordkoreanischen Sack« eingedroschen wird, ist damit auch und gerade der »chinesische Esel« gemeint. Schon deshalb hat China ein handfestes Interesse daran, sich als erfolgreicher diplomatisch-politischer Krisenbroker zu empfehlen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, in der gesamten Region langfristig und strategisch zur wirtschaftlichen, politischen und militärischen Führungsmacht aufzusteigen.

Schließlich beging der »Geliebte Führer« Kim Jong-Il am 16. Februar seinen 63. Geburtstag – im Jahre Sechzig nach dem Ende des Krieges und langjähriger japanischer Kolonialzeit. Da hat der Verweis auf Antikolonialismus und Antiimperialismus hohen symbolischen Gehalt, um das (Über-)Leben von Staat und Gesellschaft zu garantieren. Gleichzeitig stärkt dies Nordkoreas wichtigste Institution, nämlich das Militär, dessen Stellung Kim Jong-Il zu würdigen weiß. Wenn immer er öffentlich auftritt und ausländische Gäste empfängt, tut er dies in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist, ist Vorstandsvorsitzender des Korea-Verband e.V. im Asienhaus (Essen). Gemeinsam mit Hyondok Choe und Du-Yul Song ist er Ko-Herausgeber des Buches Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse, Entwicklungstendenzen und Perspektiven (Köln 2004: PapyRossa Verlag), aus dem auch die im vorliegenden Text verwendeten Zitate stammen.


Nordkorea und der Atomwaffensperrvertrag

Der Atomwaffensperrvertrag von 1968, offiziell Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Non-Proliferation Treaty/NPT) genannt, ist das wichtigste internationale Regelwerk zur Kontrolle von Nuklearwaffen. Er trat 1970 in Kraft und verbietet die Weitergabe von Atomwaffen und atomwaffenfähigem Material. Nach Artikel 3 des Vertrags soll die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sicher stellen, dass die Nichtkernwaffenstaaten kein spaltbares Material zum Bau von Atombomben abzweigen oder aus anderen Ländern beschaffen. Über die Einhaltung des Vertrags wacht die in Wien ansässige IAEA.

Dem NPT gehören 189 Staaten an. Von den Staaten mit Atomwaffenkapazitäten sind nur Indien, Pakistan und Israel nicht beigetreten. Nordkorea trat dem Atomwaffensperrvertrag 1985 bei und ratifizierte im Jahre 1992 umfangreiche Sicherheitsvereinbarungen mit der IAEA. Im Dezember 2002 kündigte Pjöngjang an, sein Atomprogramm zur friedlichen Nutzung wieder aufzunehmen, weil die USA ihren Verpflichtungen aus dem 1994 geschlossenen »Agreed Framework« nicht nachgekommen seien. Nachdem Pjöngjang bereits 1993/94, auf dem Höhepunkt des ersten Atomkonflikts, mit einem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag gedroht hatte, scherte es im Januar 2003 endgültig aus. Ein sehr weitreichender Schritt, denn kein anderes Land zuvor gemachte hat.

Seit August 2003 trafen sich bislang dreimal Diplomaten aus Nord- und Südkorea, Japan, Russland, China und den USA – die sogenannte Sechser-Runde – unter der Schirmherrschaft der VR China zu Gesprächen in Beijing, um den Atomkonflikt mit Pjöngjang beizulegen.


Schöne heile Feindwelt

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist die Demokratische Volksrepublik Korea für die Vereinigten Staaten von Amerika geblieben, was es in der Sicht Washingtons immer war – »das Böse« schlechthin. Die US-Regierung sieht in der Volksrepublik nicht nur einen »Schurkenstaat«. Im Jahre 2002 erklärte Präsident George W. Bush das Land sogar als Teil einer »Achse des Bösen«. Auch cineastisch sorgte der letzte James Bond-Film »Stirb an einem anderen Tag« – dafür, dass dieses Feindbild nicht nur intakt bleibt sondern noch kräftig geschürt wird. Die USA, konterte prompt die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, wollten das Land „absichtlich verspotten und beleidigen.“

Pjöngjang und Washington waren nie zimperliche im Umgang miteinander. Das ist einerseits das Resultat des Koreakrieges, der zwischen 1950 und 1953 das Land verwüstete und als erster »heißer Konflikt« in der Ära des Kalten Krieges fast einem neuen Weltkrieg entfesselt hätte. Zum anderen ist es die bis heute in Washington nicht verwundene Schmach über den so genannten USS Pueblo-Vorfall, der sich Ende der sechziger Jahre, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges, in nordkoreanischen Gewässern ereignete.

Am 23. Januar 1968 nämlich griffen nordkoreanische Patrouillenboote das US-amerikanische Schiff USS Pueblo vor der Küste Nordkoreas auf, nahmen die gesamte 83-köpfige Besatzung gefangen und bezichtigten sie der Spionage. Zwölf Tage zuvor hatte die Pueblo, einst ein Frachtschiff, das die U.S. Navy für ihre Zwecke umbauen ließ, den Hafen im japanischen Sasebo verlassen, um im Ostmeer, das die Japaner das Japanische Meer nennen, routinemäßig Erkundungstrips durchzuführen und ozeanographische Daten zu sammeln. So jedenfalls stellte es der damalige Marineminister John Chafee dar. US-amerikanischen Berichten zufolge sei die Pueblo nicht mit der neuesten Navigationstechnik ausgestattet und die junge Besatzung unerfahren gewesen, so dass das Schiff möglicherweise irrtümlich die international anerkannte 12-Seemeilen-Zone überschritten habe.

Für die US-Marine war das Ganze eine herbe Schlappe. Mit der Pueblo nämlich fielen den Nordkoreanern strategisch sensible Daten in die Hände, die es unter anderen der damals mit ihnen befreundeten Sowjetunion ermöglichte, nachrichtendienstlich relevante Kodes zu knacken. Die Pueblo wurde in die nordkoreanische Hauptstadt geschippert und dort auf dem Taedong-Fluss wie eine Trophäe ausgestellt und zur Besichtigung freigegeben. Während in den USA die Stimmen lauter wurden, die auf Rache sannen und ein offensives militärisches Vorgehen gegen Nordkorea befürworteten, setzte die damalige US-Administration unter Präsident Lyndon B. Johnson auf eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts. Gegenüber Pjöngjang räumte die US-Regierung ein, die Pueblo habe die Hoheitsrechte der Volksrepublik verletzt und entschuldigte sich dafür. Johnson wollte ein weiteres Fiasko in Asien vermeiden.

Jedenfalls landeten Heiligabend 1968 – nach elfmonatiger Gefangenschaft – 82 Mann der Pueblo-Besatzung – einer war seinen Verletzungen erlegen, die er während des Schusswechsels beim Aufgreifen der Pueblo erlitten hatte – im kalifornischen San Diego.

Rainer Werning

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/2 De-Eskalation, Seite