Hochschule zwischen Ökonomisierung und Militarisierung
von Redaktion
Hochschulpolitik findet wieder statt. Strukturveränderungen sind angekündigt. Der Hochschulforschung wird wachsendes Gewicht attestiert. Damit ist erneut der öffentliche Diskurs über die künftige Rolle der Hochschulwissenschaft in Gang gekommen. Welche „Bringschuld“ hat sie gegenüber der Gesellschaft? Für welche gesellschaftliche Zwecke arbeitet sie?
An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster beschäftigen sich vom 18.-20. Januar mehrere Hundert Wissenschaftler und Studierende mit der Frage, welche Gefahren den Hochschulen „zwischen Ökonomisierung und Militarisierung“ drohen.
Die Positionen markieren zwei Ereignisse der letzten Wochen: Am 16.1.1985 trifft der im Bonner Verteidigungsministerium für Beschaffung und Ausrüstung zuständige Staatssekretär Timmermann mit Repräsentanten der Technischen Universität Hamburg zusammen, um über einen möglichen Rahmen der Zusammenarbeit im Bereich der technischen Forschung zu verhandeln. Der zweite Bürgermeister der Hansestadt, A. Pawelczyk, betont die ehrgeizigen Pläne zum Ausbau und zur Profilierung der TU. Es gehe um die Überwindung des „Nord-Süd-Gefälles“. Zusammenarbeit mit der Bundeswehr sei „selbstverständlich“. Finanzmittel Für Rüstungsforschung sind da. Das Militär kauft sich in die Hochschule ein.
Am 22.1.1985 spricht sich eine Kommission des Konzils der Technischen Universität Berlin Für die Schaffung eines Friedensforschungsinstituts an der TU aus. Damit solle die „Sozialverpflichtung“ der natur
und ingenieurwissenschaftlichen Forschung stärker betont werden. Das Institut solle den Namen Albert Einsteins Tagen. Ob für ein solches Institut Mittel zur Verfügung gestellt werden, ist noch offen …
Manches deutet darauf hin, daß sich Angriffe auf die Friedenswissenschaft häufen werden. Der in diesem Heft dokumentierte Konflikt an der FH Hamburg ist ein Beispiel dafür. Die geplante Novellierung des Hochschulrahmengesetzes verschlechtert die Bedingungen für Hochschulfriedensarbeit ohnedies: Organisation der Wissenschaft nach der Maßgabe betrieblicher Rationalisierungspolitik, Steuerung der Wissenschaft nach dem Kriterium der zahlungskräftigen Nachfrage und Disziplinierung der Nachwuchswissenschaftler und Studierenden vertragen sich schlecht mit kritischem, universeller ausgerichtetem Denken über die langfristigen Folgen der Wissenschaft.
Die weitere Verankerung der Kriegdiensthematik in der Wissenschaft, an den Hochschulen, ist eine sehr wichtige Aufgabe, wenn die Sache der Friedensbewegung vorankommen soll. Initiativen wie an der TU Berlin müssen Solidarität erfahren. Beispiele über konkrete Projekte, in denen im Rahmen des „normalen“ Lehrbetriebes zur Friedensproblematik gearbeitet wird, sollten weitergetragen werden. Auch die Verhinderung gesetzlicher Regelungen, die Friedensengagement erschweren, steht auf der Tagesordnung. Auf dem Münsteraner Kongreß hat der Physiker Hans-Peter Dürr noch einmal die besondere Verantwortung der Wissenschaftler und ihre besonderen Möglichkeiten betont. Er faßte seine Vorschläge zur Weiterarbeit zusammen:
1. Zur intellektuellen Aufbereitung der Fakten und Zusammenhänge sind weiterhin überdisziplinäre Veranstaltungen wie Ringvorlesungen nötig.
2. Die Vortragsreihen sind zu ergänzen durch interdisziplinäre Arbeitsgruppen' durch längerfristig wirkende Studiengruppen, die versuchen müssen, eine „integrierte Politikberatung“ zu entwickeln.
3. In den Prozeß der Forschung und Lehre muß die Friedensproblematik integriert werden.
4. Große Kongresse – auf internationaler Ebene etwa Pugwash – haben Weiterhit wichtige Funktionen, um gezielt eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.
5. Anzustreben ist die Verstärkung der Kontakte über Blockgrenzen hinweg. Nur internationale Studiengruppen sind heute noch in der Lage, die übergreifenden Probleme anzugehen.
Der Kongreß in Münster selber war ein wichtiges Beispiel dafür, daß in der ganzen Breite der akademischen Disziplinen eine kritische Aufarbeitung des Krieg-Frieden-Themas begonnen hat und daß dabei eine wechselseitige Befruchtung stattfindet.
In der Abschlußerklärung wird formuliert: „Deshalb setzen wir uns dafür ein, daß
- verstärkt die Verantwortung der Wissenschaftler für die Folgen ihres Tuns öffentlich diskutiert und im Sinne einer allgemeinen Wissenschaftsethik – analog zum hippokratischen Eid – in allen Disziplinen Gegenstand des wissenschaftlichen Reflexionsprozesses wird;
- die Universitäten aufgefordert werden diejenige Forschung zu fördern, die die Ursprünge der Instrumentalisierung der Wissenschaften zu inhumanen Zwecken aufdeckt. Wie der Kongreß gezeigt hat, sind diese Ursprünge auch in der Geschichte der Disziplin zu suchen;
- die Universitäten aufgefordert werden, in Studienordnungen und Lehrveranstaltungen die Friedensverpflichtung der Wissenschaften inhaltlich zu verankern;
- die Universitäten aufgefordert werden, Initiativen für die Institutionalisierung von interdisziplinärer Kommunikation und Reflexion und notwendige Öffentlichkeit der Wissenschaften hergestellt wird."
Die Auseinandersetzung um das künftige Profil der Hochschulen wird ein wichtiges Moment der Wissenschaftler-Friedensbewegung 1985 sein.
Darüber hinaus steht sicherlich die Ausweitung der berufs- bzw. fachspezifischen Initiativen (s. in diesem Heft: Spachwissenschaftler), die Verstetigung ihrer Arbeit und ihre verstärkte Orientierung auf den interdisziplinären Dialog an.
Einige Berufsgruppen planen für 1985 bundesweite Kongresse: 3. Pädagogen-Friedenskongreß am 27./ 28.4. Richter und Staatsanwälte am 15./ 16.11. Psychosoziale Berufe am 30.11./ 1.12.
Die Aktivitäten der Friedensbewegung werden auch geprägt sein von der geistigen Auseinandersetzung um den 8. Mai 1945. Zahlreiche Veranstaltungen, Diskussionsforen und Aktionen werden zu diesem Gedenktermin stattfinden. Dabei wird nicht nur die Aufarbeitung der Historie zur Debatte stehen. Um die Lektion geht es: Friedliches Nebeneinander der Völker ist unverzichtbar; die Kriegsgefahr heute zu bannen, heißt die Rüstungseskalation zu stoppen und mit der Abrüstung zu beginnen.