W&F 2023/3

Hohes Maß an Gewalt

Eine Zusammenfassung des Konfliktbarometers 2022

von Hagen Berning und Tatiana Valyaeva

Gewalt, Kriege und Krisen sind in Konflikten weltweit zu beobachten – doch schnell verlieren Menschen den Überblick. Gerade in Zeiten akuter Kriege und Krisen in Europa kann der Fokus auf die globale Perspektive schnell zurückstehen. Das Konfliktbarometer bietet auch in diesem Jahr wieder einen qualitativen und quantitativen Überblick über die Dynamiken politischer Konflikte, sowohl gewaltsamer als auch gewaltloser Natur. Mit der 31. Ausgabe über den Beobachtungszeitraum des Jahres 2022 setzt das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) seine jährlich erscheinende Studie zum weltweiten Konfliktgeschehen fort.

Das Jahr 2022 war durch einen Anstieg der Zahl der Konflikte gekennzeichnet. Das HIIK beobachtete 363 Konflikte weltweit, im Vorjahr waren es noch 355. Sowohl die Anzahl der Kriege als auch die der begrenzten Kriege stieg jeweils von 20 auf 21 an. Auch die Zahl der gewaltsamen Krisen stieg von 164 auf 174, von denen knapp ein Drittel in Asien und Ozeanien beobachtet wurde. Gewaltsame innerstaatliche Konflikte waren mit 136 oder rund 30 Prozent aller beobachteten Konflikte weiterhin die häufigste Konfliktart (vgl. Graphik 1, Karte 2). Im Vergleich zum Jahr 2017 beobachtete das HIIK 2022 sechs gewaltsame Konflikte weniger, 216 statt 222. Die Anzahl hochgewaltsamer Kriege ist hingegen von 36 auf 42 gestiegen.

Graphik 1: Globale Konfliktintensitäten 2022

Karte 1: Regionalbetrachtung Ukraine

Krieg in der Ukraine

In Europa ist der Krieg zwischen Russland und der Ukraine aus einer gewaltlosen Krise in den ukrainischen Regionen Donezk (DNR) und Luhansk (LNR) des vergangenen Jahres eskaliert (vgl. Karte 1). Wie an dieser Karte erkenntlich, brachen zu Beginn der Invasion intensive Kämpfe besonders in den Grenzregionen zu Russland und Belarus aus. In der zweiten Jahreshälfte ab August konzentrierten sich hochintensive Auseinandersetzungen vor allem auf den Süden und Osten des Landes.

Am 24. Februar drang Russland in das ukrainische Hoheitsgebiet ein, vermeintlich mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine zu unterstützen. Im ersten Kriegsjahr forderten die Auseinandersetzungen viele zivile und nicht-zivile Opfer. Im Jahr 2022 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 6.913 Zivilist*innen getötet und mindestens 11.044 verletzt. Außerdem wurden mindestens 18.000 Angehörige der ukrainischen Streitkräfte getötet und 54.000 verletzt, wobei die tatsächliche Zahl der Todesopfer auf etwa 46.500 geschätzt wird. Gleichzeitig wurden mindestens 30.000 Angehörige der russischen Streitkräfte, Kämpfer aus der DNR und der LNR sowie Söldner (wie die Wagner-Gruppe) getötet und 75.000 verletzt, wobei die tatsächliche Zahl der Todesopfer allein bei den russischen Truppen auf etwa 60.000 geschätzt wird. Der Krieg löste außerdem die größte Flüchtlingswelle in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Geschätzt 7,9 Millionen Menschen mussten aus dem Land fliehen und etwa 5,9 Millionen Ukrainer*innen wurden binnenvertrieben.

Besonders erbittert wurde um die Stadt Mariupol, DNR, von März bis Mai gekämpft. Bei den Kämpfen wurde ein Großteil der Stadt zerstört und mindestens 1.348 Zivilist*innen getötet, obwohl laut UN OHCHR die tatsächliche Zahl der Todesopfer um Tausende höher liegt. Russische Streitkräfte führten mehrere Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur durch. So forderte beispielsweise ein russischer Angriff auf ein Entbindungskrankenhaus am 9. März mindestens drei Tote und mindestens 17 Verletzte. Bis zum 30. April erlangten die russischen Streitkräfte die vollständige Kontrolle über die Stadt, mit Ausnahme des Stahlwerks »Azovstal«, das sie am 20. Mai nach einer zweiwöchigen Belagerung einnahmen.

Nachdem die russische Offensive im Juli und August größtenteils ins Stocken geraten war, starteten die ukrainischen Streitkräfte am 6. September eine unerwartete Gegenoffensive in der Oblast Charkiw und gewannen die Kontrolle über 500 Siedlungen zurück. Im Oktober rückten die ukrainischen Streitkräfte nach Süden vor und eroberten mehrere Siedlungen im Norden der Oblast Cherson zurück. Diese Vorstöße wurden von Angriffen auf Brücken über den Fluss Dnipro begleitet, wodurch die russischen Streitkräfte letztlich daran gehindert wurden, ihre Truppen neu zu versorgen. Am 11. November gewann die Ukraine die Kontrolle über die Oblast Mykolaiv und Teile der Oblast Cherson, einschließlich der Stadt Cherson, zurück.

Seit Ausbruch des Krieges haben die russischen Streitkräfte und ihre Hilfstruppen zahlreiche bestätigte Kriegsverbrechen begangen. Der massive Einsatz von Artillerie, Raketen, Bomben und Streumunition gegen dicht besiedelte Gebiete ist für einen Großteil der zivilen Todesopfer verantwortlich. Der intensive Beschuss führte zu 400 gemeldeten Angriffen auf medizinische und schulische Einrichtungen. Die russischen Streitkräfte griffen wiederholt Zivilist*innen an. So wurden beispielsweise nach ihrem Rückzug aus der Oblast Kiew im April in der Stadt Bucha 458 Zivilist*innen tot aufgefunden, die Anzeichen von Folter aufwiesen. Ähnliche Fälle wurden aus Hostomel und Motyschin in der Oblast Kiew sowie aus Andriiwka in der Oblast Charkiw gemeldet, wobei in diesen drei Orten 900 Tote zu beklagen waren. Nachdem die ukrainischen Streitkräfte die vollständige Kontrolle über die Oblast Charkiw wiedererlangt hatten, wurden 414 Zivilist*innen tot aufgefunden, die meisten von ihnen mit gefesselten Händen, gebrochenen Gliedmaßen und mit gemeldeten Fällen von Genitalamputationen. Russische Beamte erklärten, dass sich über eine Million Ukrainer*innen freiwillig in Russland niedergelassen hätten, während ukrainische Beamte behaupten, dass es sich um Deportationen handelte, die gegen das Völkerrecht verstießen. Zu Jahresende kamen die ukrainischen Herbstoffensiven zu einem Stillstand und auch russische Gegeninitiativen brachten keinen Durchbruch. Stattdessen war das Kampfgeschehen weitgehend festgefahren, während sich russische Angriffe auf ukrainische Infrastruktur weiter häuften.

Regionale Konfliktübersicht

Europa

Im Jahr 2022 wurden 49 aktive Konflikte in Europa beobachtet, davon ein Krieg und ein begrenzter Krieg. Zusätzlich zum Krieg in der Ukraine eskalierte der gewaltsame Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um umstrittene Grenzgebiete, insbesondere die Region Bergkarabach, im vergangenen Jahr zu einem begrenzten Krieg. Die selbsterklärte »Republik Arzach« in Bergkarabach wird von Armenien und Russland unterstützt, ist aber international als Territorium von Aserbaidschan anerkannt. Im September kam es zu den schwersten Kämpfen seit dem Krieg von 2020. Nach monatelangen gegenseitigen Beschuldigungen der Verletzung des Waffenstillstands entlang der Grenze, eskalierten die Kämpfe Mitte September, als Aserbaidschan mit Artillerie, Mörsern und Drohnen mehrere Orte entlang der Grenze angriff und strategische Grenzgebiete eroberte. Die aserbaidschanische Regierung konnte die geschwächte Position Armeniens ausnutzen, da deren stärkster Verbündeter Russland seine Ressourcen auf den Krieg in der Ukraine konzentrierte.

Subsahara-Afrika

Das HIIK beobachtete im Jahr 2022 90 aktive Konflikte in Subsahara-Afrika. Wie im Vorjahr gab es in dieser Region die häufigsten Konflikte auf Kriegsniveau – 16 Kriege und fünf begrenzte Kriege, jedoch ein leichter Rückgang um einen begrenzten Krieg im Vorjahresvergleich.

Die Sicherheitslage in Nigeria war weiterhin unbeständig, und die Zahl der beobachteten Kriege blieb bei drei. Im Nordosten Nigerias dauerte der Krieg zwischen den mit »Boko Haram« verbundenen Gruppierungen und der von ihr abgespaltenen »Westafrikanischen Provinz des Islamischen Staates« (ISWAP) gegen die Regierungen von Nigeria, Kamerun, Tschad und Niger bereits das siebte Jahr in Folge an. In diesem Jahr kam es zu noch nie dagewesenen Angriffen der ISWAP außerhalb des Nordostens, die auf die Bundesstaaten Taraba, Kogi, Edo, Ondo, Niger und das Bundeshauptstadtgebiet Abuja abzielten, was auf eine Zunahme der logistischen und operativen Fähigkeiten der Gruppierungen hindeutete.

In der Demokratischen Republik Kongo beobachtete das HIIK ebenfalls drei Kriege. Insbesondere der Disput um die »M23«-Fraktionen (aus mehrheitlich ethnischen Tutsi bestehenden Rebellengruppen im Osten des Landes) eskalierte 2022 zu einem Krieg. Die M23, die angeblich von Ruanda unterstützt werden, wurden seit 2013 erstmals Ende 2021 wieder aktiv und wandten sich 2022 erneut gegen die Regierung, die zugleich von der UN-Mission MONUSCO und von 17 lokalen Milizen unterstützt wird. In diesem Jahr forderte der Konflikt mindestens 409 Tote und zwang ca. 390.000 Grenz- und Binnenvertriebene zur Flucht.

Ebenso war Äthiopien wieder Schauplatz dreier Kriege. Der Krieg zwischen der »Volksbefreiungsfront von Tigray« (TPLF) mit ihrem bewaffneten Flügel, den Verteidigungskräften Tigrays, auf der einen Seite und den äthiopischen sowie der eritreischen Regierungen auf der anderen Seite wurde fortgeführt. Verschiedene ethnische »Amhara-Milizen« und regionale Spezialkräfte unterstützten jeweils eine der beiden Regierungen. Vor allem in der Region Afar vertrieben die Angriffe der TPLF zu Beginn des Jahres über 300.000 Menschen. Im Krieg um die Vorherrschaft in den Regionen Oromia und Amhara zwischen der »Oromo-Befreiungsarmee« und der äthiopischen Regierung wurden vermehrt Zivilist*innen angegriffen. Darüber hinaus kam es im Krieg zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen um die Vorherrschaft auf subnationaler Ebene und um Agrarland insbesondere in Oromia und der Region Somali zu gewaltsamen Zusammenstößen. Am 2. November einigten sich die äthiopische Regierung und die TPLF auf eine dauerhafte Waffenruhe sowie Schritte hin zu einer Entwaffnung der TPLF und Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Region Tigray. Eine für die Entwaffnung der TPLF vorgesehene Frist wurde jedoch am 3. Dezember nicht eingehalten, da die TPLF aufgrund der anhaltenden militärischen Präsenz äthiopischer und eritreischer staatlicher Truppen in Tigray Sicherheitsbedenken anmeldete. Am 29. Dezember begann die Beobachtungs-, Verifizierungs- und Einhaltungsmission der Afrikanischen Union in Mekelle, Tigray.

Amerikas

In den Amerikas beobachtete das HIIK 44 gewaltsam ausgetragene Konflikte. Das ist ein Anstieg um vier im Vergleich zu 2021. Dazu zählen ein Krieg und drei begrenzte Kriege.

In Haiti eskalierte die gewaltsame Krise um subnationale Vorherrschaft und Ressourcen zwischen ca. 200 rivalisierenden Banden zu einem Krieg. Zwar existierten Banden in Haiti schon seit Anfang der 2000er Jahre, doch nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse am 07.07.21 nutzten sie das Machtvakuum, um ihre eigene Macht auszubauen. Die vermehrten Zusammenstöße zwischen den Banden »G9« und »G-Pèp« führten zum Tod von mindestens 1.576 Menschen und zur Vertreibung von mindestens 150.000 Zivilist*innen. Entführungen und Gewalt waren im Beobachtungszeitraum auch weit verbreitet: Bis November wurden insgesamt 1.200 Entführungen gemeldet, fast doppelt so viele wie beim vormaligen Rekordhoch im Vorjahr. Eine Treibstoffknappheit brachte zugleich jegliche wirtschaftliche Aktivität zum Erliegen und löste, gefolgt von einem Ausbruch der Cholera, eine humanitäre Krise aus.

In Mexiko setzte sich der begrenzte Krieg zwischen den Drogenkartellen fort. Die meiste Gewalt gab es in den Bundesstaaten Guanajuato und Zacatecas. Laut Schätzungen der Regierung sind die meisten der 30.968 Tötungsdelikte auf Rivalitäten zwischen den Kartellen zurückzuführen. Auch in Kolumbien setzte sich der begrenzte Krieg zwischen mehreren neo-paramilitärischen Gruppen, Drogenkartellen sowie der »Nationalen Befreiungsarmee«, Dissident*innen der »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) und der »Volksbefreiungsarmee« fort. Das ganze Jahr über stießen bewaffnete Gruppen aufeinander, da sie versuchten, profitable Regionen für illegale Aktivitäten wie Drogenhandel, Ressourcenausbeutung und Erpressung zu kontrollieren sowie ihre Macht über Gebiete zu stärken, die sie zuvor eingenommen hatten.

Asien und Ozeanien

Mit 105 aktiven Konflikten, die das HIIK im Jahr 2022 beobachtete, war Asien und Ozeanien weiterhin die Region mit der höchsten Anzahl von Konflikten. Im Beobachtungsjahr wurden 62 Konflikte gewaltsam ausgetragen, sechs mehr als im Jahr 2021. Das HIIK beobachtete einen Krieg und acht begrenzte Kriege in der Region, wobei fünf der begrenzten Kriege aus gewaltsamen Krisen eskalierten.

Der Krieg in Myanmar zwischen der Opposition, bestehend aus der Nationalen Liga für Demokratie, den Volksverteidigungskräften und der Regierung der Nationalen Einheit, und der Armee von Myanmar nach ihrem Militärputsch im Februar 2021 forderte mindestens 1.300 zivile Opfer. In Myanmar beobachtete das HIIK auch drei weitere begrenzte Kriege. Im Bundesstaat Rakhine setzte die »Arakan Army« ihren Kampf um Autonomie gegen die myanmarische Armee fort. Der Konflikt führte im Laufe des Jahres zu mindestens zehntausenden Binnenvertriebenen. Im Kachin-Staat herrschte weiterhin ein begrenzter Krieg zwischen der »Kachin Independence Organisation« und der myanmarischen Armee. Schließlich eskalierte auch der gewaltsame Autonomiekonflikt in den Karen- und Kayah-Staaten zwischen der »Karen National Union«, ihrem bewaffneten Flügel, der »Karen National Liberation Army«, der »Democratic Karen Buddhist Army« (DKBA) sowie einer DKBA-Splittergruppe auf der einen Seite und der myanmarischen Armee auf der anderen Seite zu einem begrenzten Krieg.

In Zentralasien forderte der begrenzte Krieg um Territorium und internationale Macht in der Grenzregion des Fergana-Tals zwischen kirgisischen, tadschikischen und usbekischen Grenzgemeinden, die von ihren jeweiligen Regierungen unterstützt wurden, mindestens 117 Tote und 21.500 Vertriebene. In Kasachstan eskalierte die gewaltlose Krise um die nationale Macht und die Ausrichtung des politischen Systems zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen und einzelnen Aktivist*innen gegen die Regierung zu einem begrenzten Krieg. Zunächst brachen am 2. Januar in der ölproduzierenden Stadt Zhanaozen Proteste aufgrund eines drastischen Anstiegs der Treibstoffpreise aus. Diese weiteten sich in den folgenden Tagen schnell auf andere Städte aus, insbesondere auf die größte Stadt Almaty, in der sie gewaltsam eskalierten, angefacht von wachsender Unzufriedenheit mit der Regierung und sozioökonomischen Problemen wie Korruption, Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen. Als die Proteste in Gewalt umschlugen, kündigte Präsident Qassym-Schomart Tokajew am 5. Januar den landesweiten Ausnahmezustand an und forderte Truppen des von Russland angeführten Militärbündnisses »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit« (OVKS) zur Unterstützung an, um die Unruhen zu beenden. Am 7. Januar, nach anhaltenden Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrant*innen, übernahmen die Regierungs- und über 3.000 OVKS-Soldaten wieder die Kontrolle über die meisten Städte. Diese Entscheidung hatte weitreichende Folgen für Kasachstans Beziehungen zu Russland, denn Moskau dürfte sich nunmehr in seiner Rolle als Bündnispartner Kasachstans und Garant für dessen Sicherheit gestärkt sehen.

Westasien, Nordafrika und Afghanistan

In der Region beobachtete das HIIK im Jahr 2022 insgesamt 58 aktive Konflikte, darunter zwei Kriege und vier begrenzte Kriege.

Der »Islamische Staat« blieb eine große Sicherheitsbedrohung für Syrien, Irak und andere Länder in der Region. In diesem Jahr forderte der Krieg um die Ausrichtung des internationalen Systems und die Kontrolle von Ressourcen wie Öl mindestens 1.871 Tote. Auch der Ableger »Islamischer Staat in der Provinz Khorasan« setzte seine Angriffe in Afghanistan fort, die sich vor allem gegen schiitische und andere religiöse Minderheiten sowie gegen die Sicherheitskräfte des »Islamischen Emirats« richteten. Darüber hinaus brach in Afghanistan ein Krieg um die Ausrichtung des politischen Systems zwischen verschiedenen bewaffneten Oppositionsgruppen und der von der Taliban geführten Regierung aus, nachdem die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen hatten.

Im Iran erregte der begrenzte Krieg um die Ausrichtung des politischen Systems zwischen Oppositionsgruppen und großen Volksbewegungen auf der einen und der Regierung auf der anderen Seite große internationale Aufmerksamkeit. In der ersten Jahreshälfte kam es zu groß angelegten friedlichen Protesten gegen die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sanktionen der USA und die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie. Die Proteste verschärften sich am 16. September nach dem Tod von Mahsa Amini, die im Krankenhaus verstarb, nachdem sie von der Sittenpolizei in der Hauptstadt Teheran festgenommen worden war. Mit dem Vorwurf der Brutalität und Willkür der Sittenpolizei kam es für den Rest des Jahres zu landesweiten Protesten gegen gewaltsame Repressionen und die Kleidervorschriften, vor allem für Frauen. Bis zum 31. Dezember starben mindestens 491 Zivilist*innen während der Auseinandersetzungen, und etwa 18.000 Zivilist*innen wurden verhaftet.

Karte 2: Konflikte im Jahr 2022 global

Insgesamt muss das diesjährige Konfliktbarometer festhalten, dass auch außerhalb einer medialen Ukraine-Fokussierung ein Anstieg in der Intensität gewaltsamer Konflikte zu beobachten war. Nicht nur stieg im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl gewaltsamer Konflikte insgesamt, auch die Zahl hochgewaltsamer Konflikte – sowohl der Kriege als auch begrenzter Kriege – stieg um zwei an. Dem gegenüber stehen jedoch zwölf hochgewaltsame Konflikte, die 2022 in ihrer Intensität deeskalierten. Gleichzeitig blieben rund drei Viertel (72,73 %) aller Konflikte in ihrer Intensität unverändert, was eine leichte Verbesserung im Vorjahresvergleich darstellt.

Das jährliche Heidelberger Konfliktbarometer kann auf der Homepage des HIIK kostenlos heruntergeladen werden. Der Bericht erscheint in englischer Sprache.

Hagen Berning studiert Internationale Beziehungen im Master an der Technischen Universität Dresden und war Ko-Chefredakteur des Konfliktbarometers 2022.
Tatiana Valyaeva ist Beraterin für politische Risiken bei der Strategieberatung »Control Risks« und war Ko-Chefredakteurin des Konfliktbarometers 2022. Sie studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an Universitäten in Schottland, Deutschland, Südkorea, Russland und Italien.

Definitionen – Der Heidelberger Ansatz

Politischer Konflikt: Ein politischer Konflikt ist eine Positionsdifferenz hinsichtlich gesamtgesellschaftlich relevanter, immaterieller oder materieller Güter – den Konfliktgegenständen – zwischen mindestens zwei als durchsetzungsfähig wahrgenommenen direkt beteiligten Akteuren, die mittels beobachtbarer und aufeinander bezogener Konfliktmaßnahmen ausgetragen wird.

Intensitätsstufen: Es werden insgesamt fünf Intensitätsstufen unterschieden: Disput, gewaltlose Krise, gewaltsame Krise, begrenzter Krieg und Krieg. Die gewaltsame Krise, der begrenzte Krieg und der Krieg bilden zusammen die Kategorie der Gewaltkonflikte, im Unterschied zu den gewaltfreien Konflikten.

Indikatoren: Zur Ausdifferenzierung des Gewaltkonflikts werden als weitere Kriterien die eingesetzten Mittel (Waffen- und Personaleinsatz) und die Folgen des Gewalteinsatzes (Indikatoren Todesopfer, Zerstörung und Geflüchtete) herangezogen.

Eine ausführliche Darstellung der Methodik findet sich unter https://hiik.de/hiik/methodik auf der Website des HIIK.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/3 Gesellschaft in Konflikt, Seite 38–41