W&F 2004/4

„I Still Wanted To Be A Generalist“

Ein Blick ins Innere des Council on Foreign Relations

von Hans Jürgen Krysmanski

„Die Vereinigten Staaten von Amerika können auf eine lange, erfolgreiche Geschichte ihres einzigartigen – und auf einzigartige Weise komplexen – Systems der außenpolitischen Praxis zurückblicken“, schreibt der Henry A. Kissinger Senior Fellow in U.S. Foreign Policy des Council on Foreign Relations, Walter Russell Mead, im Vorwort seines jüngsten, vielbeachteten Buches »Special Providence. American Foreign Policy and How It Changed the World«. Mead argumentiert darin, ‚,dass amerikanische Außenpolitik in den letzten zweihundert Jahren keineswegs chaotisch oder naiv oder eine Nebensache gewesen sei, wie etwa manche Europäer meinen, sondern erstaunlich konsistent und meist auf der Höhe der Zeit operierte.“ (Mead 2001, xviii)

Es lohnt, sich zunächst mit der Person Walter Russell Meads etwas eingehender beschäftigen. Er verkörpert nämlich eine Kultur der politischen Beratung, die weit über dem steht, was sich, zumindest in den Jahren der Blockbindung, in Ländern wie der BRD oder der DDR herausbilden konnte. Es ist zugleich ein Beratungsstil, wie er nur in einer hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft möglich ist. Für all dies steht das Council on Foreign Relations (CFR), in das Mead 1999 kooptiert wurde. Diese noch immer einflussreichste policy planning group wurde 1921 mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller und Carnegie Stiftungen (und später der Ford Foundation) gegründet, um innerhalb der amerikanischen Eliten Konsens in außenpolitischen Fragen herzustellen (vgl. Dye 2002, 126 ff.). Mead beschreibt seine Tätigkeit im CFR als ein Leben „in der Gemeinschaft von Gelehrten, politischen Machern und brillanten Laien-Lesern und Laien-Denkern“ (!, Mead 2001, 355). Dabei ist die Erwähnung der beiden letzten Kategorien das Entscheidende. Denn mit den »Laien-Lesern und –Denkern« ist die eigentliche Klientel all dieser großen, enorm gut dotierten Beratungsinstitutionen, Think Tanks usw. gemeint: die Personen nämlich, die zum Establishment des großen Geldes gehören, das selten in voller Größe sichtbar wird in der Politik und Außenpolitik, um das sich aber natürlich alles dreht in dieser amerikanischen und globalen politischen Kultur.

Das CFR (vgl. vor allem Shoup u. Minter 1977) wird von einem 31 Mitglieder starken Board of Directors geleitet.1 Unter den rund 200 Mitarbeitern sind ca. 75 Fellows (Forscher). Finanziert wird das CFR aus Mitgliedsbeiträgen, Schenkungen, privaten und Stiftungsmitteln, Beiträgen aus der Konzernwelt und Einkünften aus dem eigenen Stiftungskapital. Das Gesamtbudget beträgt etwa 30 Millionen Dollar jährlich. Die Gruppe der Geldmächtigen ist denn auch im CFR, dessen Mitgliederzahl auf rund 4.000 Personen (mit langen Wartelisten) begrenzt ist, überproportional vertreten: zum einen durch Spitzenmanager aus Industrie und Finanzwelt (ca. 25%), zum anderen durch Stiftungsadministratoren (20%) und Rechtsanwälte (ca. 10%); dem stehen Wissenschaftler und Wissenschaftsadministratoren (ca. 21%), Regierungsoffizielle (ca. 14%) sowie Journalisten und Medienmanager (ca. 1%) gegenüber (vgl. Dye 2002, 126).

Orientierungsallegorien für die Geldmächtigen

Walter Russell Mead ist der Typ eines außenpolitischen Ratgebers, der perfekt in eine Beratungskultur passt, deren maßgebliche Kreise daran gewöhnt sind, alles kaufen zu können, insbesondere auch Stäbe von klugen, begabten Menschen, von Wissenschaftlern, Künstlern, Intellektuellen – und die zugleich ein feines Gespür, ja Verachtung für käufliche Charaktere entwickelt haben.2 Insofern besteht die Kunst einer Beraterkarriere, die Kunst des Aufstiegs an die Höfe der Geldmacht in der feinen Balance zwischen dem Wissen um die mäzenatischen Netzwerke und einer gewissen inneren Unabhängigkeit.

Ich lernte Walter Russell Mead 1993 kennen. Er hatte damals, als Mitarbeiter des World Policy Institute3, in einem Aufsatz voller Statistiken, Modelle und Trendanalysen zum amerikanisch-russischen Verhältnis den, wie sich zeigen sollte, außerordentlich medienwirksamen Gedanken formuliert, dass es doch für beide Seiten nur Vorteile brächte, wenn die USA den Russen Sibirien abkauften. Millionäre und Wall Street Broker wurden auf ihn aufmerksam. Mead war dem Establishment erstmals 1987 mit einem Büchlein über die Wandlungen des amerikanischen Imperiums, Mortal Splendor (Sterbliche, aber auch tödliche Pracht), aufgefallen und hatte seither gelegentlich Gutachteraufträge erhalten, war journalistisch für die »Los Angeles Times«, für Lifestyle-Magazine wie »Gentleman’s Quarterly« (GQ) usw. tätig gewesen, hatte für unterschiedliche Institutionen weltweit – als »außenpolitischer Kundschafter« – Informationsreisen unternommen und bei einer solcher Gelegenheit auch einmal den Hellespont durchschwommen, um Europa und Asien geo-spirituell miteinander zu verbinden.

Ich überredete Spiegel TV, über diesen seltsamen jungen Mann mit der – auch für deutsche Imperialisten – aufregenden Idee eine längere TV-Reportage zu machen. Mit einem Kamerateam begleitete ich Mead auf einer Erkundungsreise durch Sibirien (vgl. Krysmanski 2001, 37-55). Nach der Sibirienreise wurde die Idee im GQ-Magazin noch einmal ausgebreitet, sogar mit Landkarten, die Sibirien in sieben neue US-Bundesstaaten aufteilten, dann aber hatte für Mead der Spass ein Ende. Mead wurde Senior Contributing Editor des Börsenmagazins »Worth«, schrieb dort bemerkenswerte geopolitische Beiträge für Anleger, lieferte Artikel für »Esquire«, »The New York Times«, »International Herald Tribune«, »Wall Street Journal« und »The New Yorker«, forschte als President’s Fellow am World Policy Institute. Er ist zu einem rundum seriösen, führenden Interpreten der Geschichte der US-Außenpolitik und der Rolle Amerikas in der Welt geworden.4

Die Tugenden unbefangener Neugier und wohlverstandener Interessenvertretung, die Mead in seinen Anfängen charakterisierten, entfaltet er nun im Milieu des CFR. Das gilt sicher auch für die meisten der (insgesamt wenigen) übrigen kreativen Intellektuellen, die im CFR wirken dürfen. Generell bleibt festzuhalten, dass Beratungsinstitutionen wie das CFR so formidabel geworden sind, weil die eingekauften Geister sich in diesem eingegrenzten, exklusiven Milieu in relativer Freiheit in die Höhe und in die Tiefe entwickeln dürfen. Um die Qualität und Wirksamkeit solcher Institutionen zu verstehen, muss man sich deshalb auch mit der Elitensozialisation, genauer: mit der Sozialisation der Berater- und Experteneliten beschäftigen.

Soziales Kapital

Am Ende eines längeren Interviews an der University of California, in welchem Mead seinen Bildungsweg und die verschiedenen Spezialisierungen, die ihm offen standen, beschreibt, fällt der Satz: „I still wanted to be a generalist“ (Ich wollte immer ein Generalist bleiben). Er meint damit, dass der unbändige Drang in uns allen, Totalität, das »Weltsystem als solches« zu erkennen, zunächst in die »zweckfreie« Aneignung komplexer Allegorien und Metaphern aus Literatur, Kunst und Geschichte führen muss. Sein Subtext aber lautet: erst eine breite historische und literarische Fundierung von Urteilskraft ebnet den Weg in die engeren Beraterstäbe des heutigen Souveräns, an die Höfe der Geldmacht. Diese Einsicht zeichnet im Übrigen die US-amerikanischen Eliteuniversitäten und ähnlichen Bildungseinrichtungen seit langem aus.

Heute findet man nicht umsonst an vielen Orten Europas junge Amerikaner, deren stipendienausgestatteten Bildungsaufträge so lauten wie in einem mir bekannten Fall: Reise herum und beschäftige dich ein Jahr lang mit nichts anderem als dem Machtgedanken bei Friedrich Nietzsche und Max Weber; zum Schluss schreibe darüber ein kurzes Referat, aber nur wenn du Lust dazu hast. Neu gegründete Stiftungen wie die New America Foundation (s.u.) ebnen frischgebackenen »Generalisten« dann den Weg in die Medienwelt.

Doch der Weg in die Beratungskultur der Mächtigen – der nicht zu verwechseln ist mit der Sozialisation der Geldeliten selbst5 – ist noch viel komplizierter und beginnt in der Kindheit. Es sind immer auch Aufstiegsgeschichten aus unteren oder außenseiterischen Soziallagen, man denke an die Biografien von Henry Kissinger oder Zbigniew Brzezinski. Walter Russell Meads eigener Bericht über seine Schul- und Studienzeit ist hier besonders aufschlussreich:

„Mein Vater war Pfarrer der Episkopalischen Kirche …, dort sehr aktiv und marschierte mit Martin Luther King. Die Erfahrungen mit dem sozialen Wandel, der sich dort vollzog, so hautnah, haben mich zutiefst geprägt. Zu beobachten, wie in einer Gesellschaft, die fest daran glaubt, dass Rassentrennung das Richtige ist, Leute auf einmal ihre Meinung ändern und zu lernen beginnen – das hat mich seither begleitet. Mit dreizehn habe ich dann ein Stipendium für die Privatschule Groton 6 erhalten … Dann kam ich als Undergraduate an die Yale University. Auf diesem ganzen Bildungsweg hatte ich großartige Lehrer. Einer von ihnen hat mir in der siebten Klasse die Welt der Literatur erschlossen. Dann waren da in Groton zwei Geschichtslehrer. Doc Iron war schon der Lehrer von George Bundy gewesen … Acosta Nichols nahm, wenn eine bestimmte Geschichtsperiode dran war, in welcher die Eltern eines der Jungen ihren Reichtum angesammelt hatten, oft auf ziemlich zwielichtige Weise, den betreffenden Jungen beiseite und sagte: »Well, jetzt will ich dir einmal erklären, wie ihr zu eurem Geld gekommen seid. Viele Leute haben sich über die Kriegsprofiteure im Ersten Weltkrieg beschwert, und …«. In Yale habe ich dann viele Kurse in Geschichte und Amerikastudien belegt, aber eigentlich wollte ich nur Literatur lesen. Ich bin noch immer Mitglied in Lektüregruppen, wo wir gemeinsam Romane lesen … Ich glaube, nur wenn man die Dichtung einer Kultur, die Sprache einer Gesellschaft versteht, gewinnt man Einsicht in die »innere Landschaft« (inscape) einer Kultur oder eines Volkes. Vielen Leute auf dem Gebiet der Außenpolitik, die nur akademische Politikwissenschaft studiert haben, fehlt ein Gefühl für die wahre Realität eines Volkes oder einer Kultur. Seit ich beim CFR bin, haben wir begonnen, unsere Mitarbeiter rüber ins Metropolitan Museum of Art zu führen usw. Ich bin während des Vietnamkriegs aufgewachsen … und die Eltern vieler meiner Freunde spielten in diesem Krieg bedeutende Rollen. Ich erfuhr also auf negative Weise, wie wichtig Außenpolitik ist und was alles Schreckliche passieren kann, wenn die Dinge schief laufen. Deshalb wollte ich lange nichts von Außenpolitik wissen. Ich habe mich sozusagen rumgetrieben, alles Mögliche gemacht. Die Fortsetzung des Universitätsstudiums war nichts für mich. Ich wollte immer noch ein Generalist sein und Literatur lesen. Aber die möchten aus dir das Mitglied einer Profession machen …“7

Ein Think Tank für Laien-Denker

Nun also ist Mead einer der wichtigsten Intellektuellen des CFR. Schon sein erstes, 1987 erschienenes Buch, »Mortal Splendor: The American Empire in Transition«, hielt die »New York Times« für eine Muss-Lektüre für alle Präsidentschaftskandidaten und ihre Stäbe. Seine generalistische Expertise erstreckt sich nicht nur auf US-Außenpolitik im Allgemeinen und internationale politische Ökonomie im Besonderen, sondern auch auf das spezielle »Problem« Kuba, zu dem das CFR unter Meads Leitung eine bemerkenswerte Denkschrift vorgelegt hat. Außerordentlich umfangreich ist seine journalistisch-publizistische Tätigkeit geblieben. In gewisser Weise hat er schon jetzt dazu beigetragen, das alte CFR in das neue Medienzeitalter hinüber zu steuern.

Wie überhaupt hat sich das Council on Foreign Relations im letzten Jahrzehnt entwickelt? Aus den vielen US-amerikanischen Policy Planning Organizations und Think Tanks heben sich unter Machtgesichtspunkten neben dem Council on Foreign Relations noch immer die Trilaterale Kommission, das Committee for Economic Development, der Business Roundtable, die Brookings Institution, das American Enterprise Institute und die Heritage Foundation hervor. In diesen Organisationen werden die Mechanismen amerikanischer Politik koordiniert. In ihnen kommen Leute aus der Welt der Finanzen und der Konzerne, aus den Universitäten, den Medien, großen Rechtsanwaltskanzleien und aus dem Regierungsapparat zusammen und entwickeln Politiken und Programme, die dann dem Kongress, dem Präsidenten und schließlich der Öffentlichkeit unterbreitet werden. Das CFR beschreibt sich selbst als ein einmaliges Forum, das führende Menschen aus der akademischen, öffentlichen und »privaten« Welt zusammenbringt. Das CFR ist, wie gesagt, dazu bestimmt, unter den Eliten Konsens hinsichtlich außenpolitischer Fragen herzustellen. Neue außenpolitische Strategien werden initiiert, indem in einem ersten Schritt Wissenschaftler mit der Untersuchung bestimmter Fragen beauftragt werden. Die Ergebnisse werden sodann innerhalb des CFR in Seminaren und anderen Diskussionszusammenhängen unter Beteiligung von CFR-Mitgliedern, Spitzenpolitikern und führenden Regierungspolitikern evaluiert.

Das CFR gibt die Zeitschrift »Foreign Affairs« heraus, die lange Jahre als das inoffizielle Sprachrohr der amerikanischen Außenpolitik galt. Es gibt wenige wichtige Initiativen der US-Außenpolitik, die nicht zuerst in Artikeln dieser Publikation erörtert wurden. Die Liste früherer Mitglieder des CFR enthält sämtliche Personen, die in der amerikanischen Außenpolitik über Einfluss verfügten: von Elihu Root, Henry Stimson, John Foster Dulles, Dean Acheson, Robert Lovett, George F. Kennan, Averill Harriman und Dean Rusk bis zu Henry Kissinger, Cyrus Vance, Alexander Haig, George Schultz und dem früheren Präsidenten George Bush. Fast zwei Jahrzehnte lang war David Rockefeller, Chef der Chase Manhattan Bank, Vorsitzender des CFR. Gerade an dieser Person lässt sich zeigen, wie internationale Bank- und Investitionsaktivitäten sich nahtlos mit dem außenpolitischen Know-how des CFR verbinden (Dye 2002. 127 f.). Das Board of Directors des CFR stellte immer eine Konzentration von Macht und Einfluss dar, seine Zusammensetzung war und ist ein Paradebeispiel für das Prinzip der »interlocking directorates«, durch welches die Interessen des großen Geldes (das sich selbst als »Privatsektor« beschreibt) in die öffentlichen und akademischen Sphären hineingetragen werden.

Die soziale, informelle Verflechtung dieser Kreise wird deutlich, wenn man sich einige der wichtigsten Mitglieder dieses Aufsichtsrats und ihre Funktionen vor Augen führt: Peter G. Peterson, der jetzige Vorsitzende des CFR, ist ein früherer Chief Executive Officer der führenden Wall Street Investitionsfirma Lehman Brothers, außerdem war er Aufsichtsratsvorsitzender von Bell and Howell Co. sowie Handelsminister unter Richard Nixon, außerdem Direktor der Minnesota Mining & Mfg. Co., von General Foods und des Rockefeller Center und schließlich im Verwaltungsrat des Committee on Economic Development und des Museum of Modern Art. Cyrus R. Vance war Außenminister unter Jimmy Carter, Aufsichtsratsvorsitzender der Rockefeller Foundation und Senior Partner in der angesehenen Wall Street Rechtsanwaltfirma Simpson, Thacher & Bartlett. Lewis V. Gerstner, Jr. fungiert als Chairman und CEO von IBM und als ein Direktor von Bristol-Myers Squibb; er war außerdem Chairman und CEO von RJR-Nabisco und ist Mitglied des Business Roundtable, sitzt im Verwaltungsrat der New York Public Library und ist Regent der Smithsonian Institution. Carla A. Hills war unter George Bush Senior Hauptunterhändlerin für Handelsfragen und unter Gerald Ford Ministerin für Wohnungswesen und Stadtentwicklung, außerdem Direktorin bei IBM, Corning Glass, American Airlines und Chevron. Paul A. Volcker war Chairman des Federal Reserve Board. Diane Sawyer ist eine bekannte Fernsehjournalistin für ABC News. Paul A. Allaire ist Chairman und CEO von Xerox und ein Direktor von Sara Lee, J.P. Morgan, Smith Kline Beecham, Lucent Technologies und der Ford Foundation.

Hier wie in der gesamten Strukturschicht, in welcher der Einfluss der Geldmächtigen organisiert wird, spielt das Prinzip der »interlocking directorates« eine entscheidende Rolle. Dieses Vernetzen und Verweben von Positionsbesetzungen in der Industrie, in der Finanz, in kulturellen Einrichtungen und natürlich im Beratungs- und Strategieentwicklungswesen bildet sich dann auch dort ab, wo, wie etwa im CFR, nun tatsächlich Denkanstrengungen unternommen und Handlungskonzepte entworfen werden. Die Umstände und Kontexte, unter denen Meads letztes Buch entstand, bilden hier interessantes Anschauungsmaterial.

Die Genese eines Fürstenspiegels: Special Providence

Walter Russell Meads Buch »Special Providence. American Foreign Policy and How It Changed the World« erschien im September 2001, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für einen Text, der sich mit historischem Blick den Grundzügen amerikanischer Außenpolitik zuwendet. Was ohne Frage auch als ein Lehrstück des CFR für die Bush-Administration gedacht war, ging in den Aufgeregtheiten nach dem 11. September unter und hat auf die Berater dieser Regierung sicher bis heute keinen Eindruck mehr gemacht. Dabei hatte Mead versucht, das Zusammenspiel unterschiedlicher außenpolitischer Sichtweisen, die sich in der amerikanischen Geschichte immer wieder abgelöst oder auch verwoben haben, darzustellen und damit den neokonservativen Extremismus, den er auf Andrew Jackson zurückführte, zu relativieren. Zu diesem Zweck hatte Mead auf lebendige Denktraditionen verwiesen, die sich mit der Außenpolitik weiterer Präsidenten verbinden lassen: Alexander Hamilton, Woodrow Wilson, Thomas Jefferson und Andrew Jackson.

Entstehung des Buchs

Mead beschreibt den langen Entstehungsprozess, der fast dem eines literarischen Werkes gleicht. Verschiedene Institutionen wie das World Policy Institute und unterschiedliche Geldgeber finanzierten die jahrelangen Recherchen, bis es ihm ermöglicht wurde, „das Leben der CFR-Gemeinschaft zu teilen“ und dort „von talentierten und hingebungsvollen jungen Profis“ und vor allem vom „unschätzbaren Bibliothekspersonal des CFR“ Unterstützung zu erfahren. Entscheidend aber war in der Endphase, dass er immer wieder Kapitelentwürfe Studiengruppen in New York, Washington und Los Angeles vorlegen konnte, die von einigen der „formidabelsten und erfahrensten Frauen und Männern auf dem Feld amerikanischer Geschichte und Außenpolitik“ besucht wurden, darunter z.B. Arthur Schlesinger, Jr. Außerdem war innerhalb des CFR für die Fertigstellung des Buchs eine »Schatten-Studiengruppe« gebildet worden. Zudem gab es Versuchsveröffentlichungen, beispielsweise des Jackson-Kapitels im ultrarechten Leitmagazin »The National Interest«, dessen Leserschaft, so Mead, auf die Darstellung des »Jacksonismus« enthusiastisch reagierte.

Vier außenpolitische Denktraditionen

Meads Stil hat hohe literarische Qualität und ist in seiner Klarheit, seinem Metaphernreichtum und nicht zuletzt wegen seines Rekurses auf kulturelle Traditionen perfekt auf den Denkhabitus seiner primären Klientel, des amerikanischen Establishments, abgestimmt. Diese Schicht eines kulturell ausgestalteten, d.h. sowohl der Massenkultur als auch der Hochkultur zugewandten Reichtums, diese Schicht des »alten Geldes« sitzt noch immer an den Schalthebeln der amerikanischen Machtstrukturen und umfasst das Bush-Lager ebenso wie das Kerry-Lager. Diese Spannweite – und diese Spannungen – versucht Mead mit seinem Modell der verschiedenen Varianten »amerikanischer Vorsehung« einzufangen:

„Die Hamilton-Schule hält eine starke Allianz zwischen Nationalregierung und Big Business für den Schlüssel zu innerer Stabilität und zu effektiver äußerer Aktion; sie hat sich immer auf das Bedürfnis der Nation konzentriert, zu vorteilhaften Bedingungen in die globale Ökonomie integriert zu werden. Die Wilson-Schule glaubt, dass die Vereinigten Staaten sowohl die moralische Pflicht als auch ein tiefes nationales Interesse haben, amerikanische demokratische und soziale Werte über die Welt zu verbreiten und dadurch eine friedliche internationale Gemeinschaft zu schaffen, welche die Herrschaft des Rechts akzeptiert. Die Jefferson-Schule meint, dass die amerikanische Außenpolitik sich weniger um die Verbreitung der Demokratie im Ausland und mehr um deren Sicherung zuhause kümmern sollte. Diese Schule stand den politischen Ansichten der Hamilton- und Wilson-Schule historisch immer skeptisch gegenüber, denn diese hatten die Vereinigten Staaten schließlich mit unappetitlichen ausländischen Alliierten in Verbindung gebracht und das Kriegsrisiko erhöht. Schließlich gibt es eine breite populistische Richtung, die ich die Jackson-Schule nenne, die glaubt, dass das wichtigste Ziel jeder US-Regierung sein muss, sowohl zuhause wie im Ausland für die physische Sicherheit und das ökonomische Wohlergehen des amerikanischen Volkes zu sorgen. »Hüte dich, auf mich zu treten!« warnte die Klapperschlange auf der Kriegsflagge der amerikanischen Revolution. Die Jackson-Schule glaubt, dass die Vereinigten Staaten nicht von sich aus Streit mit anderen Ländern suchen sollten. Wenn aber andere Nationen die USA angreifen, dann gilt für sie der Satz von General Douglas McArthur: »Zum Sieg gibt es keine Alternative«.“ (Mead 2001, xvii)

Das Unterstützerfeld

Die Danksagungen zu diesem Buch gestaltet Mead umfangreich, genau und die eigene »Karriere« reflektierend. Wenn er zunächst andeutet, dass das Buch im Wesentlichen durch Richard C. Leone und den Aufsichtsrat der Century Foundation (früher Twentieth Century Fund) gefördert wurde, so bringt er mit dem CFR-Mitglied Leone einen »Laien-Denker« ins Spiel, der in New York/New Jersey eine wichtige politische Figur war und ist (z.B. früherer Vorsitzender der Port Authority of New York and New Jersey sowie Finanzminister des Bundesstaates New Jersey), der aber zugleich als wirkungsvoller Publizist für die »New York Times«, die »Washington Pos«t, die »Los Angeles Times«, »Foreign Affair«s und »The Nation« geschrieben hat. Außerdem war Leone Präsident des New York Mercantile Exchange und ist managing director einer großen Investment-Firma, Dillon Read and Co. Diese soziale Durchmischung, diese Vernetztheit individueller Aktivitäten ist typisch für die Macht- und Geldeliten der USA und praktisch einzigartig im internationalen Vergleich. Eine zweite Figur diesen Zuschnitts ist Leslie Gelb, Ex-Präsident des CFR, der Mead – was eine ungewöhnliche Ehre ist – bereits 1997 einlud, Mitglied des CFR zu werden. Gelb war zu diesem Zeitpunkt zugleich in den Verwaltungsräten des Carnegie Endowment for International Peace, der Tufts University, der School of International and Public Affairs der Columbia University, des Center on Press, Politics and Public Policy der John F. Kennedy School of Government an der Harvard University usw. Zuvor hatte Gelb eine Karriere in der »New York Times« hinter sich gebracht, war einer der stellvertretenden Chefredakteure und gehörte zum Elite-Kreis der Kolumnisten dort. Auch war er in den 80ern Korrespondent von The Times in nationalen Sicherheitsfragen und davor in verschiedenen Regierungsämtern, darunter Berater des German Marshall Fund und Staatssekretär im Außenministerium unter Jimmy Carter. Und noch früher, in den 60ern (diese Schicht wird aktiv alt), war Gelb in der Planungsabteilung des Pentagon tätig und hatte unter anderem das Pentagon Papers Project geleitet.

Besonders aufschlussreich ist schließlich Meads Erwähnung einer Gruppe von Geldgebern, die im Kontext des CFR sein Gehalt und die Recherchekosten getragen haben (Mead 2001, 355). Wir blicken hier auf Partien eines Netzwerks, für dessen Untersuchung die Methoden und Instrumente des Power Structure Research entwickelt werden, wie sie mit Initiativen und Projekten wie Namebase, dem Government Information Awareness Project des MIT, They Rule usw. verbunden sind.

Die von Mead genannten finanziellen Unterstützer repräsentieren das Kraftfeld der Hamiltonians, Wilsonians, Jeffersonians und Jacksonians dort, wo es in der Gegenwart vermutlich am innigsten mit Geldmacht verwoben ist, nämlich im privaten Investment- und Finanzsektor, der inzwischen die Habitate des Establishments mehr als jeder andere prägt. Das jeweilige Ausmaß der finanziellen Zuwendungen seitens der von Mead genannten Personen lässt sich selbstverständlich nicht ermitteln, doch dass er sie für erwähnenswert hält, schließt ein Netzwerk auf, von dessen Existenz sonst wenig an die Öffentlichkeit dringt. Da ist zum Beispiel Allen R. Adler, der sich jetzt »Privatinvestor« nennt, früher aber Manager bei Columbia Pictures Industries und Paribas North America war und außerdem in den Aufsichtsräten des Simon Wiesenthal Center und des World Policy Institute sitzt; oder Frank W. Hoch von Brown Brothers Harriman & Co., einer Investmentfirma, die ungefähr 35 Mrd. Dollar verwaltet oder Robert Rosenkranz, Chief Executive Officer und später Chairman der Delphi Financial Group, Inc. Einen anderen Typus stellt Stanley S. Arkin dar, der seit 1968 Chef einer der innovativsten und effektivsten Wall Street Rechtsanwaltsfirmen ist, die sich vor allem, wie sie selber verkündet, mit der Investigation und Verfahrensführung besonders komplexer, ungewöhnlicher und sensibler Fälle hervorgetan hat. Daneben treten Mäzene wie Robert J. Chaves, Kimball Chen, Mary van Evera, Joachim Gfoeller Jr., John H.J. Guth, Frank W. Hoch und Winthrop R. Munyan auf, über die nach einer ersten Recherche wenig zu berichten ist, außer, dass sie auf vielen Spenderlisten im Milieu von Wissenschaft und Kunst auftauchen. Ganz anders ist es mit John H. Gutfreund und seiner Gutfreund Foundation bestellt. Gutfreund ist eine der zentralen Figuren der New Yorker Finpols, wie Ferdinand Lundberg (1968) die finanzpolitische Fraktion der Machteliten nennt. Erwähnenswert sind noch J. Tomilson Hill – Direktor der Blackstone Group L.P., innerhalb des CFR zuständig für Finanz- und Investitionsfragen und außerhalb in den Aufsichtsräten des Lincoln Center Theater, der Nightingale-Bamford School, der Milton Academy usw. – sowie Robert M. McKinney (1910-2001), Herausgeber der Zeitung New Mexican (Santa Fe), unter John F. Kennedy US-Botschafter in der Schweiz und laut Namebase, natürlich auch auf Grund seines Alters, eine der am stärksten vernetzten Figuren aus Meads Entourage.

Neue Zeiten für Generalisten

Die Beratungseliten wachsen nach, Mead hat sich auch dieser Aufgabe angenommen. Als Mitgründer der New America Foundation hilft er junge Generalisten auf den Weg in die elite media zu bringen, in jenen neuartigen Verständigungsraum der verschiedenen Gruppen der Machteliten und ihrer Hilfsklassen, wo mittels eigener medialer Netze Agenden bestimmt und Denk- und Wahrnehmungsmuster der Bevölkerung vorgeprägt werden (vgl. Chomsky 1969/2002; Herman u. Chomsky 1988). Wie man in diesem Raum der elite media Ratschläge formuliert und platziert, versteht Mead wie kaum ein anderer. The New America Foundation, die 1999 aus der Taufe gehoben wurde, ist inzwischen der „heißeste liberale Think Tank der ganzen Nachbarschaft. Mit einem Budget von jährlich nur 4 Millionen Dollar ist er in kürzester Zeit zu einem major player geworden.“8 Von den dort geförderten jungen Denkern – nur 20 Fellowships, auf jede freiwerdende Stelle gibt es 400 Bewerbungen – brachten es gleich drei auf eine Liste des »Esquire« Magazins von „Leuten und Ideen, die unser Leben künftig verändern werden“.9 Das Neue an dieser Stiftung ist, dass ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter (Fellows) gehalten sind, ihre Berichte und Abhandlungen nicht in den Schubladen irgendeines Senators oder Kongressabgeordneten verschwinden zu lassen, sondern auf den Meinungsseiten der nationalen Presse zu veröffentlichen. Zu diesem Zweck gibt es beispielsweise Vereinbarungen mit dem Magazin »Atlantic Monthly«, die Fellows gestatten, im Jahr 15 Artikel, einschließlich einer jährlichen cover story, zu publizieren. Manche sagen, The New American Foundation sei inzwischen von der Kerry-Kampagne vereinnahmt worden. Konzept und Perspektiven reichen aber weit über einen solchen unmittelbaren Zweck hinaus.

Die amerikanischen Generalisten bilden sich weiter, sie geben ihren superreichen Laien-Lesern Stoff zum Denken, sie bilden sich, bevor sie sich an jenen Höfen versammeln, unauffällig auf globalen Pfaden weiter, sie lesen Nietzsche und Max Weber, Luhmann und Habermas, Hardt und Negri – sie treffen sich mit Studenten in Wladiwostok und Riga, Caracas und Havanna, sie sind die wandernden Scholaren der Gegenwart, nett und bescheiden, fleißig und belesen – und wenn sie es auch nur in diesem umfassenden, generalistischen Sinne sind, so ist es doch gut so. Nur: es wäre ganz schön, gäbe es solche Denkräume auch noch woanders, gefördert von anderen Personen, die der Danksagung wert wären – jedenfalls, so lange es keine Alternative zu dieser Privatisierung des Wissens und der Macht zu geben scheint.

Literatur

Chomsky, N. (1969): American Power and the New Mandarins, New York 2002.

Dye, Th. R. (2002): Who’s Running America?, Seventh Edition, Prentice Hall.

Herman, E. S. u. N. Chomsky (1988): Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media, New York.

Krysmanski, H. J. (2001): Popular Science. Medien, Wissenschaft und Macht in der Postmoderne, Münster.

Mead, W. R.(2001): Special Providence: American Foreign Policy and How it Changed the World, New York.

Shoup, L. u. W. Minter (1977): Imperial Brain Trust: The Council on Foreign Relations and Foreign Policy, New York.

Anmerkungen

1) Angaben zur Zusammensetzung der Steuerungsgremien, einschließlich des International Advisory Board (u.a. mit den deutschen Mitgliedern Otto Graf Lambsdorf und Horst Teltschik), sind über die CFR-Website leicht zu eruieren: www.cfr.org

2) So schreibt Robert Scheer in einem Playboy-Interview über Nelson Rockefeller: „Rockefeller sagt von Henry (Kissinger), er sei klug, so wie man von einer Frau sagt, sie habe einen hübschen Hintern – es ist ein nützliches Attribut, es regt einen sogar an, aber es ist käuflich.“ (Playboy, April 1976)

3) einem kleinen linksliberalen, später mit der New School for Social Research verbundenen Think Tank

4) vgl. http://www.cfr.org/bio.php?id=3495

5) dazu z.B. die docu-fiction Die Tagebücher einer Nanny von Emma McLaughlin u. Nicola Kraus, München 2003

6) Groton hatte schon Franklin D. Roosevelt geprägt

7) vgl. http://globetrotter.berkeley.edu/people3/Mead/mead-con0.html

8) The Washington Post, Nov. 25, 2002, 3

9) Esquire, Nov. 2002

Dr. Hans Jürgen Krysmanski, em. Professor für Soziologie an der Universität Münster

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/4 Think Tanks, Seite