W&F 2002/3

Im Schatten der »Terrorbekämpfung«

US-Militärintervention in Südostasien

von Rainer Werning

Wer glaubte, unmittelbar nach dem Krieg gegen Afghanistan gerieten der Irak oder Somalia ins Visier der US-amerikanischen Militärs, musste umdenken. Die „zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ eröffneten die USA Mitte Januar unzeremoniell in den Philippinen. Bereits vorher hatten hochrangige amerikanische Politiker und Militärstrategen mehrfach offiziell erklärt, diese Region sei die „neue Zufluchtstätte für Terroristen“. In Südostasiens ältester Konfliktregion, auf den südphilippinischen Inseln Mindanao und Basilan sowie in der Sulu-See, herrscht vielerorts erneut Krieg. Während in den Philippinen – von der Weltöffentlichkeit weitgehend negiert – wieder US-Truppen stationiert werden, fokussiert sich die neue US-Militärstrategie auf Ostasien und den Pazifik.
Zeitgleich mit George W. Bush trat die neue Präsidentin der Philippinen, Gloria Macapagal-Arroyo – in Manilas Medien normalerweise nur GMA genannt –, am 20. Januar 2001 ihr Amt an. Die ehemalige Vizepräsidentin kann sich auf die in dem Land mächtige römisch-katholische Kirchenhierarchie und die Generalität stützen. Ihre erklärte Liebe gilt der Privatisierung der Wirtschaft. Mit dem Namen Macapagal ist bereits das Entree von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf den Inseln verbunden: Ihr Vater war zu Beginn der sechziger Jahre ebenfalls Präsident. Als eingefleischte Neoliberale half GMA bereits als Vizepräsidentin tatkräftig mit, das Land in die Welthandelsorganisation (WTO) einzubinden, heute setzt sie sich mit Verve dafür ein, dass nunmehr auch der gesamte Energiesektor privatisiert wird.

Laut Verfassung ist Frau Arroyo gleichzeitig auch Oberbefehlshaberin der philippinischen Streitkräfte (AFP). Mit ihrem Machtantritt öffnete sie das Land sperrangelweit für US-Kampftruppen. Bereits am 30. Januar waren 660 US-amerikanische GIs – darunter 160 sogenannte Elitesoldaten der Green Berets und Navy Seals – auf den Inseln stationiert. Gemeinsam mit ihren philippinischen Kameraden führen sie Krieg. Dessen Ziel: die auf Kidnapping und Lösegelderpressung spezialisierte Abu Sayyaf-Gruppe (ASG) auf der Insel Basilan »auszumerzen«. Ihr werden Verbindungen zu Osama bin Laden und dessen al-Qaida-Netz nachgesagt. In der Sicht amerikanischer Militärstrategen gilt die ASG als eine von zahlreichen über ganz Südostasien verstreuten Terrororganisationen.

Dream-Team im »Antiterror-Feldzug«

Nach den Anschlägen vom 11. September gestaltet sich das bilaterale Verhältnis zwischen den Philippinen, der einstigen und einzigen US-Kolonie in Asien (1898-1946), und dem transpazifischen Übervater wieder enger. Bevor beispielsweise Bundeskanzler Gerhard Schröder von der »uneingeschränkten Solidarität« mit den USA sprach, hatte seine philippinische Kollegin längst die Parole von der »bedingungslosen Unterstützung« für Washingtons »Kampf gegen das Böse« ausgegeben. Zwei Besuche bei US-Präsident George W. Bush boten Frau Arroyo seitdem die Chance, diese Art von Solidarität zu festigen. In Manila verfolgt man mit der alt-neuen Vasallentreue auch eigene Ziele.

Bei Frau Arroyos erstem Staatsbesuch in den USA im November vergangenen Jahres wurde ihr von George W. Bush außer Wirtschafts- und Finanzhilfe auch eine militärische Soforthilfe gewährt, u.a. in Form von AC-130-Kampfhubschraubern und 30.000 M-16-Gewehren. Gesamtwert knapp 100 Millionen US-Dollar. Die Präsidentin bekam nicht nur politische Rückendeckung aus den USA, sie konnte dem Militär auch den lang gehegten Wunsch nach Modernisierung des Waffenarsenals erfüllen.

Jahrzehnte lang waren die auf den Inseln unterhaltenen US-Militärstützpunkte Subic Naval Base und Clark Air Field die größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents. Auch wenn diese nach dem Ende des West-Ost-Konflikts militärstrategisch an Bedeutung einbüssten, so hat man es in Washington doch als »unfreundlichen Akt« empfunden, dass nach einem entsprechenden Votum im philippinischen Senat im Herbst 1992 das Sternenbanner eingeholt werden musste und die letzten GIs aus dem Land hinauskomplimentiert wurden. Zwar konnte – eine bemerkenswerte Kehrtwende – durch das ebenfalls vom philippinischen Senat später mehrheitlich abgesegnete und am 1. Juni 1999 in Kraft getretene Visiting Forces Agreement (VFA) wieder ein Modus vivendi gefunden werden, der US-Truppen zu Manöverzwecken nunmehr explizit in 22 Hafenstädten willkommen heißt. Doch das VFA sieht – wie übrigens der seit August 1951 zwischen beiden Ländern existierende Gemeinsame Verteidigungspakt (Mutual Defense Treaty, MDT) und die philippinische Verfassung von 1987 – einen unmittelbaren Kampfeinsatz US-amerikanischer Truppen auf philippinischem Boden nur im Falle einer äußeren Bedrohung beziehungsweise militärischen Invasion vor. Selbst auf dem Höhepunkt der staatlichen Counterinsurgency gegen die kommunistische Widerstandsbewegung »Hukbalahap« (1942 als Antijapanische Volksbefreiungsarmee gegründet, später in Volksbefreiungsarmee umbenannt) in den vierziger und fünfziger Jahren operierten US-Militärs mehr verdeckt und durch den sogenannten Gemeinsamen US-Militärberaterstab (JUSMAG) als Koordinationszentrale für AFP-Einsätze gegen die Huks.

»Aufstandsbekämpfung« in der Tradition von »Black Jack«

Die gemeinsamen US-amerikanisch-philippinischen Militäraktionen tragen die brüderliche Bezeichnung »Balikatan« – Schulter an Schulter. Im Unterschied zu vergangenen Übungen dieser Art ist »Balikatan 02-1« jedoch auf mindestens sechs, möglicherweise gar 12 Monate angelegt. Nicht nur die Länge ist ungewöhnlich, sondern auch die Tatsache, dass dieser Schulterschluss ausgerechnet in einer seit Jahren heftig umkämpften Konfliktregion stattfindet. Im unwirtlichen Basilan sowie auf Nachbarinseln in der Sulu-See, wo die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist, operiert neben der ASG auch die heute bedeutsamste muslimische Widerstandsorganisation, die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF). Die MILF beharrt auf einer politischen Agenda – nämlich der Unabhängigkeit eines islamischen Staates im Süden der Philippinen. Da die MILF auf der südlichen Hauptinsel Mindanao mit der kommunistischen Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) kooperiert und beide Organisationen nach Einschätzung der Regierung über jeweils 12.500 KombattantInnen verfügen, sieht Manila in dem von Washington dominierten »antiterroristischen Feldzug« die ideale Chance, sich der »internen Subversion« zu entledigen und seine ungelösten politischen und wirtschaftlichen Probleme militärisch zu befrieden. Je verlässlicher die Partnerschaft in »Counterterrorism«, so hatte es der im Frühjahr nach Manila gereiste republikanische US-Senator Ted Stevens (Alaska) formuliert, um so rascher und großzügiger sprudelten dringend benötigte Wirtschafts- und Finanzhilfen in die Kassen der philippinischen Regierung.

Nun wird Manila nicht müde, zu beteuern, die US-Truppen würden nicht unmittelbar in Kampfhandlungen der AFP eingebunden. Sie dienten lediglich als Berater und Ausbilder, um mit Hilfe modernen militärischen Geräts die philippinischen Streitkräfte zu befähigen, Kampfhubschrauber mit Nachtsichtgeräten in dichtem Dschungelgebiet einzusetzen und damit die Counterinsurgency insgesamt effektiver zu gestalten. Dafür hätten Berater genügt, die sich bereits seit Oktober 2001 im SouthCom, dem in Zamboanga City beheimateten Südkommando der AFP und Schaltzentrale der langjährigen Kriegführung gegen die Moros, befinden. Der damalige Oberkommandierende des in Honolulu (Hawaii) stationierten US-Pazifikkommandos, Admiral Dennis C. Blair, war im November erstmalig in Zamboanga, um die künftige Kooperation beider militärischen Verbände zu besprechen. Neben dem Chef des SouthCom und designierten neuen Generalstabschef, Generalleutnant Roy Cimatu, waren auf philippinischer Seite Generalstabschef Diomedio Villanueva, Verteidigungsminister Angelo Reyes und mit Roilo Golez der Sicherheitsberater der Präsidentin zugegen. Bei dieser Angelegenheit soll schließlich das kontroverse Mutual Logistics Support Agreement (MLSA) zustande gekommen und von Blair und Villanueva unterzeichnet worden sein. Das MLSA, auch als zehnjähriges Arrangement bezeichnet, sieht eine umfassende Kooperation US-amerikanischer und philippinischer Truppen in den Philippinen auf sämtlichen Ebenen vor. Eine vage Formulierung: Militärs könnten damit auch einen aktiven Kampfeinsatz von GIs rechtfertigen. (Gerade in Zamboanga und Basilan haben aber die amerikanischen Militärs vor einem Jahrhundert grausam gewütet. Für viele Moros liegen deshalb jetzt wieder die Nerven blank.)

Alles deutet auf einen mit US-Unterstützung geführten »low-intensity conflict«, einen »Krieg niedriger Intensität«, hin, der dann zu eskalieren droht, wenn neben der ASG bewaffnete Verbände der MILF und der vom Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) geführten NPA angegriffen werden. Nicht nur besteht zwischen beiden Organisationen seit Ende 1999 eine enge Kooperation. Beide haben seit Manilas »totalen Krieg« in Zentralmindanao im Sommer 2000, als sämtliche medialen Blicke auf den Geiselpoker in Jolo gerichtet waren, an Einfluss gewonnen. Und beide Organisationen gelten, daran lassen hochrangige philippinische Offiziere keinen Zweifel, als nächste Angriffsziele. So verwundert es nicht, dass die Friedensgespräche mit der MILF wegen der Eskalation der Gewalt in Mindanao und der US-Militärintervention auf der Insel Basilan ins Stocken geraten sind, während die seit Jahren – mal intensiv, mal schleppend – geführten Verhandlungen Manilas mit der NDFP bereits gescheitert sind. Namens des Nationalen Exekutivkomitees der NDFP hat dessen Vorsitzender Mariano Orosa in einer Erklärung vom 12. April das von Manila angeordnete Ende der Friedensverhandlungen, die seit einem Jahr unter der Ägide des norwegischen Außenministeriums stattfanden, scharf kritisiert. Zwischen 1992 und 2001 waren immerhin auf neutralem Boden – in den Niederlanden – das Gemeinsame Abkommen über Sicherheits- und Immunitätsgarantien sowie das Gemeinsame Abkommen über die Bildung gleichbesetzter Arbeitsgruppen ausgehandelt worden.

Hektisches Krisenmanagement

Seit Januar gaben sich hochrangige US-amerikanische Politiker, Geheimdienststrategen und Militärs buchstäblich in Manila die Klinke in die Hand, um ein regionales Krisenmanagement zu planen und zu exekutieren. Für die Bush-Administration ist Südostasien die „neue Zufluchtstätte für Terroristen“ („new haven for terrorists“). Und dort sind die Philippinen als einstiges koloniales Objekt auch in postkolonialen Zeiten der verlässlichste Brückenkopf. Aus Afghanistan, erläuterte CIA-Direktor George Tenet dem »U.S. Senate Armed Services Committee« Ende März, hätten sich etliche al-Qaida-Kämpfer und Gefolgsleute Osama bin Ladens in die Philippinen, nach Malaysia und Indonesien abgesetzt, deren Küstenstreifen nicht ausreichend kontrolliert würden. Um eben diese Kontrolle künftig zu erhöhen, war kurz zuvor FBI-Direktor Robert Mueller in die Hauptstädte Manila, Kuala Lumpur und Jakarta gereist. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Reisediplomatie in Sachen »Counterterrorism« setzte Mitte April mit Admiral Dennis Blair der ranghöchste US-Soldat in der Region. Blair, in Honolulu (Hawaii) residierender Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Pazifikstreitkräfte (CINCPAC), flog unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen in Begleitung des Befehlshabers der US-Spezialeinheiten auf Basilan, Oberst Donald Maxwell, nach Isabela.

Seitdem sind auf Basilan, dem Hauptoperationsgebiet der ASG, zusätzlich 300 US-Soldaten verlegt worden. Zusätzliche Militärkontingente werden dort erwartet und – wie es offiziell heißt – für »civic actions« eingesetzt. Civic-action-Maßnahmen, auf Bürgernähe bedachte Programme, sind beispielsweise in großem Stil während des Vietnamkrieges praktiziert worden. Vorrangig handelt es sich dabei um den Auf- bzw. Ausbau der Infrastruktur. Durch den Bau von Straßen, Hospitälern und dem Ausheben von Brunnen sollen »Herzen und Hirne« der Bevölkerung gewonnen werden. Letztlich geht es um die weiche Variante einer ansonsten unerbittlich geführten »Aufstandsbekämpfung«. Weitere Manöver im Norden des Archipels sahen bis Mitte Mai zusätzlich knapp 3.000 GIs im Einsatz. Diene die US-Militärpräsenz in den Südphilippinen der Bekämpfung des „internen Terrors und der Subversion“, so der Sprecher der philippinischen Streitkräfte, Brigadegeneral Edilberto Adan, so sollte mit den Manövern in Zentralluzon (im Norden) „die Abwehr äußerer Bedrohungen“ geprobt werden.

Impliziert ist damit die VR China, mit der die Philippinen neben anderen südostasiatischen Anrainern seit Jahren wegen Territorialansprüchen auf der im Südchinesischen Meer gelegenen Spratly-Inselgruppe im Clinch liegen. Die Volksrepublik verstärkt nach den Worten von CIA-Chef Tenet nicht nur ihre Satellitenaufklärung in der Region. Sie tauchte erst jüngst in der Pentagon-Überlegung als eines von sieben Ländern auf, gegen die ein »Mini-Atomeinsatz« erwägenswert wäre. Überhaupt bleibt das US-amerikanisch-chinesische Verhältnis trotz zweier Zusammenkünfte zwischen dem US-Präsidenten und dem Staats- und Parteichef der VR China, Jiang Zemin, gespannt. In den ersten Wochen von Bushs Amtszeit wurde die VR China in Washington gar als »strategischer Feind« bezeichnet, was Jiang eine bemerkenswerte Retourkutsche fahren ließ. Bush, so Jiang am 24. Mai 2001 anlässlich einer Sondersitzung von Politbüromitgliedern und außenpolitischen Experten der KP Chinas über nationale Sicherheitsbelange, sei „logisch unbedarft; konfus und prinzipienlos; extrem unweise“.

Latenter Konfliktherd Ostasien

Der Vorsitzender des Vereinten US-Generalstabs, General Richard B. Myers, besuchte im Rahmen einer Südost- und Ostasieninspektion im April auch die südphilippinische Insel Basilan, um sich vor Ort über den Stand des »Antiterrorfeldzugs« zu informieren. Der General zeigte sich nach seinen Frontbesuch beeindruckt von den Fortschritten, die im Kampf gegen die Abu Sayyaf erzielt worden seien. Dabei hat selbst die massive kombinierte US-philippinische Truppenpräsenz in der Region bislang weder die ASG nachhaltig geschwächt, noch deren Geiseln befreien können.

Anfang Mai wurde der Oberkommandierende des U.S. Pacific Command, Admiral Dennis C. Blair, verabschiedet und durch Admiral Thomas B. Fargo ersetzt. Wie Blair will sich Fargo intensiv um den regionalen »Counterterrorism« kümmern. Fargo will die US-Streitkräfte in dieser mit über 100 Millionen Quadratmeilen größten und in US-amerikanischer Sicht militärstrategisch bedeutsamsten Region dauerhaft zu verankern.

Am 7. Mai schlossen die Philippinen, Indonesien und Malaysia schließlich einen »Antiterrorpakt«, dem bald Thailand – möglicherweise auch Myanmar (Birma) – beitreten sollen. Die Tücke dieses US-inspirierten Deals: Noch immer gebe es, so der indonesische Außenminister Hassan Wirayuda, keine verbindliche und von allen Parteien akzeptierte Definition von Terror, jeder der Unterzeichner verfolge eigene Kalküle, um die jeweilige Regierung zu stärken. In Indonesien gehe es darum, so jedenfalls drückte sich ein Pentagon-Sprecher aus, dem Militär die »Handfesseln« der laufenden Prozesse wegen Gräueltaten in Osttimor (1999) schnellstmöglich zu nehmen, damit es wirksam gegen islamistisch-fundamentalistische Gruppen auf dem Archipel vorgehen kann. Malaysias autokratischer Premier, Dr. Mahathir Mohamad, sieht sich in seinem repressiven innenpolitischen Kurs bestätigt und das stets gegen missliebige Widersacher eingesetzte Internal Security Law plötzlich als wirksames Instrument zur Ausschaltung von »Terroristen« aufgewertet.

Im Pentagon geht man davon aus, dass den Vereinigten Staaten und dem Weltfrieden langfristig aus dem Osten Asiens Gefahren drohen. In Präsident Bushs erstem Defence Review Report, der in seinen wesentlichen Passagen im Sommer vergangenen Jahres entstand und am 30. September 2001 veröffentlicht wurde, wird der Fokus der US-Militärstrategie von Europa und dem Atlantik weg gen Asien und dem Pazifik gelenkt. In einem Gespräch mit Richard Halloran von der renommierten Hongkonger Wochenzeitschrift Far Eastern Economic Review (18.10.01) hatte der damalige Oberbefehlshaber des Pacific Command, Admiral Dennis C. Blair, erklärt: „In der Vergangenheit waren die »Big Three«-Regionen stets Europa, Südwestasien und Ostasien, und zwar in dieser Rangfolge. Jetzt aber rückt Ostasien an die erste Stelle, gefolgt von Südwestasien und letztlich Europa,“ wobei er mit Südwestasien den Golf, Afghanistan and Zentralasien meinte. Laut Blair wird es künftig notwendig sein, zwischen Ost- und Nordostasien zu unterscheiden. Letztgenannte Region beinhaltet noch ungelöste Probleme auf der koreanischen Halbinsel, während „der Rest Ostasiens potentielle Konflikte… birgt, die von der Straße von Taiwan über Südostasien bis hin nach Südasien reichen“. Damit, so Admiral Blair, sei erstmalig und explizit mit Asien mehr als nur eine Abschreckung in Korea gemeint.

Fortan soll die US-Pazifikinsel Guam Dreh- und Angelpunkt militärischer Operationen werden. In der Hauptstadt Agana existiert bereits mit der Anderson Air Force Base ein großer Luftwaffenstützpunkt, die Marineeinrichtung soll ausgebaut und dort binnen eines Jahres drei nuklear betriebene Unterseeboote stationiert werden. Gleichzeitig wird den auf Okinawa (Japan) stationierten US-Verbänden eine größere regionale Ordnungsfunktion zugewiesen. Anstelle neuer Militärbasen gelte es verstärkt auf die Einrichtungen befreundeter Staaten – das betrifft vor allem Australien und die Philippinen – zurückzugreifen und mit deren Militärs häufiger gemeinsame Manöver abzuhalten. Die Richtlinien des Defence Review sehen im Rahmen des Raketenabwehrsystems (MDS) überdies eine Umrüstung von Unterseebooten vor: Da gemäß den Waffenkontrollabkommen atomare ballistische Raketen verschrottet werden sollen, ist deren Ersetzung durch Cruise-Missiles vorgesehen. Sollte sich die Lage auf der koreanischen Halbinsel und das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang entspannen, bestünde die Mission der in Südkorea stationierten US-Truppen (ca. 37.500 Mann) weniger in der Verteidigung des Landes als vielmehr in der Übernahme regionaler Verpflichtungen.

Welche möglichen Ziele verfolgen die USA in der Region (Süd-)Ostasien/Pazifik?

  • Neben Mindanao, wo immerhin die MILF und NPA-Guerilla eine formidable Kraft im bewaffneten Widerstand darstellen, sollen andere virulente Konflikte – so in Aceh, Westpapua und Maluku (Molukken) in Indonesien – im Interesse ambitionierter Entwicklungsvorhaben dauerhaft, notfalls militärisch »befriedet« werden.
  • Parallel dazu geht es um die Sicherung einer »robusten« US-Truppenpräsenz in der Region, was nicht notwendig die Errichtung permanenter Militärstützpunkte einschließt.
  • Gesichert wären so gleichzeitig sensible Seerouten – hauptsächlich die von Öltankern rege befahrene Straße von Malakka zwischen Singapur/Malaysia und Indonesien.
  • Diese von externem Kolonialismus und interner Kolonisierung gezeichnete, an Rohstoffen überaus reiche Region bleibt eine bedeutsame Zufluchtstätte für amerikanisches Kapital; langfristig gilt dieser Teil des Globus – Asienkrise hin oder her – als dynamischste Wachstumsregion.

Schließlich richtet die neue US-Sicherheits- und -Militärdoktrin ihr Hauptaugenmerk ausdrücklich auf eben die Region Ost- und Südostasien, in der ihrerseits nicht wenigen Regime der »Antiterrorfeldzug« durchaus ins eigene Kalkül passt. Reale Probleme – zunehmende Marginalisierung, soziale Verelendung und bewaffnete Autonomiebestrebungen – werden auf diese Weise freilich nicht gelöst.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist, ist Mitarbeiter des Rheinischen JournalistInnenbüro (Köln) mit dem Schwerpunkt Südost- & Ostasien. Mindanao und die Sulu-See kennt der Autor durch intensive Studienaufenthalte seit 1970.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/3 Welt(un)ordnung, Seite