Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbständigkeit?
Jahrestagung 2016 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Evang. Akademie Loccum, 15.-17. April 2016
von Christiane Lammers
In welchem Verhältnis stehen Zivilgesellschaft und Staat im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung? Welche Rolle(n) spielen Nichtregierungsorganisationen (NRO) bei der Friedensförderung im In- und Ausland? Welchen Einfluss können und dürfen sie auf staatliche Prozesse nehmen, und wo liegen die gewollten und ungewollten Grenzen staatlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit? Rund 60 Teilhabende der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Interessierte kamen im April 2016 in Loccum zusammen, um unter dem Titel »Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbstständigkeit? Unter welchen Bedingungen wollen und sollen zivilgesellschaftliche Akteure der Konfliktbearbeitung künftig arbeiten?« diese und weitere Fragen zu diskutieren.
In seinem Einführungsvortrag skizzierte Eckhard Priller (Maecanata-Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft), was Zivilgesellschaft im Allgemeinen und »gute« Zivilgesellschaft im Speziellen ausmacht. Im Selbstverständnis von NRO stehe die Gemeinwohlorientierung an oberster Stelle. Zivilgesellschaft stelle Leistungen und Güter bereit, die nicht vom Staat bereitgestellt werden, sei es, weil eine diesbezügliche Verantwortungsteilung zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft historisch so gewachsen ist, sei es, weil der Staat bestimmte Aufgaben aktuell nicht wahrnehmen will/kann. »Gute« Zivilgesellschaft sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie transparent arbeite und finanziell unabhängig sei, möglichst auch vom Staat.
Die Frage der finanziellen und strukturellen Abhängigkeit wurde im Laufe der Tagung immer wieder aufgeworfen. Das Ringen um die Bewilligung von Projektanträgen, fehlende Basisförderung, zu kurze Förderzeiträume, zu hohe Berichtsanforderungen oder zu enge Förderrichtlinien prägen den Arbeitsalltag vieler NRO. Martina Fischer (Brot für die Welt) mahnte jedoch, den Diskurs um Krisenprävention und Friedensförderung nicht immer technokratischer werden zu lassen. Aufgabe von NRO sei es, friedensethische und friedenslogische Fragen aufzuwerfen und in den Diskurs einzubringen. Der Staat als Geldgeber, der die Zügel in der Hand hält, und die NROs als gefügige Ausführungsorganisationen? Der Tenor in der Diskussion: Auch und gerade wenn Zivilgesellschaft staatliches Geld annehme, solle sie keine Scheu haben, selbstbewusst aufzutreten und Kritik klar zu äußern. Diese Haltung werde von staatlicher Seite durchaus akzeptiert, manchmal sogar eingefordert. Um innerhalb der Exekutive Veränderungen anzustoßen, Strukturen aufzubrechen und neue Themen aufzugreifen, brauche es den Rückhalt und die Initiative der Zivilgesellschaft. Dies zeigte sich auch in den Ausführungen von Wolfram von Heynitz, Leiter des Referats S06 in der neu geschaffenen Abteilung S, »Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge«, im Auswärtigen Amt (AA), unter anderem für die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft zuständig. So solle zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Beirat Zivile Krisenprävention ausgebaut und verbessert werden.
Der Wert von Zivilgesellschaft beweist sich oft erst da, wo sie fehlt, wie sich in den vielen Praxisbeispielen ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland zeigte, die Tagungsteilnehmende präsentierten. Ob Peace Brigades International mit der Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen in Konfliktgebieten, das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (IKM) mit seiner Integrationsarbeit in Hamburger Stadtteilen, Adopt a Revolution mit seiner Unterstützung lokaler Initiativen in Syrien, der Friedenskreis Halle mit seinen Gewaltpräventionsprojekten oder viele lokale Flüchtlingsinitiativen: Zivilgesellschaft wird häufig da tätig, wo staatliche Strukturen nicht vorhanden oder überfordert sind. Oft, aber nicht immer, wird sie dabei finanziell durch den Staat unterstützt. Vorsicht sei an den Stellen geboten, so Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, wo der Staat eigene Verantwortlichkeiten leichthin der Zivilgesellschaft übergebe. Hier müsse staatliches Handeln konsequent eingefordert werden.
Im »Open Space« am Samstagnachmittag hatten die TeilnehmerInnen Gelegenheit, das Tagungsthema unter selbst gewählten Fragestellungen in Kleingruppen zu diskutieren. Dabei ging es zum einen um strategische Überlegungen zur künftigen politischen Advocacy-Arbeit der Plattform, insbesondere im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017, zum anderen um grundlegendere Aspekte, wie ein der Friedenslogik folgendes Verständnis von Zivilgesellschaft, oder die Frage danach, wie wir als zivilgesellschaftliche AkteurInnen der Zivilen Konfliktbearbeitung der Politik und der Öffentlichkeit vermitteln können, was wir tun – mit der Voraussetzung, wir sind uns selbst darüber im Klaren.
Ein vorsichtiger Wandel des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft zeichnet sich derzeit in unterschiedlichen, die Außenpolitik betreffenden Prozessen ab: neben dem Prozess »Zukunftscharta EINEWELT – unsere Verantwortung« des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem »Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken« des Auswärtigen Amtes und dem Weißbuch-Prozess des Bundesverteidigungsministeriums auch in der Entwicklung der »Agenda 2030« (Sustainable Development Goals) und der Erarbeitung der neuen »Leitlinien ziviles Krisenengagement« im Auswärtigen Amt. Alle Initiativen wurden – im Gegensatz zu früheren staatlichen Prozessen – zumindest mit dem Anspruch versehen, partizipativ und nach außen transparent zu sein. Die beiden letzteren wurden auch in Loccum umfassend diskutiert. Christoph Bongard (forumZFD) beschrieb den internationalen Prozess für die »2030 Agenda for Sustainable Development« als beispielhaft im Hinblick auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Nun müsse es für die deutsche Zivilgesellschaft darum gehen, auch auf die Umsetzung der Agenda in deutsche Politik aktiv Einfluss zu nehmen. Das Zeitfenster hierzu sei jedoch begrenzt; noch in diesem Sommer solle der Prozess weitgehend abgeschlossen sein. Angemahnt wurde zu dieser Fülle an »Partizipationsprozessen«, dass hiermit Ressourcen der Zivilgesellschaft gebunden werden und genau abzuwägen sei, welche relevanten Wirkungen durch ein solches Engagement tatsächlich erzielt werden könnten.
Im Abschlussplenum skizzierten die Bundestagsabgeordneten Franziska Brandtner (Bündnis90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke) den Stand des Leitlinien-Prozesses im Auswärtigen Amt. Das neue Dokument solle den Aktionsplan Zivile Krisenprävention ablösen und kompakter werden. Die Zivilgesellschaft solle unter anderem über themenspezifische Workshops und durch Zuarbeit des Beirats Zivile Krisenprävention in die Diskussion eingebunden werden. Wie intensiv diese Einbindung angesichts des knappen Zeithorizonts sein kann – der partizipative Prozess begann offiziell Ende Mai und soll bereits im September enden –, bleibt zweifelhaft. Das Plenum äußerte ein klares Votum dafür, Forderungen der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung für das Leitlinien-Dokument zu formulieren und diese offensiv in den Prozess einzubringen. Die Stellungnahme wurde zur Öffentlichen Anhörung des Bundestags-Unterausschusses Zivile Krisenprävention veröffentlicht und ist auf S. 46ff. in dieser Ausgabe von W&F dokumentiert. Alle Stellungnahmen sind auch auf der Plattform-Webseite verfügbar.
Neben der fachlichen Diskussion standen am Samstagabend bei der Mitgliederversammlung auch Wahlen für die Gremien der Plattform an. Angela Mickley, Wolfgang Heinrich, Björn Kunter, Christoph Bongard und Volker Kasch bilden den neuen SprecherInnenrat, die beiden Erstgenannten in der Funktion der Vorsitzenden. In den Trägerverein wurden Kees Wiebering, Marcus Schaper, Sven Reuter, Dorothee Lepperhoff und Barbara Kemper gewählt.
Christiane Lammers