W&F 2024/4

Im Wandel: »Zukunft Frieden(spädagogik)«

Fachtagung, Friedensinstitut Freiburg, Evangelische Hochschule Freiburg, 16.-20.9.2024

In Zeiten multipler weltumspannender Krisen wird die Frage nach Frieden drängender denn je. So erklärt es sich, dass Karen Hinrichs, Bernd Harbeck-Pingel und Melanie Hussak die Evangelische Hochschule Freiburg vom 16. bis 20. September in ein kreatives Labor zur Erforschung der Zukunft der Friedenspädagogik verwandelten. Expert*innen, Praktiker*innen, Studierende und Interessierte kamen dort zur Tagung »Zukunft Frieden(spädagogik)« zusammen, zu der das Friedensinstitut Freiburg in Kooperation mit dem AK Friedenspädagogik der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) eingeladen hatten. Für fünf Tage drehte sich alles um die Transformation der Friedenspädagogik angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Demokratiekonflikten und neuer Technologien. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war die selbstreflexive Auseinandersetzung mit der Profession Friedenspädagogik unter Zuhilfenahme machtkritischer und dekolonialer Ansätze, die durch eine Kritik der epistemischen Grundlagen dazu auffordern, Forschung, Lehre und Praxis gänzlich neu zu denken.

Schon mit dem inoffiziellen Auftakt – einer Zukunftswerkstatt – luden Melanie Stamer, Dagmar Nolden, Alexander von Wedel und Eva Wastian (AFK) dazu ein, nicht nur über Frieden nachzudenken, sondern auch praktische neue Ideen zu entwerfen, um diesen Begriff mit sinnhaften Inhalten füllen zu können und Methoden dafür zu erlernen. Kreativ, emanzipatorisch und partizipativ wurden Fragen diskutiert, die aktueller kaum sein könnten: Wie kann Friedensbildung angesichts von Migration, Klimawandel und Demokratiedefiziten so transformiert werden, dass sie Antworten für und Umgangsformen mit diesen Herausforderungen bereithält? Die Methode bot eine Möglichkeit, Transformation von Denkprozessen an sich selbst zu erfahren und sich ganz konkret in kreativen Prozessen aktuellen Problemfeldern der Gesellschaft zu nähern. In Kleingruppen wie auch im Großplenum wurden die Herausforderungen nicht nur beleuchtet, sondern auch konkrete Schritte hin zu einer utopischen, gerechteren Zukunft entwickelt.

Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt wurden in künstlerische Performances übersetzt, die am Mittwoch zur Eröffnung des »klassischen« Tagungsteils der versammelten Fachwelt und der interessierten Öffentlichkeit präsentiert wurden. Der Vormittag bot danach Raum für verschiedene Methodenwerkstätten im Rahmen des Tagungsthemas. Ein Workshop von Uli Jäger und Miriam Kaiser näherte sich daran an, wie in Zeiten von Krieg über Frieden gesprochen werden kann und ob Frieden sich auch alleinstehend definieren lässt, anstatt das reine Produkt einer Abgrenzung von Krieg zu sein. Ein Rap-Workshop von Christoph Rösseler öffnete die Gelegenheit, Musik als friedenspädagogische Praxis zu erleben. Alexander von Wedel erarbeitete sich in einem medienpäda­gogischen Ansatz mit Teilnehmenden, wie utopisches Schreiben mit KI zur Lösung von Konflikten beitragen kann. Tessa Schindler und Laura Steinacher klärten über ihre friedenspädagogische Arbeit zum Umgang mit Verschwörungstheorien auf. Anna Dorothea Wunderlich von der Berghof Foundation tauchte mit den Teilnehmenden in die Welt der Visual Novel »ErinnerungsZeit« ein, die es ermöglichen soll, marginalisierten Stimmen aus der NS-Geschichte eine Plattform zu bieten und diese für Jugendliche zwischen 14-17 Jahren zugänglich zu machen.

Das Unmögliche für möglich halten – diese Haltung wurde durch den Vortrag von Steinar Bryn vom »Nansen Center for Peace and Dialogue« in Norwegen deutlich vermittelt. Mit der Methode des Dialogs arbeitete Bryn unter anderem Ende der 90er Jahre im Kosovo kurz vor Kriegsausbruch. In den von ihm geleiteten Dialogen legte er Wert da­rauf, ein methodisches Grundgerüst zu etablieren, das den Konfliktparteien eine Reflexionsfläche bietet. Im Gespräch darüber, was ihre eigene Identität formt(e), welche Rolle der Konflikt und die Kommunikation darin spielt, entsteht der Dialog. Mit dieser Methode ergebe sich die Möglichkeit, in Konflikten die strikte Opfer-Aggressor Binarität zu modifizieren und dadurch eine Basis für die Konflikttransformation zu schaffen. Als Anleiter*in selbst sei es wichtig, sich im Vorhinein Wissen über lokale Verhältnisse und Konfliktsituationen anzueignen, sich nicht als richtende Instanz zu verstehen, mit dem eigenen Verhalten Vorbild zu sein und so wenig wie möglich in den Dialog einzugreifen.

Am Donnerstag standen durch kurze Beiträge von Expert*innen transformative und dekoloniale Perspektiven im Fokus. Juliana Krohn (Universität Innsbruck) und Christina Pauls (Universität Augsburg) stellten in einem gemeinsamen Impulsvortrag die Frage, wie Friedensbildung eine dekoloniale Ausrichtung erhalten kann. Dabei beleuchteten sie, wie neokoloniale Muster, etwa in der Energiewende, Friedensprozesse beeinflussen und deshalb auch hier dekonstruiert werden müssen. Betont wurde hierbei, dass das Konsultieren von Forscher*innen aus dem Globalen Süden unerlässlich sei, um der Kehrseite der Modernität in Form von Neokolonialismus etwas entgegenzusetzen. Nachfolgend betonte Norbert Frieters-Reermann in seinem Impulsvortrag die Bedeutung von emotionaler Selbstfürsorge und kritisch-reflexivem Handeln in Krisenzeiten. Er plädierte dafür, Friedenspäda­gog*innen in ihrem professionellen Handeln in den Blick zu nehmen und Maßnahmen dafür zu ergreifen, dass diese nicht ausbrennen, sondern langfristig im Berufsfeld aktiv bleiben können. Anschließend wies Werner Wintersteiner auf die Gefahr hin, dass rechte Populist*innen gesellschaftliche Probleme umdeuten und sprach dabei auch über ethische Dilemmata der Friedenspädagogik in Kriegszeiten bevor Uli Jäger den Leitwert Frieden als Orientierung für Bildungsmaßnahmen unterstrich. Er sprach eine eindringliche Warnung aus, Friedenspädagogik hin zu einer »Verteidigungspädagogik« umzudeuten, oder sie in den Duktus der Zeitenwende und Militarisierung einzuordnen. Schließlich würde sonst, so Jäger, der Sinn der Friedenspädagogik völlig ins Gegenteil verkehrt werden.

So endete der Programmpunkt der Impulsvorträge mit vielen Ein- und Aussichten darüber, wie es um die Friedenspädagogik steht und welche Schritte hin zu einer zeitgemäßen Transformation dieser Profession zu gehen sind, ohne den grundlegenden Prinzipien untreu zu werden. Der gemeinsame Nenner, welcher den vielen verschiedenen Beiträgen zu Grunde lag, ist hierbei deutlich zu erkennen: Die Friedenspädagogik muss ihren Blick weiten und Stimmen aus dem Globalen Süden mehr einbeziehen. Die multiplen Konflikte unserer Zeit lassen sich nicht verstehen, ohne die Geschichte des Kolonialismus mitzudenken und auch heute neokoloniale Muster aufzudecken und anzusprechen.

Nach den vielfältigen und inspirierenden Impulsvorträgen folgte eine lebhafte Diskussion in Kleingruppen, bei der die Teilnehmenden ihre Eindrücke und Erkenntnisse reflektierten. Anschließend wurden die Ergebnisse im Plenum zusammengeführt, was spannende Perspektiven auf die Rolle der Friedenspädagogik eröffnete. Die letzten Programmpunkte der Tagung erfolgten am Freitagvormittag unter der Fragestellung, wie die Mit-Welt in die Friedenspä­dagogik einbezogen werden kann. Dafür gab es verschiedene Ansätze. Annalena Groppe (Friedensakademie Rheinland-Pfalz) stellte das Modell der partizipativen Aktionsforschung vor, Daniela Lehner den Ansatz der Pluriversalität in der Friedensbildung und Gregor Lang-Wojtasik sprach über Erfahrungen und Anregungen aus der Perspektive des Globalen Lernens. Anschließend wurde der Tagungsraum für ein Plenum geöffnet, in dem alle Teilnehmenden ihre Eindrücke und Anregungen teilen konnten. Eine wichtige Frage, die dabei gestellt wurde, war, inwiefern Friedenspädagogik und Friedensforschung nachhaltig wirken können und demnach auch die Lehre gestaltet werden kann. Daran wurde ersichtlich, dass die Friedensarbeit vor der Aufgabe steht, einerseits anzuerkennen, dass ihre Wirkung meist nur über längere Zeiträume erkennbar ist und sich andererseits nicht davor scheuen darf, auf neue Erkenntnisse und Umstände zeitnah zu reagieren.

Die Tagung »Zukunft Frieden(spädagogik)« bot also im Rückblick eine wertvolle Plattform für den Austausch einer Vielfalt von Perspektiven und Ansätzen der Friedensbildung. Indem Expert*innen, Praktiker*innen und Interessierte zusammengebracht wurden, entstand ein solidarisches Netzwerk, das die Herausforderungen der Gegenwart gemeinsam reflektierte. Die Erkenntnisse der Tagung zeigen klar, dass Friedenspädagogik nicht etwa ein starrer Begriff, sondern ein dynamisches Feld ist, das sich kontinuierlich weiterentwickeln muss, um den gesellschaftlichen und globalen Krisen unserer Zeit gerecht zu werden.

Vinzenz Glaser und Luísa Ulrich Meincke

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/4 Eskalationen im Nahen Osten, Seite 68–69