W&F 2024/3

In Erinnerung an Hans-Peter Dürr

NatWiss, München, 18.5.2024

In Erinnerung an den Wissenschaftler, Visionär und Friedenskämpfer Hans-Peter Dürr fand anlässlich des 10. Todestages in München eine eindrucksvolle und berührende Erinnerungsveranstaltung statt, organisiert von der Naturwissenschaftlerinitiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit« (NatWiss).

Am 18. Mai 2014 war Hans-Peter Dürr im Alter von 84 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Alle an der Veranstaltung Mitwirkenden erinnerten sich noch gut aus persönlichen Erlebnissen an den für Frieden und Umwelt engagierten Menschen, an den Physiker und an den Visionär. Aus den Erinnerungen entwickelten die Vortragenden in ihren Beiträgen auch konkrete Überlegungen für die aktuellen Friedensherausforderungen angesichts von Kriegen und Konfrontationen weltweit. Besonders wurden dabei immer wieder die umfassenden Beiträge von Hans-Peter Dürr für die Verantwortung der Wissenschaften betont.

»Frieden und ein Nein zum Krieg« – diese Formel war das Lebenselixier von Hans-Peter Dürr, seit er als junger Mensch die Bombennächte in Stuttgart überlebt hatte. Doch diese verfolgte er umfassender als viele Altersgenoss*innen: Dem Schutz und dem Erhalt der Umwelt war er seit seiner Kritik (zu einer Zeit, als diese nicht populär war) an der Atomkraft zutiefst verbunden. Nachhaltigkeit war für ihn eine Herausforderung und kein grün getünchtes Modewort. Er kritisierte den Kapitalismus in den 90 Jahren des letzten Jahrhunderts, als fast alle über diesen schwiegen. Er war ein Grenzgänger nicht nur in der Wissenschaft. Die Institution, der er sein Leben lang eng verbunden war, die Max-Planck-Gesellschaft, hat sein gesellschaftliches Engagement eher kritisch gesehen.

Für viele – Generationen von Studierenden und besonders junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – war er ein Vorbild auch durch seine plastischen Beispiele (»das instabile Tripelpendel«), seine bildhafte Sprache, seine Überzeugungskraft, seine Ausdauer, sein nimmermüdes Friedensengagement bei den »Großen« der Welt aber auch bei den vielen kleinen Initiativen.

Nach der Begrüßung der Gäste durch Elfi Padovan vom Münchner Friedensbündnis umriss Reiner Braun von der Naturwissenschaftlerinitiative zunächst das friedens­politische Wirken des Erinnerten. Er betonte besonders seine Aktivitäten gegen die Weltraummilitarisierung (Hans-Peter Dürr prägte den Satz: „Lasst uns SDI zu dirty words machen“) und sein enges freundschaftliches Zusammenwirken mit Michael Gorbat­schow bei der Entwicklung und Realisierung von dessen friedenspolitischen Strategien. Er erinnerte daran, dass Hans-Peter Dürr seine Bereitschaft zum Friedensengagement in der Wissenschaft in seinem Buch »Das Netz des Physikers« (1988) mit den folgenden Worten beschrieb: „Dieser Entschluss war für mein zukünftiges friedenspolitisches Engagement von entscheidender Bedeutung“.

Die ehemalige Präsidentin der Universität Göttingen, Ulrike Beisiegel, unterstrich in ihrem Vortrag die Bedeutung der Verantwortung der Wissenschaft in Hans-Peter Dürrs Wirken – ganz in der Tradition seines wissenschaftlichen Vaters, Werner Heisenberg, einem der »Göttinger 18«. Die Herausforderungen, die sich aus – so der Untertitel seines Buches – „Naturwissenschaftliche[n] Erkenntnisse[n] in der Verantwortung“ ergeben, prägten Hans-Peter Dürrs Handeln. Ulrike Beisiegel unterstrich daher – gerade angesichts des aktuellen Verhaltens vieler wissenschaftlicher Institutionen – die Bedeutung der »Wissenschaftsdiplomatie« über Grenzen hinweg. Sie fragte daher: „Müssen wir nicht genau jetzt die Kommunikation über Grenzen (nach China und Russland) weiterführen?“. Sie betonte dabei noch einmal die Bedeutung von ethischen und moralischen Werten im Verantwortungsdiskurs und wies auf die Chancen und Risiken dramatisch positiver oder negativer gesellschaftlicher Auswirkungen wissenschaftlichen Forschens und Handelns hin. Sie machte sich in ihrem Vortrag für vorausschauendes Handeln in Wissenschaft und Politik stark. „Verantwortliche Wissenschaft ist ein dauerhafter Kampf“, unterstrich Ulrike Beisiegel dann auch mit Blick auf die Situation heute.

In einer historisch umfassenden Darstellung unterstrich Jürgen Scheffran, emeritierter Professor der Universität Hamburg, die Vielfalt dieses Engagements. Er verwies u.a. auf Dürrs Engagement beim sogenannten »Mainzer Kongress« 1983 gegen die neuen Atomwaffen und die Folgekongresse bis zum internationalen Kongress 1986 »Ways out of the Arms Race«. Er betonte in seinem Vortrag die Bedeutung dieser Kongresse der Naturwissenschaftler für die Friedensbewegung. „Die stabilitätsorientierte Sicherheitspolitik war Dürr ein besonderes Anliegen“, so Jürgen Scheffran. Er führte aus, dass „Hans-Peter Dürr sich nicht nur mit Fragen von Krieg und Frieden beschäftigt hat, sondern die anderen globalen Probleme der Menschheit im Blick hatte.“ Diese Gedanken hatte er u.a. bei einem großen Friedensforum in Moskau 1987 vorgestellt. Doch auch eine gewisse Form von energetisierender Frustration findet sich in Dürrs Werk. Jürgen Scheffran zitierte dazu aus einem Beitrag in den Blättern für deutsche und internationale Politik 8/1987: „Wir haben wirklich Besseres und Vernünftigeres zu tun, als immer wieder gegen diese verrückten und gefährlichen Projekte anzudiskutieren und zu demonstrieren. Wir alle würden lieber unsere kostbare Zeit und unsere schöpferische Energie für einen konstruktiven Zweck einsetzen, für etwas, was dazu beitragen könnte, die lebensspendende Funktion unserer Erde und ihre Schönheit zu erhalten und die Zusammenarbeit, das Zusammenhaltsgefühl und die Freundschaft unter den Menschen zu fördern.“ Diese Gedanken prägten sein Engagement beim »Global Challenges Network«, bei der »Vereinigung Deutscher Wissenschaftler« (VDW), bei »Pugwash« oder auch sein Mitwirken an der »Potsdamer Erklärung« (2005), deren Anliegen allesamt an Aktualität nicht verloren haben.

Ganze 39 Jahre arbeitete Hans-Peter Dürr an Instituten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Carola Sachse, emeritierte Hochschullehrerin der Universität Wien und tätig am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, ging unter dem Titel »Eine unfreundliche Freundschaft« auf das Verhältnis von Hans-Peter Dürr zur MPG ein. Carola Sachse nannte diese Beziehung „eine gespannte Beziehung“. Sie verwies auf die wissenschaftlichen Qualitäten des jungen Physikers Dürr, die ihm seine wissenschaftliche Karriere eröffneten und ihn zum Direktor von Heisenbergs Max-Planck-Institut für Physik aufsteigen ließen. Die wissenschaftlichen Entwicklungen und Schwerpunktsetzungen waren sicherlich eine der Differenzen mit der Politik der MPG, Kern der gespannten Beziehung war aber das gesellschaftlich zunehmend kritische Engagement von Hans-Peter Dürr. Waren es Differenzen über die Bewertung der Kern­energie – bis hin zur 1985 endgültig erfolgten Absage an diese –, war es seine Wachstumskritik und das Einfordern eines anderen Wirtschaftens: Dürr wurde zum kritischen Redner schon Ende der 1970er Jahre und blieb es bis zu seinem Tode.

„Das Problem war: die Position des »Öffentlichen Intellektuellen« in der MPG war schon lange besetzt – nämlich von Carl Friedrich von Weizsäcker, so Carola Sachse. Man wollte weniger und sicher nicht mehr »öffentliche Intellektuelle«, wollte wegen »der Politik« öffentliche Äußerungen (außer zu dem ausgesprochenen Fachgebiet der Forscher*innen) reduzieren oder besser verhindern. Dürr, so konstatierte Carola Sachse, war die lebende Opposition zu diesem Ansatz. Distanzierungen des MPG-Präsidenten konnten Dürr (durchaus betroffen von der Kritik) nicht von seinem Engagement abhalten, eher im Gegenteil. „Wissenschaftskonzepte kollidierten“, so Carola Sachse, denn das der MPG beinhaltete „strikte politische Abstinenz“. Dürrs Grundgedanke dagegen war, „die Welt als Ganzes zu durchdenken und in naturwissenschaftlicher Rationalität basierte Lösungen für existentielle weltgesellschaftliche Probleme zu entwickeln.“ Einstein war sein Vorbild. Dürr war dabei nicht isoliert, besonders in der Ablehnung des Nachrüstungsbeschlusses gab es in der wissenschaftlichen Community und der MPG vielfältige Unterstützung, genannt seien nur prominente Wissenschaftler und Nobelpreisträger wie Peter Starlinger, Paul Crutzen, Georg Köhler oder auch Adolf Butenand. Die Ablehnung von Hans-Peter Dürr durch den MPG-Präsidenten ging bis hin zur Abmahnung. Die nationale und internationale Anerkennung für Dürr dagegen wuchs: als Teil der Nobelpreisträgerorganisation Pugwash und als Träger des Alternativen Nobelpreises »Right Livelihood Award« (1987).

In seinem Beitrag am Ende der Tagung fasste Ernst Ulrich von Weizsäcker, der mit Hans-Peter Dürr in der VDW und dem Club of Rome eng verbunden war, zusammen: „Ich fand es sehr gut, dass „Naturwissenschaftler für den Frieden“ etwas besonders Wertvolles sind.“ Mit diesen Worten unterstrich Ernst Ulrich von Weizsäcker das besondere Engagement von Hans-Peter Dürr für den Frieden. Er betonte die Interdisziplinarität als „Alternative zu engstirniger, mathematisierter Wissenschaft“ auch und gerade für den Frieden und kritisierte deutlich die Politik der »peer-review«-Praxis in der Wissenschaft. Friedenswissenschaft und friedenswissenschaftliche Beratung war für die Politik ungeheuer wichtig. Kooperation eine unabdingbare Notwendigkeit. Weizsäcker unterstrich die Bedeutung des Sonnenenergiepfades für die Energietransformation, seine Entwicklung sowie die damit verbundene Ablehnung der Atomenergie auch in der Politik – „Hans-Peter Dürr wäre begeistert von dieser Entwicklung“ hin zu erneuerbaren Energien gewesen, so sein Votum. Ernst Ulrich von Weizsäcker endete rückblickend auf Dürrs Lebenswerk mit dem Satz: „Ich halte gerade jetzt die Friedenspolitik [im Dürr’schen Verständnis] für ungeheuer wichtig – besonders für zukünftige Generationen“.

Die Veranstaltung gab sicher allen der knapp 100 Anwesenden neue Kraft für ihr Friedens­engagement und um weiter für die Vision einer gerechten und friedlichen Welt zu wirken – ganz im Sinne der Verantwortung der Wissenschaften. Ein Überraschungsgast am Ende unterstrich diesen Eindruck: Von seiner Tournee meldete sich Konstantin Wecker, ein Freund von Hans-Peter Dürr, dem er das Lied »Gefrorenes Licht« gewidmet hatte, das er an die Veranstaltung als Video sandte. Eingerahmt wurde die Veranstaltung durch interessante und prägende Filmsequenzen von Claus Biegert und Bertram Verhaag.

Die Gesamtveranstaltung und die einzelnen Beiträge können auf www.natwiss.de nachverfolgt werden.

Reiner Braun ist Mitglied des Vorstandes der Naturwissenschaftlerinitiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit« (NatWiss).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/3 Widerstehen – Widersetzen, Seite 51–53