W&F 2006/2

Israel hat gewählt

von Jürgen Nieth

Israel hat gewählt – und das ist die zukünftige Sitzverteilung im Knesset (Parteiencharakterisierung nach FAZ 30.03.06):
Kadima (Abspaltung aus Likud und Arbeiterpartei) 29 Sitze, Awoda (Arbeiterpartei) 19 Sitze, Schas (religiös-orthodox) 13 Sitze, Israel Beitenu (nationalistische Einwandererpartei) 12 Sitze, Likud (rechtsgerichtet) 11 Sitze, NU/NRP (nationalistisch) 9 Sitze, Pensionäre 7 Sitze, Vereinigte Tora Partei (ultraorthodox) 6 Sitze, Merez (linksliberal) 4 Sitze, Arabische Parteien 10 Sitze. Die Wahlbeteiligung war mit 63 Prozent noch nie so niedrig in der israelischen Geschichte wie diesmal.

In der Einschätzung dieser Wahlen gibt es eine große Übereinstimmung in den deutschen Medien. Diese betrifft das schlechte Abschneiden des Likud.

Absturz des Likud

„Die bisher führende Likud-Fraktion fiel… auf den fünften Platz. Nun steht der Likud vor einer Zerreißprobe“, schreibt z.B. die FAZ. Parteichef Netanjahu gilt als der Verlierer, der aus Protest gegen den Abzug aus dem Gazastreifen die Regierung Sharon verließ und der „noch das Nein zum Abzug und die Angst vor dem Terror predigte,“ als der amtierende Regierungschef „Olmert mit seinem Abzugsplan in der Bevölkerung offene Türen einrannte“ und der viel „zu spät erkannte…, dass mit der sozialen Agenda der Arbeiterpartei (für ihn) neue Gefahr drohte.“ (FAZ 30.03.06)

Für Spiegel-Online waren die Parteien am erfolgreichsten, „die im Wahlkampf mit einer sozialpolitischen Agenda angetreten sind.“ (29.03.06)

Große Unterschiede gibt es in der Einschätzung der »Abzugspläne« Olmerts und des künftigen Weges Israels.

Israel zieht sich zurück

überschreibt Jörg Bremer seinen Kommentar in der FAZ (30.03.06). „Siedler, die vor Jahren noch als unantastbar galten, werden von der Mehrheit der Israelis mittlerweile als Wohlstandshindernis gesehen.“ Olmert kündigte „vor der Wahl seinen viel weiter reichenden Abzugsplan, ja selbst die Aufteilung Jerusalems, an und machte die Knessetabstimmung zum Referendum. Vielleicht musste Olmert diesen Mut mit ein paar Mandaten bezahlen, aber er kann nun doch eine stabile Abzugskoalition bilden.“

Besonders positiv wertet die FAZ die Erklärung Olmerts, nach der er bereit ist, „den Traum von Großisrael aufzugeben.“

Mehrheit für »Mitte-Links«

„Es ist das entscheidende Ergebnis dieser Knesset-Wahl, dass der Einfluss des national-religiösen Blockes, der länger als eine Generation in Israel dominiert hat, gebrochen wurde,“ schreibt Uri Avnery in der Wochenzeitung »Freitag« (07.04.06). „Alle rechten Parteien zusammen gewannen nur 32 Sitze – die religiösen 18. Mit 50 von 120 Sitzen im Parlament hat der rechts-religiöse Flügel seine Vetomacht verloren – er kann nicht mehr jede Maßnahme in Richtung Frieden blockieren. Das ist ein Wendepunkt.“

Auch für Spiegel-Online (29.03.06) zeigen die Wahlen, dass „die Israelis… eine andere Politik (wollen): Mitte-Links statt Rechts, lieber nach innen als nach außen gerichtet.“

Skeptischer ist da Inge Günther (FR 30.03.06). Auch für sie „haben die Wahlen das linke Lager gestärkt… Vor überzogenen Friedenshoffnungen muss trotzdem gewarnt werden – nicht allein, weil in Westbank und Gaza nun die islamistische Hamas regiert.“

Israels Kadima im Dilemma

überschreibt die FR ihre Wahlanalyse am 31.03.06. Dieses Dilemma wird an der geringen Zahl der Parlamentssitze und den möglichen Koalitionspartnern festgemacht. Die FR sieht in Avigdor Liebermann einen der möglichen Partner und der „gilt als israelische Variante europäischer Rechtspopulisten à la Le Pen und Jörg Haider.“ Trotzdem sei aber nicht ausgeschlossen, dass Kadima den „Parteichef von Israel Beitenu (Israel – Unser Haus) in die Koalition holt – schon aus Rücksicht auf russischstämmige Wähler.“

Auch die Süddeutsche Zeitung zeigt sich eher pessimistisch im Blick auf Friedensaussichten. Sie titelt:

Wahlsieger Olmert bleibt auf Konfliktkurs

Und Thorsten Schmitz kommentiert in derselben Ausgabe (30.03.06): „Olmert wird also das historisch einmalige Projekt der Siedlungsauflösungen fortsetzen. Aber: Größere Siedlungsblöcke… sollen von Israel einverleibt werden. Von Frieden kann also keine Rede sein. Denn selbst wenn Olmert etwa ein Drittel der rund 250.000 jüdischen Siedler im Westjordanland evakuieren lässt, werden weiterhin jüdische Siedlungen das Palästinensergebiet in Kantone zersplittern und die Lebensfähigkeit eines palästinensischen Staates verhindern.“

Mit dem Weiterbau der Grenzmauer auf palästinensischem Gebiet befasst sich die »Tageszeitung«:

Israel mauert

heißt es auf der Titelseite der TAZ am 30.03.06. Für sie verbindet sich mit dem Wahlsieg der Kadima nur „wenig Hoffnung auf einen neuen Friedensprozess im Nahen Osten“, da Olmert die Staatsgrenze zu Palästina weiterhin einseitig festlegen will. Ein Projekt, so Christian Semler in seinem Kommentar, das „für die palästinensische Seite unannehmbar“ ist und zu einer „Neuauflage des »asymmetrischen Kriegs«“ führen kann. Semler verweist darauf, dass einst Ariel Scharon den „Weg der Konfrontation beschritt, der die Spirale von Repression und Terrorismus auslöste. Jetzt will sein Nachfolger die angeblich einzig mögliche Lösung. Sie mag einfach sein, aber Frieden wird sie nicht bringen.“

Das sieht offensichtlich auch die Arabische Liga so.

Araber fürchten einseitige Schritte

In der Abschlussresolution des Gipfeltreffens der Arabiaschen Liga vom 29.03. lehnt diese die Pläne Olmerts ab. „Es steht außer Frage, dass einseitige Schritte nach israelischem Gutdünken die Situation nur noch verschlimmern werden“, erklärte deren Generalsekretär, Amru Mussa. Die Arabische Liga erneuerte ihre vier Jahre alte Friedensinitiative, in der sie Israel diplomatische Beziehungen anbietet, wenn Israel sich aus den besetzen Gebieten zurückzieht und einen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt sowie eine Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage akzeptiert.

Israels Präsident Mubarak spricht sich für Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern aus, da „einseitige Schritte … nicht zum Frieden führen.“  (TAZ 30.03.06)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2006/2 Lateinamerika im Umbruch?, Seite